Protocol of the Session on July 13, 2007

Ich will das an zwei Punkten deutlich machen. Ich hätte mir gewünscht, Ihre soeben gegenüber der Regierung und dem Landtag erhobene Forderung, erst eine Funktionsreform durchzuführen, bevor Strukturen im Land verändert werden, wäre auch bei der Kreisgebietsreform laut geworden.

Zweitens. Bezüglich der Behauptung, die Verbandsgemeinde sei auf Initiative der Volksinitiative in die politische Diskussion gebracht worden, darf ich mit Blick auf den Kollegen Dr. Püchel sagen, dass er das Modell bereits in der dritten Wahlperiode in das politische Geschäft eingebracht hat. Das gehört zur Wahrheit auch dazu.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die regierungstragenden Parteien CDU und SPD haben im Koalitionsvertrag vom April 2006 die Bildung einheitlicher, leistungsfähiger Gemeindestrukturen vereinbart. Ihnen ist bekannt, dass es nach dem Inhalt des Vertrags unser Ziel ist, im Rahmen einer Freiwilligkeitsphase bis zu den Kommunalwahlen 2009 Einheitsgemeinden zu bilden. Kommt es nicht dazu, ist noch im Laufe dieser Legislaturperiode die gesetzliche Umsetzung zum 1. Juli 2011 vorzunehmen.

Im März 2007 hat sich der Koalitionsausschuss neben der Einführung von Einheitsgemeinden auf die unter bestimmten Voraussetzungen auch mögliche Bildung von Verbandsgemeinden verständigt.

Um den Prozess zu begleiten, erarbeitet die Koalition in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Leitbild. Der Entwurf des Leitbildes ist, wie Sie es ausgeführt haben, mittlerweile vom Ministerium des Innern erarbeitet worden. Er befindet sich momentan in der Ressortabstimmung. Den kommunalen Spitzenverbänden wurde der Entwurf des Leitbildes mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet. Nach dem Abschluss der Ressortabstimmungen und einem Beschluss des Kabinetts - voraussichtlich noch im Juli 2007 - wird die Staatskanzlei das Leitbild dem Landtag zuleiten.

Der Entwurf des Leitbildes ist - wie zuvor bereits der Entwurf des Eckpunktepapiers - auf der Homepage des Ministeriums des Innern für die interessierte Öffentlichkeit zur Ansicht eingestellt. Mit der Veröffentlichung des Entwurfs wollen wir die Transparenz des Verfahrens gewährleisten und eine Diskussion über die zu bildenden Gebietsstrukturen unter den Kommunalpolitikern und in der Öffentlichkeit anstoßen.

Ich gehe davon aus, dass das Leitbild, wenn dessen endgültige Fassung dem Landtag vorliegen wird, hier noch ausführlich thematisiert werden wird. Insoweit erlaube ich mir, zu dem Entwurf des Leitbildes heute lediglich Folgendes auszuführen. Das Leitbild, das ich im Folgenden als Entwurf bezeichnen werde, untergliedert sich in zehn Abschnitte.

Die Abschnitte I bis IV beinhalten eine Erfassung der politischen Ausgangslage und der derzeitigen kommunalen Strukturen in Sachsen-Anhalt auch im Vergleich zu anderen Bundesländern unter Berücksichtigung der bisher durchgeführten Verwaltungsreformen sowie der zukünftigen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Finanzen und die Demografie.

Die Abschnitte V und VI legen das Reformerfordernis unter Berücksichtigung des von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen, die Ziele der Gemeindegebietsreform und die Handlungsmöglichkeiten dar.

In den Abschnitten VII und VIII werden die Leitvorstellungen der zukünftigen Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt, also das Leitbild im engeren Sinne, und deren Umsetzung dargestellt. Es wird außerdem die Problematik der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Ober- und Mittelzentren dargelegt und auf Verflechtungsbeziehungen einiger Kommunen zu den jeweiligen Mittelzentren hingewiesen.

Die Abschnitte IX und X beinhalten Ausführungen zu den gesetzlichen Änderungserfordernissen im Rahmen der Umsetzung der Reform und zum Zeitplan der Gemeindegebietsreform.

Das vorausgeschickt, äußere ich mich zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Petitionen wie folgt:

Zu Punkt 1. Gegenwärtig ist Sachsen-Anhalt das Bundesland in Deutschland mit den kleinteiligsten kommunalen Strukturen. Ein Anteil von mehr als 84 % aller Gemeinden hat weniger als 2 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ein Anteil von rund 69 % hat weniger als 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Diese Kleinteiligkeit kann sich Sachsen-Anhalt aufgrund der zu verzeichnenden kommunal relevanten Rahmenbedingungen wie der Bevölkerungs- und Finanzentwicklung auf Dauer nicht leisten.

So wird denn auch in dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten festgestellt, dass die Verwaltungsgemeinschaft vor allem in Anbetracht der zu erwartenden demografischen Entwicklung keine zukunftsfähige Verwaltungsstruktur mehr ist. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch das Gutachten der Verwaltungswissenschaftler der Hochschule Harz Dr. Wiegand und Dr. Grimberg.

