Letztlich sind wir zu der Schlussfolgerung gekommen, dass bei Weitem nicht alles, was landespolitisch sinnvoll und im Interesse der Daseinsvorsorge richtig, manchmal sogar notwendig wäre, in ausreichendem Maß finanziert werden kann. Damit meinen wir nicht nur die Evaluation der Wirtschaftsinvestitionen, wie sie in der Sommerpause anhand der Biotechnologie diskutiert worden ist. Ja, dort muss sie evaluiert werden, ebenso wie in allen anderen Bereichen.
Wir kommen darüber hinaus sogar in eine Situation, die uns faktisch dazu zwingt, falsche Dinge zu tun. Als Beispiel dafür soll die Entwicklung im Bereich des ÖPNV dienen. Diesbezüglich haben unsere Fachpolitiker für das Haushaltsjahr 2008 beantragt, geringere Zuweisungen des Bundes durch Landesmittel auszugleichen. Wer will die Richtigkeit dieser Forderung in Zweifel ziehen? Alle reden über Klimaschutz, alle reden über Artenschutz. Eigentlich kann man dagegen nicht argumentieren. Aber wir wissen, dass der Landeshaushalt diese Mittel nicht bereitstellen kann. Deshalb ist selbst diese Forderung bei uns in der Fraktion mehrheitlich abgelehnt worden.
Die Landtagsfraktion der LINKEN ist sich darüber im Klaren, dass Mehrausgaben in einigen Bereichen den Spardruck auf andere Bereiche noch einmal erhöhen. Deswegen ist mit solchen Forderungen besonders verantwortungsvoll umzugehen. Sie müssen sich also auf Bereiche konzentrieren, die den stärksten Einfluss auf die soziale Situation der Menschen in Sachsen-Anhalt haben, denen es eine nachhaltige Perspektive zu sichern gilt.
Dabei steht für uns die Bildung als zentrale soziale Frage in Landeskompetenz im Mittelpunkt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird Sie nicht überraschen. Diese Schwerpunktsetzung ist nicht neu, aber - das wurde heute nach der Rede des Finanzministers besonders deutlich - es ist immer wieder gut zu erfahren, dass die Dinge nach und nach von anderen nachvollzogen werden.
Nachdem im letzten Jahr viele Politiker darüber diskutiert haben, dass es einen Zusammenhang zwischen Armut und Bildungsarmut gibt, ist man in diesem Jahr darauf gekommen, dass es auch einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Perspektivlosigkeit gibt, und zwar durchaus in mehrfachem Sinne.
An erster Stelle steht für uns nach wie vor die Forderung nach gleichem Zugang zur Bildungseinrichtung Kindertagesstätte für alle Kinder, unabhängig von der Situation ihrer Eltern.
Wir wissen, dass die Mehrbelastung für den Landeshaushalt etwa 25 bis 30 Millionen € betragen wird, je nachdem, wie man die Ganztagsbetreuung berechnet und was man einschätzt, wie viele Kinder dies in Anspruch nehmen werden. Darüber hinaus fordern wir, dass es eine Mindestanrechnung von Vor- und Nach
bereitungszeiten von einer Stunde je Fachkraft pro Woche in der Kindertagesstätte gibt. Dies würde mehr als 4 Millionen € zusätzlich kosten.
Lange waren wir mit dieser Forderung und der inhaltlichen Begründung im Landtag von Sachsen-Anhalt im Wesentlichen allein. Einige wenige mutige SPD-Abgeordnete bekannten sich mal mehr oder weniger dazu, daneben sogar der Landesvorsitzende der SPD bis zu dem Zeitpunkt, als er Landesvorsitzender geworden ist. Aber es stand auch die Ablehnung im Raum, zum Beispiel von der jetzigen Sozialministerin.
Umso freudiger waren wir überrascht, dass wir nun der Presse entnehmen konnten, dass sowohl die Forderung nach der Ganztagsbetreuung für alle als auch die inhaltliche Begründung von der SPD übernommen worden sind und übermorgen sogar Parteitagsbeschluss werden sollen. Um dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen aufzusetzen, argumentiert die Fraktionsvorsitzende der SPD, dass die Ganztagsbetreuung wichtiger ist als die Beitragsfreiheit im Kindertagesstättenbereich, was im Wahlkampf 2006 seitens der SPD noch anders gesehen worden ist, was wir aber - seit Jahren übrigens - ausdrücklich unterstützen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, in die Freude darüber, dass unsere Argumentation offensichtlich die SPD überzeugt hat, mischt sich nach einem Blick in den Landeshaushalt eine gewisse Skepsis. Dort findet man von all diesen Dingen nichts. Aber eines ist klar: So etwas kostet Geld, viel Geld, und zwar im Landeshaushalt.
