Protocol of the Session on July 13, 2007

Der Ausschuss für Petitionen sprach sich insbesondere wegen der zeitlichen Eingrenzung gegen eine erneute Befassung des Ausschusses für Inneres mit dieser Thematik aus.

Angenommene Volksinitiativen wie die vorliegende, die keinen Gesetzentwurf zum Inhalt haben, sind nach § 9 Abs. 1 des Volksabstimmungsgesetzes vom Landtag innerhalb von vier Monaten nach der Bekanntmachung abschließend zu behandeln.

Die dem Landtag in der Drs. 5/726 vorliegende Fassung der Beschlussempfehlung wurde vom Ausschuss für Petitionen mit 8 : 4 : 0 Stimmen gebilligt. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich bedanke mich bei der Abgeordneten Frau Weiß herzlich für die Berichterstattung. - Ich erteile jetzt dem Vertreter der Volksinitiative Herrn Wunschinski das Wort. Bitte schön, Herr Wunschinski.

Herr Wunschinski (Vertrauensperson der Volksinitia- tive):

Herr Landtagspräsident! Werter Herr Ministerpräsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Gäste! Im Namen der Volksinitiative wünsche ich Ihnen, Herr Innenminister, alles Gute nachträglich zu Ihrem gestrigen Geburtstag, vor allem aber Gesundheit und stets ein offenes Ohr für die Belange unserer Bürger.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, Ihnen in zehn Minuten zu erklären, warum die Volksinitiative gegen die flächendeckende Bildung von Einheitsgemeinden und die Zwangseingemeindungen in die Ober- und Mittelzentren initiiert worden ist.

Wie ist der heutige Stand der Gebietsreform?

Erstens. Zum 1. Juli 2007 wurden aus 21 Landkreisen elf Landkreise neu gegründet.

Zweitens. Das Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz enthält die Regelung für die Beseitigung der Stadt-Umland-Problematik, Zweckverbände im Umland der kreisfreien Städte zu gründen. Es ist schon interessant zu verfolgen, dass der Beschluss zur Gründung dieser Verbände vor der Sommerpause nicht zustande kommt.

Meine Damen und Herren des Landtages! Der Landtag ist ein Organ, das die Interessen der Bürger des Landes vertreten soll. Wir, die Bürgerinnen und Bürger, erwarten

von Ihnen die Berücksichtigung des Bürgerwillens und Entscheidungen für unser Land, bei denen persönliche Interessen keine Rolle spielen dürfen.

Drittens. Die Willensbekundung des Kabinetts, unser Land durch die flächendeckende Bildung von Einheitsgemeinden und durch zwangsweise Eingemeindungen in die Ober- und Mittelzentren zu reformieren, ist in den Punkten 1 und 2 der heutigen Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses enthalten.

Welche Entscheidungshilfen hatten das Kabinett und auch Sie, werte Damen und Herren des Landtages, hierfür zur Verfügung? - Unserer Meinung nach sind es drei Gutachten, erstens das Gutachten von Dr. Wiegand und Dr. Grimberg, zweitens das vom Innenministerium in Auftrag gegebene und vom IWH und von der MLU Halle angefertigte Gutachten und drittens die Essener geografischen Arbeiten von Herrn Professor Henke und seinen Kollegen, hier speziell Band 19 Seiten 101 bis 115 und Band 24 Seiten 81 bis 90, sowie viertens das vom Innenministerium erstellte Leitbild.

Es verwundert schon, dass das begleitende für Verkehr und Raumordnung zuständige Ministerium dieses Leitbild nicht mitzeichnen durfte und dass man bei der Erstellung die oben genannten Gutachten nicht berücksichtigt hat oder nicht hat mit einfließen lassen.

Herr Innenminister, dieses Gutachten wurde mit Steuergeldern bezahlt und hat den Steuerzahler 50 000 € gekostet. Hat der Bürger dann nicht das Recht und ist es nicht auch Ihre Pflicht, dass die Feststellungen in diesem Gutachten, auch wenn sie gegen Ihre Auffassungen, Herr Innenminister, und die einiger Herren in der SPD sind, umgesetzt werden?

(Zuruf von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Fünftens liegt Ihnen auch die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes vor.

