Protocol of the Session on November 16, 2006

Wir können heute nicht festlegen, dass das, was wir heute besprechen, in 100 Jahren noch gilt. Aber ich finde, es ist schon eine gute Aussage, wenn man eine Berechenbarkeitsgröße für die Menschen von zehn bis 15 Jahren hat. Übrigens stehen beide Regierungsfraktionen fest dafür zusammen, dass wir hier etwas gemeinsam organisieren, was mindestens zehn Jahre lang hält. Da freut sich die PDS. - Da war noch eine Frage.

Herr Wolpert, bitte sehr.

Dass Sie da fest zusammenstehen, habe ich schon mitbekommen, als Sie die Presseerklärung gemeinsam mit der Ministerin gemacht haben.

Aber, Herr Stahlknecht, Sie haben mir unterstellt, dass ich als einziger diese Reform nicht wolle. Würden Sie mir Recht geben, wenn ich behaupte, dass ich mit keinem Wort gesagt habe, dass ich gegen diese Reform bin, und dass Sie sich mit Ihrer Auffassung irren?

Herr Wolpert, vielleicht würden Sie mir Recht geben, wenn ich Ihnen die Frage stellen würde: Haben Sie mir nicht richtig zugehört? Ich habe gesagt, Sie sind der Einzige, der sich für diesen Bereich sehr lautstark einsetzt, aus lokalpatriotischen Gründen. Das habe ich gesagt. Das zieht sich doch auch in andere Bereiche, wenn es um die Kreisgebietsreform und solche Dinge geht. Dass Ihr Herz dabei schlägt, darf man doch sagen. Ich habe nicht gesagt, dass Sie gegen eine Reform sind. Ich weiß doch, dass Sie einer der Konstruktivsten sind, wenn es um Justizpolitik aus liberaler Sicht geht.

Herr Dr. Köck hat eine Frage. Beantworten Sie diese noch? - Bitte sehr, Herr Dr. Köck.

Wenn ich das zusammenfasse, was Sie vorgetragen haben, gehe ich dann recht in der Annahme, dass Sie beim nächsten Tagesordnungspunkt dem Antrag der Linkspartei.PDS zustimmen werden?

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Das kann ich mir kaum vorstellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Gut. Das wäre geklärt. - Jetzt spricht Frau Tiedge für die Linkspartei.PDS. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ausweichende Antwort des Kollegen Stahlknecht auf die Frage von Herrn Kosmehl zeigt die Krux der gesamten Justizreform, wobei wir heute nur auf einen kleinen Teil eingehen können. Wenn es um die Finanzen geht, dann wird es so hinjongliert: Entweder man kann zumachen oder man kann nicht zumachen, je nach Sichtweise.

Meine Damen und Herren! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir in zunehmendem Maße durch die Landesregierung mit Gesetzentwürfen konfrontiert werden, in denen man sich zu konkreten Sachverhalten und Problemlagen nur halbherzig und nicht punktgenau festlegen will oder vielleicht auch nicht kann, um sich dann im Gesetz eine mehr oder weniger umfassende Verordnungsermächtigung zu erteilen, um völlig am Parlament vorbei Entscheidungen treffen zu können. So ist das auch im vorliegenden Fall.

Aber der Teufel steckt im Detail. Auf den ersten Blick liegt uns heute ein Gesetzentwurf vor, welcher mit seinen Regelungen auch aus unserer Sicht folgerichtig und notwendig ist, wenn eine Kreisgebietsreform realisiert und umgesetzt werden muss. Das sagt natürlich in keiner Weise etwas über die Qualität dieser Reform aus; denn auch bei diesem Gesetzentwurf wird wieder einmal deutlich, dass jedes Ministerium meint, seine eigene Reform durchziehen zu müssen, ohne über den eigenen Tellerrand zu schauen, frei nach dem Hase-Igel-Prinzip: Ich bin all hier. Dass das dann nicht funktionieren kann, zeigt auch der vorliegende Gesetzentwurf.

Meine Damen und Herren! Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es immer noch Unsicherheiten dahin gehend, welche Gemeinden letztlich zum Landkreis Jerichower Land oder zu Zerbst zugeordnet werden sollen oder können. Warten wir erst die Verfassungsgerichtsurteile ab, dann gibt es ein neues Durcheinander.

Um das zu lösen - wenn man an dieser Stelle überhaupt von einer Lösung sprechen kann -, lässt man sich ein Hintertürchen offen. Dieses sieht so aus, dass die Justizministerin die Ermächtigung erhält, den bisherigen Zuschnitt zu korrigieren, frei nach dem Motto: Schauen wir einmal, wohin es uns treibt.

