Protocol of the Session on June 21, 2002

Wir gehen auch hierbei davon aus, dass im Rahmen der Berichterstattung der Landesregierung dargelegt werden kann, wie sie, möglicherweise im Unterschied zu der Vorgängerregierung, die Zugänglichkeit zum ÖPNV und seine Nutzbarkeit für alle Menschen verbessern wird. Das wäre zugleich ein wesentlich längerfristig wirkender Beitrag zur Standortsicherung.

Es wäre beispielsweise auch interessant zu erfahren, ob die Landesregierung in Auswertung der Erfahrungen in Hessen - CDU-regiert - plant, Schienenfahrzeuge im Nahverkehr mit fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen auszurüsten.

Viertens möchte ich darauf verweisen, dass ohne eine enge Zusammenarbeit mit den Behindertenorganisationen, mit den Betroffenen kaum Fortschritte zu erreichen sind. Deshalb die Frage: Wie will die Landesregierung mit den Behindertenverbänden, mit dem Runden Tisch der Behinderten, mit dem Behindertenbeirat zusammenarbeiten, sie einbeziehen und möglicherweise gemeinsam mit ihnen die Lebenssituation behinderter Menschen verbessern?

Meine Damen und Herren! Die von mir beispielhaft aufgezeigten Bereiche sollen verdeutlichen: Behindertenpolitik ist nicht auf Sozialpolitik und nicht auf den Sozialausschuss zu reduzieren. Insofern gäbe es Möglichkeiten, etwa im Medienbereich auf weitere Beispiele einer möglichen Aktivität durch mögliche Programme der Landesregierung hinzuweisen.

Ich werbe insofern auch um Ihre Zustimmung zu dem PDS-Antrag, weil im Rahmen der Berichterstattung zur Vorbereitung und Durchführung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen konstruktiv über Maßnahmen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebenssituation und der Teilhabechancen behinderter Menschen diskutiert werden kann. Von der Diktion her müsste über den Antrag direkt abgestimmt werden. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Herr Dr. Eckert. - Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der Landesregierung. Es spricht Herr Minister Kley. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sind natürlich immer die Lieblingsanträge der Regierung, wenn man gebeten wird, seine Konzepte vorzustellen. Seien Sie gewiss, es wird uns ein Vergnügen sein, dies zu tun; denn es ist durchaus wichtig, dass wir die Umsetzung des Ratsbeschlusses, das Jahr 2003 zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung zu erklären, auch in unserem Land dementsprechend weiter verfolgen. Die Zielsetzungen dieses Ratsbeschlusses sind soeben genannt worden, sodass ich darauf verzichten möchte.

Aber ich möchte darauf verweisen, dass die Integration behinderter Menschen insgesamt in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft merkbare Fortschritte gemacht hat.

Auch die Gesetzgeber auf Bundes- und auf Landesebene haben mit Gleichstellungsgesetzen zu erkennen gegeben, welchen Stellenwert sie behinderten Menschen als gleichberechtigten Partnern in allen Bereichen der Gesellschaft zumessen. Dennoch ist festzustellen, dass das Ziel einer allumfassenden Integration und Teilhabe behinderter Menschen noch lange nicht erreicht ist.

Dabei kann es nicht allein Gesetzesinitiativen vorbehalten bleiben, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten. Vielmehr muss aktiv auf eine Fortentwicklung des Bewusstseinswandels nichtbehinderter gegenüber behinderten Menschen hingewirkt werden.

Ein erschreckendes Beispiel für diesen notwendigen Bewusstseinswandel ist vielleicht das Urteil des Bundesgerichtshofes, das gestern bekannt wurde, nach dem ein behindertes Kind als Schaden anerkannt wurde. Das hat mich auch als Gesundheitsminister sehr betroffen gemacht, zum einen aus medizinischer Sicht; zum anderen ist es einfach nicht zu erklären, wie die Rechtslage der Bundesrepublik etwas Derartiges hergeben kann, dass es nicht um den ärztlichen Kunstfehler, um die Unterlassung geht, die durchaus anzuerkennen ist, sondern dass vielmehr das Kind als solches zur Schadenersatzpflicht führte.

Ich glaube, diesbezüglich werden wir noch viel unternehmen müssen und am Bewusstsein der Menschen arbeiten müssen. Aber auch die Gesetzgeber und sicherlich auch die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts sind an dieser Stelle gefordert, eine Rechtslage zu schaffen, die derartige Urteile demnächst unmöglich macht.