Uns ist bewusst, dass nur wenige von Ihnen diese Gutachten, die Stellungnahmen und das Leitbild inhaltlich kennen. Dennoch wird von Ihnen verlangt, am heutigen Tag eine Entscheidung zu treffen, die Sachsen-Anhalt für alle Zeiten verändern wird - eine Entscheidung, durch die mehr als 750 Gemeinden mit fast 500 000 Einwohnern für immer von der Landkarte unseres Bundeslandes gestrichen sowie weitere 250 Gemeinden zu Ortsteilen von Einheitsgemeinden gemacht werden.

Sollte der Innenminister und seine SPD in dieser Diskussion obsiegen, bedeutete dies, dass Sachsen-Anhalt am 31. März 2011 aus nur noch 110 selbständigen Städten und Gemeinden bestünde. Diese 110 Städte und Gemeinden, meine Damen und Herren des Landtags, rechtfertigten jedoch keine elf Landkreise.

Somit würden wir nicht, wie vom Innenminister vorsorglich angekündigt, im Jahr 2020 über eine Neugliederung der Landkreise reden, sondern unserer Meinung nach bereits in den Jahren 2011 oder 2012. Die SPD wäre somit am Ziel ihrer Wünsche und hätte ein Bundesland mit nur noch fünf Land- bzw. Regionalkreisen.

Lassen Sie mich anmerken, dass 110 Bürgermeister, die hauptamtlich tätig sind, besser auf Kurs zu bringen sind, als dies mit 1 039 ehrenamtlichen Bürgermeistern möglich ist.

Ich möchte für Sie die Kernaussagen dieser Entscheidungshilfen zusammenfassen.

Erstens. Alle fünf Entscheidungshilfen warnen vor einer zwangsweise durchgeführten Reform, einer Reform gegen den Willen des Volkes.

Zweitens. Herr Dr. Wiegand und Herr Dr. Grimberg fordern, dass eine umfassende Funktionalreform erfolgt. Entgegen dieser Meinung fordern wir eine Funktionalreform vor der Gebietsreform. Vor jeder Reform muss klar sein, welche Aufgaben die kommunalen Gebietskörperschaften vom Land übertragen bekommen. Erst dann kann aus unserer Sicht die Diskussion um die Bildung neuer Kommunalstrukturen überhaupt beginnen. Sollte es dazu kommen, muss das Land die Kreise und Kommunen mit den dafür nötigen finanziellen Mitteln ausstatten.

Drittens. Die Gutachter fordern nicht zwingend die Bildung von Einheitsgemeinden im Umland der Oberzentren, sondern man kommt zu dem Schluss, den Entscheidungsträgern vor Ort die Wahl zwischen der Einheitsgemeinde und der Verbandsgemeinde zu überlassen, wobei man bei beiden Modellen die gleichen finanziellen Zuweisungen erhalten soll.

Viertens. Man kommt zu der Aussage, dass jedes der drei Verwaltungsmodelle seine Vorteile, aber auch seine Nachteile hat. In dem vom Innenminister in Auftrag gegebenen Gutachten wird festgestellt, dass die Verwaltungsgemeinschaften für die Zukunft nicht genug gerüstet sind. - Meine Damen und Herren des Landtags, dann lassen Sie uns gemeinsam die Verwaltungsgemeinschaften für die Zukunft so rüsten, dass sie den Anforderungen in den nächsten Jahrzehnten genügen!

Wir sollten diese Zeit auch nutzen, unsere Jugend auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten und sie behutsam an diese heranzuführen. Sie müssen die Menschen auf Ihrem Weg mitnehmen und dürfen nicht an ihnen vorbeiregieren.

Auf eines Ihrer Argumente, Herr Innenminister, möchte ich noch kurz eingehen. Sie sagen, immer mehr Kommunen würden beim Land Finanzzuweisungen bzw. Hilfszahlungen beantragen.

Werter Herr Innenminister, Sie sprechen hierbei von 9,4 % der Kommunen in Sachsen-Anhalt. Weil diese 9,4 % der Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, sollen 90 % unserer Städte und Gemeinden zur Verantwortung gezogen werden und ihre Selbstständigkeit aufgeben.

Dazu frage ich Sie: Wo ist dabei die Gleichbehandlung? Wo sind die Auflagen oder auch Sanktionen für die Oberzentren? Diese können ihren Verpflichtungen schon lange nicht mehr nachkommen.