Das Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte lässt aber eine solche Verordnungsermächtigung nicht zu. Ich habe hiergegen auch erhebliche rechtliche Bedenken.

Ist es nicht möglich - Herr Wolpert sprach es ebenfalls an -, zunächst einmal die Struktur der neuen Landkreise festzulegen und dann darauf aufbauend auch die Gerichtsstruktur festzulegen? - Anscheinend nicht.

Ganz schwierig wird es, wenn man die Begründung zu dem Gesetzentwurf betrachtet. Es ist richtig - so steht es in der vorliegenden Begründung -, dass durch die Einbringung dieses Gesetzentwurfes sichergestellt wird,

dass die Handlungsfähigkeit der Justiz auch angesichts der am 1. Juli 2007 in Kraft tretenden Kreisgebietsneuregelung hergestellt wird.

In dem Gesetzentwurf wird darauf abgezielt, dass dem Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung gefolgt werden soll - mit zwei Ausnahmen, die heute ebenfalls schon angesprochen wurden, zum ersten beim Amtsgericht Halle und zum zweiten - das ist besonders prekär zu beurteilen - beim Amtsgericht Zerbst. Denn die gerade neu gebildete Stadt Dessau-Roßlau wird nunmehr wieder geteilt. Die Stadt Roßlau soll zum Bezirk des Amtsgerichtes Zerbst gehören, während der andere Teil der Stadt, also Dessau, dem Bezirk des Amtsgerichtes Dessau zugeordnet werden soll - raumordnerisch betrachtet eine „Glanzleistung“.

Ebenso ist das im Bezirk des Amtsgerichtes Halle. Dort werden die Gemeinden aus dem Landkreis Saalekreis herausgenommen und in die Zuständigkeit des Amtsgerichtes Halle gestellt - obwohl sie eigentlich in die Zuständigkeit des Amtsgerichtes Merseburg gehören -, weil die Richter vom Amtsgericht Halle, die nunmehr auch zuständig sind für Verfahren aus dem Landkreis Saalekreis, nicht im Amtsgericht Merseburg untergebracht werden können und Mittel für den Bau eines Gebäudes nicht vorhanden sind.

Ich frage mich auch, wie die weitere Gerichtsstrukturreform finanziell abgesichert werden soll. Mich hat an der Gesetzesbegründung auch der Umstand verwundert, dass zunächst eine positive Begründung für den Fortbestand der Arbeitsgerichte Halberstadt und Naumburg abgegeben wurde, obwohl überall zu lesen war, dass diese Standorte zur Disposition stehen. Aber man sollte und muss auch weiterlesen.

Ich teile ausnahmslos die Stellungnahme des Richterbundes, Fachgruppe Arbeitsgerichtsbarkeit, die meint, dass der Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung für die Arbeitsgerichtsbarkeit keine Rolle spielen sollte; vielmehr sollten die Erreichbarkeit der Gerichte und damit auch die Bürgernähe eine Rolle spielen.

Mit dem Gesetzentwurf werden unter dem Deckmantel der Einräumigkeit Tatsachen geschaffen, die dazu führen, dass Gerichtsstandorte mit der Begründung, sie seien nunmehr zu klein, aufgelöst werden sollen. Das betrifft zum Beispiel die Arbeitsgerichte in Halberstadt und Naumburg. Durch fachlich nicht begründbare Zuordnungen des bisherigen Bördekreises und des Landkreises Merseburg-Querfurt zu den Arbeitsgerichten Magdeburg und Halle erfolgt eine künstliche Verringerung der Anzahl der Gerichtseingesessenen, die dann wiederum als Begründung für die Schließung dieser Arbeitsgerichte verwendet wird.

Auf die sozialpolitischen Gründe gehe ich heute noch nicht ein. Das behalte ich mir vor, wenn es um den zweiten Gesetzentwurf hinsichtlich der Umstrukturierung der Gerichte gehen wird.

Fazit: Wir finden ein heilloses Durcheinander vor. Eine Anpassung muss erfolgen. Ob diese jedoch in der beabsichtigten Weise erfolgten soll, sollte im Ausschuss geprüft werden.

Deshalb - und nur deshalb - werden wir einer Überweisung in die Ausschüsse für Recht und Verfassung sowie für Inneres zustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke sehr, Frau Tiedge. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann. Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war in der letzten Woche - Herr Stahlknecht war auch dabei - bei der Jahrestagung des Deutschen Richterbundes, Landesverband SachsenAnhalt. Der neue und alte Vorsitzende Herr Tilmann Schwarz, der auch Präsident des Landgerichtes Dessau ist, sagte - ich gebe das jetzt mit meinen Worten wieder -, die Kreisgebietsreform, die am 1. Juli 2007 in Kraft trete, sei das Machwerk der Innenpolitiker. Die Folgen für die Justiz habe man nicht bedacht. Die Rechtspolitiker hätten sich dazu nicht zu Wort gemeldet.

