Protocol of the Session on July 9, 2004

(Zustimmung von Herrn Kurze, CDU - Frau Dr. Kuppe, SPD: So ein Quatsch!)

In Kindertageseinrichtungen wird der Tagesablauf nach dem Grundsatz der Alters- und Entwicklungsarbeit geplant. Den Aktivitäts- und Ruhebedürfnissen sowie der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit der Kinder folgend werden gemeinsame Projekte und Bildungsangebote besonders am Vormittag organisiert und durchgeführt. In dieser Zeit sind Kinder besonders aufmerksam und aktiv.

Aus der Psychologie und Neuropsychologie wissen wir, dass die Leistungskurve des Menschen und insbesondere die bei Kindern am frühen Nachmittag wieder abfällt. Deshalb planen und organisieren die Erzieherinnen in dieser Zeit eine Ruhephase für die Kinder. Dies ist ein Teil der Betreuungsaufgaben, der auch erwerbslosen Eltern im Rahmen ihrer vorrangigen Erziehungspflicht

zugemutet werden kann und deshalb nicht mit staatlichen Mitteln in einer Tageseinrichtung gefördert werden muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie - damit möchte ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion ansprechen - bitten, in den kommenden Ausschussberatungen für eine angemessene Änderung des Kinderförderungsgesetzes im Sinne der Novelle der Landesregierung zu votieren. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, Herr Gallert hat noch eine Nachfrage. - Bitte, Herr Gallert.

Ich frage Sie jetzt als Vertreter der Koalition, nicht nur als Mitglied der Landesregierung. Gestern wurde der Gesetzentwurf des Volksbegehrens in den Landtag eingebracht. Die Verfassungslage ist gestern vom Präsidenten noch einmal eindeutig dargestellt worden: Sollte der Gesetzentwurf nicht angenommen werden, wird es zu einem Volksentscheid kommen.

Jetzt geben Sie als Vertreter der Landesregierung oder als Vertreter der Koalition selbst einen Gesetzentwurf in dieses Verfahren hinein. Logisch wäre aus meiner Sicht, dass dies dann Ihr Alternativgesetzentwurf für ein Volksbegehren wäre. Würden Sie sich bitte dazu äußern, wie dazu die Absprachen in der Koalition sind.

Der von mir eingebrachte Entwurf zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes ist ein Entwurf, der einfach aus der einjährigen Evaluationsphase resultiert und der in keinem Zusammenhang mit dem Entwurf des Volksbegehrens oder mit einem eventuellen Volksentscheid steht.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Den Gesetzentwurf der SPDFraktion wird die Abgeordnete Frau Grimm-Benne einbringen. Doch zuvor habe ich die Freude, Damen und Herren aus Wernigerode bei uns zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die SPD-Fraktion bringt heute einen Gesetzentwurf ein, mit dem sie das wichtigste Anliegen des Volksbegehrens, nämlich gleiche Chancen für den Zugang zu Bildung und Förderung für alle Kinder, aufnimmt, aber auch die schwierige finanzielle Situation des Landes nicht einfach ignorieren will. Ich will die Grundzüge kurz skizzieren.

Wir benötigen eine Ausweitung des bisherigen Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Familien und ihre Kinder in besonderen Lebenslagen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Mutterschutz, Krankheit, Rehabilitationsmaßnahmen, Behinderungen oder besonderen sozialen Notlagen. Diesem wird auch der Kabinettsentwurf,

der heute eingebracht wird, gerecht; das erkennen wir ausdrücklich an.

Für unverzichtbar halten wir allerdings eine zeitliche Erweiterung des bisherigen Rechtsanspruchs auf Teilzeitbetreuung um zwei Stunden. Des Weiteren ist uns eine deutlich verbesserte Umsetzung des Bildungsauftrages der Kinderbetreuungseinrichtung, insbesondere beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, wichtig.

Wir verstehen den Gesetzentwurf ausdrücklich als Angebot an die Landesregierung einerseits und an das Bündnis andererseits. Ich will darauf hinweisen, dass das Volksabstimmungsgesetz es zulässt, dass das Volksbegehren für erledigt erklärt wird, wenn der Landtag ein Gesetz beschließt, das in seinem Grundanliegen dem begehrten Gesetz entspricht. Unser Gesetzentwurf tut dies. Er entspricht in seinem Grundanliegen dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens, deswegen werden wir in den folgenden Monaten um ihn kämpfen.

Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Wir haben gestern bereits eine Auseinandersetzung zu diesem Thema geführt und dabei dem Image der Politik und unserem Image als Politiker wieder einmal einen Bärendienst erwiesen. „Eine schwarze Stunde für SachsenAnhalts Landtag“ - so kommentiert die „Mitteldeutsche Zeitung“ heute und kritisiert insbesondere den Umgang von Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit dem Gast.

Ich will darauf gar nicht weiter eingehen und dieses wichtige Thema ausdrücklich nicht für billige Polemik gegenüber den Regierungsparteien nutzen. Aber ich möchte meinen Appell von gestern wiederholen: Lassen Sie uns das Volksbegehren ernst nehmen, das heißt, lassen Sie uns die Menschen im Land ernst nehmen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Ich möchte an einem zentralen Punkt betonen: Auch wenn es bei der Diskussion um die adäquate Förderung unserer Kinder immer auch darum geht, wie Eltern Beruf und Familie miteinander vereinbaren können, steht für uns doch das Recht der Kinder an erster Stelle.

(Zustimmung bei der SPD)

Hierbei gibt es eine große Begriffsverwirrung. Gerade aus konservativen Kreisen ist immer wieder die Forderung nach einem so genannten Recht auf Eltern zu hören. Doch das ist ein Begriff, der uns in der aktuellen Debatte nicht weiterhilft.

(Herr Schomburg, CDU: Warum nicht?)

Natürlich wirkt es sich positiv auf die Entwicklung von Kindern aus, wenn sie in der Geborgenheit der Familie aufwachsen und Zuwendung von ihren Eltern erfahren.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Doch wir wissen auch, dass viele Kinder in unserer heutigen Gesellschaft genau das schmerzlich vermissen. Für diese Kinder ein Recht auf Eltern zu fordern, klingt zwar populär, hilft uns aber nicht wirklich weiter. Denn wie sollten wir ein Recht auf Eltern umsetzen? Wir können und wollen nicht in die Familien hineinschauen und prüfen, wie die Eltern ihre Kinder erziehen. Das erinnert mich ein wenig an das Recht auf Arbeit, das immer wieder eingefordert wird.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Es wäre schön und wünschenswert, wenn es das gäbe, aber wir können es nicht garantieren. Was wir aber allen Kinder garantieren können, ist das Recht auf gute Bildung, vom Kindergarten bis zur Universität. Das ist ein Recht, das wir für unsere Kinder durchsetzen wollen und können.

Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Die Kinder haben ein Recht auf Förderung, die Kinder haben ein Recht auf Bildung. Diese Bildung findet nicht nur an der Universität oder am Gymnasium statt, sondern sie findet genauso im Kindergarten statt. Wir kennen alle die Studien, wonach Kinder in den ersten Lebensjahren am aufnahmefähigsten sind und am meisten lernen. Wer einmal miterlebt hat, wie spielerisch Kinder sich eine fremde Sprache aneignen, und es vielleicht selbst einmal versucht hat, ein paar Brocken einer Fremdsprache für den nächsten Urlaub zu erlernen, der weiß aus eigener Erfahrung, wie einfach Kinder lernen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir können es uns - gerade auch im internationalen Wettbewerb - einfach nicht leisten, diese wichtige Phase im Leben eines Menschen nicht optimal zu fördern oder einfach so zu tun, als ginge es uns nur um die Aufbewahrung und die Betreuung der Kinder. Nein, hierbei geht es darum, unsere Kinder zu bilden.

Wir wollen Bildung von Anfang an. Die Bildung ist ein lebenslanger Prozess, der nicht in Altersstufen verläuft oder an bestimmte Bildungsinstitutionen gebunden ist, sondern mit der Geburt beginnt. Wir sollten die Bildung und die Förderung unserer Kinder nun gerade nicht nach sozialen Kriterien ausrichten. Wir wollen das Mögliche dafür tun, dass Kinder gleiche Startbedingungen haben; denn davon profitieren wir auf lange Sicht alle.

Lassen Sie mich einige Ausführungen zu dem machen, was Bildung in Kindertageseinrichtungen tatsächlich bedeutet. Ich beziehe mich hierbei auf Frau Professor Rabe-Kleberg von der Universität Halle, die immerhin die Beraterin des Sozial- bzw. Kinderministeriums in diesen Fragen ist. Sie weist darauf hin, dass die Bildung in Kindertageseinrichtungen eine elementare Bildung ist, die eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung jedes Kindes zum Ziel hat.

