Protocol of the Session on November 16, 2006

Herr Wolpert, bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aufgrund der durchgeführten Kreisgebietsreform soll nun auch eine Folgeänderung in der Behördenstruktur erfolgen. Das ist ja grundsätzlich erst einmal eine schlüssige Argumentation. Die Frage stellt sich allerdings schon: Welches Ziel soll denn die Reform haben?

Bei der Justizstruktur und der Gerichtsstruktur als einziges Ziel der Reform anzugeben, dass man die Grenzen der Kreise nachvollziehen möchte, damit das Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung erhalten bleibt, erscheint mir doch nicht ganz ausreichend.

(Zustimmung bei der FDP)

Es wird außerdem so getan, als ob eine Reform dringend notwendig wäre und man nun nicht mehr die nötige Zeit hätte, das in einen koordinierten Ablauf zu bringen. Das erweckt den falschen Anschein, dass die Justiz in Sachsen-Anhalt in einer Krise sei und dringend reformbedürftig wäre. Meine Damen und Herren, das ist mitnichten so.

(Beifall bei der FDP)

Für Liberale ist das Ziel, das die Justiz insgesamt erreichen soll, Rechtsfrieden zu schaffen. Dabei sollen möglichst die Grundsätze der Bürgernähe und der Effizienz gewahrt werden. Das heißt zum einen erreichbare Gerichte, zum anderen richtige Urteile.

Schnelle Urteile sind schön, aber das ist eben nachrangig. Insoweit verstehe ich auch den Grundsatz in der Koalitionsvereinbarung nicht, dass nur schnelle Justiz gute Justiz sei. Das ist eigentlich ein relativer Unsinn. Ich denke, wenn durch ein gut abgewogenes Urteil Rechtsfrieden geschaffen wird, dann darf das auch seine Zeit dauern.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Einräumigkeit ist aus fachlicher Sicht in der Justiz nicht wirklich geboten. Sie wird hier auch nicht eingehalten, wie die Justizministerin selbst dargelegt hat. Insbesondere in Halle soll es dauerhaft eine andere Aufteilung geben. Es soll so bleiben wie bisher, nämlich so, dass der ehemalige Saalkreis dort bleibt.

Einräumigkeit soll nicht erhalten bleiben im Bereich Zerbst. Das ist das Problem, das wir vorhin in der Debatte besprochen haben. Da hat es weniger fachliche Grün

de als Kostengründe gegeben. Allerdings ist mir auch nicht ganz klar, Frau Ministerin, ob die Gemeinden, die jetzt mit diesem Änderungsgesetz zum Kreis Anhalt-Bitterfeld zugeordnet wurden, nunmehr im Amtsgerichtsbezirk Burg bleiben oder auch in den Amtsgerichtsbezirk Zerbst mit übernommen werden.

Es ist mir auch nicht klar, was mit dem Wörlitzer Winkel passiert; denn jetzt ist die Situation so, dass der Wörlitzer Winkel einräumig zu Wittenberg gehört und am Amtsgericht Dessau vorbeifährt, um in Zerbst zur Verhandlung zu gehen. Das ist kein schönes Ergebnis. Das gebe ich gern zu. Das kann man dann auch wieder ändern.

Wenn man das Ergebnis aber ändern will, dann stellt sich die Frage: Warum mache ich es jetzt schon? Warum habe ich keine Zeit, um es in Ruhe zu ändern? Es gibt keinen Druck. Die Justiz in Zerbst funktioniert. Ich muss jetzt nichts ändern.

Bei der gesamten Änderung gibt es allerdings ein anderes Problem. Die Behördenstrukturen, über die wir nachher noch diskutieren werden, werden wieder nicht einheitlich gestaltet. Sie haben Recht, Verwaltungsstrukturen sind durchaus auch ein raumordnerischer Faktor. Aber raumordnerische Planung wird bei Ihnen erst nachher gemacht. Soweit ich weiß, steht Herr Dr. Daehre bereits in den Startlöchern. Aber im Moment machen alle Minister erst einmal das, was sie für richtig halten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Dann machen sie alle, was ich will! - Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Das entlässt den Ministerpräsidenten aus der Pflicht, die Führung in die Hand zu nehmen. Er hat nun einen ausgezeichneten Raumordnungsminister, wenn ich dem glauben darf. Allerdings: Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich bin mir nicht sicher, dass Sie alle diese Minister unter einen Hut bekommen, die jetzt schon vorpreschen.

Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht - das hat die Ministerin weggelassen -, dass die eigentliche inhaltliche Vorgabe die ist, Qualitätssicherung durch Aufhebung der Kleinteiligkeit zu erreichen. Ich glaube, diese Gerichtsstrukturen, die Sie jetzt anpacken wollen, sollen eher die Schwierigkeiten hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit umgehen und somit ein Verschiebebahnhof für Richter sein. Darüber kann man sicherlich diskutieren. Ich bin auch gespannt, wie wir das im Ausschuss behandeln.

Aber eines verstehe ich nicht, wenn Sie vom zweistufigen Vorgehen sprechen. In diesem Gesetz zeigen Sie ganz deutlich auf, welche Bezirke es sein werden. Sie zeigen auch auf, dass Sie nur im Bereich Zerbst und Anhalt-Bitterfeld nicht sicher sind, wie es sein wird, und das später noch machen wollen.

Eines ist klar: Sie werden in einem Landkreis AnhaltBitterfeld bei Beibehaltung der Einräumigkeit keine drei Amtsgerichte aufrechterhalten können. Wenn ja, dann frage ich mich schon, warum Halle für zwei Landkreise zuständig sein soll und in einem Landkreis drei Gerichte sein sollen. Diesen Widerspruch werden Sie uns im Ausschuss wie so vieles andere sicherlich erklären. Insbesondere werden Sie uns erklären, warum Sie es jetzt machen müssen und nicht warten können, bis die Dinge geregelt sind und Herr Daehre schon einmal gesagt hat, wie es laufen soll. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Wolpert. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Stahlknecht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum 1. Juli 2007 wird das Gesetz zur Kreisgebietsneuregelung in Kraft treten. Deshalb, Herr Wolpert, brauchen wir zum 1. Juli 2007 funktionsfähige Gerichtsstrukturen im Lande. Das ist der Grund, warum vom Justizministerium dieser Gesetzentwurf vorgelegt worden ist.

In diesem Gesetzentwurf ist - was auch richtig ist - der Grundsatz der Einräumigkeit eingehalten worden. Ich will einmal versuchen, das an einem Beispiel und nicht an den zwei Ausnahmen zu erläutern. Über die will ich gar nicht reden.

(Lachen bei der FDP - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

- Herr Wolpert, ich komme nachher noch darauf zu sprechen.

(Zurufe von der FDP)

Ich weiß, dass Ihr lokalpatriotisches Herz für Bitterfeld schlägt und jede Debatte davon gefärbt ist.

Nun wollen wir uns doch zunächst einmal der Einräumigkeit widmen, und zwar an dem Punkt, wo der politische Widerstand zumindest wesentlich lauter wahrnehmbar ist als in den beiden Fällen, wo wir die Ausnahmen gemacht haben. Der ist nämlich im neuen Salzlandkreis besonders laut, weil dort Bernburg zukünftig dem Landsgerichtsbezirk Magdeburg zugeschlagen wird und eben nicht wie bisher dem Landgerichtsbezirk Dessau.

Wenn man diesen neuen Landkreis in zwei Landgerichtsbezirke und Fachgerichtsbarkeitsbezirke aufteilen würde, dann würde das bedeuten, dass wir in einem Landkreis zwei zuständige Verwaltungsgerichte hätten. Wir hätten grundsätzlich zwei Staatsanwaltschaften. Wenn wir die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität hinzunehmen würden, dann hätten wir sogar drei Staatsanwaltschaften, die sich abstimmen müssten.

Das, meine Damen und Herren, würde ein Bürger niemals verstehen, zumal auch ein sicherheitspolitisches Vakuum insbesondere bei polizeilichen Ermittlungen entstehen würde. Insofern ist es die konsequente und richtige Idee zu sagen, wir organisieren diesen neuen Landkreis zum Landgerichtsbezirk Magdeburg.

Das hat im Übrigen auch auf das Landgericht Dessau kaum eine Auswirkung. Das Landgericht Dessau hat - ich weiß die Zahl nahezu auswendig - 431 000 Gerichtseingesessene. Danach wird die Zahl der Richterstellen von 28 auf 25 reduziert, und der Landgerichtsstandort Dessau ist nach wie vor gesichert.

Meine Damen und Herren! Die Qualität eines Gerichts ist nicht von der Quantität der Gerichtseingesessenen abhängig. Das wollen wir auch einmal festhalten.

