Protocol of the Session on April 2, 2004

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Rehberger)

Darf ich eine Nachfrage stellen?

Bitte.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sehen Sie für das Waggonbauwerk in Ammendorf keine weitere Zukunftschance. Das Land hat nun einmal sehr viele Flächen auch mit Landesmitteln erworben

(Herr Kosmehl, FDP: Erwerben müssen!)

- erwerben müssen. Das sollte, wenn ich Sie richtig verstanden habe, als Chance verstanden werden, dort neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ist Ihnen bekannt, wie weit die Landesregierung bisher versucht hat, dort Ansiedlungspolitik zu betreiben?

Es geht um Folgendes: Soweit ich weiß, sind dort die Grundvoraussetzungen geschaffen, um die notwendigen Maßnahmen zur Herstellung der Infrastruktur durchzuführen, bzw. sind sie zum großen Teil schon getätigt.

(Minister Herr Dr. Rehberger: 250 Arbeitsplätze sind bisher dort entstanden!)

- Wie ich gerade höre, sind bereits 250 Arbeitsplätze neu geschaffen worden.

Das Entscheidende ist, Frau Grimm-Benne: Das ist ein Teilareal des gesamten Werkes. Wenn tatsächlich der Beschluss des Aufsichtsrates da ist - wir haben noch immer Hoffnung, dass das nicht passiert -, dann hat man natürlich auch die Möglichkeit, für das gesamte Areal einschließlich des jetzigen Werksgeländes zu versuchen, ein nachhaltiges Entwicklungskonzept für neue Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Rehberger)

Vielen Dank, Herr Dr. Schrader. - Nun erteile ich Herrn Dr. Thiel das Wort, um für die PDS-Fraktion zu sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Ammendorfer, die PDS-Fraktion hat euren jahrelangen Kampf um den Erhalt des Standortes stets unterstützt und sich aktiv für die weitere Existenz des Unternehmens eingesetzt. Das tun wir auch heute und jetzt. Aus diesem Grund haben wir uns dem Aktionsbündnis zum Erhalt eures Werkes angeschlossen.

Ihr seid nach meiner Auffassung zu Recht erbost, wütend und stinksauer. Als Spielball von Wirtschaft und Politik wurdet ihr seit 1990 hin- und hergerollt, von der Treuhand zu Advent, dann zu Adtranz und von dort zu Bombardier, ohne dass auch nur einmal jemand eine längerfristige, tragfähige Lösung oder ein dauerhaftes Konzept für den Erhalt des Waggonbaus in die Tat umgesetzt hat.

Wie Hohn muss auch die Ende vergangenen Jahres abgeschlossene Standortsicherungsvereinbarung empfunden werden; denn darin ist zwischen dem Konzern und dem Betriebsrat festgelegt worden, dass bis 2006 die Stellen für 640 Beschäftigte gesichert werden. Hierbei wurden die Beschäftigten und die gesamte Region regelrecht getäuscht.

(Zustimmung bei der PDS)

Jawohl, Herr Minister Rehberger, es ist ein schwerer Schlag für die gesamte Region um Halle herum. Das Aus für den Waggonbaustandort bedroht neben den 745 Stellen im Werk auch noch weitere fast 800 Arbeitsplätze in der Region. Das sind vor allem Zulieferer und Dienstleister, also Handwerksbetriebe, denen der Verlust von Aufträgen und damit der Verlust ihrer Existenz droht.

Die Schließung des letzten großen Produktionsstandortes in Halle ist ein gravierender Einschnitt in die wirtschaftliche Lebens- und Leistungsfähigkeit der Region. Die damit einhergehende Signalwirkung hat nach unserer Auffassung nachhaltig abschreckenden Charakter für potenzielle Investoren und für die Entscheidung insbesondere junger und gut ausgebildeter Fachkräfte, in der Region zu bleiben.

(Beifall bei der PDS)

Die Schließung entwertet materielles, finanzielles, soziales und ideelles Engagement der Betroffenen und Beteiligten in den letzten Jahren.

Sicherlich wird hier zu Recht die Einschätzung getroffen, dass diese Branche weltweit keine rosigen Zeiten hat. Deshalb will Bombardier vor allem eines, nämlich sich durch die Entledigung aller so genannten nicht wirtschaftlichen Standorte gegenüber den Mitkonkurrenten Siemens und Alstom Vorteile verschaffen und sich auf die Überholspur setzen.

Das ist das Ergebnis der seit den 80er-Jahren erfolgten Liberalisierung des Schienenfahrzeugmarktes, der nicht, wie versprochen, zu mehr Wettbewerb, sondern zu Verdrängung und Marktkonzentration geführt hat.