Damit Kinder ihre Potenziale ausschöpfen können, sind verlässliche Beziehungen, die Bereitstellung einer anregenden Umgebung, die Vielfältigkeit der Angebote und neue Erfahrungen mit Menschen, mit Dingen und Phänomenen der Welt von größter Bedeutung. Die elementare Bildung fördert zuerst die Eigenaktivitäten der Kinder und unterstützt diese bei der Erweiterung ihrer Kompetenzen. Schlüsselkompetenzen sind insbesondere personale, soziale, sach- und lernmethodische Kompetenzen. Diese Kompetenzen eignen sich Kinder nun einmal am besten in der Interaktion mit anderen Kindern an.

Wenn wir unseren Kindern die Chance geben wollen, in Zukunft an unserer modernen Wissensgesellschaft gleichberechtigt teilzuhaben, dann müssen wir ihnen auch eine Chance auf Bildung geben. Durch das Spielen und Lernen in den Einrichtungen lernen die Kinder, für sich und für andere Verantwortung zu übernehmen, und entwickeln so ein für die Gesellschaft wertvolles Demokratieverständnis.

Aus all diesen Gründen treten wir ausdrücklich dafür ein, dass der Anspruch auf Bildung in den Kindertageseinrichtungen auf sieben Stunden erweitert wird. Die Bildung findet in den Kindertageseinrichtungen auch am

Nachmittag statt; das ist nicht nur eine Maßnahme von 9 bis 12 Uhr.

Eine zunehmende Zahl von Kindern wächst heute ohne Geschwister auf. Das ist eine Entwicklung, die sich auch im Land Sachsen-Anhalt beobachten lässt. Das ist insbesondere in den Städten, aber nicht nur dort der Fall. Wo sollen diese Kinder soziale Kompetenzen erlernen? Wo sollen diese Kinder lernen, sich in eine Gruppe zu integrieren, sich einmal unterzuordnen, ein anderes Mal auch die Führung einer Gruppe zu übernehmen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sind Qualifikationen, die heute in jedem Personalgespräch von Bewerberinnen und Bewerbern verlangt werden. Aber das sind auch Qualifikationen, die man sich am besten so früh wie möglich aneignet. Wo kann das besser geschehen als in spielerischer Interaktion mit anderen Kindern?

Deswegen bin ich es langsam leid, immer auf die gleichen hanebüchenen Argumente zu antworten: Ganztagsanspruch heißt Anspruch auf betreutes Schlafen oder welche Worthülsen dafür auch immer benutzt werden. Alternativ lautet dieses Argument auch: Vormittags findet in den Einrichtungen wirklich etwas statt, aber am Nachmittag wird nur noch geschlafen und gespielt, dafür brauchen wir kein Geld auszugeben.

Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Bildung findet in unterschiedlichen Formen den ganzen Tag über statt und sie findet selbstverständlich auch am Nachmittag statt.

(Frau Feußner, CDU: Auch zu Hause!)

Ich habe in den vergangenen Monaten eine Reihe von Kindertagesstätten besucht, und zwar nicht nur - das möchte ich ausdrücklich betonen - die Modellkindertagesstätten des Sozialministeriums. Dabei habe ich es immer wieder erlebt, dass fünf Stunden für ein umfassendes Bildungsangebot nicht ausreichen.

Noch wichtiger ist es aber, Bildungschancen für Kinder nicht an der sozialen Situation der Eltern festzumachen. Das ist die Krux dieses Kita-Gesetzes. Deswegen muss der Anspruch auf umfassende Bildung in den Kindertagesstätten für alle Kinder gelten. Wenn wir unseren Kindern den Anspruch einräumen, sieben Stunden am Tag betreut zu werden, dann kommt das einem Ganztagsanspruch schon sehr nah.

Genau das, meine Damen und Herren, haben wir, die SPD-Fraktion, aus dem Volksbegehren gelernt. Wir haben gelernt, für wie wichtig die Menschen in diesem Land eine adäquate Bildung und Betreuung für unsere Kinder halten. Erwarten Sie doch nicht von uns, dass wir die Unterschriften von 260 000 Menschen ignorieren und so weiter machen, als wäre nichts passiert.

(Frau Feußner, CDU: Wer soll das erwarten?)

So können wir nicht mit den klar artikulierten Willen einer starken Gruppe in diesem Land umgehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir nehmen das Volksbegehren als einen Auftrag an die Politik wahr: Holt das Möglichste für unsere Kinder heraus, setzt das, was irgendwie machbar ist, um.

Ergreifen wir nach dem Fiasko des gestrigen Tages gemeinsam die Chance, etwas für unsere Kinder zu tun und wieder auf die Menschen im Land zuzugehen.