Protocol of the Session on July 13, 2007

Änderungsantrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/795

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Dr. Eckert. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für diejenigen Abgeordneten unter uns, die in der Sozialpolitik und speziell in der Behindertenpolitik nicht ganz zu Hause sind, zunächst eine kurze Erklärung des Begriffs „persönliches Budget“.

Was ist das? - Es handelt sich um eine neue Form der Leistungserbringung für Menschen mit Behinderung, die einen Leistungsanspruch haben. Es ist keine neue Leistung. Dieses Budget ist für solche Leistungen wie Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und bestimmte Krankenkassen- und Pflegekassenleistungen möglich.

Die wichtigsten rechtlichen Fragen zum persönlichen Budget sind in § 17 SGB IX, im SGB XII sowie in der Budgetverordnung geregelt. Im SGB IX heißt es - ich zitiere -:

„Auf Antrag können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Bei der Ausführung des persönlichen Budgets sind nach Maßgabe des individuellen Bedarfs die Rehabilitationsträger, die Pflegekassen und die Integrationsämter beteiligt.“

In § 17 Abs. 6 heißt es - ich zitiere -:

„In der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2007 werden persönliche Budgets erprobt. Dabei sollen insbesondere modellhaft Verfahren zur Bemessung von budgetfähigen Leistungen in Geld und die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen unter wissenschaftlicher Begleitung und Auswertung erprobt werden.“

In vielfältigen Informationsveranstaltungen zum Thema persönliches Budget wurde intensiv für diese neue Form geworben, geht es doch um die Ausprägung selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen. Eine besondere Rolle wurde dabei immer wieder dem Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen hinsichtlich der Art und Weise der Erfüllung ihres Hilfebedarfes zugeschrieben.

Mit dem persönlichen Budget besteht also die Chance, auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung, zu mehr Teilhabe und zu mehr Eigenverantwortung voranzukommen.

Die Stellung behinderter Menschen im System der Behindertenhilfe ändert sich gravierend. Bisher war es so - und es ist nach wie vor so -, dass ein Mensch mit einer Behinderung Hilfe- und Unterstützungsbedarf anzeigte und dass der Rehabilitationsträger - meist das Sozialamt - darüber entschied, von welchem Leistungserbringer und zu welchen Konditionen die entsprechende Leis

tung erbracht wurde. Der behinderte Mensch hatte sich dieser Entscheidung zu fügen und sich in die Obhut der entsprechenden Einrichtung zu begeben.

Jetzt soll es so sein, dass der hilfebedürftige Mensch mit dem persönlichen Budget die notwendigen Leistungen selbst auswählen, selbst organisieren und selbst einkaufen kann. Der behinderte Mensch wird unter diesen Umständen möglicherweise auch zum Arbeitgeber. Er ist damit weniger abhängig und kann seinen Tagesablauf selbst bestimmen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Festgelegt ist auch, dass die Leistungsform des persönlichen Budgets allen behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen offen steht, und zwar unabhängig von Art und Schwere der Behinderung und unabhängig von der Art der benötigten Leistungen.

Das Budget kann allein, aber auch neben stationären und ambulanten Sachleistungen bewilligt werden. Der Betrag soll den individuellen Hilfebedarf abdecken und wird in der Regel begrenzt durch den Betrag, der für Sachleistungen bisher ausgegeben wurde. Es kostet also nicht mehr. - So weit die Theorie, meine Damen und Herren.

Die Umsetzung in der Praxis ist problematisch. Deshalb wurde im Gesetz eine Modellphase vorgesehen. Man sollte auf den verschiedensten Ebenen, aber auch bei der Bedarfsermittlung und -feststellung die Möglichkeit haben, mit der neuen Form der Leistungserbringung zu experimentieren. Diese Modellphase begann im Jahr 2004 und endet am 31. Dezember 2007.

Da wundert es mich doch sehr, dass die Koalitionsfraktionen in ihrem Änderungsantrag den Landtag auffordern, die Initiative der Liga zur Teilnahme am Modellprojekt zu begrüßen - meine Damen und Herren, eine Initiative zu begrüßen, die vor zwei Jahren gestartet wurde, die seit zwei Jahren umgesetzt wird und die in einigen Monaten auslaufen soll.