(Beifall bei der PDS)

Dabei interessiert es die Konzernspitze im weit entfernten Kanada wohl wenig, welche konkreten Auswirkungen ihr Beschluss auf eine Stadt wie Halle hat. Eine solche Entscheidung erfolgt meist zulasten der Schwächsten und zulasten derer, die die geringste Lobby haben. Sie ist nicht nur eine Enttäuschung, wie Minister Rehberger gesagt hat. Sie ist Ausdruck der Ohnmacht der Politik gegenüber der Wirtschaft.

(Zustimmung von Frau Dr. Klein, PDS)

Sie ist ein Merkmal dafür, welchen Stellenwert unsere Landesregierung hat, um in gleicher Augenhöhe mit Global Players zu verhandeln - unabhängig davon, ob diese Waggons oder gentechnisch verändertes Saatgut anbieten wollten.

Wir haben uns in Landtagsdebatten und Ausschusssitzungen oftmals mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und kleinlichen Streitereien darüber beschäftigt, wer wann welche Zusage gegeben hat, ob es Schröder oder Höppner, Daehre oder Rehberger waren. Dabei haben wir verpasst, dass es eigentlich um ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht mit überregionaler Bedeutung geht.

Die jetzige Ursache für die Misere sollen Überkapazitäten sein. Was bedeuten Überkapazitäten? - Sie bedeuten eine zu geringe Abnahme von Produkten. Worin liegt das Problem beim Schienenfahrzeugbau? - Es liegt vor allem in den politischen Entscheidungen darüber, wie eine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik als ein nachhaltiges umwelt- und sozialverträgliches System zur Befrie

digung gesellschaftlicher Mobilitätsbedürfnisse auszugestalten ist.

(Lebhafter Beifall bei der PDS)

Der Schiene mehr Chancen. Das ist die Chance, die in den letzten Jahren verpasst worden ist.

(Beifall bei der PDS)

Dabei hat der Aufbau-Ost-Verhinderungsminister Stolpe mit seinem Ministerium ziemlich versagt. Auch Bund und Land haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, eine solche Verkehrspolitik zu entwickeln, die auch europäische Dimensionen berührt und die den Waggonbauern eine langfristige Perspektive bietet.

Wenn auch Herr Scharf in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung betont hat, er weise Anschuldigungen, man habe bezüglich Ammedorf zwei Jahre lang geschlafen, entschieden zurück, so stelle ich fest: Aktivitäten gab es tatsächlich, Herr Scharf, ohne Zweifel, bis hin zu dem vielmals zitierten Flächenkauf von 7 Millionen € und den mehr oder weniger vorhandenen Ansiedlungsergebnissen.

Sie haben es aber verschlafen, das Problem grundsätzlich im oben genannten Sinne anzupacken. Sie wollen nach schlechter Medizinermanier immer nur die Symptome bekämpfen, anstatt die Ursachen anzugehen.

(Beifall bei der PDS)

Sie verschlafen auch dahin gehend, tatsächlich wirtschaftspolitische Konzepte - ich betone: Konzepte und keine Pressemitteilungen - für eventuelle Arbeitsplatzalternativen zu entwickeln. Was bleibt denn dem qualifizierten und spezialisierten 50-jährigen Waggonbauer als Perspektive außer dem Weg zum Arbeitsamt? Was bleibt dem kleinen Elektrohandwerker mit Serviceauftrag, als sich in die Reihen der bereits um die Existenz kämpfenden Unternehmen einzureihen? Wo soll die Verwaltungsangestellte eine neue Arbeit finden, wenn, wie gestern zu erfahren war, der öffentliche Dienst weiter mit Personal ausgedünnt werden soll?

„Ein schwarzer Tag für Sachsen-Anhalt“ war in der Presse zu lesen. Jawohl, es ist ein schwarzer Tag. Betrachtet man aber die Entwicklung seit Jahresbeginn in unserem Land, kann man wohl eher von einem „schwarzen Quartal“ sprechen. Wohl jeder in Sachsen-Anhalt wünscht sich einen spürbaren Aufschwung und weniger Hiobsbotschaften von Unternehmensschließungen oder Verlagerungen. Dem stehen die bereits bekannten Meldungen in der Presse gegenüber.

