Protocol of the Session on May 7, 2004

Insofern haben Sie natürlich Recht mit Ihrer Kritik an der Berliner Haushaltspolitik, an der Berliner Steuerpolitik. Aber ich frage Sie, Herr Paqué: Wo haben Sie sich definitiv gegen den Steuersenker Westerwelle zur Wehr gesetzt? Wo haben Sie, Herr Böhmer, sich gegen den Bierdeckelrechner Merz zur Wehr gesetzt, der das alles noch viel, viel schärfer machen will,

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

was die Situation aus der Sicht der Länder noch viel stringenter in die Misere führen würde?

Bei Ihnen ist keine wirkliche Differenz dazu zu erkennen. Die einzige Differenz gibt es im Ergebnis. Ich sage nur: Ihre Politik würde in Berlin mindestens dieselben Resultate erbringen.

Ich komme als Nächstes zu einigen haushalspolitischen Aussagen. Wir haben jenseits des Jahresausgleichs 2003 mit 354 Millionen € auch noch das Haushaltsjahr 2004. Worin bestehen die Probleme?

Erstens. Die von Ihnen prognostizierten Steuermindereinnahmen in Höhe von 80 Millionen € muss ich akzeptieren, kann ich akzeptieren. Ich habe keinerlei Information, die darauf hindeutete, dass dies zu hoch oder zu niedrig angesetzt worden ist. Darin enthalten sind übrigens 50 Millionen € aus dem letzten Steuerkompromiss, dem auch das Land zugestimmt hat und der die Verschärfung der Einnahmesituation gestützt hat. Tun Sie also bitte nicht so, als wären Sie daran nicht mitschuldig.

Wir haben des Weiteren die Aufgabe - das ist ehrenwert seitens der Landesregierung -, eine globale Minderausgabe in Höhe von 98 Millionen € zu vertiteln, was mit Ausnahme von knapp 10 Millionen € auch gelungen ist. Das kann man durchaus positiv hervorheben. Und wir haben einen Mehrbedarf in Höhe von etwa 4 Millionen € eingestellt, der vor allen Dingen aus einem zu niedrig veranschlagten Ansatz für den Maßregelvollzug herrührt.

In der Summe haben wir also ein Handlungsdefizit in Höhe von ungefähr 180 Millionen € zu verzeichnen.

Dafür könnte man natürlich bei der Erhöhung der Nettoneuverschuldung auch noch einen zusätzlichen Schluck nehmen, weil - dem kühlen Rechner ist das natürlich aufgefallen - die Erhöhung der Nettoneuverschuldung eben nicht nur mit dem Defizit des Jahres 2003 zu tun hat, sondern weil sie dieses noch einmal um 14,5 Millionen € übersteigt.

Nun gut - könnte man sagen -, bei einer zusätzlichen Belastung von etwa 180 Millionen € ist das eigentlich okay. - Nein, Herr Paqué, das ist eben nicht. Sie haben zu früh genickt, weil Sie sämtliche entlastenden Faktoren, die in diesem Haushalt eine Rolle spielen, hierbei nicht benannt haben, und zwar entlastende Faktoren, die mitnichten Ergebnis politischen Handelns sind, sondern die wie ein warmer Regenschauer über das Land kommen.

Diese möchte ich Ihnen jetzt kurz aufzählen: die Reduzierung des Zuschusses an den Bund für die Zusatzversorgungssysteme um 39,2 Millionen €. Das ist ein interessanter Aspekt, ganz hervorragend. Aber das ist mit immerhin fast 40 Millionen € wohl ein substanzieller Ausgaberückgang in diesem Bereich.

Bei dem entsprechenden Ausgleich der Lehrerarbeitszeitkonten hat man offensichtlich auch etwas zu viel in den Haushalt hineingeschrieben: 6 Millionen €; bei den Steuern 7 Millionen €, bei der Entnahme aus dem Grundstock 11,3 Millionen €, bei den Mehreinnahmen im Bereich der Justiz etwa 2 Millionen € für Geldstrafen, bei den Mehreinnahmen im Bereich der Wirtschaft 5 Millionen €, eine Rückforderung von alten Außenständen, die man jetzt offensichtlich doch mit hineinbekommen kann.

Bei den Versorgungssystemen müssen wir 3,3 Millionen € weniger bezahlen. Die Kommunen bekommen ganz normal ihre 23 % von den Steuermindereinnahmen in Höhe von 80 Millionen € ab, das entspricht 18 Millionen €. Zusätzlich nimmt man eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 14,5 Millionen € in diesen Haushalt hinein.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Haben Sie die Summe ausgerechnet?)

Die entlastenden Faktoren, Herr Paqué, die ich eben aufgezählt habe, ergeben in der Summe sage und schreibe 91,4 Millionen €. Sie übersteigen also deutlich, nämlich um 7 Millionen €, die Steuermindereinnahmen bzw. die Mehrausgaben, die in diesem Haushalt zu realisieren sind. Dann nimmt man zusätzlich eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung um 14,5 Millionen € hinein.

