Protocol of the Session on February 22, 2007

Aufgrund der zunehmenden Verbindungen der DDR mit dem Westen in den 70er-Jahren wurde der Kontroll- und Unterdrückungsapparat zielgerichtet ausgebaut. Die Kontakte von DDR-Bürgern mit dem Westen wurden nunmehr verstärkt überwacht. Das Netz der inoffiziellen Mitarbeiter wurde erheblich erweitert.

In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre lag die Zahl der IM bei ca. 180 000. Nach der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“ in Polen im Jahr 1981 schottete das MfS die DDR auch nach Osten hin ab.

Zu Beginn der 80er-Jahre gab es in der DDR kaum einen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, den die Stasi nicht in der einen oder anderen Art und Weise überwachte. Bei Fluchthelfern und Überläufern aus den eigenen Reihen schreckte der Staatssicherheitsdienst auch vor Entführung und Mord nicht zurück. Zuletzt kam auf 62 Einwohner der DDR ein MfS-Mitarbeiter.

Das Ministerium für Staatssicherheit war vor allem Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR und zugleich Ermittlungsbehörde in Fällen politischer Straftaten. Das MfS war vor allem aber auch ein Instrument der SED zur Unterdrückung und Überwachung der Bevölkerung der DDR mit dem Ziel der Sicherung ihrer Macht. Dabei setzte es gegen oppositionelle Regimekritiker neben umfassender Überwachung und massiver Einschüchterung auch Terror und Folter als Mittel ein. Das unterscheidet diesen so genannten Geheimdienst von anderen Geheimdiensten in Rechtsstaaten.

Das MfS wurde am 8. Februar 1950 gegründet und dann zielgerichtet als „Schild und Schwert“ der Partei ausgebaut.

Es ist heute jedem möglich, die Geschichte des MfS im Internet nachzulesen. Was es aber im Einzelnen für die

Betroffenen, die Opfer der Überwachung wurden, bedeutet hat, kann man nur wirklich nachvollziehen, wenn man selbst Opfer war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir, die Abgeordneten des Landtages von Sachsen-Anhalt, wir als Gesetzgebungs- und Verfassungsorgan sind es den Tausenden Mitarbeitern im öffentlichen Dienst des Landes, die sich auf eine Mitarbeit in den DDR-Geheimdiensten hin haben überprüfen lassen, schuldig, uns ebenfalls einer solchen Überprüfung zu unterziehen. Wir sind es vor allem den Opfern dieser Stasi-Repressionen schuldig, uns überprüfen zu lassen.

Wie viel Leid im Einzelnen dadurch verursacht worden ist, ist zum Teil nachzulesen, wenn Opfer in der Vergangenheit ihre Erfahrungen geschildert haben. Es wurden Familien auseinander gerissen und Kinder zwangsadoptiert. Bei all diesen Verurteilungen und Maßnahmen waren es inoffizielle Mitarbeiter, die dabei mitgeholfen haben.

Niemand von uns im Landtag von Sachsen-Anhalt würde heute in einem demokratisch gewählten Parlament über die Geschicke des Landes als Abgeordneter entscheiden können, wenn es nicht die mutigen und aufrichtigen Menschen in der DDR gegeben hätte, die sich mit mahnender Stimme gegen das Unrechtsregime erhoben haben. Viele von ihnen mussten dies mit ihrem Leben, mit gesundheitlichen Schädigungen, mit dem Verlust ihrer Familie, mit Arbeitsverbot und mit anderen Repressalien bezahlen. Ausbildung und Studium sowie berufliche Weiterentwicklung wurden ihnen verwehrt. Unterbrochene Berufsbiografien haben heute für die Opfer oft geringere Renten zur Folge.

Ich bin deshalb froh darüber, dass sich zumindest die Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP zu einer gemeinsamen Initiative zusammengeschlossen haben. Ich bedaure es sehr, dass sich die PDS hierbei ausschließt.

