Protocol of the Session on November 11, 2005

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Für Gesamtdeutschland wird eine im internationalen Vergleich straffe Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Lernkompetenz festgestellt. Das war im Jahr 2000 so und wurde auch für das Jahr 2003 attestiert.

Im Ländervergleich - bei Pisa 2003 wurde die mathematische Kompetenz untersucht - wird für Bayern, Sachsen und Thüringen eine günstige Kombination festgestellt: ein hohes Kompetenzniveau bei schwacher Koppelung an die soziale Herkunft. Das Land Sachsen-Anhalt liegt im guten Mittelfeld.

Problematisch ist die Kombination: niedriges Kompetenzniveau bei enger Koppelung an die sozialer Herkunft, die in einigen Ländern, etwa Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Bremen, vorzufinden ist.

Diese Aussage wird jedoch durch die Bewertung der relativen Wahrscheinlichkeit des Besuches eines Gymna

siums für Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Schichten nach der ESCS-Verteilung konterkariert. Diesen Fakt haben Sie, Frau Mittendorf, herausgegriffen.

Es wird festgestellt, dass die relative Wahrscheinlichkeit des Besuchs eines Gymnasiums für Jugendliche aus den beiden oberen Quartilen der ESCS-Verteilung um ein Mehrfaches größer ist. Hinsichtlich des Ausmaßes der Erhöhung gibt es zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede. In diesem Punkt - darin gebe ich Ihnen Recht - weisen Bayern und Sachsen-Anhalt einen sehr großen Abstand zum nationalen Durchschnitt auf. - So weit das Ergebnis der wissenschaftlichen Studie.

Es ist grundsätzlich richtig, dass eine strenge Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg kritisch hinterfragt werden muss. Allerdings spielen dabei vielfältige Faktoren eine Rolle, die zum Teil auch nur bedingt von der Politik beeinflusst werden können. Dazu gehört die individuelle Intelligenz sicherlich ebenso wie die familiären Bedingungen, etwa eine bessere Förderung durch ein bildungsnahes Umfeld, die verstärkte Nutzung von Förderunterricht in den Familien, bessere häusliche Bedingungen zum Lernen oder auch nur eine stärkere Betonung des Wertes von Bildung in der Familie. Schließlich müssten auch die der Erhebung zugrunde liegenden Methoden und die Schichteneinteilung kritisch geprüft werden.

Der Befund, dass im Jahr 2003 in Sachsen-Anhalt eine Chancenungleichheit nachgewiesen wurde, bedarf einer gründlichen Analyse und nicht einer vorschnellen polemischen Schuldzuweisung, wie Sie, Frau Mittendorf, sie vornehmen und auch in der Vergangenheit vorgenommen haben.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Im Zusammenhang mit den im Jahr 2002 bekannt gegebenen schlechten Ergebnissen der ersten Pisa-Studie zwischen den Bundesländern, die sich auf das Jahr 2000 bezog, stellten Sie, Frau Mittendorf, im Jahr 2002 richtig fest, dass die Probanden ein klassisch gegliedertes Schulsystem durchlaufen haben, das von der CDUFDP-Regierung Anfang der 90er-Jahre eingeführt worden war.

Nach den Vorabinformationen zu der Studie Pisa 2003, die ein deutlich verbessertes Leistungsniveau erkennen ließen, schrieben Sie dann im Juli dieses Jahres: Die jetzt getesteten Jugendlichen haben die Förderstufe durchlaufen. - So weit, so richtig steht es auf der Homepage der SPD-Fraktion. Allerdings kann man dort nicht lesen, dass die zweite Studie gegenüber der ersten Studie einen stärkeren Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft in Sachsen-Anhalt aufweist. Nun könnte man ebenso platt wie Sie formulieren: Die Förderstufe hat den Besuch eines Gymnasiums für Kinder aus den unteren sozialen Schichten erheblich erschwert.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Bereits im Jahr 2000 wurden die Chancen für den Besuch eines Gymnasiums in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu sozialen Schichten untersucht. Wenngleich der direkte Vergleich zum Jahr 2003 wegen der anderen Einteilung schwieriger ist, fällt auf, dass Sachsen-Anhalt im Jahr 2000 im Ranking der gerechten Bildungssysteme nach Sachsen, Brandenburg und Thüringen den vier

ten Platz belegte. Im Jahr 2003 dagegen - ich erinnere an die Probanden, die die Förderstufe durchlaufen mussten - war Sachsen-Anhalt auf Platz 15 abgerutscht.

