Herr Tögel, am Anfang meiner Frage möchte ich sagen: Bei diesem komplexen Problem - das ist in Ihrer Rede übrigens sehr deutlich geworden - geht es nicht um die Frage, ob ein Mensch gut oder schlecht, dumm oder klug ist, ob er in erster Linie die Risiken oder in erster Linie die Chancen sieht.
Wir haben vor Ihrer Rede zwei andere Reden gehört, die sich inhaltlich deutlich unterschieden haben. Ich möchte nun nicht ein moralisches Urteil darüber fällen, wer hier derjenige ist, der den Alleinvertretungsanspruch dafür realisieren kann.
Ich möchte auf eines hinaus: Sie haben auf die Standards, auf die sozialen Fragen und auf die Ängste, die in der Bevölkerung durchaus existieren, abgehoben und haben dann gesagt, die Europäische Union sei die Lösung und nicht das Problem.
Ich frage Sie: Wie beurteilen Sie zum Beispiel das Wirken der Europäischen Union bezüglich des öffentlich-rechtlichen Bankensektors in der Bundesrepublik Deutschland, der natürlich eine Voraussetzung für den
Zugang und für die gesellschaftliche Teilhabe eines jeden ist? Wie beurteilen Sie das Wirken der Europäischen Union bezüglich des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bzw. der Medienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland, die natürlich etwas mit sozialen und kulturellen Standards zu tun hat? Ist die Europäische Union in diesem Fall die Lösung oder ist sie das Problem?
Bezüglich des öffentlich-rechtlichen Bankensektors möchte ich sagen: Die Europäische Union ist nicht freiwillig dazu gekommen, das zu lösen.
Vielmehr musste sie eingreifen, nachdem die deutschen Privatbanken in Brüssel bzw. in Luxemburg gegen die Anstaltshaftung und die Gewährträgerhaftung geklagt haben.
(Frau Budde, SPD: Ja! - Herr Gallert, Linkspar- tei.PDS: Warum muss die Europäische Union dann aktiv werden?)
- Wenn Deutschland von den Privatbanken vor der Europäischen Union verklagt wird, dann muss sie dazu Stellung nehmen.
(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Ach so! Also auf der Basis der Regelungen, die die Europäische Union sich selbst gegeben hat!)
(Unruhe bei der Linkspartei.PDS - Herr Tullner, CDU: Natürlich sind es die Regelungen der Eu- ropäischen Union!)
Ich gebe jetzt Herrn Tögel das Wort. Ihm wurde eine Frage gestellt und er möchte sie gern beantworten.
Ich sehe schon, es wird schwierig werden, die Fragen im Einzelnen zu beantworten. Ich möchte sagen: Ich sehe nicht alles, was die Europäische Union tut, unkritisch. Ich denke, in vielen Bereichen ist sie zu marktliberal und versucht zu viele der Binnenmarktregelungen umzusetzen.
Ich habe an dieser Stelle schon oft gesagt - ich habe das zum Beispiel auch in meiner Rede zur EU-Ratspräsidentschaft in der letzten Landtagssitzung zum Ausdruck gebracht -: Ich wünsche mir, dass von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im sozialen Bereich mehr Aktivitäten unternommen werden als bisher. Ich stehe dazu, dass es an dieser Stelle noch Defizite gibt.
Aber das, was wir jetzt haben, und das, was wir mit dem Verfassungsvertrag gehabt hätten, wenn er denn ratifiziert worden wäre, ist bei Weitem besser als das, was wir ohne Europäische Union gehabt haben.
Ich glaube, die Situation in Rumänien und Bulgarien - ich komme damit auf das Ursprungsthema zurück - ist trotz
all dieser Defizite nach dem Beitritt jetzt besser, als sie vor dem Beitritt in den beiden Staaten gewesen ist.
Vielen Dank, Herr Tögel. - Ich erteile nun dem Abgeordneten der FDP-Fraktion Herrn Kosmehl das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, diese Debatte ist in einigen Teilen etwas aus dem Ruder gelaufen.
Herr Kollege Tögel, bei allen Reizungen, die der Redebeitrag des Kollegen Czeke auch bei mir ausgelöst hat, wäre etwas Zurückhaltung sicherlich vonnöten gewesen. Ich glaube, wir müssen uns hier nicht gegenseitig darüber belehren, wer in einem bestimmten Ausschuss sein sollte oder auch nicht.
Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die ganz speziell mit dem in Rede stehenden Thema der Aktuellen Debatte zu tun haben, nämlich mit Bulgarien und Rumänien. Dabei stehen wir vor einer ganz großen Herausforderung und in besonderem Maße natürlich die Bürgerinnen und Bürger der beiden neuen Mitgliedstaaten. Denn wir stehen hier in einem Spannungsfeld zwischen der Weitergabe europäischer Mittel und der tatsächlichen Verwendung europäischer Strukturfondsmittel.
Meine Damen und Herren! Die Berichte, die die Kommission erarbeitet hat und die wir auch in der Zeitung, in Pressemitteilungen immer wieder lesen können, zeigen auf, dass die beiden neuen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Korruption und der Struktur der Behörden, die eine angemessene Verteilung der Mittel gewährleisten, die die Beantragung ermöglichen und die Verwendungsnachweisprüfung sicherstellen müssen, große Probleme haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden hier über öffentliche Mittel, über Steuermittel. Deshalb muss die Europäische Union sicherstellen, dass diese Mittel auch bei denjenigen ankommen, für die sie bestimmt sind, und nicht irgendwo im Korruptionsgeflecht versickern.