Wenn ich seinen Gedanken zu Ende führe, hätte man die Karte der Gerichtsbezirke nehmen und danach die Landkreisgrenzen ziehen müssen. Wäre das geschehen, brauchten wir die Debatte um diesen Gesetzentwurf nicht. Solchen Überlegungen näher zu treten, würde bedeuten, sich im Elfenbeinturm zu bewegen.

Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass sich die Organisation der allgemeinen Verwaltung nach anderen Kriterien - dabei sehe ich den Raumordnungsminister an - als an den Bedürfnissen einzelner Fachverwaltungen und auch der Justiz zu richten hat. Umgedreht wird ein Schuh daraus.

Ein Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die Gerichtsbezirke - das ist deutlich geworden - an die am 1. Juli 2007 veränderten Kreisgrenzen anzupassen. Dabei geht der Gesetzentwurf richtigerweise den Weg, den Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung weitgehend - die Ausnahmen sind hier thematisiert worden - zu verwirklichen und sich eben nicht allein an den Belangen der Justiz zu orientieren, wohl wissend, dass es in der Folge auch Unwuchten in der Justiz gibt.

Aber der Gesetzentwurf verfolgt ein übergreifendes Anliegen. Für die Bürger werden übersichtliche Strukturen geschaffen, die die neuen Landkreise stärken und zudem die Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Verwaltungen deutlich vereinfachen. Damit leistet die Justiz im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten auch einen kleinen Beitrag dazu, dass die neuen Landkreise zusammenwachsen.

Meine Damen und Herren! Nun stehen in diesem Land mehrere Reformen an. Ich habe den Eindruck, dass der Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung sehr unterschiedlich interpretiert bzw. gehandhabt wird und man ihm auch eine unterschiedliche Bedeutung beimisst. Das hat die Debatte gezeigt. Ich zitiere einmal aus einer Schrift zur Verwaltungsorganisation:

„Einräumigkeit heißt, die Zuständigkeitsbereiche der Fachbehörden mit denen der allgemeinen Verwaltung in Übereinstimmung zu bringen.“

Für die Justiz - das ist keine Fachverwaltung, aber es trifft dort gleichermaßen zu - ist das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weitgehend geschehen. Die Kritiker vornehmlich aus dem Dessauer Raum - das hat Herr Stahlknecht deutlich gemacht - sagen: Das muss auch gar nicht sein. Frau Tiedge hat eben auch gesagt, die Entfernung zum Gericht wäre wichtiger als die Einräu

migkeit. Das sehen wir nicht so. Ich denke, die Veränderungen, die dadurch eintreten, können hingenommen werden.

Zu dem Gerichtsstandort Dessau ist hier bereits einiges gesagt worden. Wir wollen ihn nicht infrage stellen. Ich habe Herrn Schwarz in einem Gespräch mit Frau Kolb vor einem Jahr angeboten, dass man durch die Konzentration von Zuständigkeiten, also dass Dessau landesweit für bestimmte Spezialmaterien zuständig wird, auch einen gewissen Ausgleich schaffen kann. Diesen Weg werden wir weiter verfolgen.

Nun steht eine weiter gehende Reform ins Haus. Wir werden uns über kurz oder lang in diesem Parlament auch darüber zu verständigen haben, ob wir Gerichtsstandorte schließen müssen. Dabei werden sicherlich grundsätzliche Frage zu diskutieren sein. Darum geht es aber in diesem Gesetzentwurf nicht; vielmehr geht es lediglich darum, dass ab dem 1. Juli 2007, wie die Juristen sagen, für die Bürger der gesetzliche Richter gewahrt ist.

Deswegen hoffe ich auf eine zügige Beratung im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Dr. Brachmann.

Damit ist die Debatte beendet und wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 5/321 ein. Einer Überweisung als solcher wurde nicht widersprochen. Ich glaube, es ist klar, dass der Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen wird. Gibt es weitere Überweisungswünsche?

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Innenausschuss! - Herr Wolpert, FDP: Raumordnung!)

- In den für Raumordnung zuständigen Ausschuss und in den Innenausschuss.

Dann stimmen wir zunächst über die Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung ab. Wer der Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Es ist so beschlossen.

Wer stimmt der Überweisung in den Innenausschuss zu? - Das ist die Linkspartei. Damit ist die Überweisung abgelehnt worden.

Wer stimmt der Überweisung in den für Raumordnung zuständigen Ausschuss zu? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist die Überweisung ebenfalls abgelehnt worden.