Protocol of the Session on February 22, 2007

Herr Fraktionsvorsitzender, es gibt eine Frage vom Abgeordneten Herrn Kosmehl. Des Weiteren hat sich der Fraktionsvorsitzende Herr Scharf zu Wort gemeldet.

Herr Gallert, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich teile Ihre Ansicht in dem Punkt, dass es richtig wäre, dass ein Kandidat, der sich zur Wahl stellt, seine Biografie offen legt, um den Bürgerinnen und Bürgern sozusagen alles darzustellen.

Mit Blick nach Sachsen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Kandidaten - in diesem Fall Ihrer Partei - dies nicht getan haben. Würden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass es vor diesem Hintergrund wichtig wäre, das trotzdem aufzuarbeiten? Denn die Kandidaten geben, wenn sie sich zur Wahl stellen, in ihrer Biografie eine entsprechende Mitarbeit offenbar nicht vollständig zu bzw. lassen uns über den Umfang im Unklaren.

Das ist eine interessante Frage. Wenn es so wäre - wie müsste man dann mit einem solchen Fall umgehen? Nun wissen wir aber genau, dass es in Sachsen nicht so ist.

Der aktuelle Fall, über den in Sachsen diskutiert wird, ist genau vor dem Hintergrund passiert, dass der entsprechende Landtagsabgeordnete sich vor der Wahl öffentlich dazu bekannt hat, eine solche Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit ausgeübt zu haben.

Der andere Fall, der nun mit der gescheiterten Abgeordnetenklage ad acta gelegt wird, ist ein strittiger Fall. In diesem Fall sagt der betroffene Abgeordnete, er habe nicht für das MfS gearbeitet. Es gibt Leute, die die Akten so bewerten, dass er für das MfS gearbeitet hat.

Dazu sage ich Folgendes, Herr Kosmehl: Ich weiß, wie emotional das ist. Ich weiß, wie strittig unsere Position auch in anderen Reihen gesehen wird.

Wenn ich mir dann aber die Begründung von Herrn Rüttgers dafür durchlese, dass Frau Birthler ein entsprechendes Gutachten über die bis zum Jahr 1990 tätigen Bundestagsabgeordneten nicht erstellen soll, dann sage ich: Ich hätte mir genau dieselbe Argumentation - wirk

lich universell angewandt - auch hinsichtlich der anderen Abgeordneten gewünscht.

Dann wird nämlich gesagt: Natürlich hat uns die Staatssicherheit sehr viele Akten hinterlassen und natürlich stehen darin sehr viele Dinge, aber eine wirkliche Bewertung dieser Dinge wird man nur im öffentlichen Diskurs erreichen. Man wird sie auch nicht durch solche Ausschüsse erreichen können, selbst wenn diejenigen, die darin sitzen, diese Dinge mit ganz ehrenvollen Motiven beurteilen. Das ist der grundsätzliche Unterschied.

Es wird für diese Frage, die Sie, Herr Kosmehl, stellen, keine Antwort geben, die für alle befriedigend ist. Jeder muss seine Konsequenz daraus ziehen. Die einbringenden Fraktionen haben als Konsequenz daraus einen Gesetzentwurf vorgelegt. Unsere Konsequenz aus einer solchen möglichen Situation oder unsere Position dazu habe ich noch einmal dargestellt.

Ich weiß, dazu gibt es politische Differenzen. Ich sage aber auch: Eine demokratische Gesellschaft ist in der Lage, mit solchen Differenzen miteinander auszukommen und sie in einer sachlichen Debatte auszustreiten.

Danke schön, Herr Gallert. - Herr Gürth, haben Sie jetzt eine konkrete Frage an Herrn Gallert? Denn der Fraktionsvorsitzende möchte auch noch sprechen. - Bitte.

Mich treibt eine ganz persönliche Frage um. Es ist klar, dass im Jahr 2007 eine Mitarbeit für einen solchen Geheimdienst oder für diese Gremien und Institutionen in der DDR viel differenzierter betrachtet wird. Auch das persönliche Umfeld wird viel differenzierter beurteilt: Hat er jemandem geschadet oder hat er niemandem geschadet? Ist er hineingezwungen worden oder nicht?

Im Unterschied zu der Überprüfung bei uns, die, wenn etwas vorliegt, öffentlich stattfindet, werden die Untersuchungsergebnisse, die bei Ihnen parteiintern ermittelt werden, nicht veröffentlicht. Jetzt frage ich Sie als Vorsitzenden der Fraktion der Linkspartei.PDS: Wie würden Sie als PDS damit umgehen, wenn Sie feststellten, dass ein Mandatsträger oder ein Inhaber eines öffentlichen Amtes für diesen Geheimdienst tätig war, und zwar in einer Art und Weise, die durchaus verurteilenswert wäre? Ich meine jetzt nicht im strafrechtlichen Sinne. Würden Sie als Partei oder als Fraktion die Niederlegung des Mandates oder Amtes empfehlen?