Schaut man sich dann das Interview der Sozialministerin noch einmal genauer an, liest man darüber hinaus weitere erstaunliche Dinge. Unter anderem, dass Vor- und Nachbereitungszeiten pro Kindergartengruppe in Höhe von zehn Stunden pro Woche angerechnet werden sollen. Nun ist der Begriff „Kindergartengruppe“ nicht definiert, aber wir gehen einmal nicht von 100 Kindern aus. Wir gehen von einer normalen Größenordnung aus. Das sind dann zwei Mitarbeiter. Allein die Kosten für die Verwirklichung dieser Forderung betragen über 20 Millionen €. Dann darf ich mich nicht wundern, wenn ich in meiner eigenen Fraktion die Frage gestellt bekomme, warum wir eigentlich mit unseren Forderungen so bescheiden sind.
Aber die politischen Realitäten in diesem Land sind dann wohl doch andere. Befragt nach der neuen Position der SPD, reagierte der Ministerpräsident mit einem klaren „Basta!“, und zumindest in dieser Frage - was auch nicht mehr all zu häufig vorkommt - folgt ihm die CDU-Fraktion stehenden Fußes
und verkündet sofort, nicht einmal Redebedarf habe man hierzu mit dem Koalitionspartner. Vor diesem Hintergrund fragen wir uns langsam, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was wird hier eigentlich gespielt?
Liebe Abgeordnete von der SPD, Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie ziehen das von Frau Kuppe dargelegte Konzept durch und zwingen die CDU in diese Richtung, wozu wir Ihnen ausdrücklich unsere Unterstützung anbieten, oder das Ganze geht wie das Hornberger
Letzteres würde nicht nur Sie als SPD völlig unglaubwürdig erscheinen lassen, sondern - das ist viel entscheidender - für weitere vier Jahre die Benachteiligung von Kindern in Hartz-IV-Elternhäusern und Familien zementieren, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Das ist der eigentliche Skandal.
Dazu sage ich ganz deutlich, Herr Finanzminister: In dieser Hinsicht haben wir keine Zeit mehr. Wir haben die soziale Situation in den Brennpunkten, in den Hartz-IVFamilien jetzt. Jetzt entscheidet sich deren Zukunft. Da können wir leider nicht warten, bis die Koalition von CDU und SPD irgendwann einmal zu Potte kommt. Jetzt muss die Frage auf die Tagesordnung, jetzt muss sie entschieden werden.
Es gibt bei dieser Frage noch einen zweiten Aspekt. Darüber hinaus hat dieses Thema in Sachsen-Anhalt eine besondere Brisanz. Hierzu fand im Jahr 2004 ein Volksbegehren statt; dieses war erfolgreich. Im Jahr 2005 fand ein Volksentscheid statt; dieser war nicht erfolgreich, denn es gab nicht genügend Teilnehmer.
Aber ich sage der CDU-Fraktion noch einmal ausdrücklich: Bei diesem Volksentscheid haben mehr Menschen für den Ganztagsanspruch als kurz danach bei den Landtagswahlen für die CDU gestimmt. Auch das sollten Sie sich durch den Kopf gehen lassen.
Weil das so ist, sage ich ausdrücklich: Tausende von Menschen haben sich damals engagiert, Hunderttausende haben sich beteiligt. Deswegen sage ich: Liebe Damen und Herren, mit diesem Thema spielt man in Sachsen-Anhalt nicht.
Entweder man hat eine Position und zieht sie durch oder man hält sich zurück. Vor allen Dingen eignet sich diese Frage auch nicht als Verhandlungsmasse unter der Überschrift „Ärgert ihr unseren Innenminister, ärgern wir euch in der Kita-Frage“. - So bitte nicht bei diesem Thema.
- Dann kennen Sie die dpa-Meldung von Ihrem stellvertretenden Ministerpräsidenten offensichtlich nicht. Sonst gehen Sie mit ihm in den Kindergarten, wenn das eine Kindergartenfrage ist.