Was ist also dieser Haushalt? - Er ist mitnichten ein Sparhaushalt. Er ist mitnichten ein Konsolidierungshaushalt. Er enthält nur die teilweise Vertitelung der globalen Minderausgabe aus dem Haushaltsbeschluss vom Dezember 2003, also nicht einmal in voller Höhe.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Was sind das aber für 70 Millionen €, die man jetzt vertitelt hat? - Es ist interessant: Von diesen 70 Millionen € sind sage und schreibe etwa 53 Millionen € Mittel für eigenfinanzierte Investitionen. Das muss man sich einmal vorstellen. In diesem Haushalt haben wir einen Anteil von etwa 9 % bis 10 % für eigenfinanzierte Investition. Bei der Vertitelung der globalen Minderausgabe kommt man auf etwa 75 % der Einsparungen.

Ich muss ganz deutlich sagen: Ich möchte das politisch nicht einmal kritisch bewerten, weil ich glaube, dass man, politisch motiviert, von vornherein, um Haushaltskriterien einzuhalten, bei der Veranschlagung von eigenfinanzierten Investitionen zu hoch herangegangen ist.

Man hat wohl von vornherein gesagt: Okay, ich schreibe eine globale Minderausgabe hinein, dann kann ich die über die eigenfinanzierten Investitionen erwirtschaften, und ich bleibe trotzdem unter der verfassungsmäßigen Grenze der Nettoneuverschuldung. Ich sage hier durchaus - so ehrlich bin ich -: Solche Erfahrungen sind älter als Ihre Amtsinhaberei.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Es gibt doch auch Vor- teile! - Herr Bullerjahn, SPD: Und die Höhe muss stimmen!)

Insofern möchte ich über diese Punkte nicht so sehr herziehen. Es bedeutet aber letztlich, dass eigentlich schon der beschlossene Haushalt 2004 nicht verfassungskonform gewesen ist.

Darüber hinaus konstatieren Sie, Herr Paqué, in diesem Zusammenhang erhebliche Einsparanstrengungen der Ressorts. Wir konstatieren diese nicht. Wir konstatieren sie nur an zwei Stellen: gegenüber den Kommunen und bei Zukunftsinvestitionen.

Die Kommunen sind mit etwa 12,6 Millionen € bei diesen 70 Millionen € dabei. Unter anderem gibt es Investitionskürzungen im Bereich der Kindertagesstätten. Besonders auffällig sind die sage und schreibe 4 Millionen € im Bereich der Sportstätteninvestitionen im gemeindlichen Bereich.

Nun weiß ich nicht, ob Sie die Wahlplakate der SPD in Magdeburg mit der Aufschrift „SPD-Stimme - StadionStimme“ gesehen haben, sich darüber geärgert haben und daraufhin entschieden haben, hier gleich einmal 4 Millionen € wegzustreichen,

(Heiterkeit und Zustimmung bei der PDS und bei der SPD - Herr Kosmehl, FDP, lacht)

damit Sie diesen Bestrebungen sozusagen von vornherein ein Stoppzeichen setzen.

Ich glaube aber, im Interesse dieser Angelegenheit wäre es doch wohl angebracht, genauere Überlegungen zu der Frage anzustellen: Was steckt hinter dieser Kürzung um 4 Millionen €? Was wollen Sie damit erreichen?

Wir haben darüber hinaus eine Konzentration von Streichungen bei den Zuschüssen für den Jugend- und Kinderbereich. Die Investitionssumme in Höhe von 2 Millionen € im Bereich der Kindertagesstätten habe ich bereits erwähnt. Über die zweiprozentige Kürzung der Budgets der Fachhochschulen und der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein ist hier ebenfalls schon debattiert worden. Ich bin gespannt, Herr Olbertz, wann Sie mir erklären können, was dieser Kürzung eigentlich zugrunde liegt.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Sie wollten es nicht!)

- Nein, Ihre Chance hatten Sie gestern, Herr Olbertz. Das müssen Sie jetzt ertragen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der PDS und bei der SPD - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Jetzt verstehe ich, worum es Ihnen geht!)

Denn die normale Tarifanpassung innerhalb des Landeshaushalts kann es nicht sein, Herr Olbertz. Es betrifft lediglich die Personalkostenansätze innerhalb der Fachhochschulen und der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein. Nirgendwo anders gibt es das.

Denn - auch das muss ich deutlich sagen - die Reduzierung der Personalausgaben um 11,3 Millionen € setzt sich aus der Reduzierung der Auszahlung der Lehrerarbeitszeitkonten um 6 Millionen € und aus der Reduzierung der Zahlungen für die Versorgungsbezüge um 3,3 Millionen € zusammen. Die Einzigen, die bei Personalkosten in diesem Nachtragshaushalt wirklich sparen müssen, und zwar in Höhe von 1,7 Millionen €, sind die Fachhochschulen und die Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein. Nicht eine einzige andere Einrichtung in diesem Land muss das tun.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Das stimmt nicht! - Herr Tullner, CDU: Lassen Sie ihn doch einmal reden! Er sagt es Ihnen doch, Herr Gallert!)

