Protocol of the Session on May 27, 2005

(Frau Mittendorf, SPD: Schön sachte!)

- Natürlich mit unterschiedlichen Nuancen. Es wäre auch schlimm, wenn wir uns 100-prozentig einig wären; denn dann wüssten wir nicht mehr, ob das, was darauf steht, auch darin ist.

(Zuruf von der PDS)

Ich sehe, die Lampe blinkt. - Vielleicht noch etwas zur inneren Schulreform. Sie haben angeregt, ein großes Symposium durchzuführen. Unser Landtagspräsident - er hatte eine Einladung zum finnischen Botschafter - war so nett, mich mit dorthin zu nehmen. Dort war auch ein Vertreter des Kultusministeriums aus Helsinki. Finnland ist ja hier ein beliebtes Thema. Wir haben uns dort intensiv über dieses Thema verständigt. Die Finnen haben gesagt: Das ist alles richtig; wir haben 1960 ange

fangen; wir haben 1955 angefangen; aber das, worauf es bei euch ankommt, sind die inneren Reformen; diese müsst ihr ordentlich durchführen; ihr müsst die inneren Stellschrauben stellen, dann kommt ihr auch in Sachsen-Anhalt vorwärts; das, was ihr noch braucht, ist Kontinuität. - Das haben der Botschafter und der Chef des Kultusministeriums aus Helsinki gesagt. - Danke.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und von der Regierungsbank)

Herr Dr. Schellenberger, gestatten Sie eine Nachfrage von Frau Mittendorf?

Ich habe die Meldung schon gesehen. Frau Mittendorf, bitte, immer. Ich freue mich darauf.

Lieber Kollege Schellenberger, ich denke, wir sind uns bezüglich der Zielstellung, dass die Bildungsabschlüsse zu verbessern sind, einig. Das gilt nicht nur für Hauptschulabschlüsse, wenn man diese denn will, sondern

(Herr Dr. Schellenberger, CDU: Für alle!)

generell, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern. Ich muss aber etwas nachfragen. Sie haben gesagt, nach drei Jahren in der Landesregierung kann man das nicht alles leisten. Das ist insoweit richtig, als dass Bildungsprozesse langfristig laufen. Im Berufsbildungsbericht 2004 wird aber - Herr Schellenberger, deshalb frage ich Sie - festgestellt, dass wir 14 % Schulabgänger ohne Abschluss haben. In den Papieren, die von der Landesregierung vorgelegt worden sind, wird für 2011/2012 ein Wert von 16 % prognostiziert. Danach liegt der Prognosewert bei 15,5 %.

Herr Schellenberger, wie schätzen Sie es ein, dass trotz der sinkenden Schülerzahlen der prognostizierte Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen werden, prozentual nach oben geht? Wenn das so ist und wenn die Zahlen richtig sind - sie sind so aufgeschrieben und, so denke ich, veröffentlicht worden -, dann wäre es - ich nehme diesen Begriff ungern, aber er stimmt leider - schon eine gewisse Bankrotterklärung, dass die Maßnahmen, die man angestoßen hat und die bis 2012 usw. wirken sollen, doch nicht tauglich sind und nicht die Ergebnisse zeitigen, die Sie sich eigentlich vorstellen. Dazu hätte ich gern eine Auskunft.

(Herr Tullner, CDU: Aber eine kurze!)

Selbstverständlich habe ich mich auch mit den Zahlen beschäftigt. Wenn wir gerade dabei sind, sage ich: Das ist immer so, wenn man einen Satz weglässt oder eine Zahl hinzunimmt. Gestern habe ich gehört: Glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast.

Sehen wir einmal in die Statistik - sie geht ja weiter; sie geht in der Zeit auch etwas zurück -: 1995/1996 sprechen wir von 10,7 %. Das heißt, in den ersten fünf Jahren war es gar nicht so schlimm.

(Frau Mittendorf, SPD: Das war das Nachwirken der DDR!)

- Ja, das kann ja jetzt jeder sagen.

