Danke, Herr Präsident. - Herr Kosmehl, Sie sprachen in Ihrer Rede von der längsten Friedensperiode in Europa, welche ihre Ursache unter anderem in der friedensstiftenden Existenz und Mission der Europäischen Union habe. Stimmen Sie mir darin zu, dass es insbesondere im Jahr 1992 ursächlich die Europäische Union war, welche zum ersten Balkankrieg nach 1945 führte?
(Lebhafter Widerspruch bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Eine Unverschämtheit! - Zuruf von der FDP: Pfui!)
Stimmen Sie mir im Weiteren zu, dass es ursächlich die Europäische Union war, welche im Jahr 1999 die Bundesregierung animierte, erstmalig seit 1945 wieder deutsche Soldaten in den Krieg zu schicken?
(Widerspruch bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Herr Scharf, CDU: Was war 1968 in der Tschechoslowakei?)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Heft, ich glaube, das, was Sie hier versuchen, ist ein Stück weit - - Wie soll ich das ausdrücken? „Geschichtsverzerrung“ wäre vielleicht ein angemessenes Wort dafür.
Ich glaube, wer versucht, die Machenschaften eines Slobodan Milošević und die Verantwortung einer solchen Person zu verdrängen und zu sagen, die Europäische Union sei schuld gewesen, weil sie den Freiheitsgedanken von Teilrepubliken der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien unterstützt und diese Staaten völkerrechtlich anerkannt habe, der schiebt der Europäischen Union etwas zu, wofür sie nicht verantwortlich ist.
Dass ein Krieg ausgebrochen ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, lag an den Machthabern in Serbien, ganz speziell natürlich an Slobodan Milošević. Das sollten Sie niemals vergessen. Das sind Kriegsverbrecher, die vor Gericht gehören und die bestraft gehören!
Einen Satz zu Ihrem zweiten Ansinnen, Herr Kollege Heft: Ich glaube, wir werden morgen noch einmal die Gelegenheit haben, zu einem ähnlichen Thema zu sprechen. Ich glaube, Sie dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass auch Deutschland eine Verantwortung dafür trägt, friedenssichernde Maßnahmen im Rahmen eines UN-Mandats in der Welt zu begleiten. Dabei ist es auch richtig, dass auch deutsche Soldaten dort vor Ort sind. Sie sichern den Frieden, sie verhindern den Genozid an Ethnien. Auch das ist, glaube ich, etwas Gutes. - Danke.
Herr Kosmehl, Herr Scharf hat um das Wort gebeten. Ihre Frage, Frau Klein, möchte Herr Kosmehl nicht beantworten.
Dann würde ich vorschlagen, dass Herr Scharf, weil er schon vorn steht, zunächst das Wort nimmt und Sie danach die Gelegenheit zu einer Intervention erhalten.
Wir haben vom Kollegen Heft etwas sehr Erstaunliches erlebt. Ich glaube, so manchem von uns ging es wie mir, dass er zunächst zweimal hören musste, ob er sich nicht verhört hat. Denn solche Töne waren bisher in diesem Hause sehr selten. Vielleicht haben wir einen solchen Ton noch gar nicht gehört; ganz genau ist meine Erinnerung in diesem Punkt nicht.
Deshalb frage ich an dieser Stelle meinen Kollegen Fraktionsvorsitzenden: Herr Gallert, ist das jetzt Frak
tionsmeinung oder hat Herr Heft an dieser Stelle, sage ich jetzt einmal, einen kleinen Aussetzer gehabt?
Herr Präsident! Werte Abgeordnete in diesem Haus! Die Frage von Krieg und Frieden ist gerade in Europa seit Jahrzehnten und Jahrhunderten eine sehr emotionale und sehr belastete Frage. Das hat seinen Grund natürlich gerade auch in der deutschen Geschichte. Wenn wir innerhalb Europas nach dem Ende des Kalten Krieges auf einmal mehrere militärische Konflikte haben, in denen Tausende, Zehntausende von Menschen gestorben sind, dann ist die Frage nach den Ursachen dieser Kriege berechtigt.
Natürlich hat Herr Kosmehl Recht: Im ehemaligen Jugoslawien sind Kriege geführt worden, weil skrupellose Kriegsverbrecher und Machthaber nur mit diesen Kriegen ihre politische Existenz sichern konnten. Das ist völlig unbestritten.
Aber - auch das gehört zur Wahrheit - die Anfang der 90er-Jahre gerade durch den Bundesaußenminister vertretene Anerkennungsstrategie - das, liebe Kollegen, sagen nun weit, weit mehr Historiker und Spezialisten als die, die man dem linken Spektrum zurechnen kann - hat sehr wohl dazu beigetragen, dass innerhalb dieses Vielvölkerstaates Jugoslawien Nationalismus und dadurch auch militärische Aggressivität wachsen konnten.
Das war eine der Bedingungen, die auch dazu geführt haben, dass es einen Völkermord zwischen Serben und Moslems gegeben hat. Natürlich haben diese Dinge dort auch eine Rolle gespielt.