- Nachher. Herr Tullner, er hat das gleiche Problem, wie Sie es gestern hatten. Er darf, wenn er es eigentlich wollte, nicht reden.

(Heiterkeit bei der PDS - Herr Tullner, CDU: Ich komme nach Ihnen!)

Letztlich bedeutet dies also, dass wir, die PDS, versuchen werden, zwei Zielstellungen zu verfolgen. Wir werden versuchen, bei diesen Vertitelungen der globalen Minderausgaben Alternativen zu finden, die diese aus den Zukunftsbereichen weg in andere Bereiche hinein verlagern, die aus unserer Sicht nicht so stark prioritär sind.

Bevor Sie mich fragen, welche das sind, sage ich gleich: Das traue ich mich noch nicht zu beantworten. Das werden wir in der Fraktion erst noch genauer besprechen. Auf diesen Holzpfad werde ich mich noch nicht begeben.

Wir werden natürlich - das sage ich ausdrücklich - in der Fraktion auch darüber zu diskutieren haben, wie zumindest die über den Defizitausgleich des Haushaltsjahres 2003 hinausschießende Erhöhung der Nettoneuverschuldung abgefangen werden kann. Ich sage ausdrücklich: Wir werden darüber diskutieren müssen. Eine perfekte Lösung dafür haben wir am heutigen Tag auch noch nicht.

(Zustimmung bei der PDS)

Lassen Sie mich als Letztes noch einiges zur politischen Einordnung sagen. Erwartungsgemäß haben Sie, Herr Paqué, in Ihrer Rede das von Ihnen produzierte Haushaltsdefizit als Waffe gegen politische Forderungen der PDS und vor allen Dingen des Bündnisses für ein neues Kinderbetreuungsgesetz verwendet. Das verwundert niemanden.

Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Wir werden uns dadurch nicht in die Defensive drängen lassen. Wir, die PDS, haben in unserem steuerpolitischen Konzept immer die Kriterien und Kritiken aufgebaut, die dazu dienen können, die Einnahmesituation dieses Landes zu verbessern.

Wir sagen allerdings auch eindeutig: Jawohl, wir diskutieren hier über 43 Millionen € aus der Landeskasse; wir haben aber die Situation, dass dieses Land mit einem strukturellen Defizit, einer Neuverschuldung von sage und schreibe 1,3 Milliarden € trotzdem leben kann.

Im Endeffekt - das sage ich ganz deutlich - ist diese Diskussion eine Wertediskussion. Man kann sich schlecht hinstellen und sagen, eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 1,3 Milliarden € sei akzeptabel, eine Ausgabe in Höhe von 43 Millionen € für die Kinderbetreuung jedoch nicht.

Was haben wir hier? - Wir haben eine Wertediskussion. Wir haben eine Wertediskussion, die von einer vermeintlichen haushaltspolitischen Diskussion überlagert wird und die aus unserer Sicht auf eine Grundwertediskussion zurückgeführt werden sollte.

Derjenige, der uns bei dieser Frage am meisten geholfen hat, ist Herr Scharf. Er hat als Fraktionsvorsitzender der größten Koalitionsfraktion vor nicht allzu langer Zeit eine Diskussion aufgemacht über ein Landeserziehungsgeld in Höhe von 400 € bis 500 €.

Wir haben uns einmal hingesetzt und haben das durchgerechnet. Das würde für nur einen Jahrgang, nämlich den des dritten Lebensjahres, in Sachsen-Anhalt - wir sind auch nur mit 400 Millionen € herangegangen - Mehrausgaben in Höhe von sage und schreibe 84 Millionen € bedeuten. Das ist doppelt so viel, wie wir für die Novelle des Kinderbetreuungsgesetzes im Land brauchen.

Nun frage ich Sie, Herr Paqué, nun frage ich Sie, Herr Böhmer: Was ist der Kern der Diskussion über die Kinderbetreuung? Ist es wirklich eine finanzpolitische oder ist es nicht vielmehr eine Wertedebatte, die hier geführt wird?

(Beifall bei der PDS)

Es hilft an der Stelle auch nicht, wenn man darauf verweist, dass der Bund das möglicherweise bezahlt. Herr Scharf ist lange genug Finanzpolitiker gewesen, um zu wissen, wie der Bundeshaushalt aussieht. Ich frage Sie: Wenn Ihnen 40 Millionen € aus der Landeskasse zu viel sind, aber 80 Millionen € aus der Bundeskasse nicht, was ist dann mit Ihrer Sicht auf die Situation der öffentlichen Kassen in ihrer Gesamtheit? Ist das nicht auch nur eine sehr beschränkte Sicht, eine Kirchturmpolitik, die hier betrieben werden würde?