Protocol of the Session on October 10, 2002

(Herr Gürth, CDU: Auch nicht die anwesenden PDS-Abgeordneten?)

Wie in Togo fühle er sich außerdem, der Herr Marsch, wenn er über den Bernburger Karlsplatz schreitet. Was seine Reiseerfahrungen, meine Damen und Herren, im fernen Afrika nun allerdings mit seinem Ärgernis über den Drogenhandel zu tun haben, bleibt wohl das Geheimnis ganz besonderer Logik. Das, meine Damen und Herren, sind in meinen Augen nicht nur persönliche rassistisch gefärbte Äußerungen eines Mitgliedes einer demokratischen Partei, ich halte dies für grobe politische Verantwortungslosigkeit eines Kommunalpolitikers.

(Beifall bei der PDS)

Ich habe sehr wohl Verständnis dafür, dass Bernburgerinnen und Bernburger Zorn und Wut darüber empfinden, dass gesundheitsgefährdende Stoffe - es handelt sich in diesem Fall um illegalisierte Drogen - dort ohne große Schwierigkeiten nahezu frei verkäuflich sind.

Ebenso wie ich Verständnis habe für den Ärger über legalen Drogenmissbrauch in der Bernburger Diskothek „Bernabeum“, zu der Ausländerinnen und Ausländer per Anordnung des Geschäftsführers mittlerweile keinen Zugang mehr haben. Aber Missbrauch bleibt Missbrauch und Straftat bleibt Straftat. Dabei ist es völlig gleich, ob die Tatverdächtigen deutscher oder nichtdeutscher Herkunft sind. Weder Missbrauch noch Straftat werden dadurch harmloser oder schlimmer.

Zu Recht äußerte sich der Oberbürgermeister der Stadt Bernburg - er gehört der CDU an - verwundert und befremdet über den Zusammenhang von Drogenpolitik und Ausländerpolitik, wie es einer Einladung zu entnehmen war, mit der die Bernburger PDS Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu einer öffentlichen Veranstaltung eingeladen hat. Mit Recht, Recht hat er. Aber gerade seine eigenen Parteifreunde haben diesen unrühmlichen Zusammenhang erst hergestellt, nämlich den Zusammenhang, der nun eine sachliche Debatte in der Angelegenheit unmöglich macht.

Solche Konstruktionen, meine Damen und Herren, sind geeignet, die latent vorhandene Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, die auch in der Mitte der Gesellschaft greift und keineswegs nur an ihren Rändern, in unzulässiger Weise mit nachvollziehbaren Ängsten von Bürgerinnen und Bürgern zusätzlich anzuheizen.

Bei der Frage nach der Beurteilung der kriminellen Energie von Menschen oder bei der politischen Diskussion über Kriminalität im Allgemeinen ist es unwichtig, welcher Religion, welcher Hautfarbe oder welcher Herkunft die straffällig Gewordenen sind. Ich kann auch keinen Sinn in der Frage erkennen, warum diese Aspekte dabei von Wichtigkeit sein sollen. Einen ursächlichen Zusammenhang zu konstruieren oder auch nur Raum für solche Spekulationen und Zweideutigkeiten zu lassen, öffnet rassistischen Vorurteilen Tür und Tor.

Marsch ist bekannt für seine rüden und sehr einfach strukturierten Ausfälle. Bereits vor zwei Jahren drohte sich diese Art der politischen Auseinandersetzung zum Eklat auszuweiten, nämlich als überregional tätige Jour

nalistinnen und Journalisten Interesse an einem Antrag der örtlichen CDU zum einschlägigen Thema bekundeten, aufgrund dessen die rassistisch-vulgäre Sprache einzelner CDU-Mitglieder öffentlich zu werden drohte. Dies war einigen Verantwortlichen in der Landes-CDU entweder zu heiß oder zu peinlich. Still und heimlich wurde dieser Antrag aus dem Verkehr gezogen und auf diese Weise den Medien nicht mehr zugänglich gemacht.

Meine Damen und Herren! Sicherlich kann man die Politiker einer politischen Partei nicht in die generelle Haftung dafür nehmen, welche Position sie öffentlich oder nichtöffentlich vertreten. Ich bin aber der Meinung, wir als Landespolitikerinnen und Landespolitiker haben nirgendwo, schon gar nicht auf einer öffentlichen Veranstaltung das Recht, in die Rolle von Privatpersonen zu flüchten oder gar sich aus der Verantwortung zu stehlen. Im Gegenteil, wir sind in die Pflicht genommen, uns im Zweifelsfalle auch gegen die Meinung eigener Parteifreundinnen und -freunde zu stellen, wenn diese den politischen Grundkonsens einer toleranten, humanistischen und weltoffenen Gesellschaft verlassen. Diesen Grundkonsens, meine Damen und Herren, hat Herr Marsch mit seinen Äußerungen als Mitglied der CDU nicht nur nach meiner Auffassung beschädigt.

