Protocol of the Session on October 11, 2007

grundlage. Aber das Schlimmste an Armut ist ja nicht die Frage des Kampfes um die nackte Existenz, sondern die Erfahrung, nicht dazuzugehören. Die zentrale Aufgabe unserer politischen Arbeit muss daher nach wie vor die Reduzierung der Arbeitslosigkeit sein. Es ist der beste Weg, Herr Ministerpräsident, den Menschen auskömmliche Arbeit anzubieten, von der sie und ihre Familien leben können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch ein paar Worte zum Thema Bildung sagen, genauer gesagt zum Bildungskonvent. In der Debatte zum Einsetzungsbeschluss für den Bildungskonvent haben wir uns darauf verständigt, dass von der Gestaltung des Bildungskonvents, von der Diskussionskultur zwischen den beteiligten Institutionen, von der Entscheidungsfindung und vor allem vom Umgang des Parlaments mit den Ergebnissen und Empfehlungen des Konvents nicht unwesentlich auch unsere Glaubwürdigkeit als Parlamentarier abhängt. In den bisherigen Sitzungen des Bildungskonvents ist jedoch manchmal der Eindruck entstanden, dass dieser Konsens nicht mehr vorbehaltlos geteilt wird.

Ich werbe deshalb hier und heute noch einmal dafür, dass auch diejenigen, die dem Konvent gegenüber kritisch oder skeptisch eingestellt waren, es vielleicht noch sind, konstruktiv am Gelingen mitwirken. Wir brauchen ein dauerhaft tragfähiges, international ausgerichtetes, chancengerechtes und leistungsfähiges Schulsystem. Darin sind wir uns einig. Den Bildungskonvent als Chance nicht zu nutzen, hieße, fahrlässig mit der Zukunft unseres Landes umzugehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Abgeordnete sind gewählt, um die Geschicke des Landes zu lenken, und vor allen Dingen, um die Probleme des Landes zu lösen. Daher ist uns meistens eine Sicht zu eigen, die den Blick auf die Probleme lenkt, anstatt das bisher Erreichte hervorzuheben. Es ist auch ein wenig der Blick unserer schnelllebigen Mediengesellschaft, die nur ganz selten bei dem verweilt, was ist, sondern immer gierig danach strebt, was kommt. Und oft sind nur bad News good News. So ist auch der Blick der Öffentlichkeit in der Regel ein problemfokussierter.

Ich möchte aber im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Sachsen-Anhalt-Monitors 2007 trotzdem einen Perspektivwechsel wagen. - Herr Gallert, ich sage deutlich „trotzdem“; dies tue ich trotz der Unzulänglichkeiten, die Sie benannt haben, und ohne mich darauf auszuruhen.

67 % der Sachsen-Anhalter fühlen sich stark mit dem Bundesland verbunden. 72 % sind mit ihrer derzeitigen Lebenssituation zufrieden. Zirka 80 % halten die Demokratie für die beste Staatsform. 72 % sind mit dem Grundgesetz einverstanden und 77 % lehnen den Staatssozialismus der DDR als Gesellschaftsform ab. Am bemerkenswertesten finde ich, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung rechtsextremistische Einstellungen und Parteien ablehnt.

Zudem liegen solche Einstellungen in Sachsen-Anhalt unter dem Durchschnitt im Osten und weichen nur geringfügig vom bundesweiten Durchschnitt ab. Das zeigt mir, dass die Sachsen-Anhalter in dieser demokratischen Gesellschaft angekommen sind. Sie fühlen sich wohl in Sachsen-Anhalt, auch wenn es dem einen oder anderen persönlich besser gehen könnte. Ich denke, gerade das ist auch ein guter Grund, um ausnahmsweise

einmal einen optimistischen Blick in die Zukunft zu wagen.

(Beifall bei der SPD)

Gleichwohl müssen wir auch über die Defizite sprechen, die die Studie zutage gefördert hat. Jeder Einzelne, der die Diktatur der Demokratie vorzieht, ist einer zu viel. Jeder Einzelne, der rassistisches Gedankengut vertritt und Weltoffenheit ablehnt, ist einer zu viel. Jeder Einzelne, der Gewalt als legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung ansieht, ist einer zu viel. Daran müssen wir arbeiten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Weite Teile der Bevölkerung sind mit der Kommunikationsweise der Politik an sich unzufrieden. Viele halten Politiker und Politikerinnen für beratungsresistent. Lediglich 41 % der Bürger sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden, obwohl 72 % die Demokratie als Staatsform befürworten. Ich halte diese Differenzierung zwar für ein Zeichen eines reifen Demokratieverständnisses. Es ist aber auch ein bedenkliches Zeugnis für uns, die wir aktuell die Politik gestalten.