Deswegen sind sie nicht von der Europäischen Union gemacht worden. Deswegen kann man die Europäische Union auch nicht dafür verantwortlich machen, dass dort Menschen ermordet wurden. Aber es gab Bedingungen, die damals, Anfang der 90er-Jahre, solche Dinge begünstigt haben. So viel kritische Reflexion müssen wir uns zugestehen, wenn wir in dieser Bundesrepublik und auch in Sachsen-Anhalt von europäischer Verantwortung sprechen. Wir müssen auch fragen, was die Bundesrepublik Deutschland damals getan oder nicht getan hat, um diese Dinge zu verhindern oder nicht zu verhindern. Dann ist die Schuldfrage eine andere.
- Jetzt warten Sie doch ab! Lassen Sie mich doch einmal ausreden. - Natürlich gibt es zu diesen Dingen keinen Fraktionsbeschluss.
Es gibt innerhalb unserer Fraktion natürlich auch unterschiedliche Bewertungen. Aber das, was Herr Heft gesagt hat, muss natürlich auch vor dem Hintergrund, den ich eben noch einmal genannt habe, reflektiert werden.
Natürlich gibt es bei uns genauso Differenzen und Diskussionen. Herr Kosmehl, Sie haben doch auch mitbekommen, dass über den europäischen Vertrag bei uns intensiv und kontrovers diskutiert worden ist. Eine frühere Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments aus den Reihen der Linkspartei war in dem Konvent und hat ihn bis heute verteidigt. Wir haben eine Abwägungsentscheidung getroffen, was die Frage der Europäischen Union anbelangt. Wir haben die Vorteile dieser Europäischen Union abgewogen und haben zum Beispiel gesagt: Die Grundrechte, die in diesem Vertrag verankert worden sind, sind ein ganz hohes Gut.
Es ist für uns natürlich außerordentlich problematisch - das sage ich Ihnen auch ganz ehrlich; vielleicht sollte man in der Politik nicht so ehrlich sein, aber ich bin es einmal -, es ist für uns eine schwierige Situation, wenn wir gegen diesen Vertrag sind - die Gründe nenne ich gleich noch einmal - und uns auf einmal an der Seite von katholischen Nationalisten in Polen wiederfinden, die sich deswegen gegen diesen Vertrag wenden, weil er zum Beispiel die Rechte von Homosexuellen stärkt. Unter anderem deswegen haben die katholischen Nationalisten in Polen im Übrigen auch ihren letzten Wahlerfolg erzielt.
Das ist für uns ein riesiges Problem. Da zerreißt es uns auch manchmal ein Stück weit. Aber auf der anderen Seite muss man genauso ehrlich sein und feststellen: Es war doch nicht der Widerstand der PDS oder der Linkspartei, der diesen Vertrag zu Fall gebracht hat, sondern der Vertrag ist dadurch zu Fall gebracht worden, dass in zwei entscheidenden Ländern der Europäischen Union, in Frankreich und in den Niederlanden, Volksabstimmungen stattgefunden haben, bei denen dieser Vertrag abgelehnt wurde.
Jetzt sage ich auch wieder unsere Interpretation - das wird nicht Ihre sein -: Der Vertrag ist deswegen abgelehnt worden, weil die Menschen Angst hatten vor einer - jetzt sage ich es noch einmal, Herr Kosmehl; jeder hat seine Auffassung und jeder hat das Recht auf seine Irrtümer auch hinsichtlich der Definition des Neoliberalismus - neoliberalen Europäischen Union. Sie hatten Angst davor, dass Sozialstandards, kulturelle Standards, Lebensperspektiven und Sicherheit in Gefahr geraten. Deswegen haben sie diesen Vertrag abgelehnt.
Darauf können Sie jetzt sagen: Da habt ihr euch geirrt, das ist gar nicht so. Aber auch die Leute, die den Vertrag abgelehnt haben, haben ein Recht auf ihre eigene Meinung. - Das ist die Differenzierung.
Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Sie tun der Europäischen Union keinen Gefallen - das haben jetzt nicht alle gemacht, aber am Anfang der Debatte hatten wir ein bisschen diese Situation -, wenn Sie sie in ihrer innenpolitischen, außenpolitischen und sozialökonomischen Bedeutung als sakrosankt darstellen. Das ist sie nicht.
Wenn Politiker nicht in der Lage sind, über die Risiken und über die Defizite dieser Europäischen Union zu diskutieren, dann reden sie an den Leuten vorbei und dann wird die Europäische Union scheitern. Deswegen sage ich: Wir treten sehr wohl für die Europäische Union ein. Wir sind für die Europäische Union. Aber wir haben substanzielle Kritik daran zu üben, wie sie läuft, und diese werden wir auch artikulieren. - Danke.
Vielen Dank, Herr Gallert. - Frau Klein, wollen Sie noch intervenieren? - Nicht mehr. Dann erteile ich jetzt Herrn Staatsminister Robra das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, eines sollte zum Grundkonsens unter uns allen zählen: Die Europäische Union ist ein Instrument der Friedenssicherung und das wohl erfolgreichste der Welt.