Protocol of the Session on November 11, 2004

Zur Steigerung der Effektivität ist es notwendig, die Anzahl der Leitstellen deutlich zu reduzieren. Moderne Funktechnik soll es ermöglichen, den Rettungsdienst großflächig zu organisieren. So können Synergieeffekte erschlossen werden, die wegen der bislang kleinteiligen Planung nicht zur Geltung kommen konnten.

Die Qualität der rettungsdienstlichen Leistungen wird deutlich gestärkt, ohne dass dabei die Kosten steigen. Im Gegenteil: Durch mehr notfallmedizinischen Sachverstand und mehr rettungsdienstliche Kompetenz kann eine wirkungsvolle Steuerung und damit auch eine geringere Einsatzrate sowie die Vermeidung von Fehleinsätzen gewährleistet werden.

Das Gesetz soll die Landkreise und die kreisfreien Städte von Verwaltungsaufgaben entlasten. Die Eigenverantwortung der Kommunen soll gestärkt werden.

(Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Die Krankenkassen können in erheblichem Umfang Kosten sparen. Dabei ist zu betonen, dass kein Rückzug aus der Fläche erfolgt. Das Netz der Rettungswachen, in denen die Rettungswagen stehen, sichert auch in Zukunft ein Eintreffen binnen zwölf Minuten.

Gleichzeitig wird das Rettungsdienstgesetz vereinfacht und damit übersichtlicher. Für Bürgerinnen und Bürger führt dies zu einer Verbesserung der rettungsdienstlichen Versorgung und damit zu einer Steigerung der Lebensqualität.

Die traditionellen Kur- und Bäderorte in Sachsen-Anhalt sind ebenso wie die Erholungsorte in den vergangenen zwei Jahren vom Land mit Finanzmitteln in erheblichem Umfang gefördert worden. Das Ziel wird es auch weiterhin sein, die Entwicklung der Heilbäder durch verschiedene Initiativen im Bereich der Qualitätssicherung und des Marketings zu fördern.

Gerade vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung ist es wichtig, dass sich die medizinischen und touristischen Kurangebote in Sachsen-Anhalt attraktiv gestalten und zielgruppengerecht vermarktet werden.

Die heimischen Kur- und Heilbäder haben mit ihren hohen Qualitätsstandards sowie den ausgezeichneten Gesundheitsvorsorge- und Rehabilitationsleistungen gute Chancen, am internationalen Markt zu bestehen. Das Land wirkt im Landesfachausschuss für Kur-, Bäder- und Erholungsorte an der Prädikatisierung der Kur- und Bäderorte mit.

In der Tourismusförderung ist das barrierefreie Bauen bei der Einrichtung und Erweiterung von touristischen Anlagen, Hotels und Gastronomiebetrieben nicht nur erwünscht, es wird bei der Gewährung von Investitionszuschüssen ausdrücklich gefördert. Zudem werden als Maßstab für die Prädikatisierung von Kur- und Erholungsorten behindertengerechte Einrichtungen gefordert.

Im Vorfeld der Einführung des diagnosebasierten Fallpauschalensystems im Krankenhausbereich sind vielfach Ängste geäußert worden, dass die zu erwartende Verkürzung der Verweildauer in den Krankenhäusern dazu führen wird, dass Patienten aus Akutkliniken in einem noch nicht voll rehabilitationsfähigen Zustand in Rehabilitationseinrichtungen verlegt werden. Auch ist die Gefahr gesehen worden, dass überflüssige Betten in Akutkrankenhäusern leichtfertig zu Rehabilitationsbetten umgewidmet werden und dies in diesem Bereich zu einer Überversorgung führen wird.

Bisher liegen im Land keine Erkenntnisse darüber vor, dass eine derartige Entwicklung tatsächlich eintritt. Erfreulicherweise versuchen die Leistungserbringer und Kostenträger hier im Land, die Schnittstellenprobleme eher über die Implementierung von integrativen Versorgungsstrukturen zu lösen. Die Landesregierung wird aber die Lage weiter beobachten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich kurz anreißen, auf welche Weise das Gesundheitssystem zukunftsfest gemacht werden kann.

