Protocol of the Session on October 10, 2002

Zunächst ist beantragt worden, die Beschlussempfehlung in den Ältestenrat zurückzuüberweisen. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Das ist die Mehrheit. Damit ist die Rücküberweisung des Antrages abgelehnt worden.

Jetzt stimmen wir über die Beschlussempfehlung des Ältestenrates ab. Der Ältestenrat empfiehlt dem Landtag, den Antrag in der Drs. 4/64 abzulehnen und damit einen Rat für Zukunftsfähigkeit nicht zu bilden. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gleiche Mehrheitsverhältnisse bei umgekehrten Vorzeichen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 7 abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung

Stellungnahme zu dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend die Ablehnung eines Aktenvorlageersuchens durch die Landesregierung Schleswig-Holsteins - 2 BvK 1/01 -

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung - Drs. 4/221

Berichterstatterin des Ausschusses ist Frau Röder. Bitte schön, Sie haben das Wort.

In seiner 4. Sitzung am 18. September 2002 hat sich der Ausschuss für Recht und Verfassung mit dem Bundesverfassungsgerichtsverfahren 2 BvK 1/01 beschäftigt. Der Ausschuss sollte entscheiden, ob er dem Landtag eine Empfehlung für die Abgabe einer Stellungnahme gibt.

Bei diesem Verfahren handelt es sich um eine Klage der Landesregierung Schleswig-Holsteins gegen die Mitglieder des Bildungsausschusses im Landtag von Schleswig-Holstein. Nach der Auffassung der dortigen Landesregierung liege in dem Verlangen nach Vorlage verschiedener Unterlagen aus der Landesregierung an den Ausschuss ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Landesverfassung und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Eigenverantwortung der Landesregierung vor.

Unser Ausschuss beschäftigte sich mit diesem Verfahren, da die Überlegung im Raum stand, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte die Rechtsansicht der Landesregierung Sachsen-Anhalts in vergleichbaren Fragen beeinflussen. Im Kern geht es schließlich um die Frage der Reichweite des parlamentarischen Auskunftsrechts.

Der Ausschuss entschied sich mehrheitlich, keine Empfehlung für eine Stellungnahme abzugeben, und zwar in erster Linie aus den folgenden beiden Gründen.

Zum einen hat Schleswig-Holstein eine andere Landesverfassung als Sachsen-Anhalt. Die Entscheidung, die

das Bundesverfassungsgericht treffen wird, wird auf dieser Rechtsgrundlage, auf der schleswig-holsteinischen Landesverfassung beruhen. Deshalb kann man auch nicht sofort Schlüsse in Bezug auf die Rechtslage in Sachsen-Anhalt ziehen.

Zum anderen haben wir es einer schleswig-holsteinischen Besonderheit zu verdanken, dass sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit diesem Verfahren beschäftigt. Normalerweise wäre nämlich ein Landesverfassungsgericht dafür zuständig. In Schleswig-Holstein gibt es dieses nicht. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe an sich gezogen. Angesichts dessen kann man nicht automatisch Rückschlüsse auf die Rechtslage in Sachsen-Anhalt ziehen.

Wie gesagt hat sich der Ausschuss aus diesen Gründen mehrheitlich dafür entschieden, keine Empfehlung für eine Stellungnahme abzugeben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Röder. - Es wird über diese Frage eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion geben. Ich darf daran erinnern, dass es im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Debatte über eine solche Frage noch nicht gegeben hat. Die Debattenredner können sich also bewusst sein, dass sie hier an einer Premiere mitwirken. Die Premiere wird eröffnet mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Frau Grimm-Benne. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum wiederholten Mal bietet eine Vorlage Anlass für eine Debatte über das Miteinander und den Umgang der Abgeordneten in dieser Legislaturperiode. Was in der vergangenen Legislaturperiode scheinbar noch gang und gäbe war, ist in dieser Legislaturperiode leider nicht mehr gegeben.

Der Ausschuss für Recht und Verfassung hat sich mit der Frage zu beschäftigen gehabt, ob er eine Stellungnahme zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abgibt oder nicht, wie es die Berichterstatterin des Ausschusses wiedergegeben hat.

Das konkrete Verfahren in Schleswig-Holstein war bereits Gegenstand im Ausschuss für Recht und Verfassung der vergangenen Legislaturperiode. Wie ich als neue Abgeordnete in dem Protokoll über die damalige Ausschusssitzung nachlesen konnte, hatten sich auch Vertreter der CDU-Fraktion dahin gehend geäußert, in diesem Verfahren eine Stellungnahme abzugeben.