(Frau Mittendorf, SPD: Das wurde im Ausschuss gesagt!)

- Ja, Frau Mittendorf. - 1999 hatten wir noch 12,7 %. Jetzt müssen wir das Grundsatzproblem sehen. Sie haben vollkommen Recht - diese Zahl habe ich auch mit Erschrecken gelesen -: Wenn das wirklich so kommt, dann wäre es eine Bankrotterklärung. Damit haben Sie vollkommen Recht. Weil diese momentane Prognose eine solche Katastrophe ist, müssen wir gemeinsam - darum würde ich Sie bitten - alles tun, um zu erreichen, dass diese Prognose nicht eintrifft. Das erreicht man natürlich nur gemeinsam mit dem Elternhaus, der Schule, mit der Politik, mit der Wirtschaft und mit dem großen Zauberwort - wie man das dann auch immer ausfüllt - der individuellen Förderung. Diesbezüglich müssen wir etwas tun. Wir müssen in Bildung investieren. Wir sind uns darin einig, dass es nicht dazu kommen darf. Darin sind wir vollkommen einer Meinung. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Dr. Schellenberger. - Die Landesregierung hat noch einmal um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es tut mir Leid, wenn ich damit den Tagesordnungspunkt möglicherweise in die Länge ziehe. Er ist aber so wichtig, dass ich mich dazu verpflichtet fühle. Zudem gibt einige Punkte in der Rede von Frau Hein, die ich nicht einfach im Raum stehen lassen kann. Ich bitte dafür um Verständnis.

Erstens zu der These, es habe sich überhaupt nichts getan. Ich weise darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler, von denen wir hier sprechen, den größten Anteil ihrer Schulzeit in der von Ihnen tolerierten Regierungszeit absolviert haben. Ich weise lediglich darauf hin. Wir haben es hierbei mit langanhaltenden Effekten zu tun, die möglicherweise genau jetzt ihren Gipfelpunkt haben. Das ist nicht unwahrscheinlich. Ich hätte das von mir aus nicht gesagt, wenn Sie den Landtag nicht mit einer solch aberwitzigen These konfrontiert hätten. - Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Sie wissen ganz genau, dass sich Effekte von Veränderungen im Schulbereich nicht von heute auf morgen niederschlagen können. Ich finde es erschütternd, dass hier auf den Schultern dieser schwächsten Gruppe innerhalb der Population, der jugendlichen Bevölkerung, eine solche Polemik ohne substanzielle Vorschläge veranstaltet wird.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Feußner, CDU: Das ist doch immer das Gleiche!)

Sie wissen selbst, wie komplex dieses Problem ist, und Sie kennen die Grenzen auch der Schule als System oder Institution in diesem Zusammenhang ganz genau. Sie wissen, wie sich in der Schule gesellschaftliche Prozesse und Konflikte, Folgen der Modernisierung und dergleichen in einem hoch komplexen Geschehen niederschlagen. Gerade weil Sie von dieser Materie etwas verstehen - gerade deswegen -, macht es mich so zor

nig, wenn Sie derartige Allgemeinplätze an die Stelle substanzieller Lösungsvorschläge stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der nächste Punkt ist mir der wichtigste. Deshalb bin ich doch noch einmal aufgestanden. Wenn Sie das in dem Antrag unterbreitete Angebot, die Probleme im Bildungsausschuss parteiübergreifend zu erörtern, als Bankrotterklärung bezeichnen, dann zeigt das, dass Sie sich für die Lösung der Probleme gar nicht ernsthaft interessieren und das Thema für andere Zwecke gebrauchen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

So habe ich die Initiative der Regierungsfraktionen verstanden: ein Gesprächsangebot, alle Fraktionen übergreifend, und dafür die gegebenen Strukturen, nämlich den Bildungsausschuss, zu nutzen und in ein Gespräch über die besten Lösungen einzutreten, eine Bilanz zu ziehen und genau das zu tun, was Sie fordern, nämlich eine Diskussion darüber zu führen, was wir besser machen können. Wenn Sie sich dieser Initiative entziehen, treten Sie den Beweis dafür an, dass Ihr Interesse irgendwo anders liegt, nicht aber bei einer substanziellen Hilfe für diese jungen Leute.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frau Feußner, CDU: Genau so ist das!)