Dem Souverän gefällt die Performance nicht, meine Damen und Herren. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Und es liegt an uns selbst, das zu ändern.

Die Performance in der Politik besteht aus dem politischen Handeln auf der einen und aus der Wahrnehmung dieses Handelns auf der anderen Seite. Nur wenn wir im Ersten gute Arbeit leisten, wird sich das Zweite verbessern. Machen wir also weiter unsere Hausaufgaben - davon gibt es noch viele - und nutzen wir dabei ruhig die Gunst der Stunde, die Chance des wirtschaftlichen Aufschwungs, um das Land auf gesunde Beine zu stellen. Das ist die Basis für den Weg in eine offenere und für den Einzelnen persönlich glückliche Gesellschaft. Ich glaube, das ist das, was am Ende auch zählt.

Eigentlich wollte ich jetzt Schluss machen. Aber ich habe noch knapp drei Minuten Redezeit. Deshalb möchte ich zumindest noch auf ein Thema eingehen, das Herr Gallert angesprochen hat.

Sie, Herr Gallert, haben aus der Studie vorgetragen, dass ausgerechnet die Gruppe, die die Wende zutiefst bejaht hat, diejenige ist, die heute am stärksten enttäuscht ist. Ich möchte als jemand, der sehr frühzeitig, im Oktober 1989, angefangen hat, die Wende mitzugestalten, sagen: Mich wundert das nicht - ich hätte Ihnen das auch ohne Studie sagen können; aber Sie als klarer Analytiker hätten das auch gekonnt -; denn diese Menge an Menschen ist erst eingestiegen, als es nicht mehr um das Bewusstsein ging und um das, was der Ministerpräsident angesprochen hat, nämlich um das Reden über die Demokratie und neue Staatsformen. Diese Menschen sind erst eingestiegen, als es ausschließlich um das Sein ging. Das ist so. Daraus erklärt sich das. Das macht es nicht besser. Aber ich wollte es an dieser Stelle wenigstens gesagt haben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Budde. - Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüße ich Schüle

rinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen Magdeburg I. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich dem Abgeordneten Herrn Professor Dr. Paqué von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ministerpräsident hat eine Regierungserklärung abgegeben, die zumindest im Wortlaut eine Menge liberalen Geist ausströmt. In wesentlichen Punkten können wir als liberale Fraktion dem Gesagten zustimmen. Wir können nicht in allen Punkten zustimmen, aber in ganz wesentlichen, grundsätzlichen Punkten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Prima! - Herr Tullner, CDU: Dann tun Sie es auch!)

In den wesentlichen Punkten hat Professor Böhmer die Anforderungen des Weges in die offene Gesellschaft für unser Land ganz ähnlich beschrieben, wie wir das tun. Auch wir sehen die Stärkung der Wirtschaftskraft und die finanzpolitische Konsolidierung als zentrale Aufgaben an, damit die Abhängigkeit von Transfers abnimmt und damit die Menschen in unserem Land mit Selbstbewusstsein und Stolz auf ihre Leistungen blicken können - genau so wie die Westdeutschen in den 60er-Jahren. Nur auf diesem Wege werden auch die Sozialleistungen, die wir haben - die sind beträchtlich -, in unserem Land finanzierbar bleiben.

Auch wir sehen den Kampf gegen den Radikalismus, und zwar von rechts und von links, als eine zentrale Aufgabe an, die gemeinsames Handeln und bürgerschaftliches Engagement erfordert.

(Beifall bei der FDP)

Und ich bin dankbar für den Hinweis des Ministerpräsidenten, dass dieser Kampf auch einen unverstellten Blick auf unsere Geschichte erfordert, und zwar sowohl auf die Gründe für das Scheitern der Weimarer Republik als auch auf die Ursachen für den Niedergang der DDR, und zwar auch - dem stimme ich ganz ausdrücklich zu - in Bezug auf die Überforderung des Sozialsystems, meine Damen und Herren. Auch das ist ein Grund - der Ministerpräsident hat es gesagt - für den Niedergang der DDR.