Ich darf zur Unterstützung noch einmal Frau Mittendorf zitieren, die in der vorigen Woche sagte:

„Die von CDU und FDP inzwischen beschlossenen Zugangsbeschränkungen zum Gymnasium bzw. die Wiedereinführung des Hauptschulbildungsgangs fanden in dieser Studie noch keine Berücksichtigung.“

(Frau Mittendorf, SPD: Kann ja nicht!)

Sie haben Recht. Anderenfalls wäre das Ergebnis wahrscheinlich besser ausgefallen. - Man könnte so fortfahren.

Das zeigt, dass die Debatte der SPD keine Grundlage hat. Das Ergebnis, das Sie beklagen, stammt aus Schulsystemen, die wir in den letzten Jahren reformieren mussten und vor allen Dingen inhaltlich neu ausgerichtet haben. Schnellschüsse, unausgegorene Konzepte, ideologisierte Bildungsansätze wie Ihre Gemeinschaftsschule sind der Sache nicht dienlich, verunsichern und führen in eine Sackgasse.

Insgesamt ist die Debatte ein Beispiel dafür, wie man bei einem populären Thema mit einer unreflektierten Wiedergabe von Teilergebnissen bisweilen Stimmung machen kann, was dem Gesamtergebnis schadet.

(Zustimmung bei der CDU)

Deshalb bleibt nur festzustellen: Es ist wichtig, dass wir über die Ergebnisse von Pisa 2003 nachdenken und politisches Handeln hinterfragen. Das tun wir als Koalition. - Besten Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Dr. Volk. - Für die Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Herr Höhn. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn dieser Legislaturperiode hatten wir schon einmal eine Aktuelle Debatte zum Abschneiden der Bundesrepublik bzw. des Landes Sachsen-Anhalt beim Pisa-Test. Nun neigt sich die Wahlperiode dem Ende entgegen und die nächste Aktuelle Debatte, dieses Mal zu dem neuesten Test, hat dieses Haus erreicht.

Um es vorwegzunehmen: Den Durchbruch haben wir nicht geschafft. Zwar haben wir Steigerungen im Gymnasium zu verzeichnen - das ist auch anzuerkennen -, aber das ist auch schon alles. Zufriedenheit wäre völlig fehl am Platze. Im Grunde plagen uns dieselben Probleme wie vor drei Jahren.

Eines will ich auch sehr deutlich sagen - damit komme ich auf die Bemerkungen zur Förderstufe zu sprechen -: Dass wir nach wie vor nicht über das Mittelmaß hinauskommen, dafür tragen alle hier im Haus vertretenen Parteien mit ihren Entscheidungen seit 1990 Verantwortung.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Vor 1990!)

Niemand kann sich wegducken; alle müssen die Politik der letzten Jahre kritisch überprüfen. Bevor ich darauf und auf unsere Vorschläge für die Zukunft zu sprechen

komme, will ich auf einige Ergebnisse der Studie etwas näher eingehen.

Der Pisa-Ländervergleich zeigt, dass Sachsen-Anhalt mit einer Chance von 6,2 : 1 nach Bayern den zweiten Platz hinsichtlich der Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Hintergrund der Familien einnimmt.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Nicht des Bil- dungserfolgs, sondern der Schulform!)

- Herr Olbertz, ich habe bei Ihnen auch nicht dazwischengeredet.

(Minister Herr Dr. Daehre: Aber doch!)