Es hat nunmehr etwa ein Dreivierteljahr gedauert, bis der Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht werden konnte. Der Grund hierfür ist nicht Unentschlossenheit. Vielmehr war es die unklare Rechtslage auf der Bundesebene, die einer Neuregelung bedurfte, damit überhaupt eine erneute Überprüfung stattfinden kann. Erst nachdem der Deutsche Bundestag das Stasi-UnterlagenGesetz am Ende des Jahres 2006 geändert hat, war gesichert, dass ein Zugriff auf die für die Überprüfung notwendigen Akten weiter möglich ist.

Das nunmehr in Sachsen-Anhalt gewählte Verfahren lehnt sich an das des Deutschen Bundestages an. Es ermöglicht die Einsetzung eines Sonderausschusses zur Überprüfung der Abgeordneten. Dieser kann auf Antrag auch ohne Zustimmung der Abgeordneten bei konkreten Anhaltspunkten, bei einem Verdacht auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR im Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes tätig werden.

Hierzu ist eine Änderung des Abgeordnetengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt notwendig. Diese wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt.

Ich bitte Sie, der Überweisung des Gesetzentwurfes in den Ältestenrat zuzustimmen.

Abschließend möchte ich noch etwas zu der Arbeit des Sonderausschusses und zu den Konsequenzen sagen. Wir wissen, dass die Feststellung der Mitarbeit eines Abgeordneten beim Staatssicherheitsdienst der DDR nicht zu dessen Ausschluss aus dem Parlament, also

nicht zum Verlust des Mandates führt. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes haben dennoch ein Anrecht darauf zu erfahren, ob ein Abgeordneter seine Mitbürger einmal bespitzelt und ihnen geschadet hat.

Geschichte ist auch individuell. Biografien können immer nur im Gesamtzusammenhang objektiver, aber auch persönlicher Verhältnisse beurteilt werden. Aber jeder sollte sich auch zu seiner Biografie bekennen. Wer in einem öffentlichen Amt ist, muss dies auch öffentlich zulassen. Ich hoffe, wir werden mit unserer Initiative diesem Anspruch gerecht. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Herzlichen Dank für die Einbringung. - Es ist vereinbart worden, zu diesem Tagesordnungspunkt keine Debatte zu führen. - Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS-Fraktion Herr Gallert bittet um das Wort. Bitte schön, Herr Gallert.

Werte Kollegen! Werte Abgeordnete! Herr Präsident! Ich habe mich nicht deswegen zu Wort gemeldet, weil uns das, was mein Vorredner gesagt hat, überrascht hat, sondern deshalb, weil wir in der Fraktion beschlossen haben, in dieser Debatte etwas zu sagen, und zwar ausdrücklich als Debattenbeitrag und nicht als Erklärung zum Abstimmungsverhalten. Es ist durchaus möglich, dass der eine oder andere darauf reagiert.

Bei dem heutigen Tagesordnungspunkt, dem Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Sachsen-Anhalt, geht es um die Überprüfung der Abgeordneten des Landtages bezüglich ihrer Tätigkeit - hauptamtlich oder inoffiziell - für den Staatssicherheitsdienst der DDR.

Dabei soll es zwei Fallgruppen geben: zum einen die Abgeordneten, die selbst schriftlich eine Überprüfung beantragen, und zum anderen die Abgeordneten, die einem zu bildenden Ausschuss konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht auf eine Tätigkeit liefern. Letztere können auch dann überprüft werden, wenn sie selbst es nicht wollen.

Dies entspricht dem Verfahren in der vierten Legislaturperiode und zumindest dem politischen Ansatz, der in der ersten und in der zweiten Legislaturperiode verfolgt wurde. In der dritten Legislaturperiode war das schon einmal anders. Der eine oder andere kann sich sicherlich daran erinnern.

Wirklich neu ist allerdings, dass ursprünglich vorgesehen war, diesen Tagesordnungspunkt ohne Debatte zu behandeln. Das ist ein Umstand, der im Parlament im Normalfall nur dann eintritt, wenn eine Vorlage konsensfähig ist. Dies - das wissen wahrscheinlich alle in diesem Haus - ist jedoch nicht so. Die PDS - jetzt die Linkspartei.PDS - hat sich gegen ein solches Verfahren gewandt.

