Protocol of the Session on December 15, 2006

Auch sie wurden in der letzten Zeit weniger ideologisch als sachlich, problembewusst und ergebnisorientiert geführt. Das hebt natürlich unterschiedliche Grundpositionen nicht auf, ermöglicht aber eine Verständigung in vielen wichtigen Bereichen.

Zunehmend hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Bildungspolitik, die sich allein auf Strukturfragen beschränkt, kaum Aussicht hat, den von ihr erwarteten Beitrag zu einer guten Schule zu leisten.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Im Gegenteil - ich wiederhole eine Argumentation, die ich oft verwende -: Seit den 70er-Jahren haben uns wiederkehrende Strukturdebatten und Neuauflagen dieser Diskussionen eher von überfälligen Schritten einer nachhaltigen Schulreform abgehalten, als dass sie uns dahin geführt hätten.

(Beifall bei der CDU)

Wenn internationale Leistungsvergleichsstudien eines gezeigt haben, dann das, dass eine gute Schule unter verschiedenen strukturellen Rahmenbedingungen möglich ist, und umgekehrt, dass Schulen unter gleichen strukturellen Voraussetzungen höchst unterschiedlich gut sein können.

Aus guten Gründen wurde daher in der Koalitionsvereinbarung zwischen der CDU und der SPD festgehalten, in dieser Legislaturperiode keine grundlegenden Strukturveränderungen an den Schulen vorzunehmen, um Kontinuität für die Umsetzung inhaltlicher Reformen zu garantieren.

Ich halte das für eine ganz wichtige Formulierung. Der Grund wird mitgeliefert; der Grund ist Kontinuität im Fortsetzen innerer Schulreformen.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Grundlegende Reformen des Bildungssystems sind nach der Überzeugung beider Koalitionspartner ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz in Sachsen-Anhalt nicht mehr möglich. Das bedeutet keineswegs, dass strukturelle Fragen für immer obsolet geworden sind. Mein Grundsatz in den vergangenen Jahren bestand aber immer darin, dass strukturelle Veränderungen nur zu rechtfertigen sind, wenn sie mit sichtbaren und nachhaltigen Effekten für die innere Schulentwicklung einhergehen und sich aus nichts anderem als aus diesen legitimieren.

Parallel dazu muss man sich gedanklichen und konzeptionellen Vorlauf auch jenseits des Alltagsgeschäfts und aktueller Aufgaben schaffen. Ich denke, genau das ist eine wichtige Aufgabe des Bildungskonvents.

Sein Anspruch reiht sich in die Versachlichung der Debatte ein. Der Konvent greift wichtige Fragen und Themen auf. Er tut dies in einer Reihenfolge, die das Bemühen um eine bessere, nämlich gute Schule glaubhaft macht. Er ist nicht auf jene Eile angelegt, die oftmals nur dazu angetan ist, die eigene Ratlosigkeit und Hektik möglichst schnell vergessen zu machen. Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt.

Ich habe selbst vor ungefähr zehn Jahren, damals noch als Vertreter der Wissenschaft, in der Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ die Erfahrung gemacht, dass Abgeordnete viel konstruktiver über grundsätzliche Bildungsfragen diskutieren, als es gelegentlich gepflegte Zerrbilder glauben machen wollen.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Daldrup, CDU)

- Das war doch ein schöner Satz.

(Heiterkeit und Zustimmung - Herr Tullner, CDU: Hoffentlich stimmt er auch!)

Dass die Bereitschaft zu einer sachlichen und aufeinander zugehenden Diskussion besteht, haben übrigens auch die Sitzungen des „Podiums Bildung“ bestätigt. Das Podium als eine Art Vorgängerinstitution des Bildungskonvents wurde vor über einem Jahr gegründet und war eine Initiative des Landesschulbeirates und des Kultusministeriums. Es verstand sich als Plattform für die Erörterung grundlegender bildungspolitischer Probleme und Aufgaben in Sachsen-Anhalt.