Die Landesregierung sieht in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit, die Situation und die Belange behinderter Menschen noch stärker als bisher in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken und auf diese Weise den Prozess ihrer Integration in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens voranzutreiben.

Sie begrüßt daher den Beschluss des Rates der Europäischen Union sehr und wird im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Maßnahmen durchführen, die geeignet sind, Zielsetzungen dieses Ratsbeschlusses umzusetzen.

Die integrative Beschulung ist, glaube ich, nicht das Thema. Wir werden Ihnen gern darüber berichten, wie wir dies weiterverfolgen und weiterentwickeln werden, auch darüber, wie die in der Koalitionsvereinbarung genannte Erhöhung des Anteils Behinderter in der Verwaltung erreicht wird.

Auch der barrierefreie Zugang zum ÖPNV ist in Sachsen-Anhalt schon um ein Vielfaches weiter, als es in anderen Bundesländern der Fall ist. Hierbei sind auch die Kommunen stark gefordert. Diese haben diese Aufforderung schon vor Jahren angenommen, indem sie ihre gesamten Fahrzeugparks umgestalteten und entsprechende Angebote vorhalten.

Aber auch die Landesregierung denkt daran, hier dementsprechend bewusstseinsbildend zu wirken. Zum Beispiel sollte eine Plenartagung des Landtages unter aktiver Beteiligung behinderter Menschen stattfinden. Auch dadurch werden sich der Landtag und die Landesregierung maßgeblich in das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung entwickelte Konzept einbringen.

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales wird in den nächsten Tagen ein barrierefreies Internet eröffnen; Sie sprachen von den modernen Medien. Damit zeigen wir, dass wir das Bundesgleichstellungsgesetz sehr wohl umsetzen werden und unseren Beitrag dazu leisten.

Auch über die insgesamt geplanten Vorhaben wird die Landesregierung in den von Ihnen geforderten Ausschüssen gern berichten. Allerdings möchte ich Sie darum bitten, dass der Berichtszeitpunkt nicht Ende Oktober dieses Jahres ist, und fragen, ob vielleicht eine Fristverlängerung bis Ende dieses Jahres möglich wäre. Ansonsten ist sicherlich Zustimmung möglich. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Seifert das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion der FDP weiß um die Wichtigkeit der besonderen Unterstützung und Zuwendung für körperlich, geistig und seelisch behinderte Menschen. Sie bedürfen nicht nur unserer Unterstützung und Zuwendung, sie bedürfen auch unseres besonderen Schutzes.

Die Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung sowie gerade deren Integration in das gesellschaftliche Leben wird von uns als vorrangiges Ziel sozialer Politik angesehen.

Mit der Erklärung der EU, das Jahr 2003 zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung zu machen, werden viele Aufgaben auf uns zukommen. Es bietet aber auch die Möglichkeit, sich aktiv zur Politik für behinderte Menschen zu bekennen; es bietet uns die Möglichkeit einer positiven Darstellung nach außen, um Verständnis für die Sorgen und Nöte der Behinderten zu wecken; es bietet uns die Möglichkeit, zu zeigen, wie lebenswert ein Leben auch mit Behinderung sein kann, und es bietet uns die Möglichkeit unsere behinderten Mitmenschen zu verstehen.

Die Fraktion der FDP unterstützt eine Berichterstattung zur Vorbereitung des Jahres der Menschen mit Behinderung. Da das Landesparlament möglichst konkrete Überlegungen erwarten darf und der Berichtszeitraum bis Ende Oktober 2002 zu kurz gegriffen ist, bittet die Koalition, die Vorlage des Berichts zu verschieben.

Die FDP-Fraktion wird dem Antrag zustimmen, wenn der Zeitpunkt der Berichterstattung auf das Ende des Jahres 2002 verlegt wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FPD und bei der CDU - Zustim- mung bei der PDS)

Danke schön. - Nun spricht Herr Bischoff für die SPDFraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Scharf hat eben erfahren, dass es im Viertelfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft in dem Spiel Deutschland gegen die USA 1 : 0 steht. - Ist das richtig, Herr Scharf?

(Herr Scharf, CDU: Ja! - Frau Dr. Sitte, PDS: Für wen? - Herr Gürth, CDU: Für Deutschland! Bal- lack hat das Tor geschossen! - Herr Felke, SPD: Für‘s Protokoll!)

- Man muss wenigstens über den aktuellen Spielstand Bescheid wissen.