Diesen Fall, den Sie gerade geschildert haben, gab es mehrmals, und zwar in meiner eigenen Partei. Die Beschlusslage in meiner Partei lautet: Für den Fall, dass jemand vor dem delegierenden Gremium, das im Normalfall ein Parteitag ist - regional oder auf Landesebene -, seine politische Biografie nicht offen gelegt hat und dass sich im Nachhinein herausstellt, dass er Dinge verheimlicht hat, gibt es eine Regelung: Er stellt sich dem delegierenden Gremium und dort findet man in Anbetracht dessen, was die Leute nunmehr wissen, und in Anbetracht dessen, dass er das vorher nicht angegeben hat, eine entsprechende Position zu dem entsprechenden Abgeordneten oder Inhaber einer politischen Funktion.

Es gab auch in der Geschichte der PDS Vorstandsbeschlüsse und Beschlüsse von delegierenden Gre

mien, die eine Niederlegung des Mandats empfohlen haben. Und es gab in der 90er-Jahren Mandatsniederlegungen von Abgeordneten der PDS aufgrund solcher Empfehlungen. Das ist der Weg, mit dem wir umgehen und mit dem wir umgehen wollen.

(Herr Borgwardt, CDU: Wenn Sie einen aus Sachsen-Anhalt kennen, vom Namen her?)

- Nein, er hat gefragt: Wie gehen wir mit der bundespolitischen Gesamtbeschlusslage um? Dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass die Dinge a) strittig bleiben oder dass b) ein Gremium sagt: In dieser Art und Weise ist es nicht artikuliert worden. - Diesen Fall haben wir übrigens in Sachsen-Anhalt nicht. - Es ist jetzt aber nachgewiesen worden, und deswegen kommen wir zu einer neuen Beurteilung. Diese kann darin bestehen, dass jemand sein Mandat niederlegen soll. Sie kann aber auch darin bestehen, dass jemand sein Amt nicht niederlegen soll. - So weit zu der Frage.

Herzlichen Dank. - Weitere Fragen an Herrn Gallert liegen nicht vor. Ich erteile jetzt dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Scharf das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe wirklich gedacht, wir kommen mit der Einbringung dieses wichtigen Gesetzes aus und brauchen keine parlamentarische Auseinandersetzung zu diesem Thema. Aber die Rede von Herrn Gallert zwingt mich doch, darauf einzugehen.

Die Rede unseres Kollegen Gallert zwingt mich auch dazu, Ihnen zu sagen, dass ich tatsächlich eine Weile überlegt habe, ob wir auch für diese Legislaturperiode ein solches Gesetz brauchen, um die Abgeordneten das Landtages von Sachsen-Anhalt erneut zu überprüfen. Herr Gallert, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Nach Ihrer Rede bin ich fest davon überzeugt, dass wir das Gesetz brauchen. Meine Unsicherheit an dieser Stelle ist verflogen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Dabei weiß ich selbst ganz genau, dass wir versuchen, uns mit sehr unvollkommenen rechtlichen Instrumentarien einer sehr komplexen Materie zu nähern. Aber das kann uns doch nicht dazu bringen zu sagen: Wir geben es auf nachzuschauen, wie sich jemand in der Vergangenheit verhalten hat, wir geben es auf nachzuschauen, wo es Versagen und Schuld gab, die vielleicht bis heute verborgen wird.

Ich muss sagen, Ihre Rede war sehr schön glatt. Diesem glatten politischen Relativismus darf man auch im Jahr 2007 einfach nicht nachgeben, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Mir ist sehr wohl bewusst, dass es sehr unvollkommen ist, dass wir als Kriterium heranziehen, ob jemand offizieller oder inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder der Nachfolgeorganisation gewesen ist

(Zuruf von der Linkspartei.PDS)

- klar hat es eine Nachfolgeorganisation gegeben; Herr Koch war der Chef, daran müssten Sie sich doch eigent

lich noch erinnern können -, dass wir aber nicht nachschauen können, wer denn der eigentliche Auftraggeber gewesen ist.

Es gab zum Beispiel die schöne Metapher „Schild und Schwert“ - die Staatssicherheit war Schild und Schwert der SED. Das heißt, die Aufgabenverteilung war ganz klar nachgewiesen. Aber wir haben kein Instrumentarium, um zu überprüfen, wie die eigentlichen Anweisenden sich verhalten haben. Deshalb ist auch das Ergebnis dieser Überprüfung sehr unbefriedigend.

Das haben die Behörden inzwischen sehr sauber herausgearbeitet. Aber es ist nicht richtig zu sagen, wir können das nicht bewerten, und es ist nicht richtig zu sagen, ein Parlament kann das nicht bewerten.

