Protocol of the Session on September 13, 2007

Bevor wir jedoch die von der Wertung der Koalition erwartungsgemäß abweichende Wertung einzelner Haushaltstitel darstellen, will ich darauf eingehen, wie wir die finanzpolitische Gesamtsituation des Landes SachsenAnhalt und die daraus resultierenden Spielräume und Zwänge einschätzen. Offensichtlich ist ein Doppelhaushalt dazu angetan, das ein bisschen auf diese Abstraktionsebene zu heben. Der Finanzminister hat das in zwei Dritteln seiner Rede auch getan.

Seit Beginn dieser Legislaturperiode können wir erstmals seit vielen Jahren Steuermehreinnahmen verzeichnen, die in vielfältiger Art und Weise die Schlagzeilen bestimmen und über die debattiert wird. Ich kann auch sagen, dass jemand, der haushaltspolitische Verhandlungen immer dann geführt hat, wenn man nach der Novembersteuerschätzung alles vergessen konnte, was man vorher gemacht hat, weil die Einnahmen einfach weg waren, das zu schätzen weiß. Dem steht jedoch die absehbare Entwicklung unserer finanziellen Ressourcen im Laufe dieser Legislaturperiode gegenüber. Tatsächlich haben wir hier zusammen mit dem Finanzminister eine erhebliche Deckungsüberschneidung, was diese Dinge anbelangt.

Prognostizierte Steuermehreinnahmen beziehen sich oftmals auf vorangegangene Steuerschätzungen und können natürlich nur die Entwicklung der absoluten Zahlen widerspiegeln. Sie können weder Inflationsraten noch Verteuerungen, zum Beispiel aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung, gegenrechnen.

Darüber hinaus verdecken sie im öffentlichen Bewusstsein eine ganz entscheidende Tatsache, und zwar die Tatsache, dass diese Steuereinnahmen nur etwa die

Hälfte der Einnahmen des Landes Sachsen-Anhalt ausmachen. Die andere Hälfte der Einnahmen sinkt aber radikal. Sie sinkt stärker als die Steuereinnahmen steigen. Die Ursachen dafür sind hier noch einmal genannt worden.

Wir haben es also in den nächsten Jahren bis zum Ende der Legislaturperiode mit sinkenden Haushaltsvolumina zu tun. Das muss man an den Anfang stellen, wenn viel über Steuermehreinnahmen geredet wird.

Darüber hinaus ist in den letzten Wochen im Kontext der globalen Bankenkrise deutlich geworden, wie fragil die konjunkturelle Entwicklung und die damit verbundenen Steuermehreinnahmen sind. Niemand von uns kann wirklich ausschließen, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft durch den faktisch völlig unkontrollierten globalen Finanzmarkt substanziellen Schaden nimmt.

Wenn jetzt langsam darüber nachgedacht wird, zumindest einmal politische Kontrollen für Transparenz einzuführen, dann ist das letztlich das späte Eingeständnis, dass sich selbst überlassene Märkte unberechenbare Risiken für die ökonomische, soziale und letztlich auch politische Entwicklung bergen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres nennenswertes Risikopotenzial besteht nach wie vor im Bereich der Binnennachfrage, übrigens in der investiven genauso wie in der konsumtiven. Wir haben bei uns steigende Umsatzsteuereinnahmen verbucht. Das ist kein Wunder, wenn man drei Prozentpunkte draufpackt. Aber sie sollen auch in den nächsten Jahren, also in den Jahren 2008 und 2009, steigen; das entnimmt man dem Haushalt.

Es stellt sich jedoch die Frage, woher die Steigerungen jenseits der Erhöhung um drei Prozentpunkte bisher kamen. Das ist die große Frage. Haben die Leute mehr Geld, oder haben sie nur die Erwartung, dass sie in Zukunft mehr Geld haben und es deswegen ausgeben können?