Sachsen-Anhalt liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Schülerinnen und Schüler derselben Schulform besitzen je nach ihrem elterlichen Hintergrund einen Kompetenzvorsprung von bis zu zwei Schuljahren. Bedenkt man, dass sich die mittleren Kompetenzwerte zwischen den unterschiedlichen Schulformen in Sachsen-Anhalt um mehr als 100 Punkte - das entspricht etwa zwei Schuljahren - unterscheiden, dann wird die Mär von der Chancengleichheit und der Gleichwertigkeit der Bildungswege offensichtlich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Wer also in der Hauptschule oder bei uns im Hauptschulunterricht landet, hat kaum noch die Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben.

(Frau Feußner, CDU: Quatsch!)

Interessant ist, dass sich die Niveaus in Sachsen-Anhalt dabei stark überschneiden. So erreichen Sekundarschüler Kompetenzwerte von bis zu 600 Punkten, die niedrigsten Werte bei Gymnasiasten liegen aber deutlich unter 500 Punkten.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Genau!)

Die Zuordnung zu bestimmten Bildungsgängen entspricht also in vielen Fällen nicht dem tatsächlich erreichten Kompetenzniveau. Die im Sommer vorgestellte Studie von Klemm und Bock geht davon aus, dass schulische Erfolge in hohem Maße von der sozialen Lage in den Ländern abhängig sind. Der Erfolg des Freistaates Bayern scheint ein Beleg dafür zu sein. Sachsen-Anhalt hat nach dieser Studie in fast allen Parametern die ungünstigsten Voraussetzungen. Damit scheint das schlechte Abschneiden erklärbar.

Nun hat die Länderstudie Pisa-E festgestellt, dass der sozioökonomische Status der Länder zwar Einfluss auf das Leistungsniveau hat, die grundsätzlichen Befunde aber auch nach Ausblendung dieses Status erhalten bleiben. Sachsen-Anhalt kann seine Schwächen in der sozialen Abhängigkeit also nicht auf die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechten Wirtschaftsdaten schieben. Es geht hier auch und in erheblichem Maße um die Qualität der Schule.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ein letzter Punkt der Pisa-Studie, den ich erwähnen möchte, betrifft die Gegenstrategien an den Schulen. Die Studie unterscheidet zum einen Schulen mit einem problematischen sozialen Umfeld und Schulen mit einem unproblematischen sozialen Umfeld und zum anderen Schulen, die aktiv Gegenstrategien entwickeln, und solche, die das nicht tun.

Im Ländervergleich zeigt sich, dass Sachsen-Anhalt als einziges ostdeutsches Bundesland solche Gegenstrategien am wenigsten nutzt und das zweifelhafte Niveau der alten Bundesländer erreicht hat. Diesbezüglich besteht - anders als etwa in den Schulen in Sachsen und Thüringen - ein erheblicher Nachholbedarf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf mehr Details der Studie möchte ich nicht eingehen. Ich komme zu dem, was die Linkspartei.PDS an Vorschlägen für die Zukunft einzubringen hat.

Im Übrigen, Herr Minister, hätte ich mir zu dem, was Sie in Zukunft vorhaben, auch ein bisschen mehr gewünscht als das, was Sie in dem letzten Absatz vorgebracht haben.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Das war nicht Gegenstand der Aktuellen Debatte! - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Ein Kommentar in der „Volksstimme“ dieser Tage war überschrieben mit: „Fördern, fördern, fördern“. Das ist zweifellos auch die Grundaussage der Pisa-Schlussfolgerung. Aber Fördern, so die Pisa-Studie, muss bei den Leistungsschwachen beginnen. Ich setze hinzu: Beim Fördern muss man die Leistungsfähigkeit von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern besser im Auge haben. Diese aber landen nach der landespolitischen Logik bei gleicher Leistungsfähigkeit sechsmal häufiger in Schulformen mit geringerem Anspruchsniveau.

Pisa 2003 zeigt mit dem Nachweis der nach wie vor hohen Abhängigkeit des Lernerfolgs vom sozialen Hintergrund endgültig, dass die frühe Aufspaltung in unterschiedliche Bildungsgänge keinen erfolgreichen Weg aus der Bildungsmisere zu weisen vermag.