Es befasste sich ebenfalls parteiübergreifend mit Problemen der Bildungspolitik, der Zukunft der Schule und griff so wichtige Schwerpunkte auf wie die vorschulische Bildung und Erziehung, den Übergang vom Elementar- in den Primarbereich, die Berufs- und Studienorientierung, das Stichwort Schulqualität, Probleme mit Schulverweigerung und Schulversagen und auch die Zusammenarbeit mit den Eltern unter maßgeblicher Einbeziehung des Landeselternrates auf. Die Schüler selbst haben eine Sitzung eigenverantwortlich vorbereitet und moderiert. Es war übrigens eine herzerfrischende Beobachtung, mit welchem Engagement sich die jungen Leute um die eigenen Belange ihrer Schule gekümmert haben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Schülervertreter im Bildungskonvent aktiv mitarbeiten.

Die Arbeit an dem vom „Podium Bildung“ erstellten Papier „Gute Schule“, das wir dem Konvent übergeben wollen, hat gezeigt, in wie vielen wichtigen Punkten bildungspolitischer Konsens durchaus möglich ist, ohne dass Meinungsunterschiede unterdrückt werden müssen. Man muss nur nicht unbedingt mit ihnen beginnen.

Meine Damen und Herren! Natürlich dürfen wir uns keiner Illusion hingeben. Eine breite gesellschaftliche Mehrheit für bildungspolitische Kernaussagen lässt sich in dem Bildungskonvent nicht herstellen; diese lässt sich allenfalls anbahnen, erörtern und voranbringen. Aber ansonsten haben wir diese Möglichkeit in den Strukturen und in der Zusammensetzung des Konvents so nicht. Diese Mehrheit muss auf eine andere Weise hergestellt werden. Das wollte ich damit sagen. Aber ich halte es nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig, sie durch eine intelligente, fachlich kompetente und engagierte Diskussion anzubahnen.

Die inhaltliche Schwerpunktsetzung des nun zu gründenden Bildungskonvents gibt nach meiner Ansicht An

lass zu der Hoffnung, dass die Arbeit erfolgreich sein wird.

Der Politik ist es auch bei der Zusammensetzung des Konvents gelungen zu zeigen, dass sie seine Arbeit ernst nehmen wird, ohne sie dominieren zu wollen. Ich begrüße es sehr, dass neben dem Sachverstand von Wissenschaftlern und Verbänden, Schulträgern und Kirchen auch die Erfahrung von Schulpraktikern, also von Eltern und Schülern, eingebunden werden soll.

Ich möchte vor allem den Fraktionen der CDU und der SPD für die Formulierung des Auftrages an den Bildungskonvent danken und dem Landtag insgesamt bei Annahme des Antrages eine gute Arbeit in diesem Konvent und eine gute Zusammenarbeit mit den Mitgliedern wünschen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Minister. - Wir werden nun in eine Zehnminutendebatte eintreten.

Doch zuvor haben wir die Freude, Schülerinnen und Schüler des Rathenau-Gymnasiums aus Bitterfeld bei uns begrüßen zu können. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird von dem Redner der Linkspartei.PDS, Herrn Höhn, eröffnet. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. - Dieser Satz ist uns allen bekannt, denke ich.

(Zustimmung von Herrn Gallert, Linkspartei.PDS)

Heute wollen wir einen ganz besonderen Arbeitskreis gründen, nämlich den Bildungskonvent. Die Frage ist: Wissen wir denn wirklich nicht weiter?

(Herr Scharf, CDU: Wissen Sie alles? - Frau Feuß- ner, CDU: Die PDS weiß immer alles!)

- Warten Sie doch ab, Herr Scharf. - Wir haben uns in der vergangenen Legislaturperiode - darauf ist schon eingegangen worden - mehrfach mit den Ergebnissen der Pisa-Studie und anderen Untersuchungen befasst. Ich will die Befunde nicht im Einzelnen nochmals ausführlich beleuchten - Frau Budde ist schon auf einzelne eingegangen -, sie seien nur kurz genannt.

Wir halten im internationalen Vergleich insgesamt im Hinblick auf den Punkt erworbene Kompetenzen nur ungenügend mit. Wir haben eine extrem große Risikogruppe, die sich auf oder unter der Kompetenzstufe I befindet. Wir haben eine im Vergleich zu große Spreizung zwischen den Kompetenzen der Stärksten und der Schwächsten. Wir haben eine zu geringe Studierquote. Viel zu viele Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss. Schließlich haben wir in Deutschland eine nicht hinnehmbare soziale Schieflage innerhalb unseres Bildungssystems.