Wir haben zum Beispiel einen Wahlprüfungsausschuss, der kann sehr wohl als parlamentarisches Gremium bewerten, ob eine Wahl ordentlich abgelaufen ist. Natürlich sind wir in gewisser Weise Befangene, weil wir vielleicht gleichzeitig Beurteilende und Betroffene sind, aber ein Parlament muss als höchstes Gremium immer in der Lage sein, mit dieser schwierigen Situation umzugehen. Und wir haben es bisher auch gekonnt.

Herr Gallert, Ihre Argumentation, die aufstellenden Parteien möchten das doch bitte in eigener Verantwortung übernehmen, ist doch abenteuerlich. Hätten Sie dieselbe Argumentation angeführt, wenn zum Beispiel ein Vertreter der DVU, die wir hier im Landtag von Sachsen-Anhalt gehabt haben, gesagt hätte: Wir machen das alles unter uns selber aus; ihr könnt euch darauf verlassen, dass unsere Gremien sauber entscheiden, und wir werden auch die Öffentlichkeit sauber informieren? Können Sie sich das vorstellen? Können Sie sich das tatsächlich vorstellen? Ich glaube nicht, dass Sie sich das vorstellen können.

Wenn Sie den Kopf über den Vergleich schütteln, dann muss ich sagen: Sie argumentieren nicht rechtlich. Denn das Recht muss für jedermann gelten und auch anwendbar sein. Es kann durchaus sein - das möchte ich Ihnen nicht absprechen; wir haben darüber schon vielfach gesprochen -, dass es innerhalb der PDS Gremien gibt, die sich ehrlich damit befassen, Geschichte aufzuarbeiten und auch persönliche Schuld aufzuarbeiten. Aber das ersetzt doch nicht parlamentarische Gremien.

Wir müssen doch vor der Bevölkerung im Lande Sachsen-Anhalt Rechenschaft darüber ablegen, wer nach unserer eigenen Beurteilung im Landtag von SachsenAnhalt sitzt. Meine Damen und Herren, dieser schwierigen Prozedur müssen wir uns unterziehen. Ich bedauere, dass Sie zum wiederholten Male sagen, Sie wollten sich diesem Verfahren entziehen.

Ich plädiere im Namen der CDU-Fraktion sehr dafür - ich habe das Gefühl, dass die Kolleginnen und Kollegen der FDP- und der SPD-Fraktion das ähnlich sehen -, uns trotz der Unvollkommenheit des Instrumentariums noch einmal in diese Überprüfung hineinzubegeben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Scharf. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Vom Einbringer ist eine Überweisung an den Ältestenrat beantragt worden. Ich lasse jetzt über die Überweisung

an den Ältestenrat abstimmen. Wer stimmt zu? - Zustimmung bei den Koalitionsfraktionen und bei der FDPFraktion. Wer stimmt dagegen? - Linkspartei.PDS. Wer enthält sich der Stimme? - Keine Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf an den Ältestenrat überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 6 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite Beratung

Zukunft der Telefonüberwachung

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/97

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung - Drs. 5/503

Die erste Beratung fand in der 4. Sitzung des Landtages am 6. Juli 2006 statt. Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Dr. Ronald Brachmann. Es ist vereinbart worden, anschließend eine Fünfminutendebatte zu führen. Herr Brachmann, Sie haben als Berichterstatter das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der FDP wurde in der 4. Sitzung des Landtages am 6. Juli 2006 an den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen. Der Antrag hatte zwei Anliegen zum Gegenstand: zum einen eine Berichterstattung der Landesregierung und zum anderen die Erörterung aufgeworfener Rechtsfragen. Mit der Überweisung war auch das Ziel einer Klärung der Frage verfolgt worden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein zusätzlicher Evaluationsbedarf besteht.

Erstmals befasste sich der Ausschuss für Recht und Verfassung in der 4. Sitzung am 13. September 2006 mit der Thematik. Die Landesregierung informierte über die Realisierbarkeit der aufgeführten Maßnahmen und äußerte sich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen. Die Landesregierung wies darauf hin, dass sie die Entwicklung der Telefonüberwachungsmaßnahmen in Sachsen-Anhalt bereits in Antworten auf mehrere Kleine Anfragen dargestellt habe, und berichtete erneut über die Praxis in Sachsen-Anhalt.

Es wurde in Auswertung der Ergebnisse einer Studie des Max-Planck-Instituts über die Dauer von Telefonüberwachungen berichtet, dass die durchschnittliche Dauer dieser Maßnahmen bei etwa 30 Tagen liege. Insgesamt sei festzustellen gewesen, dass die gesetzlich zulässige und gerichtlich ermöglichte Dauer der Überwachung bei weitem nicht ausgeschöpft werde. Es werde also sehr sensibel mit Telefonüberwachungsmaßnahmen umgegangen.