Ohne diese Mittel wird es keine Fortschritte in der Infrastruktur, in der wirtschaftlichen Entwicklung dieser beiden Mitgliedstaaten geben, was zur Folge hat, dass auch die Bürgerinnen und Bürger dieser Mitgliedstaaten nicht davon profitieren können und nicht ihren persönlichen Wohlstand organisieren können, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist: Wir können nicht sehenden Auges die Mittel auszahlen und hoffen, dass da etwas ankommt, wenn die Strukturen vor Ort nicht vorhanden sind. Das heißt, es muss so schnell wie möglich auch mit Nachdruck und mithilfe der Kommission und aller anderen Mitgliedstaaten darauf hingewirkt werden, dass
dort Behördenstrukturen entwickelt werden, die eine ordnungsgemäße Verwendung der Mittel sicherstellen und nachweisen können.
Natürlich muss auch das Rechtssystem dafür Sorge tragen, dass die Korruption eingedämmt wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist sehr wichtig und aus meiner Sicht auch nötig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einen zweiten Punkt ganz kurz eingehen. Es geht um die Aussagen, die Herr Kollege Czeke und auch Sie, Herr Gallert, hier getroffen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann über vieles streiten. Aber ich glaube, über eines dürfen und sollten wir nicht streiten: Die Europäische Union ist ein Glücksfall für Sachsen-Anhalt, weil sie uns die wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht hat, die wir bis jetzt genommen haben - wir sind noch immer nicht weit genug -, weil sie uns auch in den nächsten Jahren bis 2013 weiter begleiten wird und weil sie vor allen Dingen dafür verantwortlich ist, dass es in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - in den Mitgliedstaaten, Herr Kollege Tögel - die längste Periode des Friedens in Europa gegeben hat.
Denn wir haben leider zum Beispiel den Balkankonflikt und in den 70er-Jahren den Zypern-Konflikt zur Kenntnis nehmen müssen. Aber in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat es zur Friedenssicherung beigetragen. Das ist etwas, das wir Europa niemals absprechen dürfen und wofür allein es sich aus meiner Sicht schon lohnen würde, für diese Europäische Union einzustehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte etwas aufgreifen, das der Kollege Tögel angedeutet hat. Ich vernehme vonseiten der Linkspartei.PDS immer nur Ablehnung in Bezug auf den Verfassungsvertrag. Sie haben das an einem Punkt sehr deutlich gemacht: an der Frage der militärischen Ausrichtung, die neu in den Verfassungsvertrag aufgenommen worden ist. Das ist durchaus etwas, das man Ihnen zugestehen muss.
Aber wenn Sie den Verfassungsvertrag ablehnen, dann lehnen Sie eben auch die Vertiefung der Europäischen Union ab. Dann schaffen wir es nicht, Institutionen, die für die Europäische Union der sechs Mitgliedstaaten gedacht waren, in eine Europäische Union der 27 zu übertragen. Dann werden wir es weiterhin erleben, Herr Kollege Czeke, dass wir einen zusätzlichen Kommissar oder in dem Fall sogar zwei zusätzliche Kommissare brauchten, weil jedem Land ein Kommissar zusteht.
Ich halte das für falsch; es ist aber aufgrund der Verträge jetzt nicht anders möglich. Ich finde, eine Kommission, die quasi eine Regierung ersetzt, die Leitlinien vorgeben soll, muss klein und überschaubar sein. Dabei kann man mit Regelungen, nach denen zumindest eines der großen Länder immer dabei sein muss, den Großen die Angst nehmen, dass sie in einer Kommission vielleicht einmal nicht vertreten sind.
Aber wir können es uns auf Dauer nicht leisten, einen Kommissionsapparat mit 27 Kommissaren und ich weiß nicht mit wie vielen Generaldirektionen zu unterhalten;
denn das führt aus meiner Sicht nur dazu, dass Mittel verschwendet werden. Auch für eine Verkleinerung hat der Verfassungsvertrag Grundlagen gelegt und auch deshalb werde ich diesen Verfassungsvertrag immer unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine letzte Bemerkung: Herr Kollege Czeke, die Worte „neoliberale Politik“ haben Sie in Ihrem Redebeitrag häufig verwendet. Es wird Sie nicht wundern, dass es einen Liberalen immer ein Stück weit hellhörig macht, wenn man von neoliberaler Politik redet und dann auch noch versucht, die neoliberale Politik als etwas Böses zu begreifen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neoliberale Politik heißt Rückbesinnung auf die Freiheit, Rückbesinnung auf die Freiheit zur Verantwortung.
Sie führt dazu, dass wir Instrumentarien wie den Markt nutzen, der jedem die Möglichkeit gibt, sein persönliches Glück in seine Hände zu nehmen und seinen persönlichen Wohlstand zu erarbeiten. Wir werden auch weiterhin für diese Politik, die wir für liberale Politik halten und die Sie als neoliberale Politik schmähen wollen, eintreten, weil die Kraft der Freiheit das Wichtigste ist, was uns bleibt. - Vielen Dank.