In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geht es inhaltlich um Parlamentsrechte. Es geht um die Frage der Reichweite des parlamentarischen Auskunftsrechts, also um Befugnisse von Abgeordneten gegenüber der Landesregierung. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein wirft Mitgliedern eines Ausschusses vor, dass sie mit ihrem Verlangen auf Vorlage von Unterlagen und Akten gegen die schleswig-holsteinische Verfassung verstoßen hätten.

Angesichts dieser Problematik wäre es doch zumindest angebracht gewesen, diese Frage auch inhaltlich und nicht nur verfahrensmäßig im Ausschuss zu diskutieren bzw. eine Stellungnahme nicht kategorisch abzulehnen.

Auch wir als SPD-Fraktion haben uns im Ausschuss für eine Stellungnahme ausgesprochen.

Das Verfahren bietet Anlass, einmal grundsätzlich über die Frage nachzudenken, inwieweit der Ausschuss in Zukunft Stellungnahmen zu verfassungsgerichtlichen Verfahren empfehlen will oder ob es auch weiterhin bei einer sehr restriktiven Handhabung bleiben soll. Doch zu einer Diskussion über diese grundsätzliche Frage kam es in der besagten letzten Ausschusssitzung nicht.

Immerhin räumen die Verfassungsgerichte den Landtagen die Möglichkeit der Stellungnahme ein und die Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt beinhaltet auch Vorschriften dazu. Es wäre also zu Beginn der Legislaturperiode ein guter Zeitpunkt gewesen, über diese Frage zu debattieren. Immerhin sind die meisten Mitglieder des Rechtsausschusses neu in diesem Gremium.

Es ist natürlich nicht empfehlenswert, zu jedem Verfahren eine Stellungnahme abzugeben. Aber man sollte den Einzelfall betrachten und von dem eingeräumten Recht auf Stellungnahme gegebenenfalls Gebrauch machen. In dem konkreten vorliegenden Fall wäre eine Diskussion angebracht gewesen.

Sicherlich gibt es in dem Verfahren die Besonderheit, dass in Schleswig-Holstein kein Landesverfassungsgericht existiert und daher das Bundesverfassungsgericht mit der Angelegenheit betraut ist. Dies ändert aber nichts daran, dass es in dem konkreten Fall um Exekutivrechte geht, die auch Parlamentarier in anderen Bundesländern betreffen und somit auch hier von Interesse gewesen wären.

Daher lehnen wir die Beschlussempfehlung ab.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Schulz.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Bereits in der dritten Wahlperiode hat sich der Ausschuss für Recht und Verfassung mit der Frage befasst, ob eine Stellungnahme zum Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zwischen der Landesregierung Schleswig-Holsteins und zehn Abgeordneten des dortigen Bildungsausschusses abgegeben werden soll.

Das Bundesverfassungsgericht ist angerufen worden, über die Frage zu entscheiden, wann die Landesregierung von Schleswig-Holstein von ihrem Verfassungsrecht Gebrauch machen kann, die von einem Viertel der Mitglieder eines Ausschusses des Landtages verlangte Aktenvorlage abzulehnen, wenn hierdurch Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung beeinträchtigt werden. Gegenstand des Verfahrens ist also der Umfang des Aktenvorlagerechts des Parlaments gegenüber der Exekutive.

Nachdem der damalige Rechtsausschuss eine Entscheidung vertagt hatte, musste sich der neu gebildete Rechtsausschuss hiermit befassen.

Die CDU-Fraktion empfiehlt dem Landtag, keine Stellungnahme in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren abzugeben. Die CDU-Fraktion hat sich bei ihrer Ent

scheidung zunächst einmal von der bewährten Tradition und der bisherigen Praxis des Parlaments leiten lassen.

Nach Auskunft der Parlamentsdokumentation ist dem Landtag von Sachsen-Anhalt seit dem Beginn der zweiten Wahlperiode zwölfmal vom Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Nur zweimal ist der Landtag diesem Ansinnen nachgekommen, einmal im Dezember 1994 und ein weiteres Mal im Mai 1996. Im ersten Fall wurde dem Landtag vom Bundesverfassungsgericht ein ausführlicher Fragenkatalog zur Beantwortung vorgelegt. Der zweite Fall betraf das Hochschulgesetz des Landes SachsenAnhalt selbst.

Wir haben uns gestern beim Bundesverfassungsgericht über den Stand des Verfahrens telefonisch informiert. Danach könnte der Landtag im jetzigen Hauptsacheverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich noch eine Stellungnahme abgeben. Bisher haben nur einige wenige Landesparlamente von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Uns wurde seitens des Bundesverfassungsgerichts aber auch mitgeteilt, dass die Abgabe von Stellungnahmen eher die Ausnahme ist.