Nun ist es ja nicht so - auch darauf ist eingegangen worden -, dass die Koalition der letzten Legislaturperiode im Bildungsbereich - auch in Reaktion auf Pisa - nichts ge

tan hätte. Aber wir als Linkspartei hatten und haben - das ist Ihnen bekannt - einen anderen strategischen Ansatz.

Wir hielten und halten es zum Beispiel für falsch, allein mit besseren Hauptschulangeboten die Schulversagerquote bekämpfen zu wollen. Wir müssen stattdessen für alle die Ziele höher stecken. Wir wollen die Kinder mit ihren unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen in den Mittelpunkt von Bildung stellen. Strukturveränderungen ohne Änderung von Inhalten und Lernkultur - darin stimme ich dem Minister zu - sind genauso zum Scheitern verurteilt wie - aber auch das gehört dazu - pädagogische Entwicklungen, die vor strukturellen und sozialen Fragen die Augen verschließen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Es muss unser Ziel sein, so viele Kinder wie möglich mindestens zum Realschulabschluss zu führen. Es geht nicht nur um die Durchlässigkeit von Bildungsgängen, sondern es geht um die Überwindung von Sackgassen.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Huber führte auf der Konferenz „Schule in der Gesellschaft“ der Bertelsmann-Stiftung vor Kurzem in Hannover - einige von uns waren dabei - aus - ich zitiere -:

„Solange unser Schulsystem um einer angestrebten Homogenität willen wie eine Kombination aus Hackbrett und Presse funktioniert, das unten abschneidet und oben deckelt, werden viele Kinder und Jugendliche zum bloßen Rest. Ihre Bildungschancen haben den Charakter von Verlustgeschäften. Ohne Chancen auf Entfaltung ihrer Talente reicht man sie weiter, genauer gesagt, man reicht sie tiefer.“

Er fährt später fort:

„Es sind viel zu viele, die verloren gehen. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht ist dies eine Bankrotterklärung. Denn wer andere verloren gibt, wird selbst zum Verlierer. Dass zu viele verloren gehen, ist auch eine moralische Bankrotterklärung.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies sind klare Botschaften. Das Bedauerliche daran ist, sie sind nicht neu.

Die strukturellen Defizite unseres Bildungssystems auch in Sachsen-Anhalt sind bekannt. Die Landesregierung aus CDU und FDP der letzten Legislaturperiode hat sich an diese strukturellen Defizite nicht herangewagt. Im Gegenteil: Die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in unterschiedliche Bildungslaufbahnen und damit Zukunftsbahnen wurde sogar verstärkt.

Nun gab es eine Landtagswahl. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass auch die jetzt regierende Mehrheit in diesem Parlament nicht gewillt ist, zupackende und dringend notwendige Reformen in diesem Bereich anzustreben. Ich halte das - um es deutlich zu sagen - für eine falsche Entscheidung.

Wir, die Linkspartei.PDS, haben bereits vor der Wahl sehr klar gesagt, was wir verändern wollen. Wir haben dazu einen kompletten Gesetzentwurf vorgelegt. Ich möchte - wie auch Frau Budde - sagen: Auch wir werden unser Konzept in den Bildungskonvent einbringen. In diesem Konzept geht es uns um Inhalt und Struktur gleichermaßen.

Ich möchte die Punkte nennen: Wir wollen alle Bildungsgänge der Sekundarstufe I auf ein gleichwertiges Niveau anheben. Dabei steht die Sekundarschule im Fokus unserer Aufmerksamkeit, das heißt: Angleichung der Schultafel und Anpassung der Bildungsinhalte. Unser Ziel ist die Möglichkeit des Übergangs nach der 9. Klasse an das Gymnasium ohne Zeitverzug.

Die Vollzeitschulpflicht soll wieder auf zehn Jahre angehoben werden. Wir wollen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler mindestens den Realschulabschluss erwerben. Wir wollen eine polytechnisch orientierte Schule. Wir wollen einen Nachteilsausgleich und eine Förderung besonderer Begabungen gleichermaßen. Wir halten den Einsatz zusätzlicher pädagogischer Fachkräfte in der Sekundarstufe I für notwendig.

Letztlich geht es um ein stabiles Schulnetz. Einige unserer Vorschläge dazu haben wir bereits in den Landtag eingebracht.