Seit 1993 gibt es auf der Bundesebene Beschlüsse, die einen anderen Weg der politischen und der moralischen Bewertung der Biografien von Abgeordneten beschreiten. Vor vier Jahren sind diese Argumente letztmalig von Frau Dr. Hein vorgetragen worden. All das, was sie damals gesagt hat, trifft heute noch Wort für Wort zu.

Wir haben es jedoch bei dieser Frage mit dem Umstand zu tun, dass unsere Argumente die anderen Fraktionen

in diesem Landtag nicht überzeugen konnten. Genauso überzeugen uns hingegen die Argumente der einbringenden Fraktionen nicht. Die Standpunkte sind bekannt. Die Argumente sind ausgetauscht. Fast alles, was man dazu sagen konnte, wurde schon gesagt, und zwar sehr häufig. So erscheint es vielleicht sogar nachvollziehbar, dass bei diesem doch kontroversen Thema ursprünglich auf eine Debatte verzichtet werden sollte.

Uns geht es darum, die Dinge noch einmal zu erklären, zum einen weil es viele neue Abgeordnete sowohl in unserer Fraktion als auch in den einbringenden Fraktionen gibt, zum anderen weil es sich doch um eine neue Qualität handelt. Zwar ist die Vorlage fast identisch mit der Vorlage aus der vierten Legislaturperiode, aber wir leben inzwischen in einer anderen Zeit. Manchmal haben Dinge, die nach einem Zeitraum von vier Jahren in unveränderter Fassung erneut eingebracht werden, einen anderen Charakter erhalten.

Vor diesem Hintergrund möchte ich unsere Position noch einmal erläutern. Je größer der Abstand zur DDR wird, umso fraglicher wird es, ob die Überschrift des Abschnitts V a des Abgeordnetengesetzes - „Wahrung des Ansehens des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages und seiner Mitglieder“ - wirklich primär etwas mit dem einzigen Inhalt dieses Abschnitts, nämlich mit der Regelung zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages auf eine Tätigkeit für die Staatssicherheit - das ist der einzige Inhalt dieses Abschnitts -, zu tun hat.

Wir hätten verdammt viel zu tun und würden uns wahrscheinlich fast ausschließlich mit uns selbst beschäftigen, wenn wir den vielen anderen Fragen, die unser Ansehen in der Bevölkerung beeinflussen, auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit widmen würden wie diesem einen möglichen Teil der DDR-Biografie eines Abgeordneten.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Es bleibt eine dauerhafte Aufgabe, menschenrechtsverletzende Tätigkeiten von Institutionen in der DDR zu bewerten, darüber gesellschaftlich zu debattieren, sich damit auseinander zu setzen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Und das - jawohl - kann und muss unter Umständen auch die Bewertung einer Person, eines Kandidaten oder eines Inhabers einer politischen Funktion betreffen.

Aber ausschlaggebend dafür - das ist die große Differenz - ist nicht die Bewertung eines Abgeordneten durch andere Abgeordnete, die, auch wenn sie sich überhaupt nicht so verhalten wollen, objektiv immer in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Ausschlaggebend dafür ist vielmehr die Bewertung durch die delegierenden Gremien, die jemanden für die Wahl in eine politische Funktion aufstellen, und ausschlaggebend sind die Wähler, die ihm ihre Stimme geben oder eben nicht geben.

Deswegen gingen unsere Beschlussvorlagen davon aus, dass eine Offenlegung der politischen Biografie vor und nicht nach der Wahl in ein Amt erfolgen muss.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Ein noch größerer Ansatzpunkt unserer Kritik ist jedoch nach wie vor die Fokussierung der Bewertung von Biografien auf eine eventuelle Tätigkeit für die Staatssicherheit. Diese ist genauso inakzeptabel wie die Beschränkung des Geschichtsbildes der DDR auf Diktatur und Staatssicherheit.

Sie ahnen schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ich mit dieser Position die Argumentationsstruktur innerhalb der eigenen Partei längst verlassen habe und auf eine Diskussion Bezug nehme, die ich in den Reihen der CDU oder vielleicht auch nur bei ihrem prominentesten Mitglied in Sachsen-Anhalt, dem Ministerpräsidenten, sehe.