Anlass für unseren Antrag sind Kritiken und vielfältige Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen zum persönlichen Budget, die - so muss man sagen - unverständlich langen Bearbeitungszeiten von Budgetanträgen, insbesondere durch die Sozialagentur unseres Landes, und das mangelnde Zusammenwirken von verschiedenen Rehabilitationsträgern. Ich weiß von Anträgen, die monatelang bearbeitet wurden. Ein solcher Antrag - den möchte ich als Beispiel anführen - aus Magdeburg liegt seit April 2007 in der Sozialagentur - keine Reaktion von dort.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Voller Optimismus las ich nun vor über einem Jahr in Ihrer Koalitionsvereinbarung, dass Sie die Forderung behinderter Menschen nach gleichberechtigter Teilhabe, ausgeprägten Beteiligungsmöglichkeiten und einem selbstbestimmten Leben unterstützen und dass Sie im persönlichen Budget in der Behindertenhilfe ein Mittel sehen, die Position der Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu stärken.

Ich hoffte darauf, dass die Modellphase in SachsenAnhalt - wie auch vom Bundesgesetzgeber vorgesehen - nun tatsächlich auch als Experimentierphase umgesetzt wird. Da ist nun Ihr Änderungsantrag wenig hilfreich.

Was bis jetzt zu mir gedrungen ist, sind vorwiegend Klagen über massive Hemmnisse seitens der Sozialagentur, wenn es darum geht, individuellen Erfordernissen Rechnung zu tragen, eben tatsächlich zu experimentieren und auszuprobieren, welche Leistungsmöglichkeiten hier gegeben sind.

Dort wurden festgesetzte Pauschalen vorgeschlagen, von denen wohl nur die Festsetzer selbst wissen, wie sie zustande gekommen sind. Diese Pauschalen sind unverrückbare Größen. Darüber hinaus werden Stundenlöhne von 6,55 € brutto zugrunde gelegt mit der Behauptung, das seien die ortsüblichen Sätze für diese Tätigkeiten. Andererseits ist man - ich kann Ihnen das auch zeigen - bereit, für eine Sachleistung in der, wie ich hoffe, gleichen Qualität 15 € die Stunde zu bezahlen. Bedarfsdeckende Budgets für die Budgetnehmer werden damit aber nicht erreicht.

In dieser Situation soll nun, wie ich hörte, auch die Arbeit der Projektgruppe beim Ministerium zum Jahresende beendet werden. Das würden wir mit unserem Antrag gern verhindern; denn für einen wirklichen Paradigmenwechsel sind ein langer Atem und eine engagierte Begleitung dieses sehr komplizierten Prozesses dringend erforderlich.

Es wäre vielleicht auch nicht schlecht, wenn die politischen Statements der Frau Ministerin zum Thema persönliches Budget von den Beamten in der Sozialagentur nicht nur gehört würden, sondern möglicherweise auch Berücksichtigung finden würden. Dazu könnte sicherlich die Umsetzung des Punktes 2 unseres Antrages beitragen.

Wie ist nun der Stand bei der Nutzung des persönlichen Budgets? - In Sachsen-Anhalt leben ca. 170 000 amtlich anerkannte schwerbehinderte Menschen. Potenzielle Budgetnehmerinnen wären in Sachsen-Anhalt zumindest alle gegenwärtigen Empfängerinnen von Eingliederungshilfemaßnahmen. Das sind ca. 10 000, vielleicht 14 000 Personen.

Nun die Zahlen. Im Februar 2007 wurden von der Sozialagentur 103 Anträge erfasst; davon sind ganze 24 bewilligt worden. Im April 2007 lagen 124 Anträge vor, von denen 14 abgelehnt, 20 zurückgezogen und 31 bewilligt worden sind; 59 Anträge waren noch offen. Die Zahl der jetzt vorliegenden Anträge ist zumindest nach meinen Informationen auf 130 gestiegen. Die Zahl der bewilligten Anträge ist gleich geblieben, nämlich 31.

Das heißt, in fünf Monaten sind ganze sieben Anträge bewilligt worden. Das mag zwar im Vergleich zu dem einen oder anderen Bundesland besser sein, aber weniger schlecht ist noch lange nicht gut.

Worin liegen nun die Ursachen für die offensichtlichen Diskrepanzen zwischen der verbalen Wertschätzung des persönlichen Budgets und der realen Umsetzung, sowohl quantitativ als auch qualitativ? - Wir haben es hier mit einer völlig neuen Form der Hilfegewährung zu tun: weg von bevormundender Fürsorge, hin zu selbstbestimmter Organisation des eigenen Lebens. Damit stellen sich sowohl für die Reha-Träger als auch für die betroffenen Menschen neue und - man muss auch das sagen - zugegebenermaßen sehr schwierige Fragen.

Auf der einen Seite ist die Einstellung zur neuen Aufgabe und zum Selbstbewusstsein der Antragsteller bedeutsam. Auf der anderen Seite sind Informationen und

das Verständnis von gesetzlichen Regelungen für die betroffenen Personen ungleich wichtiger als früher.