Die Landesregierung sieht sich in der Pflicht, die demografische Entwicklung des Landes zu beobachten und ihre Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche zu analysieren. Auf dieser Grundlage muss insbesondere die Abwanderung junger Menschen verhindert werden. Es müssen Anreize für eine Zuwanderung geschaffen werden. Der Beitrag des Gesundheitswesens hierfür liegt im Wettbewerb der Qualität der angebotenen Leistungen.

Das noch vorhandene Anspruchsdenken der Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitswesen muss mittelfristig einem Verantwortungsbewusstein gegenüber der Solidargemeinschaft weichen. Die Aktivierung der Versicherten und die vorrangige Selbstverantwortung der Menschen für ihre Gesundheit muss durch Transparenz und mehr Patientensouveränität gefördert werden. Die soziale Dimension der Gesundheit muss in den Lebens

zusammenhängen mehr Beachtung finden; denn Menschen erkranken nicht selten infolge von Unzufriedenheit und Spannungssituationen.

Das GKV-Modernisierungsgesetz war für die Reform des Gesundheitswesens nur ein Zwischenschritt. Eine grundlegende Reformierung des Gesundheitswesens muss gründlich angegangen werden. Das Ziel muss es sein, eine hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen, die bezahlbar ist und bleibt. Diese Aufgabe fällt zwar weitgehend in die Kompetenz des Bundes; zum Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger werden wir diesen Prozess jedoch aufmerksam, kritisch-fordernd, aber auch konstruktiv begleiten. Die Diskussion in diesem Prozess hat bereits begonnen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister Kley, für die Regierungserklärung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 b auf:

Aussprache zur Regierungserklärung

Die Debatte erfolgt entsprechend der Redezeitstruktur D mit den bekannten Redezeiten. Wir beginnen mit der PDS-Fraktion. Es spricht Frau Bull. Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Herr Minister, wenn nach der Qualität in der Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt gefragt wird, dann ist das wahrscheinlich am wenigsten eine Frage der landespolitischen Steuerung. Die Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt ist in das Gesundheitssystem in Deutschland generell eingebettet, unterliegt damit vor allem der bundesgesetzlichen Kompetenz und ist damit - das hat tatsächlich einen aktuellen Bezug - das Ergebnis auch der Gesundheitsreform, einer Gesundheitsreform, die in Fragen der lange überfälligen strukturellen Reformen außerordentlich schwachbrüstig war und ist und die in Fragen der Kostendämpfung zulasten der Versicherten, aber noch in viel stärkerem Maße zulasten der Patientinnen und Patienten quasi als Dampfwalze daherkam.

Allein vom Jahr 2004 an haben Patientinnen und Patienten erhöhte Zuzahlungen in Höhe von ca. 3,3 Milliarden € pro Jahr aufzubringen. Ich denke, die Zuzahlungsregelungen und auch die Praxisgebühr werden einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt haben. Die erwarteten Kostenersparnisse sind im Wesentlichen eingetreten. Auch die zugeschriebene Steuerungskraft hat ihre Wirkung scheinbar nicht verfehlt. Immerhin ist die Zahl der Arztbesuche um ca. 10 % zurückgegangen.

Die Zahl der Arztbesuche und der Arzneimittelverbrauch an sich sind natürlich noch kein Maßstab für den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Wird beides ins Verhältnis gesetzt, wird hierzulande sehr wohl Steuerungsbedarf sichtbar.

Dr. Ellis Huber, der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer, hat diesbezüglich einmal den Zusammen

hang zwischen Bedarf und Bedürfnis aufgezeigt, also zwischen dem, was medizinisch notwendig ist, und dem, was individuell wünschenswert ist. Das ist ein schmaler Grat; das ist mir sehr wohl bewusst. Die Frage muss aber dennoch gelöst werden.

Die Anzahl der Arztbesuche ist wohl eher ein Indiz für das Bedürfnis als für den Bedarf. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung in Deutschland ist nicht so gut, wie dies die Anzahl der Arztbesuche vermuten ließe. Die Frage, die zu klären ist - die Zahl der Arztbesuche ist zurückgegangen, die Zahl der Medikationen ebenfalls -: Ist das nun ein Erfolg oder ist es keiner? - Diese Ergebnisse sind in erster Linie eine Frage von Effizienz und Wirtschaftlichkeit, die das SBG V zu Recht einfordert, haben aber dennoch nicht automatisch etwas mit der Qualität der Versorgung und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung zu tun.