Damit Sie mich nicht missverstehen und auch um den Umfang Ihrer Reaktionen auf meine Rede zu begrenzen, sage ich Ihnen Folgendes: Meine Auffassung unterscheidet sich maßgeblich von der zentralen These Wolfgang Böhmers in dieser Frage, der sagte:

„Eine Gesellschaft, die in ihr Zentrum Umverteilungsprozesse stellt, mündet gezwungenermaßen in eine Diktatur.“

Ich teile aber ausdrücklich seine Einschätzung, dass der Wunsch nach einer gerechten Verteilung des Reichtums eine der maßgeblichen Motivationen oder vielleicht auch nur eine Legitimation - darüber mag man streiten - für die Existenz der DDR war.

Wenn man aber - dies betonte der Ministerpräsident zum Beispiel bei der Eröffnung der Sitte-Galerie in Merseburg im vorigen Jahr - die Lebensleistung eines Menschen in der DDR nicht ausschließlich an seiner Haltung zum politischen System messen darf, dann stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit gerade dieses Ausschusses.

Ein anderes Problem, das heute vielleicht deutlicher als noch vor vier Jahren zum Vorschein kommt, ist die Frage, die vor kurzem im Kontext der Novelle zum StasiUnterlagen-Gesetz eine Rolle spielte. Sicherlich ist die Regelanfrage im öffentlichen Dienst und deren Verlängerung - nicht als Regelanfrage im ursprünglichen Sinne, sondern in einer modifizierten Form - nicht völlig identisch mit dem Vorhaben der Abgeordnetenüberprüfung. Aber - auch mein Vorredner ging darauf ein - die Legitimation für das eine ist der Legitimation für das andere durchaus ähnlich.

Zwar gibt es in Sachsen-Anhalt - auch das sagte mein Vorredner - keine juristischen Konsequenzen aus einer solchen Überprüfung - in Sachsen unternahm man immer wieder Vorstöße dahin gehend, die jedoch stets scheiterten -, aber die Frage nach dem Sinn der öffentlichen Bewertung eines Abgeordneten fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR auf der Grundlage der Dokumente der Staatssicherheit stellt sich schon.

Im Deutschen Bundestag - auch das wissen die meisten von Ihnen - haben CDU und SPD diese Dokumente als so unsicher eingeschätzt, dass man dort ein Gutachten über ehemalige Abgeordnete der alten Bundesrepublik stoppte mit dem Argument, man hätte ihnen gegenüber schließlich eine Fürsorge. Das sind die Begründungen der parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion und der SPD-Bundestagsfraktion.

Spätestens wenn man dort ein solches Kriterium ansetzt, kann man Bezug auf das Strafrecht und die dort angelegten Verjährungsfristen nehmen. Auch das ist von meinem Vorredner kurz angesprochen worden.

Bereits im Jahr 1991 hat sich Burkhard Hirsch von der FDP mit sehr klaren Worten gegen den damals beschlossenen 15-jährigen Zeitraum zur Regelanfrage gewandt. Er plädierte damals schon für einen Zeitraum bis

maximal zum Ende des vergangenen Jahrhunderts, um, wie er sagte,

„die allgemeine Beleuchtung der Vergangenheit zu beenden, wenn nicht ein individuelles Opfer Klage oder Anklage erhebt.“

Das sagte Burkhard Hirsch im Jahr 1991. Über diese Vorlage beraten wir im Jahr 2007. Ergebnisse des Ausschusses werden dann wahrscheinlich im Jahr 2009 vorliegen, also 20 Jahre nach dem Ende der DDR.

Ich habe Ihnen diese Argumente deswegen noch einmal vorgebracht, weil sie mit der Zeit, wie ich glaube, ein immer stärkeres Gewicht bekommen, nicht etwa weil sie gänzlich andere wären als die in den letzten vier Legislaturperioden. Ich habe die Hoffnung, dass der eine oder andere Abgeordnete aus den anderen Fraktionen unsere Position, wenn er sie schon nicht teilt, so doch besser nachvollziehen kann. - Danke.

Herr Fraktionsvorsitzender, es gibt eine Frage vom Abgeordneten Herrn Kosmehl. Des Weiteren hat sich der Fraktionsvorsitzende Herr Scharf zu Wort gemeldet.