Kinderarmut ist nicht nur Ganztagsbetreuung. Wir haben deswegen morgen einen Antrag dafür auf der Tagesordnung. Wir sagen ausdrücklich: Jawohl, wir geben dieser Koalition gern die Zeit, sich bis zum Jahresende neu zu positionieren. Aber spätestens dann muss die Entscheidung fallen und die Betroffenen hoffen genau wie wir, dass eine offensichtlich vorhandene parlamentarische Mehrheit für den Ganztagsanspruch dann im Interesse der Betroffenen auch zur Wirkung kommen wird.
Ob das so geht, das liegt ganz allein bei Ihnen; denn letztlich hat die CDU gar keine andere Möglichkeit, als diesen Weg mit Ihnen zu gehen, wenn Sie nicht vorher einknicken. Dass das so ist, liebe Kollegen von der SPD, das erleben Sie nun wirklich seit Monaten bei der Diskussion über die Frage der Gemeindestrukturen.
Daneben muss nun endlich ein weiteres Problem klar angegangen werden, und zwar die Schülerbeförderung im Bereich der Sekundarstufe II. Leider ist es nach wie vor so, dass der Besuch von Gesamtschulen und Gymnasien nach der 10. Klasse und bestimmter berufsbildender Schulen teilweise mit erheblichen Kosten für die Schülerbeförderung verbunden ist. Das stellt in einem Land, in dem ein Drittel aller Kinder in Hartz-IV-Haushalten aufwächst, eine ernsthafte Behinderung beim Zugang zur Bildung dar. Solche Zugangsbeschränkungen werden in Sonntagsreden fast aller Parteien inzwischen angeprangert. Nur leider tut sich kaum etwas. Wir sind hier als Land in der Pflicht. Auch dies kostet 4,3 Millionen €.
In einem weiteren Bereich der Bildung haben wir es mit dem Dauerbrenner der Hochschulfinanzierung zu tun. In der letzten Legislaturperiode beschloss man eine Reduzierung der Hochschuletats um 10 %, also um rund 30 Millionen €. Dies ist und bleibt eine strategische Fehlentscheidung.
Nun wissen auch wir, dass verschiedene Faktoren, die zu Aufwüchsen in diesem Bereich geführt haben, wie die Entwicklung der Personalkosten oder der Hochschulpakt, die Etats etwas entlasten. Trotzdem bleibt das Problem bestehen, dass wir genau in der Phase der stärksten Nachfrage an Studienplätzen die Finanzierung in diesem Bereich eingeschnürt haben. Dies hat zwar auch einen sozialen Aspekt - dadurch werden die Hochschulen zu einer Beschäftigung mit der Gebührenfrage gedrängt -, aber eine andere Frage ist viel entscheidender, nämlich ob es gelingt, mithilfe von Studienplätzen junge Menschen mit hohen Schulabschlüssen hier zu behalten.
Nun wissen wir auch, man kann dieses Land nach einem Schulabschluss oder auch nach einem Studienabschluss verlassen. Aber wenn jemand hier studiert hat, dann ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass er hier Wurzeln schlägt, viel größer, als wenn er das Land schon im Alter von 18 oder 19 Jahren verlässt. Vielleicht hat er sogar die Chance, sich hier bereits während des Studiums eine berufliche Perspektive zu schaffen. Deswegen ist es für uns, aber auch mit Blick auf die demografische Situation im Land wichtig, hier mehr Geld zu investieren und die Kürzung um 30 Millionen € rückgängig zu machen, um ihnen hier eine Perspektive zu geben.
Darüber hinaus liegt klar auf der Hand, dass das Land Sachsen-Anhalt keine Perspektive haben wird, wenn es uns nicht gelingt, die leider immer noch zu konstatierende Entwicklung zu stoppen, dass die zukünftigen Träger von Innovation und sozialen Netzwerken das Land verlassen.
Wie widersinnig mutet es da an, Konsolidierungserfolge im Haushalt zu feiern, die den Weggang junger Menschen zur Folge haben. Diese Siege werden uns teuer zu stehen kommen. Eines dürfte doch wohl klar sein:
- 1,5 Millionen €. - Natürlich ist uns aufgefallen, dass in diesem Haushalt - ebenso wie in der mittelfristigen Finanzplanung - erstmals die Bildungsquote ihren Niederschlag gefunden hat. Diese Forderung haben wir zum ersten Mal im Jahr 2004 gestellt. Wenn all unsere Forderungen bereits nach drei Jahren erfüllt würden, wäre zumindest uns wohler - anderen in diesem Land nicht, das ist mir schon klar.