(Beifall bei der CDU)

Nun will ich noch einen Punkt aufnehmen, bevor ich auf die Ausnahmen zu sprechen komme.

Herr Wolpert, Sie haben von einem Verschiebebahnhof für Richter im Hinblick auf die richterliche Unabhängig

keit gesprochen. Gemäß Artikel 97 des Grundgesetzes kann ein Richter aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit gegen seinen Willen nicht versetzt werden.

Das hat dazu geführt, dass wir in gewissen Gerichtsbarkeiten einen Richtermangel haben, weil der Pensenschlüssel so hoch ist, dass die vorhandenen Richter nicht ausreichen, um die Arbeit zu erledigen. An anderen Gerichten herrscht dagegen ein etwas entspannteres Leben. Was spricht denn dagegen, jetzt frei werdende Richterstellen in diesem Bereich einzusetzen, wo wir eine erhöhte Anzahl von Fällen haben? Auch das, meine Damen und Herren, gehört zu einer zukunftsfähigen Rechtssicherheit.

Was die Ausnahmen angeht, Herr Wolpert: Außer Ihnen hat sich in meinen Anhörungen auch noch kein Bürger darüber aufgeregt. Das Amtsgericht in Zerbst, das mit viel Geld renoviert worden ist, kann man jetzt aufgrund solch einer Strukturreform auch aufgrund der haushaltspolitischen Verantwortung gegenüber diesem Land nicht schließen. Wenn man dies berücksichtigt, können solche Interessen auch über das Interesse der Einräumigkeit gestellt werden.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Selbst wenn Sie Merseburg und Querfurt hätten nehmen wollen, hätten die dortigen Gebäude nicht ausgereicht, um den Richtern dort ihre Arbeitsplätze einzurichten. Einen Neubau kann sich das Land auch nicht leisten.

Darum ist dieser Gesetzentwurf in sich rund. Er ist schlüssig. Er ist gut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir über ihn in den Beratungen im Rechtsausschuss - ich beantrage, ihn dorthin zu überweisen - gemeinsam vernünftig diskutieren werden und ihn zu einem guten Ergebnis bringen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Stahlknecht. - Herr Kosmehl, Sie dürfen eine Frage stellen. So sehe ich das.

Jetzt wird es wieder spannend.

Bitte.

Herr Kollege Stahlknecht, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie noch einmal die Kostenauswirkungen in den Vordergrund gestellt haben. Das ist sicherlich ein Grund, der es erlauben würde, das Amtsgericht in Zerbst zeitweilig noch funktionsfähig zu lassen.

Ich habe nur eine Frage. Wie beurteilen Sie es, wenn das Amtsgericht Halle dauerhaft - so habe ich die Ministerin verstanden, so steht es auch in der Gesetzesbegründung - für zwei Kreise zuständig sein soll, Sie beim Amtsgericht in Zerbst aber sagen, wir werden nach einer gewissen Zeit, nämlich nach dem Ablauf der Mietbindung, sehen, ob wir das unter Umständen aufgeben und dann vielleicht an irgendeinem anderen Standort bauliche Veränderungen vornehmen, die Sie aber für Halle, also für Merseburg und Querfurt, ausschließen?

Also sind doch verschiedene Gewichte bei der Abwägung vorhanden. Warum gibt es eine dauerhafte Zusicherung für den Standort Amtsgericht Halle und bezüglich des Standortes Zerbst eine Hängepartie?

Nein, ich denke, dass das keine Hängepartie ist. Das Amtsgericht Zerbst hat zunächst einmal dauerhaft Bestand, was auch eine richtige Entscheidung ist. Es wird irgendwann, sicherlich bei einer Strukturreform in zehn bis 15 Jahren, erneute Prüfungen geben. Die Griechen haben schon gesagt, Herr Kosmehl, panta rhei - alles fließt. Das ist hier so.

Wir können heute nicht festlegen, dass das, was wir heute besprechen, in 100 Jahren noch gilt. Aber ich finde, es ist schon eine gute Aussage, wenn man eine Berechenbarkeitsgröße für die Menschen von zehn bis 15 Jahren hat. Übrigens stehen beide Regierungsfraktionen fest dafür zusammen, dass wir hier etwas gemeinsam organisieren, was mindestens zehn Jahre lang hält. Da freut sich die PDS. - Da war noch eine Frage.