Protocol of the Session on April 1, 2004

Kindertagesstätten sollten sich zu familienzentrierten Nachbarschaftszentren weiterentwickeln. In Zusammenarbeit mit den sozialpädagogischen Mitarbeitern der Grundschulen wollen wir die Bildungsangebote in den Kindergärten mit dem Programm „Lust auf Schule“ erweitern.

Wir werden das Kinderbetreuungsgesetz novellieren und in einigen Bereichen nachbessern, aber wir werden es nicht grundlegend ändern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Unter allen 16 deutschen Ländern bieten wir den umfassendsten Rechtsanspruch. Es gibt kein anderes Land, in dem ein Neugeborenes praktisch schon am Tage der Geburt einen Rechtsanspruch auf staatliche Halbtags- oder - bei Erwerbstätigkeit oder Ausbildung der Eltern - auf Ganztagsbetreuung hätte.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch aus § 24 SGB VIII lässt sich kein Ganztagsanspruch ableiten. Nach wie vor haben wir das anspruchsvollste Kinderbetreuungsgesetz aller deutschen Länder. Es gibt aber kaum ein anderes Flächenland in Deutschland, in dem ein Neugeborenes am Tage der Geburt schon eine solch hohe statistische Schuldenlast aufgebürdet bekommt, wie das bei uns in SachsenAnhalt der Fall ist.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Deswegen müssen wir auch über Geld reden. Die Zukunft unserer Kinder wird kaum dadurch belastet, dass wir ihnen die eigenen Eltern für einige Stunden am Tage zumuten,

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

aber sie wird dadurch belastet und erheblich erschwert, dass wir ihnen noch in zwei bis vier Jahrzehnten zumuten, für die Bezahlung jener Wünsche arbeiten zu müssen, die wir uns gegenwärtig zulasten unserer Kinder erfüllen möchten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Darüber brauchen wir eine breite Diskussion in unserem Land, meine Damen und Herren.

Konkrete Vorschläge zur Einführung eines Familienpasses und zu einer besseren Vernetzung familienfördernder Maßnahmen werden wir mit einem Gesetzentwurf in der zweiten Hälfte des Jahres vorlegen.

Mit unseren eigenen Einnahmen - das muss immer wieder deutlich gemacht werden - können wir gegenwärtig nur weniger als 45 % der von uns als notwendig empfundenen Ausgaben decken. Die Zuführungen aus dem EU-Strukturfonds und dem Solidarpakt sind deutlich degressiv. Die Gemeinschafts- und Mischfinanzierungen mit dem Bund werden in der Föderalismuskommission hinterfragt und sollen zurückgeführt werden. Der innerdeutsche Finanzausgleich würde seine Rechtsgrundlage verlieren, wenn die Länder ein eigenes Steuerrecht bekämen. Immer mehr Ländern fördern das und fordern steuerrechtliche Gestaltungskompetenzen.

Das Solidarpakt-Fortführungsgesetz von 2001 wird nicht infrage gestellt. Die Fortführung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen ist an die Pflicht der neuen Länder einschließlich ihrer Gemeinden zum Nachweis der zweckgerechten Verwendung der empfangenen Mittel zur Schließung der Infrastrukturlücke und zum Ausgleich teilungsbedingter Lasten gebunden. Dieser Nachweis ist jährlich in einem Fortschrittsbericht „Aufbau Ost“ öffentlich vorzulegen.

In dem Bericht für das Jahr 2002 wird von Sachsen-Anhalt behauptet, dass es nur ca. 46 % der empfangenen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zweckentsprechend verwendet hätte. Die Bundesländer Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern liegen bei 100 %.

Von einigen Geberländern wird jetzt diskutiert, diese SoBEZ - Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen - jährlich um den Betrag zu reduzieren, der im Vorjahr nicht zweckentsprechend ausgegeben wurde. Das wird so nicht kommen, weil Bewertungsmaßstäbe und Definitionen noch viel zu fehlerbehaftet sind. Für Sachsen-Anhalt wäre das eine Katastrophe.

Allein die öffentliche Diskussion aber sollte uns beweisen, wie sehr wir unsere Ausgabenpolitik kritisch betrachten müssen. Wenn wir uns Sozialleistungen leisten, die sich Länder, von deren Steuern wir leben, nicht leisten können, wird der innerdeutsche Solidarpakt fragil.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Es ist sicher, dass es einen Solidarpakt III nicht geben wird. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir unsere Zukunftsdiskussion führen. Dies kann nur mit einer realistischen Bestandsaufnahme beginnen.

Von der SPD-Fraktion habe ich gelesen, dass sie eine Publikationsreihe zur Zukunftsdiskussion geplant hat. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Ich begrüße das. Alle anderen Parteien sollten dies ebenso aufnehmen und mit eigenen Beiträgen begleiten.

Dabei nützen uns weder schlichtes Wunschdenken noch irreale Visionen. In Sachsen hat die PDS ein alternatives Landesentwicklungskonzept vorgelegt, das solide recherchiert worden ist und lesenswert ist. Wir brauchen innovative Gedanken und eine Konzentration auf das Mögliche.

Das Extrapolieren gegenwärtiger Entwicklungstrends verdeutlicht hilfreich die Entscheidungssituation, um ungewollte Entwicklungen durch beherztes Umsteuern zu vermeiden. Dabei ergeben sich für die neuen Länder im

Allgemeinen und für uns in Sachsen-Anhalt einige nicht unbedingt einfache Schlussfolgerungen.