Ich habe an dieser Stelle schon einmal gesagt: Für Familien und Lebensgemeinschaften, die über ein Einkommen im mittleren Segment verfügen, ist das ein Ärgernis. Ich denke allerdings, dass gerade dort der Steuerungsbedarf nicht außerordentlich hoch ist; denn die Menschen gehen in der Regel nur dann zum Arzt, wenn ein Bedarf besteht. Allerdings für Familien und Lebensgemeinschaften, die mit einem Einkommen auskommen müssen, das sich am unteren Rand bewegt - das sind in Sachsen-Anhalt ca. 18 % bis 20 % -, wird es weitaus kritischer und hier und da mitunter auch existenziell.

Diese Menschen haben ohnehin ein deutlich größeres Krankheitsrisiko. Arbeitslosigkeit - das hat der Minister in seiner Regierungserklärung angedeutet - hat zum Teil erheblichen Einfluss auf den physischen und den psychischen Gesundheitszustand. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang die Lektüre der Robert-Koch-Studie im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung empfehlen, die sich mit dem Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Gesundheitszustand sehr intensiv befasst.

Im Übrigen ist dieser Zusammenhang am deutlichsten bei Männern ausgeprägt. Der Anteil der Raucher ist bei den arbeitslosen Männern um ungefähr 15 Prozentpunkte höher als bei den berufstätigen. Auch ist der Anteil der psychischen Erkrankungen bei arbeitslosen Männern sehr viel höher als bei nicht arbeitslosen Männern.

Diese Familien und Lebensgemeinschaften verfügen über weit weniger Ressourcen für Bildung. Meine Damen und Herren! Auch der Bildungsstand hat bekanntermaßen einen sehr großen Einfluss auf das gesundheitsbewusste Verhalten von Menschen. Im Übrigen: Die künftig von Hartz IV oder SGB II Betroffenen tragen ein hohes Risiko, in Kürze auch zu dieser Gruppe zu gehören.

Gesundheitsleistungen sind im pauschalierten Regelsatz außerordentlich knapp bemessen; sie sind nämlich vor der Gesundheitsreform festgelegt worden, und zwar als noch nicht klar war, dass die CDU die allgemeine Praxisgebühr durchdrücken wird. Es gibt beim Sozialamt auch keine einmaligen Leistungen mehr, und es ist weitgehend gerichtlich durchgeklagt, dass auch Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ihre 67 € selbst bezahlen müssen.

Wenn ich also nach der Qualität der Gesundheitsversorgung für Sachsen-Anhaltinerinnen und Sachsen-Anhaltiner frage, geht es, meine Damen und Herren, eben nicht um den Menschen als Durchschnittsgröße, sondern es geht zum einen um eine geschlechterspezifische

Sichtweise und es geht zum anderen um eine sozial differenzierte Sichtweise.

(Zustimmung von Frau Dirlich, PDS)

Denn es geht um eine sehr unterschiedliche Betroffenheit. Es geht um eine sehr unterschiedliche Bedürftigkeit und es geht um sehr unterschiedlich verteilte Ressourcen für die so oft gewünschte und zu Recht auch eingeforderte Eigenverantwortung und Selbsthilfe.

Meine Damen und Herren! Der geschlechterspezifische Blick in der Gesundheitsversorgung hat sich ganz offensichtlich aus der vergangenen Legislaturperiode in Ihrem Hause, Herr Minister, weitgehend erhalten können. Das finde ich positiv. Es ist auch ein liberal geführtes Ministerium und kein konservatives.

(Oh! bei der CDU - Herr Dr. Sobetzko, CDU: So ein Mist!)

Ich möchte allerdings sagen, dass der sozial differenzierte Blick die Schwachstelle des Ministeriums ist. Das kann auch nicht verwundern; denn es gibt nach wie vor kein sozialpolitisches Gesamtkonzept und die Spezifik sozialer Zielgruppen spielt keine bewusst gesteuerte oder wahrnehmbare Rolle, zumindest nicht in der Gesundheitspolitik.