Der Antrag ist wichtig. Wir sollten die Chance auf jeden Fall nutzen. Da ich gehört habe, dass die Eröffnung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung hier stattfinden soll, denke ich, dass es eine Chance für Sachsen-Anhalt ist, das unbedingt zu machen.

Wichtig ist auch, dass wir neben Berlin ein gutes und vorbildliches Behindertengleichstellungsgesetz haben. Vielleicht kann man dabei die ersten Ergebnisse kundtun und auswerten. Wir haben auch bereits viele Dinge im Land. Ich finde es ganz gut, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass die Vorgängerregierung das geschaffen hat. Ich glaube, das ist gut so.

Vielleicht ein Hinweis noch, weil Sie das selbst angesprochen haben: Die Gebärdensprache wird heutzutage im Fernsehen nur früh um sieben oder kurz vor sieben eingeblendet. Die Behinderten und die Gehörlosen sagen, wir müssen jedes Mal beizeiten aufstehen, um die Nachrichten mitzubekommen.

Vielleicht kann die Landesregierung dazu beitragen, dass die Rundfunkanstalten mittags oder abends zusätzliche Fernsehsendungen verdolmetschen lassen, damit Gehörlose Nachrichten oder auch Fußballspiele verfolgen können.

Ich hätte dann gern im Ausschuss noch von Ihnen gehört, was ein barrierefreies Internet ist. Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Für Kinder baut man Barrieren ein, damit die nicht alles sehen. Ich bin aber gespannt, was ein barrierefreies Internet ist. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke, Herr Bischoff. - Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Liebrecht. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Wesentlichen ist alles gesagt worden.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich denke, das Europäische Jahr der Behinderten im Jahre 2003 ist die wesentliche Chance, um ein Stück mehr die Barrieren in den Köpfen und im Bewusstsein der Menschen abzubauen. Deshalb gebe ich meine Rede zu Protokoll.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

(Zu Protokoll:)

Am 3. Dezember 2001 beschloss die Europäische Union, das Jahr 2003 zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen auszurufen. Durch diese Entscheidung bietet sich den behinderten Menschen in ganz Europa die Möglichkeit, dass ihre Rechte in den Mitgliedsstaaten in besonderer Weise an die Öffentlichkeit getragen werden.

Trotz der erzielten Fortschritte auf den verschiedenen Ebenen muss festgestellt werden, dass Rechtsvorschriften allein nicht ausreichen, solange die angestrebten Ziele keine breite Unterstützung in der Bevölkerung erfahren. Um dies zu erreichen, muss das gegenseitige Verständnis und das Zusammenleben von behinderten und nichtbehinderten Menschen verstärkt werden.

Dazu sind gezielte Aktionen erforderlich, die auf die spezielle Lebenssituation und die speziellen Bedürfnisse behinderter Menschen aufmerksam machen, um das Bewusstsein für die besonderen Bedingungen und Voraussetzungen für ein bereicherndes Zusammenleben und Zusammenarbeiten von behinderten und nichtbehinderten Menschen deutlich zu machen. Denn Betroffene sowie Verbände und Vereine weisen immer wieder darauf hin, dass das Wissen um Behinderungen und die Lebensbedingungen behinderter Menschen sowie der Umgang mit ihnen bei Nichtbehinderten sehr gering ist und demzufolge Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber Menschen mit Behinderung einer Integration im Wege stehen.

Wir müssen die Barrieren in den Köpfen und im Bewusstsein der Menschen weiter abbauen. Deshalb sind Informations- und Aufklärungskampagnen sehr förderlich, um einen nachhaltigen Bewusstseinswandel in der Öffentlichkeit herbeizuführen. Behinderte Menschen brauchen Teilhabe. Sie brauchen Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung und Gleichstellung statt Diskriminierung.

In diesem Zusammenhang kann ich den Vorschlag des Sozialministers nur begrüßen, eine Plenarveranstaltung

unter aktiver Beteiligung behinderter Menschen durchzuführen. Hier muss uns bewusst werden, dass mindestens 10 % der Menschen in Sachsen-Anhalt mit einer Behinderung leben.

Obwohl das Land Sachsen-Anhalt bereits im Oktober des vergangenen Jahres ein Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet hat, stellt sich die Frage, ob dieses auch die nötigen Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen mit sich bringt. Denn nach dem Willen der SPD sollten keine Rechtsverpflichtungen, sondern nur Zielvorstellungen in das Gesetz aufgenommen werden. Somit werden in dem vom Landtag beschlossenen Gesetz nur bisherige freiwillige Leistungen des Landes normiert.