Protocol of the Session on June 8, 2006

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kosmehl, für die Einbringung. - Herr Kosmehl war in der Lage, mit seiner Stimmgewalt gegen den Lärmpegel anzukämpfen. Versuchen Sie bitte dennoch, ihn jetzt etwas zu senken. Sonst wird es für die nächsten Rednerinnen und Redner schwierig.

Die verbundene Debatte zu beiden Anträgen wird von der Ministerin der Justiz Frau Professor Dr. Kolb eröffnet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht, das in Deutschland in Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.

Dieser verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz bindet bereits alle Bereiche staatlichen Handelns. Deutschland ist nunmehr verpflichtet, vier europäische Richtlinien umzusetzen, die einfachgesetzlich den Schutz vor Diskriminierung im Verhältnis zwischen den Bürgern bzw. zwischen Bürgern und Unternehmen regeln.

Diese Richtlinien betreffen viele Bereiche der Rechtsordnung. Der Schwerpunkt liegt im Bereich von Beschäftigung und Beruf, das heißt, er betrifft das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Betroffen ist aber auch das Zivilrecht, also Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen, etwa Verträge zwischen Verkäufer und Käufer oder Vermieter und Mieter.

Diese Richtlinien geben in ihrem jeweiligen Geltungsbereich Definitionen für unterschiedliche Arten von Diskriminierung vor und verpflichten zu wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, gegen das Gleichbehandlungsgebot. Im Unterschied zu meinem Vorredner bin ich der Meinung, dass es bei der Umsetzung durch den Bundesgesetzgeber durchaus gelungen ist, wirksame Sanktionen zu verankern.

Die den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Umsetzung gesetzten Fristen sind überwiegend schon abgelaufen. Dazu ist es gekommen, weil der Bundestag in der letzten Legislaturperiode die eingebrachten Gesetzentwürfe wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr abschließend beraten konnte. Wegen der nichtfristgemäßen Umsetzung der Richtlinien droht Deutschland mittlerweile die Festsetzung eines Zwangsgeldes, das heißt eine Zahlung unter Umständen in Millionenhöhe.

Der Koalitionsausschuss der Regierungsfraktionen der großen Koalition in Berlin hat nun einen Entwurf zur Umsetzung der Richtlinien in deutsches Recht vorgelegt. Das Bundeskabinett hat im Mai den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung verabschiedet und zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet. Er wird darüber in seiner Plenarsitzung am 16. Juni 2006, also in der nächsten Woche, beraten.

Dieser Gesetzentwurf sieht vor, alle vier EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch ein einheitliches Gesetz für alle Diskriminierungsmerkmale umzusetzen.

Die Kritiker beklagen, dass das Gleichbehandlungsgesetz weit über das Ziel hinausschießt. Dies betrifft vor allem den zivilrechtlichen Teil. Hierzu spricht die EURichtlinie lediglich von einem Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Es gibt aber viele Bereiche und viele Beispiele dafür, dass alte Menschen, Behinderte oder Menschen mit einer andersgeschlechtlichen Orientierung bei der Wohnungssuche, bei einem Gaststättenbesuch benachteiligt werden. Einen sachlichen Grund, hierin keine Diskriminierung zu sehen, gibt es aus meiner Sicht nicht. Deshalb sollen auch diese Personengruppen per Gesetz geschützt werden.

(Zustimmung bei der SPD)

In Bezug auf das Arbeitsrecht wurden die EU-Vorschriften übernommen, das heißt, die Diskriminierungen sind in dem vorgelegten Entwurf so beschrieben, wie es in der EU-Richtlinie vorgegeben ist.

Ich bin zuversichtlich, dass es mit diesem Gesetzentwurf gelungen ist, einen sachgerechten Kompromiss zu finden. Bürgerinnen und Bürger werden künftig ausreichend vor Diskriminierung geschützt.

Gleichzeitig trägt der Entwurf auch dazu bei, unnötige Bürokratie zu vermeiden. Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle auf einige Regelungen verweisen. So sind zum Beispiel Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot in Beschäftigung und im Beruf verstoßen, unwirksam. Diese Regelung könnte Arbeitgeber in Zukunft in nicht ganz einfache Situationen bringen. Das gebe ich zu. Bei der Formulierung von Stellenausschreibungen, im Bewerbungsgespräch oder bei der Ausarbeitung von Absagen ist in Zukunft mehr Fingerspitzengefühl gefragt. War es bisher üblich, eine Altersbeschränkung oder den speziellen Wunsch nach einem weiblichen oder einem männlichen Bewerber in der Stellenausschreibung zu formulieren, könnten derartige Sachverhalte in Zukunft dazu führen, dass die Betroffenen hiergegen klagen.

Ich sehe darin nicht unbedingt einen Nachteil für die Unternehmen. Angesichts der Tatsache, dass in allen wirtschaftlichen Bereichen festgestellt wird, dass die Humanressourcen die entscheidenden Ressourcen sind, die zu einem wirtschaftlichen Aufstieg beitragen können, müsste es eigentlich im Interesse aller Unternehmer sein, dass sie mit den Humanressourcen in ihren Betrieben gut umgehen. Ein diskriminierungsfreies Klima kann dazu beitragen, dass diese Unternehmen einen Standortvorteil haben. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass Mobbing zunehmend ein Problem in Unternehmen ist, könnte ich mir vorstellen, dass Diskriminierungsfreiheit dazu führt, dass wir uns in Zukunft mit derartigen Problemen nicht mehr so häufig auseinander setzen müssen.

Eine ausgewogene Regelung zeigt sich auch darin, dass eine unterschiedliche Behandlung dann zulässig ist, wenn es die Art der auszuübenden beruflichen Tätigkeit vorgibt. Das gilt zum Beispiel für Kirchen oder ihnen zugeordnete Einrichtungen, zum Beispiel die Caritas oder die Diakonie. Dort ist eine unterschiedliche Behandlung aufgrund von Religion und Weltanschauung schon dann zulässig, wenn dies im Hinblick auf das Selbstverständnis der jeweiligen Einrichtung gerechtfertigt ist.

(Herr Franke, FDP: Das ist so weit weg von der Realität!)

Arbeitgeber sind, aus meiner Sicht zu Recht, mit diesem Gesetz verpflichtet, nicht nur selbst nicht zu diskriminieren, sondern auch darauf hinzuwirken, dass unter den Beschäftigten vorbeugende Maßnahmen im Hinblick auf mögliche Diskriminierung ergriffen werden. Sie haben ferner ihre Beschäftigten vor der Diskriminierung durch Dritte zu schützen.

Im Zivilrechtsverkehr gilt der Diskriminierungsschutz nur für Massengeschäfte und privatrechtliche Versicherungen. Versicherungen dürfen Tarife aber auch dann noch nach Merkmalen, zum Beispiel nach dem Geschlecht oder nach einer Behinderung, differenzieren, wenn es öffentlich zugängliche Schadensstatistiken dafür gibt.

Insoweit bin ich schon gespannt, wie die Privatversicherer nachweisen, dass Frauen, die bekanntlich höhere Tarife für die Krankenversicherung zahlen müssen, tatsächlich öfter krank sind als Männer.

Im Mietrecht können differenzierte Behandlungen zur Sicherstellung einer ausgewogenen Bewohnerstruktur zulässig sein.

Dass sinnvolle und ausgewogene Lösungen gefunden worden sind, zeigen Ausnahmeregelungen für bestimmte Bereiche. So findet das Benachteiligungsverbot zum Beispiel im Familien- und im Erbrecht oder dann, wenn ein besonderes Verwandtschafts- oder Näheverhältnis zwischen den Parteien besteht, keine Anwendung.

Abschließend noch zu den Sanktionen. Ich habe es bereits gesagt, aus meiner Sicht sind durchaus wirksame Sanktionsmechanismen in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Zivilrechtsverkehr steht dem Benachteiligten ein Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung sowie ein Schadenersatzanspruch, bei Nichtvermögensschäden ein Entschädigungsanspruch zu, wenn der Benachteiligte die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Diese Ansprüche sind dann innerhalb einer Frist von drei Monaten geltend zu machen.

Auch die Umkehr der Beweislast für den Fall, dass es Hinweise gibt oder dass Tatsachen glaubhaft gemacht werden, dass eine Diskriminierung vorliegt, schützt die Betroffenen und führt zu einer wirksamen Rechtsverfolgung.

Darüber hinaus sind auch die Verbände berechtigt, die Interessen Benachteiligter auf dem Klageweg zu vertreten.

Meine Damen und Herren! Die weit überwiegende Zahl unserer Bürgerinnen und Bürger wird im täglichen Leben nicht diskriminiert. Dies geschieht meist in Einzelfällen, aber jeder Einzelfall ist inakzeptabel. Die Betroffenen verdienen es, dass sie sich künftig mithilfe des Rechtes besser gegen Diskriminierung zur Wehr setzen können. Der Gesetzgeber kann zwar Toleranz im Umgang miteinander nicht verordnen, aber durch seine Rechtsordnung deutlich machen, was von der Gemeinschaft missbilligt wird.

(Herr Kosmehl, FDP: Eben!)

Ich halte den Entwurf vor diesem Hintergrund für einen sachgerechten Kompromiss und gehe deshalb davon aus, dass die Landesregierung ihm im Bundesrat zustimmen wird.

Die Fraktion der Linkspartei.PDS hat in ihrem Antrag gefordert, darüber hinauszugehen. Dies halte ich im Moment für politisch nicht durchsetzbar. Im Übrigen ist es aus meiner Sicht auch in der Sache nicht geboten.

