Protocol of the Session on October 11, 2002

Ausnahmen für Zeitungen und Zeitschriften: Unser dörflicher Getränkeshop in Wulferstedt darf am Sonntagvormittag zwar Zeitschriften verkaufen, dem Kunden darf aber kein Mineralwasser verkauft werden. Das ist ein Irrsinn an Bürokratie. Weitere Beispiele sind die Ausnahmen an Bahnhöfen, Flughäfen, Kur- und Erholungsorten, in ländlichen Gebieten Ausnahmen für bestimmte Waren an Sonntagen usw. usf.

Die Ausnahmen nehmen kein Ende und jede weitere Anpassung würde wieder neue Ausnahmetatbestände bringen.

Das Ladenschlussgesetz ist zur Lachnummer im Ausland geworden. Die ablehnenden Begründungen, die Sie gebracht haben, die ich aus Ihrer Sicht nachvollziehen

kann, hätten eigentlich im Ausland auch so sein müssen. Deswegen frage ich mich, woher nehmen Sie Ihre Behauptungen, dass das so sein wird. Ein Blick ins Ausland - nicht ins Gesetz - erleichtert die Entscheidungsfindung.

Meine Frau ist Russischlehrerin und kam gestern von einer Reise aus Smolensk zurück, von einer Schülerreise mit 13 Schülern. So etwas gibt es wieder; das ist ganz erfreulich. Sie stellte dort fest, dass es Lebensmittelläden im Zentrum der Innenstadt gibt, die rund um die Uhr geöffnet sind. Unglaublich eigentlich in einem Land wie Russland. Aber das gibt es.

Es geht ganz einfach um Folgendes: Für viele Branchen - Post, Bahn, Krankenhäuser - ist das, was hier diskutiert wird, mittlerweile alltäglich geworden. Jeder Einzelhändler, jeder, der durch das Ladenschlussgesetz als Anbieter betroffen ist, geht ein persönliches Risiko ein. Dafür muss man ihm zugestehen, selbst entscheiden zu können, wann er aufmachen möchte. Viele werden das natürlich überhaupt nicht in Anspruch nehmen, weil es nicht notwendig ist; aber sie müssen dürfen, sie müssen ganz einfach dürfen. Das wird dazu führen, dass in den Zentren der Großstädte und auch in anderen Bereichen durchaus wieder eine Belebung der Innenstädte erfolgt.

Wir brauchen eine fachgerechte öffentliche Diskussion. Deswegen begrüße ich auch den Vorschlag des Wirtschaftsministers, im Ausschuss ausführlicher zu berichten und zu beraten. Die deutschlandweite Diskussion hat begonnen; sie wird weitergehen. Lassen Sie uns das gemeinsam ausdiskutieren, natürlich auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsschutzregelungen für die Mitarbeiter und Verkäuferinnen - das ist ganz wichtig -, die aber im Tarifvertrag getroffen werden können. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Dr. Schrader, sind Sie jetzt bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Klein zu beantworten?

Selbstverständlich.

Bitte sehr, Frau Dr. Klein.

Abgesehen davon, dass es in der ehemaligen Sowjetunion schon immer offene Lebensmittelgeschäfte rund um die Uhr gegeben hat: Wir haben dies nie übernommen - so weit ging es nicht.

(Heiterkeit)

Meine Frage ist: Welche Regionen sind Ihrer Meinung nach zurzeit noch berechtigt, den Ladenschluss auszusetzen?

In Sachsen-Anhalt?

In Sachsen-Anhalt.

Das wären in erster Linie die Regionen, in denen das öffentliche Interesse durch die Schäden, die entstanden sind, nachhaltig gegeben ist, also entlang der Elbe. Dort trifft der Tatbestand zu. Der Tatbestand trifft für meine Begriffe auch für die Regionen zu, die direkt an Sachsen angrenzen. Aber hier beginnt es schon: Kann ein Gericht in diesem Fall feststellen, dass es hier auch so sein muss, nur weil es im Nachbarland so geregelt ist? - Wir bedürfen hierbei ganz einfach einer grundsätzlichen Neuregelung. Das Beste ist, ein Gesetz, das sich durch Überregulierung überlebt hat, abzuschaffen.