Zu KSR Magdeburg, zu Doppstadt, zu Bad Kösen, zu Lochau, zu Genthin, zu Flex-Team in Merseburg habe ich schon in der Januardebatte etwas gesagt. Sie finden aber eine logische Fortsetzung im Waggonbau Ammendorf, bei Rege Motorenteile Magdeburg, bei Mafa Sangerhausen, bei Zemag Zeitz, bei der Heizung-Sanitär GmbH Quedlinburg oder bei MKM Hettstedt. Das ist eine Fortsetzung in erheblichen Dimensionen. Es ist also nichts von der versprochenen Beruhigung des Insolvenzgeschehens in diesem Jahr zu spüren. Es stagniert, aber auf dem hohen Niveau des Vorjahres.

Da nützen weder feierliche Grundsteinlegungen oder Inbetriebnahmen etwas, die sicherlich notwendig sind. Diese werden durch das Wegbrechen von einer Vielzahl wichtiger Unternehmen konterkariert. Von einem Musterland für Investoren mit einer Vielzahl wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze sind wir noch weit entfernt.

Ministerpräsident Böhmer formulierte gestern die Ziele der Wirtschaftsförderung zum Erreichen einer selbsttragenden Wirtschaftsentwicklung. Zusammengefasst in wenigen Punkten heißt das: Fördermittelkonzentration auf das verarbeitende Gewerbe, weniger Zuschüsse in der Darlehensausreichung, mehr Hilfe durch Selbsthilfe durch die ISB, Beibehaltung des Status der EU-Förderung. Die erfolgreichste Branche ist die Ernährungsgüterwirtschaft. Wenn das alles war zum Thema „Chancen kreativ nutzen - Zukunft innovativ gestalten“, dann sind wir wohl von einer selbsttragenden Wirtschaftsentwicklung weit, weit entfernt.

(Beifall bei der PDS)

Wir erwarten hierzu von der Landesregierung und insbesondere vom Wirtschaftsminister einen kritischeren Blick auf die tatsächliche Lage der Unternehmen im Land. Wozu haben wir einen Wirtschaftsminister, wenn sich er zu all diesen Vorgängen kaum äußert und keine Lösungen oder Vorschläge anbietet? Es kann nicht sein, dass die Landesregierung bei problematischen Entwicklungen überrascht ist oder so tut. Wir erwarten ein schärferes Monitoring des vorhandenen Bestandes an Unternehmen im Land, um - wenn möglich und nötig - eine gezielte Hilfe und Unterstützung rechtzeitig anbieten zu können.

Hinsichtlich des Waggonbaustandortes in Halle-Ammendorf ist nach unserer Auffassung im Sinne der Betroffenen ein breites Aktionsbündnis von Stadt, Region, Wirtschaft und Land sowie der Bundesregierung dringend notwendig. Beschäftigte, Interessenvertretungen wie Betriebsrat und Gewerkschaften, Vertreter der Unternehmensleitung, der Landesregierung, der Stadt und der Landkreise, dem Saalkreis sowie dem Landkreis Merseburg-Querfurt, des Arbeitsamtes und der Kammern sollten sich umgehend unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums zusammenfinden. Ziel muss es sein, eine Lösung zu konzipieren, die den Standort und seine Arbeitsplätze erhalten hilft. Dabei ist der Waggonbau Ammendorf nicht aus dem Auge zu verlieren.

Wege könnten nach unserer Auffassung eine Auffanglösung, die gemeinsam von Bund und Land getragen wird, sowie ein Management-Buyout sein. Letzteres dürfte angesichts des offensichtlichen Desinteresses von Bombardier an diesem Standort durchaus kein Problem sein. Wir können Minister Daehre nur das Beste wünschen, aus Syrien reale Ergebnisse mitzubringen. Es ist immer nur schade, dass solche Vorhaben erst dann bekannt werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.

(Beifall bei der PDS - Minister Herr Dr. Daehre: Seit einem halben Jahr verhandeln wir!)

Im Gespräch sollte auch bleiben, den Standort Ammendorf als Alternative zum Neubau eines Servicewerkes in Magdeburg zu entwickeln. Bewusst irreführend und zynisch ist es seitens der Geschäftsführung von Bombardier gewesen, die Schließungsentscheidung mit der Vergabe des Nordharznetzes durch das Land zu verknüpfen. Damit wurde lediglich der Versuch unternommen, die Verantwortung von sich zu weisen.

(Beifall bei der PDS)

Bombardier hatte Unternehmensentscheidungen längst gegen Ammendorf gefällt.

Nunmehr wird unsere Glaubwürdigkeit als Politiker davon abhängen, wie es uns gelingt, konkrete Hilfe zu or

ganisieren. Wir als PDS-Fraktion wollen uns daran gern aktiv beteiligen. - Ich danke Ihnen.