Diesbezüglich sage ich ausdrücklich, dass die Analysen, die uns vorliegen, den Optimismus trüben. Wir haben erst jetzt mit Analysen der Deutschen Bank und der Commerzbank zu tun, die zum Beispiel sagen, dass das verwendbare Einkommen der Privathaushalte in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2007 insgesamt um 0,0 % steigen wird. Aufgrund der Teuerungsrate ist das eigentlich sogar eine Verringerung. Das bedeutet, dass wachsende Umsatzsteuereinnahmen eine sehr optimistische Schätzung in diesem Haushalt sind und möglicherweise überhaupt nicht eintreten.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Zumindest die Anzeichen im Bereich des Handwerks im zweiten Quartal waren im Gegensatz zur Industrieentwicklung durchaus besorgniserregend. Wir mussten einen Umsatzrückgang von 3 % im Vergleich zum Vorjahr konstatieren. Wer das nicht glaubt, der möge bitte die Pressemitteilung unseres Statistischen Landesamtes Nr. 128 aus dem Jahr 2007 heranziehen. Das ist so.

Es gibt übrigens im ersten Halbjahr noch eine leichte Steigerung bei den Einnahmen privater Haushalte. Viel stärker als diese Steigerung sind jedoch die Ausgaben für Altersrücklagen. Das bedeutet, dass diese Mittel dem normalen Konsum, sprich der Umsatzsteuer, auch entzogen werden. Das bedeutet natürlich auch, dass diese Dinge für uns Konsequenzen haben werden.

Vor diesem Hintergrund kommen wir nicht umhin, die politische Situation auf der Bundesebene zu beleuchten, also der Ebene, die die eigentlichen Entscheidungen über die Einnahmenseite unseres Haushaltes trifft. Hier aber haben wir mit der Entscheidung zur Unternehmensteuerreform die erste schwere Hypothek zu konstatieren. Sie wird uns in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren durchschnittlich 100 Millionen € kosten und wird damit einen Großteil der Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung verschlingen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss in aller Deutlichkeit benannt werden.

Die Mehrwertsteuererhöhung dient in der Realität zum großen Teil zur Finanzierung der Unternehmenssteuerreform. Damit wird die soziale Schieflage in der Bundesrepublik Deutschland manifestiert. Das, lieber Herr Bullerjahn, muss man an dieser Stelle auch ausdrücklich betonen dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Unternehmenssteuerreform wäre nicht möglich gewesen, wenn Sie vorher die Mehrwertsteuerreform nicht durchgezogen hätten. Das ist natürlich so.

(Zurufe von der CDU und von der SPD)

Das können Sie an Ihren eigenen Zahlen im Haushalt nachlesen.

Man muss sicherlich kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Steuerentwicklung neue Ideen zur Steuersenkung durch die Presselandschaft gejagt werden. Leider ist es auch nicht auszuschließen, dass einiges davon politische Realität wird. Festzuhalten bleibt also, dass die aktuelle Steuerentwicklung ausgesprochen fragil ist und dass langfristige Faktoren die Probleme eher verschärfen werden.

Nun gibt es vor allem im Kontext der vielen BenchmarkGutachten nicht selten den Hinweis, dass mit sinkenden Haushaltsvolumina leicht umzugehen sei; im Westen sei das schließlich auch nicht anders. Anhand dieser Diskussion wird aber das zentrale Dilemma des subsidiär handelnden Staates deutlich. Der eigentliche Bezugspunkt für unsere Ausgabenpolitik ist nämlich nicht der Vergleich mit anderen Bundesländern, sondern die gesellschaftlichen Probleme im Land Sachsen-Anhalt. Auf diese müssen wir reagieren und nicht auf BenchmarkGutachten.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Diese zugegebenermaßen etwas abstrakt klingende These kann man auch für zahlenverliebte Haushälter übersetzen. Beispielsweise brauchen wir natürlich einen höheren Anteil an den Einnahmen aus den Gemeinschaftssteuern des Landes für die Kommunen, solange deren eigene Einnahmen deutlich unter dem Niveau westdeutscher Kommunen bleiben. Jedem verantwortungsbewussten Politiker, egal welcher politischen Richtung er angehört, wird einleuchten, dass ein Land, in dem ein Drittel aller Kinder in Armut lebt, andere Aufgaben bewältigen muss als ein Land, in dem das nur auf 10 % zutrifft.

