Protocol of the Session on September 13, 2007

- Hier stimmt es. Richtig!

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Deutlich wird jedoch zumindest bei der mittelfristigen Finanzplanung, dass unsere Bildungsquote, also die Investitionsquote des 21. Jahrhunderts, tendenziell sinkt. Natürlich kritisieren wir das. Aber wir wissen auch, dass sie selbst bei der Erfüllung all unserer Forderungen nicht konstant bleiben würde. Gerade daran merken wir aber, wo die eigentliche Hypothek des Landes Sachsen-Anhalt zurzeit aufgebaut wird. Denn wenn wir eine normale Bevölkerungsentwicklung hätten, dann müssten oder könnten wir Milliarden Euro mehr für Bildung und Erziehung ausgeben. Da mutet das Problem der finanziellen Verschuldung des Landes eher marginal an.

An diesen Punkt schließt sich eine weitere grundsätzliche Kritik an dem vorliegenden Etat an. Genau wie im Hochschulbereich müssen wir daran denken, dass bis zum Ende der Legislaturperiode die letzten geburtenstarken Jahrgänge die Schule bereits verlassen haben oder verlassen werden. Man braucht keine wissenschaftliche Ausbildung auf dem Gebiet der Demografie, um zu wissen, dass die Menschen in unmittelbarem Anschluss daran darüber entscheiden werden, wo sie ihren Lebensweg - oftmals mit sehr langfristiger Bindung - weiter realisieren wollen.

Dass diese Entscheidung ganz maßgeblich von den beruflichen Perspektiven abhängt, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Deswegen verwundert es kaum, dass es in der Wirtschaft immer mehr Aufrufe dahin gehend gibt: Sichert euch jetzt die jungen Menschen, die jetzt mit der Schule oder mit der Berufsausbildung fertig werden; denn in einigen Jahren werdet ihr sie nicht mehr finden.

(Herr Gürth, CDU: Das ist nicht wahr!)

Diese Appelle fruchten in den Unternehmen langsam. Diese versuchen bereits, sich ihren Berufsnachwuchs zu sichern. Es gibt nur einen Bereich, um den diese Erkenntnis einen riesigen Bogen macht. Das ist der öffentliche Dienst. Und wir als Land gehen dabei voran; das ist ein unhaltbarer Zustand.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Stimmt ja gar nicht!)

Da werden nach der überarbeiteten Vorlage etwa 240 Neueinstellungen pro Jahr vorgesehen. Das sind 1 200 in der gesamten Legislaturperiode. In den folgenden Legislaturperioden sind es zunächst im Durchschnitt etwa 900, später 1 150 Neueinstellungen.

Wir haben nur zwei Probleme. Erstens. Die geeigneten Bewerber für viele dieser Aufgaben werden wir dann

nicht mehr finden oder es wird für uns sehr teuer, weil wir ab der nächsten Legislaturperiode ein völliges Umkippen von Nachfrage und Angebot haben werden.

Wir haben ein Problem. Jetzt suchen junge Menschen in diesem Land eine berufliche Perspektive. Jetzt entscheiden sie darüber, ob sie deswegen weggehen oder hierbleiben wollen. Ab dem Jahr 2011 ist das nicht mehr das Problem. Ab dem Jahr 2011 brauchen junge Menschen, die ordentlich ausgebildet sind, den öffentlichen Dienst in Sachsen-Anhalt als berufliche Perspektive nicht mehr, weil ihnen dann die private Wirtschaft entsprechende Angebote unterbreiten wird. Das wird in der Personalplanung völlig ignoriert. Deswegen fordern wir nicht 240 Neueinstellungen pro Jahr, sondern 700 Neueinstellungen pro Jahr in dieser Legislaturperiode.

(Minister Herr Bullerjahn: Was soll denn so ein Quatsch?)

- Die 700 Neueinstellungen, Herr Finanzminister, sind genau die, die Ihre eigenen Ministerkollegen als Bedarf angemeldet haben. Die kann man sehr wohl realisieren.

(Herr Gürth, CDU: Wie wollen Sie das denn fi- nanzieren?)

Dann muss man sagen: Dann müssen wir in den nächsten Legislaturperioden weniger Personal einstellen.

(Herr Gürth, CDU: Das ist doch kein vernünftiger Finanzierungsvorschlag!)

Das würde im Jahr 2008 16 Millionen € mehr kosten. Im Jahr 2009 würde es 32 Millionen € zusätzlich kosten. Ich werde Ihnen dazu nachher noch eine Gesamtrechnung aufmachen.