Daher stellt sich uns die Frage, ob im vorliegenden Fall zwingende Gründe vorhanden sind, die die Abgabe einer Stellungnahme gebieten. Zwingende Gründe sind nach unserer Auffassung nicht ersichtlich; denn dem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht liegt ein Rechtsstreit zwischen der Landesregierung von Schleswig-Holstein und einzelnen Abgeordneten des Landtages von Schleswig-Holstein über die Auslegung von deren Landesverfassungsrecht zugrunde. Die Rechts- bzw. Verfassungsfrage wird daher ausschließlich im Hinblick auf Schleswig-Holstein entschieden. Insofern ist Sachsen-Anhalt von dem Verfahren nicht unmittelbar betroffen.

Die Frage, ob das Land Sachsen-Anhalt von einer etwaigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wenigstens mittelbar betroffen sein könnte, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Eine solche mögliche Betroffenheit könnte sich aus § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ergeben. Diese Vorschrift bestimmt, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden.

Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Landesregierung von Schleswig-Holstein auf Seite 29 ihrer Antragsschrift ausdrücklich die im Vergleich zu SchleswigHolstein andere Verfassungsrechtslage in Sachsen-Anhalt herausstellte.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht die für Schleswig-Holstein zu entscheidende Rechtsfrage auch ohne eine Stellungnahme Sachsen-Anhalts beurteilen und, ich denke, gut beurteilen und entscheiden kann. Deshalb sehen wir keine Notwendigkeit, dem bereits vorliegenden Rechtsgutachten ein weiteres hinzuzufügen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bevor ich der Abgeordneten Frau Tiedge das Wort gebe, habe ich die Freude, auf der Zuschauertribüne Damen und Herren des Komitees für Interkulturelle Begegnung aus Stendal begrüßen zu können

(Beifall im ganzen Hause)

Nun bitte Frau Tiedge für die PDS-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie weit darf die Legislative der Exekutive in die Karten schauen? Diese, ich gebe zu, etwas platte Frage hat aber auf den Punkt gebracht das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Und diese Entscheidung wird nicht nur für Schleswig-Holstein, dessen Landesregierung in diesem Verfahren Antragstellerin ist, von Bedeutung sein, sondern wird auch auf die Parlamente in allen Ländern in der BRD Auswirkungen haben. Und mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung wird die Tragweite verkannt.

Der Kern des Verfahrens ist, dass im Zuge der Nachfinanzierung des Nachtragshaushaltes fehlerhafte Veranschlagungen bei den Lehrerpersonalausgaben aufgedeckt wurden. Die Landesregierung verweigerte den Abgeordneten die beantragte Herausgabe von Akten zu diesem Vorgang mit der Begründung, dass deren Bekanntwerden die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesregierung beeinträchtigen würde - eine, wie gesagt, sehr schwammige Begründung.

Da auch in dem dortigen parlamentarischen Einigungsausschuss keine Einigung erzielt werden konnte, hat die Landesregierung, um diesem Informationsverlangen nicht nachkommen zu müssen, das Bundesverfassungsgericht angerufen. Grundlage dafür ist die so genannte Klagelastumkehr. Das heißt, dass nicht das Organ, das die Information begehrt, die Herausgabe einklagen muss, sondern dass die Landesregierung zur Abwehr dieses Verlangens das Bundesverfassungsgericht anrufen muss.

In allen Landesverfassungen, so natürlich auch in der des Landes Sachsen-Anhalt, ist ein Frage- und Auskunftsrecht der Mitglieder des Landtages und das Recht auf die Vorlage von Akten durch die Landesregierung verankert. Anders als in der Landesverfassung von Schleswig-Holstein ist das im Artikel 53 unserer Landesverfassung zwar nicht nur eine Kannbestimmung, sondern die Landesregierung hat auf den Antrag hin die Akten herauszugeben. Aber auch in Sachsen-Anhalt kann die Landesregierung diesem Verlangen widersprechen, wenn die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Regierung wesentlich beeinträchtigt werden. Das heißt, es ist nur in Nuancen eine andere Ausgestaltung als in der Landesverfassung von Schleswig-Holstein.

Das Bundesverfassungsgericht wird also mit seiner Entscheidung die Hürde dafür vorgeben, wann diese Beeinträchtigung der Arbeit der Landesregierung beginnt und inwieweit die Rechtsposition des Landesparlamentes gestärkt oder geschwächt wird. Das ist umso bedeutender, weil es sich bei dem vorliegenden Streitgegenstand um den Landeshaushalt von Schleswig-Holstein handelt, dessen Verabschiedung gerade eine in der Verfassung festgelegte originäre Aufgabe des Landtages ist.

Seit Jahren fordern wir mehr Transparenz zwischen der Exekutive und der Legislative, fordern wir eine Stärkung der Rechtspositionen des Parlaments anstelle von Geheimhaltung und Misstrauen. Und weil die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch Auswirkungen auf