Jedem muss klar sein, dass ein Land wie SachsenAnhalt mit einer Bevölkerungsentwicklung, die durch die Abwanderung insbesondere hoch qualifizierter junger Frauen gekennzeichnet ist, ein bisschen anders handeln muss als Bayern oder Baden-Württemberg. Das ist

das eigentliche Dilemma der Haushaltspolitik SachsenAnhalts. Deswegen müssen die konjunkturellen Steuermehreinnahmen vor allem auf diese Probleme konzentriert werden.

Bevor ich aber zu den politischen Schwerpunkten auf der Ausgabenseite und den damit verbundenen Kritiken an diesem Landeshaushalt komme, sage ich noch etwas zur Entwicklung des politisch verfügbaren Haushaltsvolumens. Dieses wird eben nicht nur durch die langfristig sinkenden Einnahmen bestimmt werden, sondern auch durch von uns nicht zu beeinflussende steigende Ausgaben. Die meisten davon sind nicht neu.

Zum einen sind es die Zinszahlungen, die natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit steigen werden, selbst bei gleichbleibender Verschuldungsmasse. Wir wissen, dass die Pensionskosten stärker steigen, als die Zahlungen für die DDR-Sondersysteme abnehmen. Und auch das ist schon gesagt worden: Wir alle haben gewollt - dazu stehen wir auch -, dass es endlich eine Ost-WestAngleichung der Einkommen im öffentlichen Dienst geben soll. Aber das verursacht bis zum Jahr 2010 eben eine Steigerung im Personalkostenbereich von 150 Millionen €. Da sind schon die normalen Personalabgänge gegengerechnet worden. Das ist also richtig teuer.

Langfristig - darüber ist hier noch nicht debattiert worden - müssen wir uns auch über den folgenden Fakt im Klaren sein: Wir haben es in Sachsen-Anhalt mit einer älter werdenden Bevölkerung zu tun. Wir wissen, dass der Anteil pflegebedürftiger Menschen in dieser Bevölkerungsgruppe wächst.

Insbesondere in Sachsen-Anhalt bekommen die Menschen infolge von Arbeitslosigkeit inzwischen oft sehr niedrige Renten. Das führt in absehbarer Zeit zur Steigerung der Kosten für die überörtliche Sozialhilfe in einer Dimension, die wir uns wahrscheinlich alle noch nicht vorstellen können. Auch dagegen werden wir nichts tun können. Auch das müssen wir bezahlen. Das deutet sich übrigens im vorliegenden Haushalt schon an.

Wir haben es also mittel- und langfristig bei einem Erhalt der jetzigen politischen Rahmenbedingungen mit sinkenden Einnahmen und nicht zu beeinflussenden steigenden Ausgaben zu tun. Gleichzeitig haben wir eine Reihe von substanziellen gesellschaftlichen Problemen, die eine viel aktivere Rolle des Staates als im Westen dieser Republik verlangen.

Wenn dies so ist, dann muss man die bundespolitischen Rahmenbedingungen hinterfragen, also nach Möglichkeiten suchen, die die öffentliche Hand sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in der gesamten Bundesrepublik in die Lage versetzen, diese Dinge zu leisten.

Die Diskussion werden wir vor allen Dingen dann führen, wenn es ab 2010 nennenswert an Tilgungsleistungen geht. Natürlich wird sich die Frage stellen, wie wir damit umgehen, dass wir möglicherweise - das war hier schon Thema - in 100 Jahren substanzielle Erfolge haben, wenn wir den größten Teil des politisch verfügbaren Einnahmeanteils des Landes in die Tilgung stecken. Das ist ein ordentlicher Motivationsschub.

Wir beginnen bereits im Jahr 2009 damit, indem wir sage und schreibe gut ein Tausendstel unserer Verschuldung in die Tilgung stecken. Da kommt richtig Stimmung auf. Dazu sage ich ausdrücklich: Hier stellt sich die Sinnfrage schon im Jahr 2009.