Meine Damen und Herren! Auch wir Liberalen - ich sage: gerade wir Liberalen - sehen Freiheit und Verantwortung in einem engen Zusammenhang. Der Ministerpräsident hat festgestellt - ich zitiere -:

„Wer Freiheit will, muss auch lernen, mit Unterschieden zu leben und mit der Qual der Entscheidungen.“

Das ist ein liberaler Satz. Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, dann ausführen, dass der Umgang mit der Freiheit nicht so leicht fällt und die Vormundschaft des Öfteren auch für die Betroffenen die bequemere Lösung ist, dann können wir dem zustimmen. Trotzdem gilt natürlich, dass der Staat den Menschen nicht die Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebens abnehmen darf.

(Beifall bei der FDP)

Und genau an dieser Stelle klafft leider eine sehr große Lücke zwischen dem, was Sie, Herr Ministerpräsident, in

Ihrer Regierungserklärung als Leitmotiv formulieren, und dem, was die die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen der CDU und der SPD in diesem Land und im Bund mit Zustimmung der Landesregierung im Bundesrat an praktischer Politik vorlegen. Fast alles, was Sie im Land und im Bund auf den Weg gebracht haben, läuft auf eine Einschränkung von Freiheit und Verantwortung hinaus. Es wimmelt von Beispielen.

(Beifall bei der FDP)

Überall wird der Weg bereitet für mehr Staat, fast nirgends für mehr Freiheit. Mindestlöhne auf dem Arbeitsmarkt sollen dem Staat die Verantwortung für Arbeitsbedingungen übertragen, weg von den Tarifparteien und weg von den Menschen vor Ort, denen man nicht mehr zutraut, dass sie sich auf vernünftige Arbeitsbedingungen einigen können, die auch den Arbeitslosen eine Chance geben. Das ist eine ganz klare Abwendung von der Grundidee der sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland wohlhabend und sozial gerecht gemacht hat.

(Herr Tullner, CDU: Es ist noch nicht beschlos- sen!)

- Warten Sie ab, lieber Herr Tullner, wie es in Berlin weitergeht.

Massive Steuererhöhungen - die sind aber schon beschlossen - haben dafür gesorgt, dass der Staat in der gegenwärtigen Situation nicht wirklich sparen muss und dass sich die Politiker trotzdem als erfolgreiche Konsolidierer feiern lassen können, während die Menschen weniger Geld haben, um ihr Leben und das ihrer Familien selbstverantwortlich gestalten zu können.

Ein Nichtrauchergesetz vertreibt die Raucher aus den Kneipen auf die Straßen und nimmt Nichtrauchern und Rauchern damit die Möglichkeit, eigenverantwortlich und gemeinsam für vernünftige Regeln im Umgang miteinander zu sorgen, was übrigens in der Praxis schon längst geschieht.

(Herr Tögel, SPD: Das hat nie geklappt! Das ist das Problem!)

Ein Kampfhundegesetz soll die Hundebesitzer gängeln, ihnen die Möglichkeit nehmen, selbstverantwortlich im Rahmen der üblichen Ordnungsregeln - diese sind ja schon vorhanden - mit ihren Tieren umzugehen. Dies soll, wie heute der Presse zu entnehmen ist, sogar auf der Grundlage einer Rasseauswahl geschehen, die von vielen Fachleuten als untauglich angesehen wird.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Herrn Tögel, SPD)

Drakonische Strafen für Parksünder sind im Gespräch. Sie sollen die Autofahrer in den Städten disziplinieren, wider alle Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, die auch mit der Idee persönlicher Verantwortung zusammenhängen. Ich freue mich, dass Minister Daehre das genauso sieht.

(Beifall bei der FDP - Minister Herr Dr. Daehre: Das ist wunderbar!)

Tiefe Eingriffe in den rechtsstaatlichen Schutz der Bürger werden erwogen, von der Online-Durchsuchung bis zur Absonderung von politisch motivierten Straftaten gegenüber so genannten normalen Straftaten.

Ein Lotteriestaatsvertrag, meine Damen und Herren, soll dafür sorgen, dass die Menschen dort ihr Glück im Spiel suchen, wohin sie der Staat treiben will, und zwar in die

Arme staatlicher Monopolisten, weg von bösen privaten Anbietern, die als lästige Konkurrenten auftreten.

(Herr Scharf, CDU: Sie machen sich langsam lä- cherlich! - Zurufe von Herrn Gürth, CDU, und von Frau Bull, DIE LINKE)

Restriktive Gesetze und Praktiken zur Gentechnik sollen die Menschen möglichst davor bewahren, frei darüber zu entscheiden, ob sie sich für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel entscheiden, die vielleicht weniger mit Pestiziden belastet sind, oder für konventionelle Produkte.