Die Frage, die die Politik und die Gesellschaft beantworten müssen, ist folgende: Wie gehen wir mit langzeitarbeitslosen Frauen und Männern um? Wie können wir zum einen deren soziale Sicherung realisieren und zum anderen deren Chancen zur Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ausgestalten? - Und das vor dem Hintergrund, dass es in absehbarer Zeit nicht ausreichend Arbeitsplätze geben wird.
Sie alle eint weitgehend die erfolglose Suche nach halbwegs qualifizierter und vor allem existenzsichernder Arbeit, um den Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Die strukturellen und institutionellen Möglichkeiten, die ihnen die Gesellschaft dafür offen hält, sind sehr verschieden. Außerdem sind auch die sozialen Sicherungen für Langzeitarbeitslose sehr unterschiedlich gestrickt.
Unter dem Dach der Arbeitsverwaltung haben die Betroffenen zumindest theoretisch die Möglichkeit, durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung die eigenen Chancen zu verbessern, um auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Langzeitarbeitslose in der Sozialhilfe dagegen haben diese Möglichkeiten nicht ohne weiteres. Die Kommunen sind hinsichtlich ihrer Finanzkraft, ihrer
Ferner sind die Standards der sozialen Sicherung bei beiden Betroffenengruppen sehr unterschiedlich gestrickt. Die Arbeitslosenhilfe richtet sich in ihrer Berechnung für den Einzelnen im Wesentlichen nach dem früheren Einkommen. Für die weitaus größte Zahl der Betroffenen ist die Anrechnung weiterer Einkommen erheblich günstiger ausgestaltet. Die Sozialhilfe richtet sich hingegen nach dem jeweils politisch definierten Bedarf von so genannten Bedarfsgemeinschaften. Hier sagt also die Politik, was der Mensch zum Leben braucht.
Die Reformbestrebungen der unterschiedlichen parteipolitischen Couleur haben also zum einen durchaus einen sachlich-strukturellen Hintergrund, zum anderen selbstverständlich auch einen politischen Hintergrund. Für ein und dasselbe Problem, nämlich die soziale Absicherung und die Chancen zur Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, sind derzeit zwei unterschiedliche Systeme mit darüber hinaus unterschiedlichen Möglichkeiten und Standards zuständig.
Die CDU/CSU - und die FDP gleich mit - schließt daraus: Menschen in gleicher Problemlage müsse man auch gleich behandeln; das wäre dann Gerechtigkeit. Beide Systeme seien ohnehin steuerfinanziert.
Meine Damen und Herren! Mit einer gewissen Antenne für einfach strukturierte Antworten mag das für Nichtbetroffene - das ist die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler, und darauf spekulieren Sie auch - durchaus logisch erscheinen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Dass es sich um Menschen in gleichen Problemlagen handelt, betreut in zwei unterschiedlichen Sicherungssystemen, ist nicht im Sinne der einstigen Erfindung; denn Arbeitslose wider Willen waren ursprünglich nicht für die Sozialhilfe gedacht.
Wenn jetzt in Sachsen-Anhalt von den fast 55 000 Sozialhilfebeziehenden im erwerbsfähigen Alter fast 60 % als Grund für den Bezug der Sozialhilfe ihre Arbeitslosigkeit angeben, dann wird deutlich genug, meine Damen und Herren, dass die Sozialhilfe seit langem aus den für sie konzipierten Nähten platzt.
Die Sozialhilfe war ursprünglich für Menschen gedacht, die nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Unterschied dazu war die Arbeitslosenhilfe dafür da, die ausnahmsweise länger andauernde Arbeitslosigkeit - das war damals tatsächlich noch die Ausnahme - ein weiteres Stück sozial abzusichern.
Das zweite Standbein der Argumentierer ist: Man müsse den Betroffenen nicht nur mit Leistungsentzug drohen, den Arbeitslosenhilfeempfängern also, sondern ihn tatsächlich realisieren, damit sie sich sozusagen über die Vielfalt der in diesem Lande zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze hermachen.
Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie mir an dieser Stelle, aber es bleibt einem manchmal nur noch der Zynismus. Eine solche Argumentation, vorgetragen im Bundestag im Juni dieses Jahres, ist entweder mit einem jämmerlichen Zynismus oder aber mit völliger Unkenntnis über die Problemlage im Osten zu erklären.
Tun Sie doch in Gottes Namen - dem fühlen Sie sich ja wohl verbunden - nicht so, als hätten diese Leute tatsächlich eine Wahlmöglichkeit, eine Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit und Sozialhilfe, als fehle es lediglich an der Motivation. Solche Unterstellungen machen die Betroffenen im Lichte der politischen Öffentlichkeit sozusagen unausgesetzt zu selbst Schuldigen.