Die Bernburger CDU stellt sich, wie den Leserbriefen der vergangenen Tage zu entnehmen ist, auf die Seite ihres Kommunalpolitikers und sieht keinen Grund zur Rücknahme oder zur Kritik.

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Spotka, Sie sind auch mit einer ganzen Reihe von Stimmen aus meiner Fraktion - darunter auch meiner persönlichen - zum Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt gewählt worden. Ich möchte nicht nur als Mitglied dieses Landtages, sondern schlicht und ergreifend auch als politisch denkender Mensch vom Präsidenten des Landtages genauso wie von seinem Innenminister wissen, welche Position Sie zu solchen Äußerungen beziehen.

Wenn ich ausschließen soll, dass Sie solche Auffassungen teilen, dann bleibt mir nur eine Vermutung, nämlich die - ich möchte es aussprechen -, dass Sie beide zu feige waren, sich dem innerparteilichen Opportunismus zu entziehen. Allein damit haben Sie dieses Amt beschädigt.

(Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Also!)

Ich hoffe, dass ich mich irre. Ich hoffe sehr, dass ich in Ihnen trotz aller politischen Kontroversen, die wir miteinander haben, sowohl im Hinblick auf den Umgang mit Drogenkonsum und -handel als auch hinsichtlich einer modernen Zuwanderungspolitik, einen engagierten Gegner von Fremdenfeindlichkeit zu kennen weiß. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Danke, Frau Abgeordnete Bull. - Wir treten jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Maertens das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Antrag der PDS-Fraktion kommt völlig unverdächtig da

her Wenn man auf die Begründung verzichtet, dann ist man sogar geneigt, dem zuzustimmen.

Aber die Begründung bezieht sich auf Ereignisse in der Stadt Bernburg. Was aus unserer Sicht weitaus schlimmer ist, sie rückt zwei angesehene Politiker des Landes aus meiner Partei in die Nähe von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Aus diesem Grund ist es

(Frau Dr. Sitte, PDS: Es macht nicht die Begrün- dung, es macht das Verhalten!)

- wissen Sie, Frau Sitte, lassen Sie mich erst einmal ausreden und denken Sie erst einmal ein wenig nach; dann können Sie mir eine Frage stellen -

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU)

notwendig, dass sich die CDU-Fraktion dazu äußert.

Ich möchte nunmehr etwas dazu sagen, wie sich die Situation zurzeit in Bernburg darstellt. In dem Asylbewerberheim in Bernburg leben derzeit etwa 290 Personen. Davon sind 79 Asylbewerber; 215 Anträge von Ausländern, von denen sich zurzeit 15 in Haft befinden, sind abgelehnt worden.

Das Asylbewerberheim ist nach Aussagen der Polizei, des Landkreises und von Straßensozialarbeitern das Zentrum des Drogenhandels. Dabei geht es vor allem um harte Drogen.

Zurzeit gibt es in Bernburg insgesamt 104 schwer Drogenabhängige im Alter von zwölf bis 20 Jahren; der Hauptteil liegt zwischen 16 und 20 Jahren. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.

Der SPD-Landrat hat in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft Drogenprävention den Bereich um das Asylbewerberheim zu einer jugendgefährdenden Zone erklärt. Aus diesem Grund ist jede Verharmlosung der Situation unangebracht.

Wenn Sie, werte Frau Bull, am 26. Oktober 2001 in Bernburg eine Drogenkonferenz veranstalten unter dem Motto „Wir suchen das Gespräch. Wir wollen euch verstehen, aber nichts verbieten“, dann offenbart das ein Problemverständnis, das der Sache nicht gerecht wird.

(Beifall bei der CDU)

Toleranz ist ein hohes Gut, sie wird aber pervertiert, wenn man sie mit Beliebigkeit verwechselt.

(Starker Beifall bei der CDU)

Dass die Menschen in Bernburg angesichts dieser Situation sauer sind, ist verständlich. Das rechtfertigt allerdings nicht, alle Asylbewerber unter Generalverdacht zu stellen oder einen solchen Ausdruck für das Heim zu gebrauchen. Darin stimmen wir mit der PDS-Fraktion absolut überein.

(Frau Bull, PDS: Das denke ich nämlich auch!)