(Frau Weiß, CDU: So ein Quatsch!)

Zu den Gesundheitszielen des Landes Sachsen-Anhalt gehört es beispielsweise, den Anteil der Raucher - so ist es im Internet zu lesen - zu senken, ebenso den Konsum anderer legaler Suchtmittel.

Eine Studie des vorhin schon erwähnten Robert-KochInstituts benennt in diesem Zusammenhang eine Problemzone, meine Damen und Herren, und zwar die Einelternfamilie oder beim Namen genannt: allein erziehende Mütter; denn der Gesundheitszustand hat in entscheidendem Maße immer auch mit Bewältigungsstrategien im Leben zu tun. Das Leben als Alleinziehende bedeutet Stress.

Abgesehen davon, dass negativer Stress zu langfristigen Gesundheitsschädigungen führen kann, ist eine der problembeladensten Stressbewältigungen das Rauchen. Die besagte Studie diagnostiziert, dass der Anteil der Raucherinnen unter den allein erziehenden Müttern fast doppelt so hoch ist wie unter den verheirateten Müttern.

Wie wird nun das Gesundheitsministerium dieser Spezifik im Rahmen seines vierten Gesundheitszieles gerecht? Der Anteil der Raucher an der Bevölkerung soll gesenkt werden. Keine Angst, meine Damen und Herren, ich spiele jetzt nicht auf den unumstößlichen Fakt an, dass allein erziehende Mütter schwerlich zu den Rauchern hinzugezählt werden können, nein, aber eine solche Zielgruppenspezifik fehlt, nicht nur in der Sprache.

Der Mensch als Durchschnittswesen, der bestenfalls nach dem Alter und nach dem Geschlecht differenziert werden kann, ist die Zielgruppe, so scheint es. Eine solche Zielgruppe gibt es aber in der Praxis nicht. So ist auch keine Zielgenauigkeit möglich.

Ich möchte ein zweites Beispiel nennen. Ein weiteres Gesundheitsziel in Sachsen-Anhalt ist es, ein gesundes Ernährungsverhalten und gesunde Ernährungsangebote zu fördern. Fakt ist - das hat keinen Neuigkeitswert -: Kinder aus so genannten unterprivilegierten Familien zeigen intellektuelle und körperliche Entwicklungsver

zögerungen; sie haben ein deutlich ungünstigeres Gesundheitsverhalten - Stichwort Rauchen, Stichwort Fastfood-Ernährung. Die Folgen sind selbstverständlich schlechtere Lebens- und Entwicklungsbedingungen.

Konkret gesagt: Ich finde beispielsweise die Idee „Gesunde Büchse für schlaue Füchse“ sehr schön. Der Titel ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, sicherlich aber nur für die Großen. Für alle, die jetzt herumrätseln, sage ich: Es handelt sich um eine Aktion zur gesunden Ernährung. Es wurden gemeinsam mit Ökotrophologen der Fachhochschule in Bernburg die Brotbüchsen in einer Reihe von Kindertagesstätten untersucht.

Ein Blick in die Bilanz der Aktion, meine Damen und Herren, verrät: Ausgewertet worden ist nach der Größe der Kindertageseinrichtungen, nach der Trägerschaft, nach Geschlecht und nach der Größe der Gemeinden, in denen die Kitas und damit die Kinder zu Hause sind. All das lässt natürlich eine ganze Reihe von interessanten Schlüssen zu, zweifelsfrei.

Die Frage nach den sozialen Unterschieden spielte aber keine Rolle. Ich stelle einmal eine ganz drastische und zugegebenermaßen zugespitzte These auf: Ich vermute, die drei Gewinnerkitas haben den niedrigsten Anteil an Kindern aus sozial schwachen Familien. Ich wünschte, ich würde mich täuschen. Selbst dann bleibt aber festzustellen: Der Zusammenhang von ungesunder Ernährung und prekären Einkommensverhältnissen hat weder Überraschungseffekt noch Neuigkeitswert mehr.