Einverstanden. - Mir ging es nur um die Region. Gehen Sie einmal abends um 17.30 Uhr durch Bitterfeld. Bitterfeld gehört nun wirklich zu den betroffenen Regionen. Zwei Drittel der Geschäfte in der Hauptgeschäftsstraße haben bereits um 17 Uhr geschlossen, der Rest schließt um 18 Uhr. Es scheint also wirklich vor allem um die an Sachsen grenzenden Regionen zu gehen, wo ein Abschöpfen der Kaufkraft befürchtet wird. Das wollte ich nur bestätigt haben.

Ja. - Entschuldigen Sie, wenn ich darauf kurz erwidern kann. Es obliegt doch dem Landkreis Bitterfeld, hierzu eine wirklich sachgerechte Entscheidung zu treffen. Wenn man feststellt, dass es einfach nicht notwendig ist, soll man es lassen.

Besten Dank, Dr. Schrader. - Frau Rogée, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr.

Herr Dr. Schrader, ich fange einmal mit Ihnen an. - Ich habe schon ganz viele Debatten zum Ladenschluss geführt; das können Sie mir glauben. Es gibt Menschen im Parlament hier, die das wissen. Ich kenne inzwischen alle Argumente, also auch Ihre. Aber ich höre Ihnen zu, das habe ich mir angewöhnt. Das Thema geht mir emotional schon tief ein; das gebe ich zu. Aber ich erwarte, dass man auch meine Argumente anhört.

Sie haben ja die Frage gestellt, woher ich die Begründung für meine Analyse nehme. Ich habe gesagt, es gibt Gutachten. Ich bin sehr eng verbunden mit ver.di, früher HBV. Es gibt Gutachten für den Einzelhandel, für den kleinen Mittelstand; Herr Gürth weiß das. Diese sprechen eine relativ klare Sprache. Deshalb nehme ich den Vorschlag gern an, einmal darüber zu diskutieren. Aber ich behaupte, wir können das nicht in einer Stunde machen. Das ist wie bei den Hartz-Vorschlägen ein etwas größeres Thema.

Ich gebe Ihnen völlig Recht, Herr Rehberger: Es ist ein Bundesgesetz. Das habe ich in meiner Begründung dar

zustellen versucht. Ich habe mich auch ganz bewusst nicht auf den Arbeitsschutz zurückgelehnt, ich habe mich nicht darauf zurückgelehnt, die Verkäuferinnen zu schützen, sondern ich habe ganz bewusst die wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund gestellt; denn es geht uns natürlich in erster Linie um Arbeit.

Zu der Rechtsauffassung, zu dem Beschluss des Verwaltungsgerichts in Halle. Ich gebe zu, dass uns das natürlich schon etwas geärgert hat. Das ist klar. Es ist eine verlorene Schlacht, aber es ist kein verlorener Krieg, das sage ich Ihnen gleich; denn wir werden natürlich kurzfristig beim Oberverwaltungsgericht einen Antrag stellen. Das lief im Jahr 1999 genauso. Halle hatte damals ebenso entschieden.

Ich will gar nicht auf die Begründung eingehen. Vielleicht kann man einmal unter vier Augen darüber sprechen, wie ich das bewerte. Ich glaube, es ist nicht nur eine Rechtsaussage, sondern das hat etwas mit Befindlichkeiten zu tun. Aber es ist egal; der Beschluss liegt vor. Wir werden natürlich den Rechtsweg beschreiten.

Im Moment ging es in dieser Auseinandersetzung um den Landkreis Merseburg. Merseburg ist aus unserer Sicht am wenigsten von der Flut betroffen. Es ist also nicht so, dass es nur um betroffene Regionen geht. Genau deshalb stellen wir die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in Halle infrage.

Ich will Ihnen nicht die Zeit rauben. Ich mache an dieser Stelle Schluss. - Wie gesagt, ich habe natürlich vorher gewusst, dass Sie den Antrag ablehnen. Das geht in die Öffentlichkeit, das ist klar. Dass sich das Parlament so verhält, ist natürlich logisch.

Ich denke trotzdem - darauf baue ich auch -, dass wir gemeinsam über Inhalte diskutieren und gegenseitig die Argumente anhören. Ich glaube jedoch nicht, dass wir bezüglich einer Änderung des Bundesgesetzes einer Meinung sein werden, wobei ich das Gefühl habe, Herr Gürth, Sie sind mit Ihren kleinen Unternehmen schon auf einem guten Weg.