Würden wir, dem Wunsch der Volksinitiative entsprechend, den Status quo der Gemeindestruktur bezüglich der Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften beibehalten, liefen wir Gefahr, dass unser Land und seine Gemeinden und damit im Ergebnis unsere Bürgerinnen und Bürger in der Entwicklung zurückgeworfen würden.

Herr Minister, es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Wolpert.

Ich bitte darum, Fragen am Ende zu stellen.

Es gibt noch eine weitere Nachfrage von dem Abgeordneten Herrn Kosmehl.

Das machen wir auch am Ende. - Nur derjenige, der sich die Gegenwart auch als eine andere als die existierende denken kann, hat eine Zukunft. Daher begrüße ich, dass der Ausschuss für Petitionen, so wie es auch die die Regierung tragenden Parteien und die Landesregierung tun, den Reformbedarf hinsichtlich der gegenwärtigen Strukturen anerkennt und empfiehlt, nicht an dem Status quo festzuhalten, sondern durch eine nachhaltige Reform eine zukunftsfähige Struktur zu schaffen.

Nach dem politischen Willen der Regierungsfraktionen sollen Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft nach dem Modell eines gemeinsamen Verwaltungsamtes angehören, unter näher bestimmten Voraussetzungen während der freiwilligen Phase als Ausnahme von der Einheitsgemeinde eine Verbandsgemeinde bilden können. Danach soll die Gemeinde weder im Verflechtungsraum einer kreisfreien Stadt gelegen noch Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft sein, in der ein ausgeprägter zentraler Ort als Kristallisationskern vorhanden ist.

Wir gehen von Folgendem aus: Einheitsgemeinden mit Ortschaftsverfassung werden die Regel sein, Verbandsgemeinden die Ausnahme.

Die Ergebnisse des von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit sind, wie im Übrigen auch die Erkenntnisse des Gutachtens der Herren Dr. Wiegand und Dr. Grimberg, in diese Überlegungen eingeflossen. Das Leitbild setzt sich mit ihnen auseinander und nimmt eine Abwägung vor.

Die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs allein nach den Handlungsempfehlungen der Gutachter halte ich allerdings angesichts des Gestaltungsspielraums, den der Gesetzgeber hier hat, für nicht zielführend.

Zu Punkt 2. Auch aus der Sicht der Landesregierung besteht hinsichtlich der kommunalen Strukturen im Stadtumlandbereich der kreisfreien Städte ein Reformbedarf. Hierzu wird das Leitbild ebenfalls nähere Ausführungen enthalten.

Den Teil der Beschlussempfehlung, nach dem die Entscheidung über Eingemeindungen von Umlandgemeinden der Städte Halle und Magdeburg bis zum Ende der freiwilligen Phase zeitnah erfolgen soll, halte ich für unbedingt geboten; denn spätestens in der gesetzlichen Phase sollen die Gemeinden im Bereich des Umlandes der kreisfreien Städte Halle und Magdeburg, bei denen im Einvernehmen mit der obersten Landesplanungsbehörde keine besonderen und engen Verflechtungsbeziehungen zu dem jeweiligen Oberzentrum festgestellt werden und für die infolgedessen Eingemeindungen nicht zwingend sind, zu Einheitsgemeinden zusammengeschlossen werden. Insoweit muss bis spätestens 1. Juli 2009 Klarheit über die entsprechenden Gemeinden bestehen.

Satz 2 unter diesem Punkt der Beschlussempfehlung ist überwiegend bereits erfüllt. Die Verflechtungsbeziehungen von 300 Umlandgemeinden der 22 Mittelzentren werden bereits untersucht. Dafür hat das Ministerium des Innern eine Datenerhebung durchgeführt, die die bereits im Jahr 2001 vorgenommene Datenerhebung fortschreibt.

Eine vorläufige raumordnerische Beurteilung der Ergebnisse dieser erneuten Datenerhebung ist erfolgt und in

dem Entwurf enthalten. Als Bestandteil des Entwurfs des Leitbildes befindet sich somit auch diese Beurteilung gegenwärtig in der Ressortabstimmung.

Das abgestimmte Leitbild wird insoweit auch die endgültige raumordnerische Beurteilung etwaiger Verflechtungsbeziehungen der 22 Mittelzentren mit den angrenzenden Städten und Gemeinden beinhalten.

Eine Untersuchung der Verflechtungsbeziehungen zwischen der Stadt Dessau-Roßlau und ihren Umlandgemeinden wurde und wird nicht für erforderlich gehalten, weil der Gesetzgeber nach seinem mit dem Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz aufgestellten Leitbild für die kreisfreien Städte einen mit den Verdichtungsräumen Halle und Magdeburg vergleichbaren unmittelbaren Handlungs- und Regelungsbedarf zur Entschärfung spezifischer Stadt-Umland-Probleme für die Stadt Dessau nicht gesehen hat.