Die Mehrheit der Heimbewohner leidet selbst unter dem Zustand der Stigmatisierung. Die Menschen in Bernburg sind nicht ausländerfeindlich, auch nicht latent ausländerfeindlich und schon gar nicht rechtsextrem. Sie erwarten von Politikern keine rhetorischen Lichterketten, sondern schlicht und einfach für ihre Steuern Schutz vom Staat gegen Drogendeal und Beschaffungskriminalität.

(Starker Beifall bei der CDU)

Ich möchte nun ein wenig auf das eingehen, was Sie andeutungsweise den beiden Herren, dem Herrn Landtagspräsidenten und dem Herrn Innenminister, nahe legen. In dieser Debatte wird bei einem laufenden Ermittlungsverfahren dem Urteil des Gerichts vorgegriffen, obwohl niemand der Sprecher in der Versammlung anwesend war und den Kontext, in dem dieser zu missbilligende Begriff gebraucht wurde, kennt. Die öffentliche Verdammung eines Fehlverhaltens, wie es tatsächlich oder nur vermeintlich geschehen ist, wird bereits vollzogen, bevor das Ermittlungsverfahren den Erfordernissen des Rechts und des Rechtsstaates zum Schutze des Einzelnen Genüge tun kann.

Immer wenn die Moralisierung und Skandalisierung dem Recht vorauseilt, wird es problematisch. Denken Sie an Sebnitz, an die Düsseldorfer Synagoge oder das mit einem Hakenkreuz bemalte Mädchen. Eine die Rechtsordnung achtende Moralität fragt zunächst in Gelassenheit und Achtung den Beschuldigten nach den Gründen seines Verhaltens und nach den rechtfertigenden Erwägungen - vor dem eigenen Urteil, schon gar vor dem öffentlichen Urteilsspruch. Eine diesen Rechtssatz beachtende Moralität legt sich selbst Mäßigung auf. Insbesondere ein Landtagspräsident und ein Innenminister haben sich angesichts eines laufenden Ermittlungsverfahrens zurückzuhalten. Das muss auch die PDS akzeptieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich könnte hier noch einige Dinge anführen, aber mir ist vor allen Dingen noch eines zu sagen wichtig, bevor meine Redezeit zu Ende ist.

Auf der Drogenkonferenz der PDS am 10. September dieses Jahres in Bernburg äußerte eine Frau dem Pressebericht zufolge: „Ich kann nicht verstehen, dass man Herrn Marsch angreifen kann.“ Er habe doch nur ausgesprochen, was viele denken: Vor dem Asylbewerberheim werden unsere Jugendlichen vergiftet. Sie finde den Ausdruck „Bazillenmutterschiff“ nicht schlimm, würde sie doch noch ganz andere Worte dafür finden. Diese Äußerung bekräftige nicht nur die Aussage von Herrn Marsch, sondern verstärke sie noch. - Sie blieb jedoch von Herrn Bull unwidersprochen; sie saß nämlich daneben.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Bull, PDS: Das ist nicht wahr!)

- Ich beziehe mich hier auf einen Zeitungsbericht und nehme das erst einmal so hin.

Herr Abgeordneter Maertens, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich habe das Licht schon gesehen. - Ich möchte also aus diesen Gründen und vor allen Dingen auch weil dieser Antrag in seiner Begründung wirklich an die Substanz geht, sagen, dass wir diesen Antrag ablehnen. Das ist gleichzeitig auch die Erklärung für unseren Alternativantrag.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Maertens. - Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie können mich verstehen; ich habe mich offenbar etwas erkältet. - Ich beziehe den uns vorliegenden Antrag gleich auf den noch immer aktuellen Anlass, den bereits die Kollegin Bull ausgeführt hat.

Ich finde es traurig, dass wir uns heute mit dem Thema der verbalen Verunglimpfung gegenüber Asylbewerbern, Verunglimpfungen, die bis zur Verleumdung gereichen, dass wir uns also hier im Landtag von Sachsen-Anhalt mit einem solchen Thema auseinander setzen müssen.

Es ist nicht beschämend, dass der Innenminister unseres Landes, Herr Jeziorsky, und der Landtagspräsident, Herr Spotka, einer öffentlichen Wahlveranstaltung beigewohnt haben. Aber ich denke, es ist beschämend und dem Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt überhaupt nicht dienlich, dass sie sich bis heute nicht von den Äußerungen des Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes, Herrn Marsch, distanziert haben, der am 1. August auf eben dieser CDU-Wahlveranstaltung das Asylbewerberheim als „Bazillenmutterschiff“ bezeichnet hat. Ich hätte erwartet, dass dies unmittelbar nach den verbalen Entgleisungen des CDU-Politikers noch während der Veranstaltung erfolgt wäre.