(Beifall bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Aber das ist doch ein faires Angebot - -)

Besten Dank, Frau Rogée. - Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich nun für die SPD-Fraktion der Abgeordneten Frau Budde das Wort. Bitte sehr, Frau Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rehberger, niemand hat Sie aufgefordert, gegen geltendes Recht zu handeln. Das ist wie heute Morgen in der Debatte zur Ausbildungspolitik: Sie begeben sich auf einen Nebenkriegsschauplatz, arbeiten dieses Thema kräftig ab und meinen dann, Sie hätten beantwortet, was in dem Antrag steht. Ich habe nicht über das Ladenschlussgesetz diskutieren wollen; das habe ich in der Einbringungsrede ziemlich deutlich gemacht.

Das Ladenschlussgesetz erlaubt es Ihnen im letzten Satz in § 23, nach welchem Sie als oberste Landesbehörde eine Ermächtigung geben können, diese auch wieder zurückzuholen und im Interesse der Regionen

gestaltend einzugreifen, indem Sie mit Sachsen gleiche Bedingungen verhandeln.

(Beifall bei der SPD - Minister Herr Dr. Rehber- ger: Nein!)

- Natürlich geht es. Wenn Sie wollen, geht es!

(Minister Herr Dr. Rehberger: Nein! - Herr Daldrup, CDU: Es geht nicht!)

- Ich nehme mit: Sie wollen nicht. - Da können Sie sich noch zehn Zentimeter weiter zurücklehnen. Unsere Juristen sagen: Es geht; diese Vorschrift hat genau den von mir genannten Inhalt.

Wenn Sie meinen, dass es anders ist, werde ich keine rechtliche Auseinandersetzung anstreben. Das ist dann Ihre persönliche Auffassung, die ich auch nicht umzukrempeln versuchen werde; dafür kenne ich Sie schon zu lange. Der letzte Satz in § 23 sagt, Sie können es zurückholen.

Das muss auch nicht landesweit sein. Das steht in § 23 gar nicht drin. Vielmehr können sowohl Sie als auch - was Sie per Verordnung geregelt haben - die Landkreise und kreisfreien Städte im Einzelfall Regelungen treffen. Im Normalfall wird es bei den Landkreisen und kreisfreien Städten gemacht. Nun handelt es sich aber um eine Sondersituation, die, denke ich schon, ein Eingreifen des Landesministers erfordert hätte.

(Herr Gürth, CDU: Er hat genau richtig reagiert!)

Sie haben gesagt, die Initiative Mitteldeutschland würden Sie überall uneingeschränkt dort ausgestalten, wo es Sinn macht. - Ich stelle also fest, dass es für Sie in diesem Fall keinen Sinn macht.

(Beifall bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

Da steht aber drin, dass Sie Länder übergreifend zwischen den Verwaltungen kooperieren und die Wirtschaftskraft stärken wollen. Das steht da alles drin.

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

Wenn Sie es schon nicht unter dem Aspekt Ladenschluss sehen, Herr Rehberger,

(Minister Herr Dr. Rehberger: Katastrophe!)

dann müssten Sie von Ihrer Logik her doch wenigstens unter dem Gesichtspunkt Kaufkraft aufmerksam werden, und sagen, dass sie es nicht den Landkreisen und kreisfreien Städten überlassen, in diese Auseinandersetzung zu gehen, sondern es als für den Mittelstand verantwortlicher Minister - der auch noch eine andere Auffassung zum Ladenschlussgesetz hat - an sich ziehen und es mit Sachsen klären.

(Beifall bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Wir kön- nen doch die Sachsen nicht zwingen! Das ist doch Quatsch! Das ist doch abenteuerlich!)

Und dann macht mich auch noch eines stutzig: Sie sagen, Sie und der Wirtschaftsminister von Sachsen hätten von Anfang an eine gemeinsame Auffassung vertreten. - Wunderbar! Die gemeinsamen Auffassungen scheinen aber doch sehr unterschiedlich gewesen zu sein. Am 17. September 2002 erklären Sie in der Zeitung, Sie seien nicht zuständig und würden keine Gespräche aufnehmen, lehnten das ab. Als Sie aber merken, dass die Welle hoch schlägt, gibt es eine Pressemitteilung, dass Sie doch Gespräche dazu aufnehmen würden.