(Beifall bei der LINKEN)

Die IG Metall hat im Jahr 2006 die Idee des Schuldenerlasses oder besser der Schuldenübernahme für die ostdeutschen Bundesländer ins Gespräch gebracht.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Sie ist kaum aufgenommen und reflektiert worden. Auch Finanzminister Bullerjahn hat sie abgelehnt, obwohl solche Überlegungen noch Anfang 2006 in seinem Papier, das er mit Rüdiger Erben herausgebracht hat, auf Seite 32 dezidiert erläutert wurden.

(Zuruf von Minister Herrn Bullerjahn)

Vielleicht ändert sich zumindest bei den ostdeutschen Ländern bezüglich dieser Frage etwas, nachdem der alte Klassenprimus in Ostdeutschland, der mit Schulden bisher überhaupt keine Probleme hatte - so zumindest die eigene Reflexion -, nämlich die Sachsen, aufgrund seines Bankenskandals möglicherweise auf die ostdeutsche Realität zurückgeworfen worden ist. Wenn derjenige nicht immer dazwischenpfeift, erreicht man vielleicht doch noch ein gemeinsames Konzert der ostdeutschen Bundesländer. Das sollte man nicht zu früh aufgeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun aber zurück zum vorliegenden Doppelhaushalt. Wie zu erwarten war, stellt die Landesregierung das Ende der Neuverschuldung im Jahr 2008 in den Mittelpunkt. Begleitet wurde diese Diskussion auch von der von Herrn Bullerjahn erhobenen Forderung nach einem generellen Verschuldungsverbot für die Länder. Das - das will ich noch einmal ganz deutlich sagen - lehnen wir ab.

(Herr Tullner, CDU: Das glauben wir gern!)

Es würde die Fähigkeit der politischen Reaktion auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen in unzumutbarer Weise beschneiden und trägt nicht der Tatsache Rechnung, dass unsere Einnahmenseite fast ausschließlich bundespolitisch definiert wird und die Länder überhaupt keinen eigenen Spielraum haben, wenn sie meinen, auf bestimmte Dinge reagieren zu müssen, weil der Bund ihnen mehr oder weniger die Einnahmenseite vorgibt.

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Dem steht jedoch unsere Einschätzung zu den Haushaltsjahren 2008 und 2009 gegenüber. Diesbezüglich halten auch wir eine Neuverschuldung für nicht sachgerecht. Diese Position vertreten wir vor allem deshalb, weil - anders als es auch der Finanzminister wieder ausgedrückt hat - das eigentliche Problem bei der Neuverschuldung nicht das in 30 Jahren ist, bei der nächsten Generation. Das eigentliche Problem der Neuverschuldung ist, dass die Zinsen uns in den Haushalten 2012, 2013, 2014 und 2015 die entsprechenden Spielräume nehmen.

Jetzt haben wir folgendes Problem: Wir können nicht darauf rechnen, konjunkturelle Steuermehreinnahmen zu haben. Wir wissen, wie sich die EU- und Bundesmittel bewegen. Das heißt, dann werden wir richtige Engpässe bekommen. Wir können schlecht in den beiden Jahren 2008 und 2009 eine zusätzliche Verschuldung realisieren, die uns die Spielräume in fünf, sechs Jahren einschneiden wird. Darum geht es, nicht um 30 Jahre. Deswegen sagen wir: Nein, in diesem Doppelhaushalt werden auch wir eine Nettoneuverschuldung nicht fordern.

Meine Fraktion hat sich im vergangenen Jahr über mehrere Klausurberatungen mit dieser Situation beschäftigt.

Natürlich wissen wir, dass es notwendig ist, das Dilemma zu beschreiben. Aber wir müssen auch eine Antwort in diesem Dilemma geben. Deswegen werden wir uns auch davor nicht drücken.

Letztlich sind wir zu der Schlussfolgerung gekommen, dass bei Weitem nicht alles, was landespolitisch sinnvoll und im Interesse der Daseinsvorsorge richtig, manchmal sogar notwendig wäre, in ausreichendem Maß finanziert werden kann. Damit meinen wir nicht nur die Evaluation der Wirtschaftsinvestitionen, wie sie in der Sommerpause anhand der Biotechnologie diskutiert worden ist. Ja, dort muss sie evaluiert werden, ebenso wie in allen anderen Bereichen.