Protocol of the Session on December 17, 2004

Argumente, dass man mit Gegendemonstrationen den Rechten doch nur eine Bühne gebe und sie damit aufwerte, haben zwar auf den ersten Blick etwas für sich, sind aber auf den zweiten Blick untauglich.

Die deutsche Geschichte selbst hat uns diesbezüglich eines Besseren belehrt: Als die Nazis im Jahr 1933 durch Wahlen an die Macht kamen, waren es zunächst nur die Kommunisten und die Sozialdemokraten, die, solange sie noch protestieren konnten, protestierten. Die übergroße Mehrheit der bürgerlichen Politiker und auch der Intellektuellen war der Meinung, ruhig bleiben, die wirtschaften sich ganz schnell ab.

Gut, wir leben heute im Jahr 2004 und nicht im Jahr 1933. Ein „neuer Faschismus an der Macht“ steht trotz der großen sozialen Verwerfungen nicht auf der Tagesordnung, auch wenn manche Äußerungen von führen

den Politikern eine große Nähe zu völkischem Gedankengut aufweisen. Dann steht schon einmal „Deutschland ganz schnell wieder mit dem Rücken an der Wand“. Auch die unsägliche Debatte über die deutsche Leitkultur entspricht nicht dem hier im Landtag beschlossenen Bekenntnis zu Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

- Die Diskussion gibt es nun aber wohl, Herr Gürth.

Heute zeigt uns gerade die jüngste Entwicklung in Sachsen, dass es eben nicht hilft, ruhig zu sein; denn das, was inzwischen da ist, ist schon mehr als der Anfang und nicht mehr nur der dunkelbraune Rand der Gesellschaft.

Neofaschistische, antisemitische und rassistische Ideologien kommen inzwischen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie sind in vielen Regionen der Bundesrepublik schon Bestandteil der Alltagskultur. Es sind eben nicht nur sozial Schwache und Entrechtete, die marschieren, es sind, wie wir nun aus Sachsen wissen, auch Menschen aus dem Mittelstand. Es können unsere Kinder sein, die Nachbarn oder der freundliche Herr von gegenüber. Rechtsradikale kommen heute in einem neuen Outfit.

Wir brauchen deshalb ein breites Bündnis aller demokratischen Kräfte gegen den weiteren Vormarsch der Rechtsradikalen. Flüchtige Kampagnen wie der nun inzwischen fast vergessene Aufstand der Anständigen vor vier Jahren können Rechtsextremismus und Neonazismus nicht auf Dauer zurückdrängen. Demokratie und Toleranz brauchen ausdauerndes und langfristiges Wirken.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Eine wirksame Zurückdrängung rechtsradikalen Gedankenguts erfordert eine kontinuierliche Arbeit, erfordert Angebote für junge Leute in den Städten und in den ärmsten Gegenden unseres Landes, damit sie sich gar nicht erst zu den Rechten hingezogen fühlen, sich auch gegen die Neonazis wehren und Zivilcourage erlernen.

Gesellschaftliche Ächtung rechten und rassistischen Denkens setzt die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Widerstands und die Entwicklung von Gegenstrategien, wie sie zum Beispiel durch den Verein „Miteinander“ in den vergangenen Jahren immer wieder eingebracht wurden, voraus. Notwendig ist auch die Vermittlung der historischen Erfahrung, dass es Deutsche waren, wie es Edzard Reuter in seiner Rede am 27. Januar 2004 hier in diesem Hohen Hause betonte, „die damals in vorher nie da gewesener Art und Weise die Achtung der Menschenwürde beiseite gefegt haben“.

Rechtsextreme und Neonazis dürfen sich weder auf den Straßen noch in den Parlamenten zu Hause fühlen. - Danke.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zustim- mung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Klein. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler des Dr.-Carl-HermannGymnasiums aus Schönebeck.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Die Debatte wird durch die FDP-Fraktion abgeschlossen. Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Wolpert das Wort. Bitte sehr, Herr Wolpert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Guernica, Warschau, Rotterdam, Coventry, London, Hamburg, Pforzheim, Würzburg, Magdeburg und Dresden - mit den Namen dieser Städte verbindet sich unendliches Leid, Zerstörung und Krieg, aber auch Frieden, Wiederaufbau und Versöhnung. Was bleibt, sind auch fast 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die Frage nach dem Warum und die Mahnung und Verpflichtung der Erinnerung an die Opfer und unsere Verantwortung für unsere Geschichte, für unsere Gegenwart und für unsere Zukunft.