Was Sie jetzt im Bundestagswahlkampf vorschlagen, nämlich die Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe zu überführen, heißt nicht etwa, Personen mit gleicher Problemlage gleich zu behandeln, sondern Personen mit gleicher Problemlage gleich schlecht zu behandeln. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verschaffen Sie mehr als 127 000 Frauen und Männern in SachsenAnhalt, die bisher Arbeitslosenhilfe über dem Niveau der Sozialhilfe erhielten, Einkommenseinbußen und damit Einbußen bei einem mithilfe von Versicherungsbeiträgen erworbenen Eigentum, und das in einer Höhe von im Einzelfall bis zu 400 € monatlich.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, canceln Sie damit in Wahrheit die Chancen für Langzeitarbeitslose auf einen Zugang zu den Möglichkeiten des ersten Arbeitsmarktes, den das SGB III zugegebenermaßen in begrenzter Form trotzdem bietet. Langzeitarbeitslose werden nicht mehr Kundinnen und Kunden des Arbeitsamtes sein; und wer, bitte schön, kümmert sich um die Kunden des anderen, zumal sie dann auch nur noch mehr Geld kosten?
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern ist die gesetzliche Rentenversicherung weitgehend verschlossen. Was Sie also mit einer Überführung der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe produzieren, meine Damen und Herren, ist gerade in strukturschwachen Gebieten schlicht und ergreifend Altersarmut.
Hinzu kommt, dass dieses Konzept zu einer zementierten Selektion von Arbeitslosen führt. Die Guten verbleiben bei der Arbeitsverwaltung und die Schlechten kriegen die Kommunen übergeholfen. Das verbessert ganz gewiss nicht die Eingliederungschancen von Langzeitarbeitslosen.
Sie, meine Damen und Herren, wissen genauso gut wie ich, dass über die Frage, ob Mann oder Frau in der Arbeitslosenhilfe oder aber beim Sozialamt landet, im Leben manchmal von nicht mehr und nicht weniger als vom Zufall abhängt. Eine solche Maßnahme wirkt sich insbesondere auf Betroffene in strukturschwachen Ländern wie Sachsen-Anhalt fatal aus.
Ich will es Ihnen auch ganz deutlich sagen: Ich möchte, dass die Wählerinnen und Wähler genau wissen, wen und vor allem was sie am 21. September 2002 in diesem Land wählen.
Vieles im politischen Raum ist interpretationsfähig. Mit einfach strukturierten Lösungen und Losungen lässt sich vielleicht der eine oder andere Wahlkampf gewinnen, lässt sich die eine oder der andere schon ganz gern einmal ein X für ein U vormachen. Aber hier, meine Damen und Herren, liegt ein Vorhaben vor, das sich sehr konkret auf über 127 000 Betroffene in Sachsen-Anhalt auswirkt. Zumindest die sollten das wissen, bevor sie an die Wahlurne treten und ihre Entscheidung treffen.
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit scheint verloren, und nun soll es der Kampf gegen die Arbeitslosen richten. - Genau so, meine Damen und Herren, wird es nicht zu machen sein. Ganz sicher nicht.
Vielen Dank, Frau Bull. - Wir treten in die Debatte ein. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Wir beginnen mit der CDU-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Frau Liebrecht. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe steht derzeit bei den Parteien und allen politisch relevanten Gruppen auf der Agenda. Sowohl die CDU, die FDP als auch die SPD, aber auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände befürworten diesen Weg - einzig die PDS nicht.
Unser Ziel ist: Wer arbeitet, soll mehr Geld in der Tasche haben als derjenige, der nicht arbeitet. Deshalb ist eine Initiative zur Schaffung von Arbeitsplätzen für gering Qualifizierte erforderlich. Gleichzeitig wollen wir mehr Menschen in Beschäftigung bringen und überhaupt mehr Beschäftigung schaffen.
Zu diesem Zweck muss aus unserer Sicht an zwei Stellen unser derzeitiges System unbedingt reformiert werden: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe müssen vereinheitlicht werden und der Niedriglohnsektor muss attraktiver gestaltet werden.
Im Augenblick werden die Arbeitslosen von der Bundesregierung doch nur gezählt und verwaltet. Sie werden zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und Sozialämtern hin- und hergeschoben, von einer ABM in die nächste, dazwischen gibt es Geld von der Bundesanstalt, aber einen richtigen Job im ersten Arbeitsmarkt, den gibt es für die meisten nicht.
Dies hat sich in der Vergangenheit als der falsche Weg erwiesen und ist somit auch nicht für die Zukunft tauglich.
Dem Konzept der Union liegt ein Sozialstaatsverständnis zugrunde, das von gegenseitiger Solidarität ausgeht, das unter Solidarität Geben und Nehmen, Leistung und Gegenleistung versteht und das Ziel verfolgt, die Eigenverantwortung jedes Einzelnen im eigenen und im Interesse der Gemeinschaft zu fördern. Unser Konzept sieht vor, die beiden Systeme der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe auf lokaler Ebene zusammenzuführen. Wesentlich dabei ist, dass die Anreize, eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen, deutlich erhöht werden.