Perspektiven für die zukünftige Entwicklung der Stadt Dessau sind im Übrigen bereits im Zuge der Kreisgebietsreform geschaffen worden. So bildet der zum 1. Juli 2007 in Kraft getretene Zusammenschluss der Städte Dessau und Roßlau zur neuen Stadt DessauRoßlau die entscheidende Grundlage für die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Stadt Dessau-Roßlau als Oberzentrum in Sachsen-Anhalt.

Zu Punkt 3 der Beschlussempfehlung. Die Landesregierung würde es begrüßen, wenn der Landtag die Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2011 - Bürger gegen die flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden und Zwangseingemeindungen in Ober- und Mittelzentren“ für erledigt erklären würde. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Herr Minister. - Der Abgeordnete Herr Kosmehl hatte sich zu Wort gemeldet. Herr Kosmehl, bitte schön, stellen Sie Ihre Frage.

Herr Minister, sind Sie bereit, für das Protokoll festzustellen, dass sich die Aussagen zu Verwaltungsgemeinschaften in dem von Ihnen in Auftrag gegebenen Gutachten lediglich auf Verwaltungsgemeinschaften vor dem 1. Januar 2005 beziehen und dass das Gutachten somit nicht die derzeitige Struktur der Verwaltungsgemeinschaften untersucht?

Verehrter Herr Kollege, Sie kennen das Gutachten. Die Gutachter haben die von Ihnen zitierten Zeiträume begutachtet und haben daraus entsprechende Schlussfolgerungen hinsichtlich des zukünftigen Strukturreformbedarfs abgeleitet. Insofern lässt sich Ihre Frage mit Ja beantworten.

Herzlichen Dank. - Wir kommen jetzt zur vereinbarten Fünfminutendebatte. Für den ersten Redebeitrag erteile ich dem Abgeordneten Herrn Gallert von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Werter Herr Präsident! Werte Mitglieder der Volksinitiative! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Volksinitiative hat mit ihrem Thema der zukünftigen Struktur der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt eines der Projekte der Landesregierung öffentlich hinterfragt, das zu den umstrittensten gehört.

Bevor wir uns aber im Landtag über die inhaltlichen Positionen und unsere Differenzen unterhalten, gilt es zuerst festzuhalten, dass diese Volksinitiative, wie ich gerade gehört habe, inzwischen etwa 50 000 Unterschriften gesammelt hat. Damit hat sie zweifellos einen wichtigen Beitrag zur lebendigen politischen Debatte in unserem Land geleistet.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP - Zu- stimmung bei der CDU und bei der SPD)

Dies ist in Sachsen-Anhalt umso wichtiger, als wir spätestens seit der letzten Kommunalwahl wissen, dass der größte Teil der Wähler in Sachsen-Anhalt der Kommunalpolitik leider den Rücken zugekehrt hat. Insofern ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob die Position, die von der Volksinitiative vertreten worden ist, vielleicht eine Minderheitsposition ist. Sie betrifft auf jeden Fall den Teil der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt, der sich ehrenamtlich in den Kommunen engagiert, der also noch zu der Minderheit in Sachsen-Anhalt gehört, die aktive Trägerin des demokratischen Entscheidungsprozesses in den Kommunen ist.

Gerade deshalb sollten wir in der Art und Weise der Auseinandersetzung mit der Volksinitiative unabhängig von unserer Position in der Sache jeden Anschein einer Basta-Mentalität vermeiden und den Argumenten immer wieder den Vorrang vor der Machtfrage geben.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies hätte vor der abschließenden Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses jedoch eine inhaltlich differenzierende Bewertung des Anliegens der Volksinitiative vor dem Hintergrund der beiden vorliegenden und in Auftrag gegebenen Gutachten verlangt. Dies ist von uns angemahnt worden, wurde aber leider mehrheitlich nicht akzeptiert.

Die Position unserer Fraktion zu diesem Thema haben wir bereits im Wahlkampf deutlich gemacht. Wir haben sie bis heute nicht geändert. Wir halten nach wie vor die zwangsweise flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden in Sachsen-Anhalt nicht für zielführend und im Hinblick auf das kommunalpolitische Engagement vor Ort für kontraproduktiv.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Einheitsgemeinde ist dann eine effektive kommunale Struktur, die das demokratische Engagement befördert, wenn sie vor Ort bei denjenigen, die sich engagieren wollen, auf Akzeptanz trifft. Wenn dies nicht der Fall ist, stellt sie ein zu hohes Risiko für das Wirken der demokratischen Strukturen vor Ort dar.

Als Alternative verteidigen wir die qualifizierte Verwaltungsgemeinschaft - in den Gutachten wird sie auch „optimierte Verwaltungsgemeinschaft“ genannt -, in der die überörtlichen Aufgaben freiwillig - nur das ist aus unserer Sicht verfassungsrechtlich möglich - auf die Gemeinschaft übertragen werden.

Der Kompromiss, der sich nun zwischen den Koalitionspartnern andeutet, die punktuelle Einführung der Verbandsgemeinden, verschärft die Probleme eher, als dass er sie lösen kann. Dies betrifft sowohl die Abgrenzung der Fälle, in denen die Einführung einer Verbandsgemeinde möglich sein soll, als auch die Funktion eines solchen Konstruktes.