(Herr Gürth, CDU: Die können Sie ruhig auf- machen! Die wollen wir einmal sehen!)

Wir haben in einem weiteren Bereich noch ein zusätzliches Problem. Es gibt den Tarifkonflikt zwischen der Landesregierung und der GEW. Die erste Reaktion - das haben wir heute schon einmal gehört - war: absoluter Neueinstellungsstopp bei Lehrern ab dem nächsten Jahr.

(Herr Gürth, CDU: Ja!)

Das wird die Situation in diesem Bereich noch einmal radikal verschärfen. Denn, liebe Kollegen, es ist klar: Wir bekommen ab dem Jahr 2013 nicht jährlich 400 neue Lehrer in dieses Land. Sollen wir die etwa aus Hessen abkaufen? Mit welchem Geld eigentlich?

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Ja!)

Woher, Herr Gürth, soll das Geld denn kommen, um das Personal heranzubekommen? Woher soll im Jahr 2013 ein Sonderbonus kommen, um Menschen einzukaufen, damit sie hier Lehrer werden? Diese Frage müssen wir uns stellen.

(Herr Gürth, CDU: Ach! Die Frage stellt sich dann überhaupt nicht!)

Diese rigide Einstellungspolitik ist vor allem deshalb nicht zu verstehen, weil immer wieder Regierungsvertreter - auch der Finanzminister - das Abwanderungsproblem thematisieren. Nur: Was ist das eigentlich? Wollen wir jetzt politisch handeln oder wollen wir uns in Fatalismus üben? Und dieser Einstellungskorridor von

240 Neueinstellungen pro Jahr - das ist purer Fatalismus.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun wissen natürlich auch wir, dass wir den öffentlichen Dienst nicht allein wegen der dort vorhandenen Arbeitsplätze hochhalten können. Eine Stelle ist deswegen noch lange nicht sinnvoll, weil sie einen Arbeitsplatz darstellt; vielmehr muss sie einen Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge leisten.

Wir wissen natürlich auch, dass wir im Landesbereich Personal abbauen können, schon deswegen, weil wir weniger Schüler haben. In Teilbereichen wird natürlich auch die Produktivität des Landesdienstes höher.

Aber die Vorschläge, die wir unterbreiten, machen einen Unterschied. Dann wird es nicht möglich sein, 3 000 Stellen in zwei Jahren abzubauen, sondern es werden nur 2 100 Stellen abgebaut. Dann wird man in den nächsten Legislaturperioden weniger Neueinstellungen realisieren müssen, als es jetzt vorgesehen ist. Aber das ist unsere Position.

Deswegen sagen wir ganz deutlich: Wir werden den ideologischen Feldzug, der unter dem Aspekt der Personalkostenreduzierung gegen den öffentlichen Dienst geführt wird, nicht mitmachen. Wir verweigern uns diesem, weil der öffentliche Dienst einer der wichtigsten Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge ist. Ohne ihn wird es nicht gehen.

(Beifall bei der LINKEN - Frau Budde, SPD: Das ist relativ!)

Der letzte Problemkreis, den ich hier ansprechen möchte, betrifft die Landeszuweisungen für die Kommunen. Ich habe bereits vorhin darauf hingewiesen, dass wir das Dilemma haben, dass die Einnahmen der Kommunen in Sachsen-Anhalt deutlich unter denen westdeutscher Kommunen liegen. Das wird sich so schnell auch nicht ändern.

Sie sagen, sie hätten ein Finanzierungsdefizit. Der Landkreistag spricht von 400 Millionen €. Wir rechnen bei allen Kommunen - das würde damit korrelieren - in etwa mit 1 Milliarde €. Wir wissen aber genauso, dass dieses Land dies nicht leisten kann. Es ist eben eines dieser Dilemmata, in denen wir uns befinden. Insofern gehen auch wir - in dieser Hinsicht haben wir keinen Dissens zu der Regierungsvorlage - davon aus, dass die Verbundquote in den Jahren 2008 und 2009 konstant bleiben sollte.

Für die weitere Entwicklung machen wir jedoch einen anderen Vorschlag. Wenn wir wissen, dass die Finanzierungsvolumina an allen Ecken nicht ausreichen, dann müssen wir zumindest versuchen, auf niedrigem Niveau in etwa eine verlässliche Größe hinzubekommen.