Eines muss ganz deutlich gesagt werden: Die Vorschläge betreffen nur diejenigen, die nicht arbeiten, obwohl sie arbeiten könnten und Arbeits- oder Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Union will keiner allein erziehenden Mutter, keinem Kranken oder Behinderten die Leistungen kürzen. Auch Menschen, denen
keine Arbeit oder keine Ausbildung angeboten werden kann, sollen nicht von Kürzungen betroffen sein.
Eine Voraussetzung für das Gelingen der Reformvorstellung ist deshalb, dass mithilfe des von der Union vorgeschlagenen Familiengeldes erst einmal die Kinder aus der Sozialhilfe herausgeholt werden und dass mit dem ebenfalls von der Union geforderten Leistungsgesetz für behinderte Menschen diese gleichermaßen nicht mehr im Sozialhilfebezug bleiben, sondern einen Anspruch aufgrund eines bundesfinanzierten Leistungsgesetzes erwerben.
Mit diesen beiden zukunftsweisenden Vorhaben wird erreicht, dass die Maßnahmen des neu zu schaffenden Hilferechts gezielt auf arbeitsfähige Hilfebezieher zugeschnitten werden. Untersuchungen haben ergeben, dass von den rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern bei einem Arbeitskräftepotenzial von ca. 30 % etwa 800 000 Personen vom Grundsatz her arbeitsfähig sind.
Die Union will verhindern, dass bereits junge Menschen eine Sozialhilfekarriere beginnen, wenn sie keinen Schulabschluss erwerben, keine Berufsausbildung machen und anschließend mit wenig befriedigenden Gelegenheitsjobs oder auch mit Schwarzarbeit über die Runden kommen müssen.
Die Union will auch nicht, dass Menschen, die schwer arbeiten und damit nur ein geringes Einkommen erzielen, mit ihren Steuern und Sozialabgaben diejenigen finanzieren, die durchaus selbst arbeiten könnten, es aber nicht tun wollen. Wir vertreten sei langem den Grundsatz: fördern und fordern.
Auch wenn die Arbeitsplätze nicht immer genau da sind, wo die Arbeitslosen sind, die Qualifikationen nicht immer zu den Anforderungen passen, so ist es gleichzeitig wahr, dass viele Arbeiten nur deshalb nicht angenommen werden, weil die staatliche Hilfe zusammen mit Schwarzarbeit den Betroffenen oft ausreicht und zudem der bequemere Weg ist.
Wir müssen daher auch die weniger gut bezahlten Jobs für die Menschen attraktiv machen. Es ist unstrittig, dass wir im unteren Lohngruppenbereich Brutto und Netto über Kombilöhne und die degressive Gestaltung von Sozialversicherungsbeiträgen näher zusammenführen müssen. Ziel ist es jedenfalls, den Nettolohn desjenigen, der eine Arbeit annimmt, deutlich über das Sozialhilfeniveau zu heben.
Bei alledem wird die CDU bei den Reformüberlegungen darauf achten, dass nicht nur Konzepte ausschließlich für den westdeutschen Arbeitsmarkt entwickelt werden. Wir können uns Sonderregelungen und Öffnungsklauseln für den Osten sehr gut vorstellen. Was wir brauchen, sind Vorschläge, die auch den besonderen Bedingungen des ostdeutschen Arbeitsmarktes Rechnung tragen. Gefragt sind also Konzepte, die den ostdeutschen Arbeitsmarkt beleben und die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhen. Denn die Bereitschaft in unserem Land, fast jede Art der Beschäftigung aufzunehmen, ist sicherlich groß. Hierbei kann der Westen von uns noch lernen.
Ich komme zum Schluss. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist natürlich nur möglich, wenn sie mit einer dauerhaften Reform der Finanzaus
stattung der Kommunen einhergeht, sodass die entsprechenden Transferleistungen der Bundesanstalt für Arbeit auch weiter nach Sachsen-Anhalt fließen.
Aus den vorgenannten Gründen lehnen wir die von der PDS beantragte Beauftragung der Landesregierung ab. Ich denke, die Entwicklung wird unter einer CDU-FDPgeführten Regierung nach dem 22. September volle Fahrt aufnehmen. - Ich bedanke mich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der PDS war in der ursprünglichen Form von uns abzulehnen, da die SPD-Fraktion durchaus die Notwendigkeit einer Reform sieht. Wir haben deshalb durch unseren Änderungsantrag in den ersten Satz eingefügt: unbeschadet einer notwendigen Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Anderenfalls sieht der Antrag so aus, als solle es nie eine Reform geben. Nach der Einbringung wissen wir jetzt sehr wohl, dass es lediglich um die Reform nach SGB III ging. Ich hoffe, dass auch die Antragsteller das so sehen.