Eines muss man allerdings anmerken: Während Fehler und Unzulänglichkeiten bei den betroffenen behinderten Menschen fast immer mit Missbrauchsvorwürfen verbunden werden, sind Fehler oder Unzulänglichkeiten bei den Ämtern fast immer sofort entschuldbar. Ich glaube, das kann so nicht weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man alles zusammenfasst, stellt man fest: Es ist ein hohes Maß an Informations- und Beratungskompetenz erforderlich. Dafür reichen die realen personellen Ressourcen der Sozialagentur aus unserer Sicht nicht aus.

Wenn man bedenkt, dass von den zehn Planstellen im rehabilitationspädagogischen Fachdienst nur fünf - vielleicht sind es auch sechs - besetzt sind, muss eventuell doch erwogen werden, den Kommunen vor Ort mehr Entscheidungskompetenzen zuzusprechen, wenn man es nicht schafft, diese Stellen zu besetzen.

Wenn ich der Antwort auf meine Kleine Anfrage Glauben schenken würde, hätten die Kommunen diese Kompetenzen bereits; denn darin wurde behauptet, dass die herangezogenen Gebietskörperschaften entscheiden. Ich weiß aber definitiv, dass über das persönliche Budget nur die Sozialagentur entscheidet.

Man sollte den Kommunen und den herangezogenen Gebietskörperschaften tatsächlich die Entscheidungskompetenz überlassen. Dann wäre es eher möglich, die im Gesetz vorgeschriebenen Bearbeitungsfristen zumindest annähernd einzuhalten.

Ich möchte auf eines hinweisen: Bei großzügiger Interpretation der im SGB IX enthaltenen Festlegungen hinsichtlich der Zeitfristen und der Zeitabläufe könnte das in zwei Monaten erledigt sein. Bei dieser Berechnung habe ich alles, aber auch wirklich alles großzügig berücksichtigt. Normal ist zurzeit eine Dauer von mehr als fünf bzw. neun Monaten, bis ein Antragsteller einen Bescheid bekommt. Das ist nicht länger hinnehmbar.

Sicherlich kann die Behörde auch dafür eine ganze Reihe von Gründen anführen, die bei den Antragstellern liegen. Das ist auch verständlich; denn in der Regel sind diese mit den Gepflogenheiten von Ämtern nur wenig vertraut. Auch die Sprache der Schreiben ist nicht sofort beim ersten oder zweiten Lesen verständlich. Oder wissen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf Anhieb, was man von Ihnen bei der Zustellung einer Rechtswahrungsanzeige erwartet?

Glauben Sie mir: Zu weiteren Kritikpunkten und Problemen könnte ich noch eine Stunde lang vortragen.

(Zuruf von der LINKEN: Lieber nicht!)

- Ja, lieber nicht. - Das, was wir wollen, ist eine budgetfördernde, ermutigende Bearbeitung der Anträge mit entsprechender Beratung. Das wäre aus unserer Sicht natürlich vor Ort am besten möglich.

Jetzt möchte ich mich darauf beschränken, Sie um Zustimmung zu unserem Antrag zu bitten. Er enthält die notwendigen Maßnahmen, um das persönliche Budget in Sachsen-Anhalt tatsächlich voranzubringen.

Noch eine kurze Stellungnahme zu den Änderungsanträgen. Mit Blick auf den Änderungsantrag der Koali

tionsfraktionen würde ich sagen: Seine Überschrift ist falsch. Sie müsste lauten: „Weiter so! Wir haben keine Probleme!“. Das kann nicht das Ziel sein. Ich muss Ihnen sagen, Frau Dr. Späthe: Sie wollen eine Berichterstattung,

(Zuruf von Frau Dr. Späthe, SPD)

aber keine Beschleunigung. In Ihrem Änderungsantrag steht nichts zu den Bearbeitungszeiten, nichts zu den Bemessungsvorgängen und - das ist ganz normal; das ist auch bei uns so - nichts zur Fortbildung.

Ein wenig Sympathie habe ich für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Die Arbeitsgruppe, die beim Ministerium besteht, sollte aus unserer Sicht allerdings weiterarbeiten und die entsprechenden Maßnahmen fortführen. Außerdem würde ich darum bitten, dass Sie in Ihrem Antrag darauf drängen, dass die gesetzlichen Vorschriften zumindest annähernd eingehalten werden; das fehlt in Ihrem Änderungsantrag.

Es wäre natürlich auch wichtig, in die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die möglicherweise vorliegenden Erkenntnisse aus der Erprobungsphase einfließen zu lassen. Insofern kann ich beiden Änderungsanträgen nicht sehr viel abgewinnen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsientin Frau Dr. Paschke: