Protocol of the Session on February 23, 2007

(Herr Tullner, CDU: Nur Strukturfragen!)

Zu überdenken wäre noch vieles. Mit den in unserem Antrag enthaltenen Punkten wird das uns Wichtige aufgegriffen.

Ich möchte noch eine Frage - die für mich wichtigste Frage - stellen: Wie können wir alle es auch über eine curriculare Reform der Sekundarschullehrpläne schaffen, dass auf dem Weg durch die Schulen keines unserer Kinder verloren geht?

Wenn sie sich selbst aufgeben, weil niemand ihre Schwäche bemerkt hat, stellt sich die Frage: Wohin verlieren wir sie dann? - An die einsame Isolation mit irgendwann ausbrechenden Verzweiflungstaten? An die vermeintliche Stärke mancher Gruppen, deren Wege und Ziele uns allen widerstreben? Das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus „Hingucken! - Für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“ allein ist nicht in der Lage, diese vermeintliche Stärke zu hinterfragen.

(Herr Tullner, CDU: Was hat denn das damit zu tun?)

Schwach sind auch manche Schüler mit hohem IQ, aber niedrigem EQ - emotionalem Quotienten.

Die Schule als Erfolg zu erleben bedeutet, ein positives Selbstwertgefühl aufbauen zu können. Nur wer sich selbst achtet, kann den anderen neben sich achten. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam darauf achten, dass das in der Schule auch passieren kann und dass die curriculare Reform der Sekundarschule auch den Beitrag der Schule zur Auseinandersetzung mit Gewalt und Rassismus, zur Integration von behinderten Kindern und Migrantenkindern und für ein demokratisches Engagement von Schülern und Schülerinnen wirksamer gestaltet.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich komme zu meinem Anliegen zurück. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung, damit wir im Bildungsausschuss die Gelegenheit erhalten, dass Zustandekommen der neuen Lehrpläne der Sekundarschule zu begleiten.

Noch ein letzter Satz: Der eingangs erwähnte Unternehmer fragt in seinen Bewerbergesprächen als Erstes: Wie heißt der Ministerpräsident unseres Bundeslandes?

Sie können nun Vermutungen darüber anstellen, ob die Bewerber das wissen oder nicht.

(Zuruf von der CDU: Aber selbstverständlich!)

Ich möchte betonen, dass Bildung nicht allein Wissen ist und dass sie schon gar nicht darauf ausgerichtet sein darf, Bewerbungsgespräche zu bestehen, um Verwendung in der Wirtschaft zu finden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hohe fachliche, emotionale und soziale Kompetenz gehören zusammen. Handlungs- und Methodenkompetenz gehören ebenso dazu wie musisch-ästhetische und körperliche Komponenten sowie die Befähigung zum kritischen Engagement in der Gesellschaft. Lassen wir unsere Kinder einfach spüren, dass sie uns wichtig sind. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke, Frau Fiedler. - Für die Landesregierung hat Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine kurze Vorbemerkung. Ich hatte den Presseverlautbarungen der Linkspartei.PDS eigentlich entnommen, dass sie im Kern das Anliegen, das ich angekündigt habe, unterstützen und es nicht schon in diesem frühen Stadium der Beratung mit den üblichen Verdächtigungen konfrontieren wollen.

Ich finde das einfach schade, das möchte ich hier einmal sagen. Allein die Vermutung, ich würde es bei Presseerklärungen bewenden belassen, ist zumindest nicht übermäßig freundlich gedacht. Das muss einfach nicht sein.

(Beifall bei der CDU - Frau Bull, Linkspartei.PDS: Sie Armer! O Mann!)

Das ist einfach nicht notwendig und das untergräbt eine gute Kultur der Diskussion über ordentliche und gute Lehrpläne. Ich finde das sehr schade.

(Herr Tullner, CDU: Genau! Das ist eigentlich Sa- che der Opposition!)

Bevor ich nun auf den Anlass meines von der Linkspartei.PDS aufgegriffenen Vorhabens einer umfassenden Lehrplanreform zu sprechen komme, möchte ich noch eine weitere Vorbemerkung machen. Es ist aus dieser Initiative keineswegs zu schließen, dass an unseren Sekundarschulen derzeit kein ordentlicher Unterricht erteilt wird.

Zahlreiche neue Wege, etwa zur Erweiterung und Flexibilisierung der Stundentafel, zur individuellen Förderung, zum produktiven Lernen, sind in den letzten Jahren beschritten worden. Außerdem hängt die Qualität des Unterrichts in erster Linie von den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern ab, nicht primär davon, auf welche Richtlinien sie sich berufen.

Eine Tatsache ist aber auch, dass zu viele Sekundarschüler die Schule ohne Abschluss verlassen, auch wenn es im letzten Jahr wieder deutlich weniger geworden sind. Aber auch das Wissen und Können von Schü

lerinnen und Schülern mit einem Abschluss lassen nicht selten zu wünschen übrig.

Offensichtlich machen uns vor allem die große Stofffülle - das Wort schreiben wir neuerdings mit drei „f“, aber so sehr viel mehr haben wir in Bezug auf das eigentliche Problem noch nicht ausgerichtet - und infolgedessen unklare Auswahlkriterien grundlegenden Unterrichtsstoffes zu schaffen. Das führt nicht nur zu einer auffälligen Erosion des Langzeitgedächtnisses, sondern dereguliert in gewisser Weise auch den Lernprozess, ganz zu schweigen von Problemen mit der Lernmotivation. Gerade die innere Ordnung von Wissenssystemen verlangt Systematik, Verknüpfung, Übersichtlichkeit und bewusste Begrenzung.

Die wichtigsten Ziele des neuen Lehrplans sind also erstens in der Tat diese Begrenzung, zweitens die Konzentration auf das Wesentliche, dessen Vertiefung und Wiederholung, drittens der systematische Aufbau auf vorhandene Kenntnisse und viertens die Einbettung der Lerninhalte in lebenspraktische Zusammenhänge.

Diese Ziele gehören untrennbar zusammen. Begrenzung alleine im Sinne einfach nur eines „weniger desselben“ bringt für sich noch nichts Neues, sondern eben nur weniger.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU, und von Frau Feußner, CDU)

Sinnvoll ist sie also nur im Sinne einer Konzentration auf Wichtiges, an dem man lange genug verweilt und das regelmäßig wieder aufgegriffen und vertieft wird. Das sind, wenn Sie so wollen, konstante Wissensbestände und Kernkompetenzen, die die notwendige Grundlage für jeden weiteren Erkenntnissaufwuchs sind.

Darum sprechen wir in diesem Zusammenhang von einem kompetenzorientierten Lehrplanwerk. Kompetenz steht hierbei etwa nicht in einem Gegensatz zu geordnetem Grundwissen, sondern beschreibt dessen kumulative Qualität. Deshalb sollen sich die Fachlehrpläne der Kernfächer in der Tat an den von der KMK beschlossenen Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss und für den Hauptschulabschluss orientieren. Wie sollte es im Übrigen anders sein?

Noch ein Missverständnis möchte ich versuchen aufzuklären. Wenn ich davon spreche, dass die Sekundarschulen sich zu einem gegenüber dem Gymnasium gleichwertigen Bildungsgang entwickeln sollen, dann heißt das gleichwertig, aber nicht gleichartig. Ich möchte dabei nicht missverstanden werden. Das ist nämlich ein ganz wichtiger Punkt. Sonst würde ich unter Umständen Kinder mit dem Erwerb des Abiturs quälen, deren Stärken, Neigungen und Fähigkeiten einfach in anderen Kompetenzprofilen zu suchen sind, die gezielt anzusprechen sind. Sonst funktioniert das eben nicht.

Wenn es schwierig werden sollte - darin gebe ich Frau Fiedler Recht -, ein Kriterium für die Auswahl dieses Wissens für den neuen Lehrplan zu finden, dann könnte man es sogar daraus ableiten, was die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit nicht wissen und können. Das ist augenfällig genug.

Bewusst ist hierbei von einem Lehrplan die Rede, weil dieser Begriff am ehesten die Prozesshaftigkeit, die Zielbezogenheit und die planmäßige Anlage fortschreitender Erkenntnisse und ihrer pädagogischen Organisation beschreibt.

Ein curriculares Gesamtkonzept beinhaltet ja nicht einfach unverbunden nebeneinander stehende Ziele. Vielmehr müssen sie zugleich in ihrer Abfolge mit möglichen Verknüpfungspunkten geordnet werden. Der Ausgangspunkt unserer Lehrplanreform sind nicht Strukturen oder Funktionen, sondern inhaltliche Ansprüche und Ziele.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Weigelt, CDU - Herr Tullner, CDU: Sehr gut!)

Von denen dann auf angemessene Strukturen zu schließen, ist natürlich der richtige Schritt. Aber umgekehrt kann man es nicht machen. Deswegen warne ich immer davor, die Debatte erneut mit einer Strukturdiskussion zu beginnen.

Diese Ziele, diese Ansprüche betreffen in diesem Zusammenhang die allgemeine Ausbildungsreife. Relevanz setzt nach diesem Kriterium zum Beispiel die lebensweltliche Greifbarkeit und Anschaulichkeit der Unterrichtsinhalte voraus und ein Methodenspektrum, das unter anderem regelmäßige Begegnungen mit der Arbeitswelt beinhaltet. Ebenso wichtig ist die politische Bildung, die Entwicklung von Demokratiekompetenz, die ja nicht minder auf relevantem Wissen und Können fußt.

Überdies muss der Lehrplan methodische Hinweise enthalten, genauso wie lern- und erkenntnisfördernde Rahmenbedingungen und Organisationsformen. Ich nenne hier nur die Schule als ein soziales Arrangement mit einer bestimmten Kommunikations- und Kooperationskultur einschließlich der Erfahrungen mit der Außenwelt, der außerschulischen Welt.

Schließlich bedarf es für Lehrende wie Lernende einer permanenten Vergewisserung über Resultate, und zwar so, dass Erfolg möglich ist und Anerkennung findet.

Das neue Lehrplanwerk soll neben verbindlichen Bestandteilen auch Variablen enthalten, die je nach Schulprogramm, Regionalbezug oder anderen Besonderheiten der Einzelschule aufgegriffen werden können.

Natürlich wird es kein Lehrplanwerk für individuelle Förderung geben. Das ist die Aufgabe eines jeden ordentlich ausgebildeten, engagierten Pädagogen bzw. einer Pädagogin vor Ort. Denn eine solche Vorgabe, wie ein einzelnes Kind individuell zu fördern ist, kann unmöglich in einem Lehrplan verankert werden.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Es ist aber eine grundlegende Verpflichtung für uns, Spielräume dafür zu schaffen und individuelle Zuwendung zu ermöglichen, zu qualifizieren, zu honorieren. Nur, dieses im Sinne eines Lehrplanwerks vorzuschreiben hieße, ich müsste so viele Lehrpläne entwickeln, wie ich Schülerinnen und Schüler habe.

(Herr Tullner, CDU: Genau!)

Dabei sind auch die gegenwärtigen Stundentafeln nicht von der Diskussion ausgenommen; denn auch die verdanken sich nicht sich selbst, sondern sie sind eine Konsequenz aus den Erfordernissen einer erfolgreichen Lehrplanumsetzung.

Meine Damen und Herren! Noch ein weiteres Wort. Um einen entsprechenden Kanon neu zu entwickeln, bedarf es auch einer Revision der bisherigen Entstehungs- und Erarbeitungsweisen von Lehrplänen oder Rahmenrichtlinien. Das fängt schon bei dem viel gepriesenen Stichwort „Anhörungen“ an.

Die Überfrachtung unserer heutigen Rahmenrichtlinien und Lehrpläne ist in gewisser Weise gerade das Ergebnis der Arbeit von groß angelegten Kommissionen mit umfänglichen Anhörungen, die stets die Gefahr heraufbeschwören, dass die beteiligten Fachvertreter eher Geltungsansprüche ihrer Fächer platzieren, als dass Inhalte aus Zielreflexionen der Bildungsgänge aus begründeten Kompetenzprofilen abgeleitet werden.

Was wir unter allen Umständen vermeiden müssen, sind ritualisierte Verteilungskämpfe um Beachtung und Berücksichtigung, denn darin liegt eine der Hauptursachen für überbordende Curricula.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Weigelt, CDU)