Erlauben Sie mir, abschließend einen Blick auf die Ergebnisse der Landtagswahl im Jahr 2006 zu werfen. Die CDU erhielt 35,6 % der Stimmen und wurde stärkste Fraktion, während die SPD 23,4 % der Stimmen erhielt und drittstärkste Fraktion wurde.

Werte Abgeordnete der CDU-Fraktion, werden Sie sich endlich bewusst, wer der Seniorpartner in dieser Koalition ist!

Ein weiterer Blick in die Statistik zeigt, welcher Abgeordneter von wie vielen Bürgern legitimiert wurde, für sie zu sprechen. Nur die CDU-Abgeordneten Scheurell und Stahlknecht erhielten mehr als 10 000 Wählerstimmen. Wir als Volksinitiative sind inzwischen von mehr als 50 000 Wählerinnen und Wählern unseres Landes legi

timiert worden, für sie zu sprechen. Ignorieren Sie diese Stimmen nicht, sondern nehmen Sie diese Bürgerinnen und Bürger ernst!

Herr Innenminister, die Frage an Sie: Von wie vielen Einwohnern wurden Sie eigentlich legitimiert? Sie handeln, wie Sie selbst immer feststellen, nur im Auftrag des Landtags.

Sie, werte Damen und Herren Landtagsabgeordnete, sind vom Volk gewählte Vertreter und von diesem legitimiert. Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung, die in Artikel 41 Abs. 2 unserer Landesverfassung steht, gerecht! Ich erlaube mir, diese Vorschrift zu zitieren:

„Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Es wäre ein guter Schritt für die Demokratie in unserem Lande, wenn gerade die Abgeordneten der Fraktionen der CDU und der SPD bei der heutigen Abstimmung ihre persönliche Meinung sagen könnten; denn sie, werte Damen und Herren des Kabinetts, sind es, die sich in ihren Wahlkreisen dafür zu verantworten haben. Sie, werte Damen und Herren des Landtags, haben es mit Ihrer Stimme heute in der Hand, der Politik in unserem Land wieder Glaubwürdigkeit zu geben, indem Sie der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Ihre Stimme versagen und somit den Raum für weitere Diskussionen eröffnen.

Sollten Sie, werte Abgeordnete, gemäß Punkt 3 des Beschlussvorschlags des Petitionsausschusses die Volksinitiative für erledigt erklären, können wir dennoch mit Stolz zurückschauen. Aufgrund dieser Volksinitiative ist das Modell der Verbandsgemeinde überhaupt erst in die Diskussion gekommen und der Auftrag zur Erstellung des Gutachtens erteilt worden. Dies stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft, wenn wir ein Volksbegehren oder einen Volksentscheid angehen müssen.

Herr Ministerpräsident, lassen Sie mich abschließend eine an Sie ganz persönlich gerichtete Bitte äußern. Dort oben auf der Tribüne und hier unten sitzen vom Volk gewählte ehrenamtliche Bürgermeister. Sie, Herr Ministerpräsident, haben einen ehrenwerten Ruf. Durch die Abschaffung dieser demokratischen Ebene lassen Sie sich aus unserer Sicht zum Spielball der SPD machen und laufen somit Gefahr, diesen untadeligen Ruf zu verlieren.

Zum Abschluss ein Zitat von J. G. Seume:

„Wo das Volk keine Stimme hat, steht es auch um die Könige schlecht, und wo die Könige kein Ansehen haben, steht es schlecht um das Volk.“

Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen weiterhin eine gute Diskussion und dass Sie heute die richtige Entscheidung fällen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN und bei der FDP)

Ich bedanke mich bei dem Vertreter der Volksinitiative, Herrn Wunschinski. - Nun erteile ich Innenminister Herrn Hövelmann für die Landesregierung das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Wunschinski, ich hätte mir gewünscht, dass es uns auch in der Parlamentsdebatte gelingt, Argumente auszutauschen und - trotz aller emotionalen Betroffenheit - möglichst wenig Polemik an den Tag zu legen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will das an zwei Punkten deutlich machen. Ich hätte mir gewünscht, Ihre soeben gegenüber der Regierung und dem Landtag erhobene Forderung, erst eine Funktionsreform durchzuführen, bevor Strukturen im Land verändert werden, wäre auch bei der Kreisgebietsreform laut geworden.