Etwa 40 000 britische Zivilisten verloren in dem Zeitraum von August 1940 bis Mai 1941 in der Luftschlacht um England durch deutsche Bombenangriffe ihr Leben. Am 15. November 1940 griff die deutsche Luftwaffe Coventry an, zerstörte die Rüstungsbetriebe und große Teile der Innenstadt, darunter die berühmte gotische Kathedrale. 70 000 Wohnungen wurden zerstört, 550 Menschen starben. Die Kombination aus Brand- und Sprengbomben, die einen Feuersturm auslöste, wurde von den Deutschen zynisch „coventisieren“ genannt. Man nahm bewusst den Angriff auf die Zivilbevölkerung in Kauf. Die Alliierten kopierten dieses Verfahren und setzten es gegen deutsche Städte ein.

Meine Damen und Herren! Am 16. Januar 1945 begann der Luftangriff auf Magdeburg. Am Vormittag zerstörten amerikanische Luftstreitkräfte die Rüstungsbetriebe der Stadt, am Abend setzten die Engländer den Angriff fort und legten Magdeburg innerhalb von 26 Minuten in Schutt und Asche. Um das deutsche Radar abzulenken, wurden Stanniolstreifen abgeworfen, ihnen folgten Leuchtbomben - umgangssprachlich „Weihnachtsbäume“ genannt -, dann kamen die Luftminen und Minenbomben, durch deren Druckwellen Dächer abgedeckt und Türen und Fenster gesprengt wurden. Dann folgten die Brandbomben. Die Stadt brennt. Den Brandschein von Magdeburg konnten britische Flugzeuge noch bis hinter den Rhein sehen. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges lebten in Magdeburg 330 000 Menschen, im April 1945 noch 90 000.

Knapp einen Monat später wurde Dresden zerstört. Der deutsche Nachtangriff auf Coventry war das Modell der Zerstörung Dresdens. Seit dem Jahr 1949 sind Dresden und Coventry Partnerstädte. Es dauerte Jahrzehnte, das historische Ensemble Dresdens wiederaufzubauen. Allen noch in Erinnerung ist der nunmehr abgeschlossene Wiederaufbau der Frauenkirche.

Meine Damen und Herren! Am 13. Februar 2000, dem 55. Jahrestag der Zerstörung Dresdens, übergab der Herzog von Kent der Dresdener Bevölkerung ein Geschenk: das monumentale Kuppelkreuz für den Turm der Frauenkirche, finanziert aus 550 000 € Spenden, die der Dresden Trust in England gesammelt hatte - ein „Symbol des Leidens und der Versöhnung“, so damals der Herzog von Kent.

Lassen Sie mich auch noch den früheren britischen Bomberpiloten Frank Barber zitieren, der anlässlich der Übergabe des Kreuzes sagte, dass das Kuppelkreuz ein Hoffnungssymbol sei und eine Mahnung, dass die deutsche und die britische Nation wesentlich mehr miteinan

der gemein hätten, als die Geschichte des 20. Jahrhunderts anzudeuten vermöge.

Meine Damen und Herren! Es ist aus meiner Sicht unbestritten, dass jeder Krieg einer zu viel ist. Um Ursachen und Folgen zu analysieren, bedarf es großer Ehrlichkeit und des Willens, die Wahrheit zu erzählen. Dies ist sicherlich immer auch eine Frage der Betroffenheit und der Sichtweise. Dies beinhaltet aber auch, unbequeme Fragen aufzuwerfen. Die Antworten mögen dann auch unbequem sein. Deshalb darf sich aber die Fragestellung nicht erübrigen.

Eine solche unbequeme Wahrheit ist zweifellos, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Bombardierung von Hamburg im Juli 1943 und der von Dresden im Februar 1945. Haben wir aber das Recht angesichts von 50 Millionen Toten, die dieser mörderische Krieg gefordert hat, eine moralische Verurteilung vorzunehmen?

Ich glaube, wir haben die Pflicht, die Opfer zu beklagen und Versöhnung zu fordern. Wir haben die Pflicht, Geschichte als etwas Konkretes zu begreifen und sie für die nachgeborenen Generationen auch an konkreten Gegenständen festzumachen, wie zum Beispiel an dem Kreuz für die Frauenkirche in Dresden, emotionale Zeichen zu setzen und das Vergangene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Gerade darum nach vorn zu blicken muss unsere Aufgabe sein.

Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt hat einmal sinngemäß gesagt, dass Generationen, die keinen Krieg miterlebt haben, leichter dazu zu verführen sind, nach Herrschaft strebenden Ideen zu folgen. Je konkreter jeder Einzelne über Zusammenhänge Bescheid weiß, desto schwerer ist es, ihn mit Propaganda, Demogagie und Parolen zu verführen.

Wir als Politiker im Parlament von Sachsen-Anhalt haben viele Stimmen und wahrscheinlich eine unterschiedliche Sichtweise auf einzelne Vorgänge. Vereinen sollte uns aber, dass wir Radikalismus und Extremismus jeder Couleur eine strikte Absage erteilen, dass wir uns dagegen verwahren, Menschen auszugrenzen oder in ihrer Würde zu beeinträchtigen, weil sie eine andere Muttersprache oder ein anderes Vaterland haben. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich Rattenfänger auf den Weg machen, um mit ihrer perfiden Demogagie, die ihren Ursprung in der Sprache und in der Denkweise des Dritten Reiches hat, Menschen zu manipulieren. Dies wäre eine Verhöhnung der Opfer wie auch der Hinterbliebenen und muss nachdrücklich bekämpft werden.

Meine Damen und Herren! Sicher sind Menschen in Zeiten sozialer Unsicherheit und einer gewissen Hoffnungslosigkeit leichter anfällig dafür, schmissigen Parolen zu folgen. Dafür gibt es in der Geschichte der Menschheit mehr als ein Beispiel. Genau hier müssen wir ansetzen und politische Vorgänge durchschaubarer machen und plastischer werden lassen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch der Umgang mit unserer Sprache.

Erinnern Sie sich an die Unwörter der vergangenen Jahre. Diese werden von einer Jury aus der aktuellen öffentlichen Kommunikation ausgewählt, weil sie die Erfordernisse sachlicher Angemessenheit und des humanen Miteinanders besonders deutlich verfehlen. Zu diesen Unworten gehörte im Jahr 1991 „ausländerfrei“, 1992 „ethnische Säuberung“, 1993 „Überfremdung“, 1999 „Kollateralschaden“ und 2000 „national befreite Zone“.

Sprache prägt bekanntlich das Bewusstsein. Darum haben wir als Politiker eine besondere Verantwortung, Be

griffe nicht gedankenlos zu verwenden, die von Inhumanität und Intoleranz geprägt sind.

Meine Damen und Herren! Rechtsradikalismus ist kein Randproblem mehr in unserer Gesellschaft. Öffentliche Debatten sind notwendig. Gelegentliche Kampagnen müssen durch kontinuierliche Auseinandersetzung ersetzt und durch besondere Zeichen wie die heutige Diskussion im Landtag unterstützt werden. Die FDP bekennt sich zu Liberalismus, Toleranz und Freiheit, aber in den Grenzen einer humanistischen, friedlichen Gesellschaft. Diese schließt Fremdenfeindlichkeit und jede Form von Radikalismus aus. In einem Satz: Keine Toleranz gegenüber Intoleranz.

(Starker Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Damit ist auch diese Aktuelle Debatte abgeschlossen. Beschlüsse in der Sache werden, wie Sie wissen, nicht gefasst. Der Tagesordnungspunkt 2 ist damit erledigt.

Wir gehen über zu Tagesordnungspunkt 23:

Beratung

Missbilligung der Amtsführung von Herrn Minister Gerry Kley

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1928

Einbringer ist für den Antragsteller der Abgeordnete Herr Bischoff. Bitte sehr, Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt ein wenig schwierig, den nächsten Einstieg zu finden, aber ich versuche es. Eine Missbilligung ist eigentlich ein außergewöhnliches - jetzt schaue ich den Ministerpräsidenten an - demokratisches Mittel. Deshalb möchte ich mir auch eine billige Polemik ersparen; denn die Opposition ist immer unzufrieden mit der Regierungsarbeit, jedenfalls nie ganz zufrieden. Das gehört zu ihrer Aufgabe. Ich glaube, im konkreten Fall, den ich gleich kurz darlegen und konkretisieren möchte, ist aber Missbilligung das Mindeste, was wir tun können.

Rückendeckung bei unserem Antrag oder dem, was dahinter steht, erhalten wir vom Landesrechnungshof, der in den letzten Wochen in manchen Punkten der Regierung eher etwas Positives bescheinigt hat. Ohne Prüfung des Landesrechnungshofes hätten wir keine Kenntnis von den Vorgängen, die sich im Sozialministerium abgespielt haben.

Worum geht es? - Sie erinnern sich sicherlich, vor einem Jahr, als die Umstrukturierung der Landesverwaltung zur Debatte stand, war auch die Frage der Zusammenführung des örtlichen und überörtlichen Trägers der Sozialhilfe ein Thema. Sie wurden zu einer Sozialagentur zusammengeführt, die die Eingliederungsleistungen in einer Hand koordiniert.

Dass eine Behörde - eine schlanke Behörde, wie wir jetzt wissen - innerhalb einer Mammutbehörde tatsächlich eine bestimmte EDV-Technik braucht, um alle Daten, die in den Kommunen gesammelt werden, zu verarbeiten, ist auch klar. Der Landesrechnungshof hat jedoch deutlich gemacht, dass die Vergabe dieser Soft

ware für die Sozialagentur nicht nach den Grundsätzen der Haushaltsordnung erfolgt ist.

Als wir den Bericht des Landesrechnungshofes gelesen haben, da wurden unsere Augen größer. Als wir die Debatte im Ausschuss hatten, standen unsere Ohren aufrecht. Just in dem Zeitpunkt, als dies im Sozialministerium passiert ist, hatten wir hier im Parlament ein ähnliches Verfahren. Da wurde sogar ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, weil es um die Vergabepraxis ging, die zu beanstanden war. Just in dem Zeitpunkt wurde im Sozialministerium die Vergabe genau solcher Leistungen einem Referenten übertragen, der das dann sozusagen von sich aus in die Wege geleitet hat. Das war uns zu viel. Deshalb haben wir Akteneinsicht verlangt.

Es kamen elf Ordner zusammen. Bei zehn von diesen Ordnern kann man nicht sagen - - Die waren ordentlich geführt und zeigten auf, wie man diese Gespräche und Verhandlungen führte. Bei einem Ordner hatten wir den Eindruck, darin waren zusammengesuchte Blätter, die man hintereinander geheftet und dann paginiert hatte. Die Fakten haben aber deutlich gemacht, dass es bei der Beauftragung der neuen EDV-Leistung tatsächlich um ein Verfahren geht, das nicht zulässig ist. Es wurde freihändig vergeben, obwohl der Landesrechnungshof deutlich gemacht hat, dass es bei einer Summe von über 200 000 € zwingend sogar eine europaweite Ausschreibung hätte geben können.

(Zuruf von der SPD: Müssen!)

- Bitte? - Es hätte zwingend eine EU-weite Ausschreibung geben müssen.

Das Sozialministerium hat gekontert. Es gab ja dann einen Schriftverkehr, wie das so üblich ist, wenn der Landesrechnungshof etwas moniert. Das Ministerium hat deutlich gemacht, erstens war der Zeitdruck da - zu dem sage ich gleich noch etwas -, zweitens gebe es zu wenig Anbieter. Eine Markterkundung hätte das vorher ergeben.