Unser Vorschlag wird es sein, ab dem Jahr 2010 das Gesamtvolumen des FAG, also die Verbundmasse auf der Höhe konstant zu halten, die wir im Jahr 2009 erreicht haben. Wenn dann die Steuern wirklich weiter steigen sollten, dann sollte man die Verbundquote absenken. Um mit diesen Dingen umzugehen, wäre es ein verlässliches Angebot an die Kommunen, ihnen in dieser extrem komplizierten Situation zu sagen: In Ordnung, bis zum Jahr 2009 steigen sie noch, weil die Steuern steigen, die dort einfließen, ab dem Jahr 2009 bleiben sie zumindest absolut konstant.

Wir haben eine Differenz zu dem, was in der mittelfristigen Finanzplanung steht. Diese ist aber weitaus geringer, als der eine oder andere möglicherweise jetzt denkt.

Es gibt ein bestimmtes Problem - das will ich hier noch einmal sagen -: Wir haben es immer noch nicht geschafft, 10 Millionen € zu finden, und zwar 10 Millionen €, die verloren gegangen sind. Man hat aus der Finanzausgleichsmasse 35 Millionen € für das Aufnahmegesetz herausgenommen. Irgendwo hat man dann 25 Millionen € veranschlagt. Wo die restlichen 10 Millionen € geblieben sind, ist uns immer noch verborgen geblieben. Mal sehen, vielleicht finden wir sie ja gemeinsam, Herr Scharf.

(Herr Scharf, CDU: Wir haben weniger, die wir aufnehmen müssen!)

Wir haben ansonsten noch den Kritikpunkt, dass 25 Millionen € für die Gemeindestrukturreform ausgegeben werden, also für die so genannten freiwilligen Einheitsgemeinden. Die politische Absicht ist klar: Man versucht die mangelnde Überzeugungskraft dieser Gemeindegebietsreform der Koalition durch Geld auszugleichen. Nun ja, das können Sie gern machen, Sie müssen dann aber auch wissen, dass wir das kritisieren werden.

Wir sagen, es gibt eine Ebene der Gebietskörperschaften, die jetzt damit finanziert werden müsste. Die musste jetzt eine Reform durchmachen, wegen des Landesgesetzes. Dann hat sie nach dem Konnexitätsprinzip einen Anspruch auf dieses Geld. Das sind die Landkreise. Geben Sie das Geld also den Landkreisen! Das wäre vernünftig. Diesen, sozusagen, Motivationsschub für die Einheitsgemeinden, den halten wir für falsch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will am Ende meiner Rede einige Dinge zu dem Gesamtkomplex sagen. Ich habe mich auf drei Dinge konzentriert. Das sind die drei Dinge, die wir in den Haushaltsverhandlungen einbringen werden.

(Herr Gürth, CDU: Mehrausgaben ohne Ende!)

Das sind insgesamt Mehrausgaben für das Jahr 2008 in Höhe von 80 Millionen € und für das Jahr 2009 in Höhe von 100 Millionen €. Wenn es die SPD mit ihrer Forderung nach der Kinderbetreuung ernst meint, dann würde sich diese Differenzsumme noch einmal deutlich nach unten korrigieren, weil wir dann zumindest zwischen diesen beiden Fraktionen keine Differenz an dieser Stelle mehr hätten.

Alle unsere Änderungsvorschläge bewegen sich also weit unterhalb der Marke von 1 % des Haushaltsvolumens, wenn wir die SPD ernst nehmen. Das ist natürlich auch Ausdruck des mangelnden politischen Spielraums, den wir in diesem Land noch haben.

(Herr Gürth, CDU: Dank der Schulden, die Sie ge- macht haben!)

Für diese Dinge werden wir in den Ausschüssen Refinanzierungsvorschläge vorbringen. Darüber hinaus werden wir in den Ausschüssen Umverteilungsvorschläge vorbringen, die ich hier jetzt nicht im Einzelnen erwähnt habe, zum Beispiel zugunsten der Ansätze für die Stärkung der Demokratie in diesem Land. Wir werden die nächsten Wochen dazu nutzen, dies zu realisieren, umzusetzen und seriös zu unterbreiten.

Ich will Ihnen auch ganz deutlich sagen: Vom Vorwurf des Populismus lassen wir uns schon lange nicht mehr schrecken.

(Herr Gürth, CDU: Das wissen wir!)

Denn die Erfahrung der letzten Zeit ist immer nur, Herr Gürth: Unser Populismus von heute ist Ihr Realismus von morgen.