Ich denke, dass mit dem vorliegenden Entwurf eine überzeugende Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben gelungen ist und in Deutschland in Zukunft ein effektiver Rechtsschutz gegen Diskriminierung gewährleistet sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gürth. Bitte sehr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist unstrittig und nicht einer Debatte wert, dass in einer demokratischen Gesellschaft Toleranz und der Kampf

gegen Diskriminierung ein wesentlicher Inhalt aller Akteure sein müssen. Das ist auch eine wesentliche Basis für unseren Rechtsstaat. Deswegen, denke ich, ist darüber nicht zu streiten.

Aber gestatten Sie mir vorab zwei Anmerkungen. Erstens. Wir alle hier im Saal, alle die hier sitzen, haben im Wahlkampf erklärt, dass das wichtigste Problem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist. Das Ziel müssen wir ganz oben auf die Agenda unserer politischen Bemühungen stellen. Wir müssen uns zuallererst darum bemühen, dass diejenigen, die erfolglos Arbeit suchen, wieder in Beschäftigung kommen und dass die Beschäftigungschancen erhöht werden, um die Geißel der Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.

Zweitens. Dasselbe trifft auch für die Chancen der Jugend in Sachen Bildung, Ausbildung und Berufsausbildung zu.

Drittens. Am Wahlabend waren sich, so denke ich, alle, die wir hier sitzen, in einem Punkt einig; denn wir waren alle sehr nachdenklich und erschrocken, als die Zahl der niedrigen Wahlbeteiligung auf dem Bildschirm erschien, weil dies ein verheerendes Signal ist.

Wir müssen uns alle darüber im Klaren sein: Politik versagt und der Glauben an die Demokratie, an einen demokratischen Rechtsstaat, der auch Toleranz und Bekämpfung von Diskriminierung als Wesensmerkmale hat, geht verloren, wenn wir es nicht schaffen, gemeinsam einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten.

Ich sehe Zustimmung in diesem Haus. Wenn wir dem zustimmen, denke ich, müssen wir uns allesamt bei Anträgen und Initiativen in diesem Hause aber auch immer wieder die Frage stellen: Schafft dies mehr Chancen auf Beschäftigung oder ist dies eine Initiative, die diesem Ziel eher hinderlich ist? - Bei dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz würde wohl ein solcher Test nicht sonderlich gut ausfallen. Ich denke, das wissen wir auch alle in diesem Haus.

(Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU, und bei der FDP)

Gerade deshalb ist es für mich so erstaunlich, wie weit in diesem Hause die Konsequenzen aus einer solchen Feststellung auseinander gehen. Völlig unbegreiflich ist für mich in diesem Punkt gerade die Haltung der Linkspartei.PDS, die ein Antidiskriminierungsgesetz wünscht, das einzigartig - ich würde sogar sagen, weltweit einzigartig - bürokratische, überbordende und arbeitsplatzverhindernde Vorschriften in unverantwortlichem Ausmaß fordert. - Wie wollen Sie glaubhaft gegen Arbeitslosigkeit kämpfen? Sie haben damit Ihre Glaubwürdigkeit in diesem Punkt verloren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Gal- lert, Linkspartei.PDS: Das haben Sie vor kurzem auch zu dem Transmissionszugangsgesetz ge- sagt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind vonseiten der EU zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht gezwungen. Die Rechtsgrundlagen wurden hinreichend erörtert. Aus meiner Sicht hätte dies sogar durch die damalige Bundesregierung verhindert werden müssen; denn Gesinnung und Toleranz können nicht per Gesetz verordnet werden. Dieses zu erreichen kann nur durch überzeugende Argumente und beispielhaftes Vorleben gelingen. Wer glaubt, Toleranz und Welt

offenheit per Gesetz verordnen zu können, der unterliegt einem schlimmen Irrglauben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Hinzu kommt, dass es gerade in Deutschland eines solchen Gesetzes in der vorliegenden Form nicht bedürfte, weil ein sehr weitreichender und umfassender Schutz gegen Diskriminierung und Regelungen für Gleichbehandlung, gesetzlich normiert, vorhanden sind. Artikel 3 des Grundgesetzes schreibt schon seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf - seit Beginn, seit der ersten Stunde dieser Republik.

Nehmen wir einmal die Frage der Gleichstellung von Mann und Frau. Sie ist in Deutschland längst umfänglich geregelt, viel weitergehend als in anderen Nationen,

(Zurufe von Frau Bull, Linkspartei.PDS, und von Frau Dr. Klein, Linkspartei.PDS)

und kaum eine Behörde - hören Sie mal bis zum Ende zu - kommt ohne Gleichstellungsbeauftragte aus. Die öffentliche Verwaltung ist gehalten, bis zu einer bestimmten Quote

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

gleich qualifizierte Frauen bei Einstellung und Beförderung den Männern sogar vorzuziehen. Hierbei stellt sich die Frage, ob dagegen nach dem neuen allgemeinen Gleichstellungsgesetz künftig Männer erfolgreich zu Felde ziehen können. Haben wir da etwas gewonnen?