Gestatten Sie eine Nachfrage, Herr Minister, von Frau Dr. Hein?

(Frau Dr. Hein, PDS: Nein, ich wollte reden!)

- Ach so. - Die Debatte ist noch einmal eröffnet. Frau Dr. Hein, Sie haben das Wort. Maximal drei Minuten, würde ich vorschlagen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Normalerweise mache ich so etwas nicht, aber die Vorwürfe waren nun wirklich unter der Gürtellinie, die man mir wohl zugestehen muss.

Erstens. Wenn wir schon darüber reden, wer hier was eingeführt hat und was die Folge wovon ist, dann muss ich sagen, dass die Absolventen, die jetzt aus der Schule kommen, die längste Zeit im gegliederten Schulsystem waren. Das hat die erste Landesregierung eingeführt. Lassen Sie uns diese Debatte bitte nicht aufmachen. Ich habe das nicht getan. Ich habe über Bildungsziele geredet. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Das waren doch die A- und B-Kurse! Das ist schon etwas anderes! - Unruhe)

- Dass man mit solchen zugegebenermaßen halbherzigen Veränderungen die Folgen des gegliederten Schulsystems nicht verändern kann, das ist uns schon klar. Das muss man zugestehen. Das ist wahr.

Zweitens. Natürlich können solche Veränderungen nicht von heute auf morgen wirken. Aber Sie haben vor zweieinhalb Jahren Weichen gestellt, es war Ende des Jahres 2002. Sie haben Weichen gestellt hinsichtlich der Abschaffung der Förderstufe und hinsichtlich der Zuordnung zum Hauptschulbildungsgang. - Ich verkürze das einmal, weil ich wenig Zeit habe. - Sie werden heute von den Koalitionsfraktionen aufgefordert, eine Konzeption

vorzulegen, und zwar vor Ablauf der Legislaturperiode. Was soll ich denn bitte schön davon halten? Das steht in Ihrem Antrag.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Dr. Schellenber- ger, CDU: Das sind zwei unterschiedliche The- men!)

Drittens zu den anderen Vorschlägen. Ich habe hier darüber geredet - Sie haben nicht gut zugehört, sondern dauernd dazwischengerufen -, dass es notwendig sei, die Bildungsziele anders zu formulieren, und dass es notwendig sei - das fehlt in Ihrem Antrag leider, hat aber in der Rede eine Rolle gespielt -, Fragen der individuellen Förderung, des Nachteilsausgleichs besser zu regeln. Dazu, meine Damen und Herren - die Zeit habe ich jetzt nicht -, gibt es auch bei der PDS ein Papier, in dem Vorschläge stehen. Wir können demnächst gern darüber diskutieren.

Letzte Bemerkung: Natürlich werden wir uns einem Gespräch im Bildungsausschuss nicht verweigern. Das wissen Sie aber sehr gut.

(Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Wenn es so wäre, wie Sie es jetzt darstellen, dass wir im Bildungsausschuss nur einmal darüber reden sollten, dann hätten Sie das tun können, was wir zu den Übergangsverordnungen und zu den Vorbereitungen für das nächste Schuljahr getan haben, nämlich einen Selbstbefassungsantrag stellen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Wünscht noch jemand das Wort? - Herr Dr. Volk, bitte sehr.

(Unruhe)

Die Debattenrunde ist noch einmal eröffnet, dann nimmt man das auch war.

Frau Dr. Hein, jetzt passiert genau das, was die Bildungspolitik eigentlich so verpönt: Man kann sich von strukturellen politischen Debatten nicht lösen. Bildungspolitik kommt sofort wieder in die strukturelle Debatte und kann sich mit denen, die betroffen sind, nicht inhaltlich befassen.