Wenn wir unseren Haushalt wie ein Staat innerhalb der EU abrechnen müssten, dann würden auch wir die Maastrichter Konvergenzkriterien überschreiten. Auf Bundesebene wird über einen nationalen Stabilitätspakt diskutiert, der die hoch verschuldeten einzelnen Länder in die Strafzahlungen an die EU einbinden soll. Auch dies hätte für Sachsen-Anhalt katastrophale Folgen.

Die konsequente Sparpolitik mit dem Ziel der Senkung der Neuverschuldung und später der Zinslast muss noch viele Jahre fortgesetzt werden. Ohne - das ist rein fiktiv - weitere Neuverschuldung würden wir bei einem theoretisch angenommenen Wirtschaftswachstum von 3,5 % jährlich etwa 20 Jahre brauchen, um aus eigener Kraft die Pro-Kopf-Verschuldung auf den gegenwärtigen Durchschnitt der westlichen Flächenländer absenken zu können.

Das Extrapolieren gegenwärtiger Trends über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinaus mag fehlerbehaftet sein, es macht aber den Handlungsdruck deutlich, der notwendig ist, um eine sonst vorherberechenbare Entwicklung abzuwenden. Deswegen sind solche Überlegungen verdienstvoll und für uns alle wichtig.

Die schmerzhaften Sparmaßnahmen, die sich gegenwärtig auch die Zahlerländer im transversalen innerdeutschen Finanzausgleich selbst zumuten müssen, bis hin zur Verlängerung der Arbeitszeit mit Kündigung der Arbeitszeitverträge in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder - dies alles macht deutlich, wie ernst die Situation auch für uns ist.

Noch immer ist es so, dass etwa jeder dritte Euro, der in den neuen Bundesländern ausgegeben wird, in den alten Bundesländern verdient werden muss. Deswegen bedarf die wirtschaftliche Entwicklung bei uns auch weiterhin einer ganz speziellen Förderung.

Ich habe auch dem Bundeskanzler zu erklären versucht, dass es dabei nicht um mehr Geld, sondern um die rechtlichen Freiräume im Emissionsrechtehandel sowie im Tarif- und Arbeitsrecht und um Begünstigungen bei der Infrastrukturentwicklung gehen soll. Konkrete Vorschläge dazu werden die Ministerpräsidenten der neuen Länder, soweit das möglich ist, gemeinsam vorlegen. Deswegen sitzen wir zum Beispiel morgen Nachmittag zusammen.

Eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme ist eine nationale Aufgabe. Das einstige Erfolgssystem in Deutschland hat sich selbst übersteuert. Andere Staaten sind inzwischen einfach besser als wir. In fast allen anderen Staaten wird mehr gearbeitet als bei uns.

Der Versuch, die Arbeitslosigkeit durch eine Verteilung der Arbeit auf eine größere Anzahl von Personen zu reduzieren, hat das Gegenteil bewirkt, weil die Arbeit bei uns zu teuer geworden ist. Innerhalb Deutschlands ist Sachsen-Anhalt das schwächste Glied mit der höchsten Verschuldung und der höchsten Arbeitslosenquote. In einem Umfeld, das auf mehr Autonomie und Wettbewerb orientiert ist, werden wir Verlierer bleiben, wenn wir nicht die Kraft entwickeln, uns selbst helfen zu wollen. Wer sich mehr leisten möchte, der muss erst einmal selbst mehr leisten.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Allein die gegenwärtige Diskussion um einen von uns selbst eingeführten Feiertag beweist, wie die unterschiedlichen Standpunkte quer durch die Fraktionen und Parteien gehen. Das trifft auch auf viele andere Probleme zu. Deshalb, so denke ich, brauchen wir eine fraktions- und parteiübergreifende sachorientierte Zukunftsdiskussion.

Wir werden von anderen nicht mehr Hilfe erwarten können, als wir erkennbar bereit sind, uns selbst zu helfen. Der beste Weg in die Zukunft ist noch immer der, den wir selbst aktiv gestalten können. Nur wenn wir aus den unvermeidbaren Umständen auch Chancen gestalten und den Mut und die Kraft aufbringen, diese auch zu nutzen, werden wir erfolgreich sein. Die ersten Erfolge sind, auch in dem problematischen Bereich des Arbeitsmarktes, erkennbar. Ich denke, das werden Sie in den nächsten Tagen aus den Zahlen, die dann veröffentlicht werden, selbst ablesen können.

Wir haben auch realistische Chancen - sicherlich nicht weniger als unsere Nachbarländer. Einige von ihnen haben ihre Chancen aber besser genutzt als wir. Wir werden das jetzt schrittweise aufholen. Wir müssen unsere Chancen nur erkennen und konsequent und innovativ nutzen.

Bei einem gegenwärtigen Sozialtransfer von ca. 83 Milliarden € jährlich aus den alten in die neuen Bundesländer sollte niemand erwarten, dass die Lösung unserer Probleme schon irgendwie von außen kommen wird. Sie muss von uns kommen oder sie wird nicht kommen.

Meine Damen und Herren! Ich denke, das Schicksal unseres Landes wird davon abhängen, ob es in diesem Haus immer eine Mehrheit derjenigen gibt, die bereit sind, mutig neue Wege zu gehen. Soweit es der Landesregierung möglich ist und es in unserer verfassungsgemäßen Kompetenz liegt, werden wir dafür auch weiterhin Vorschläge unterbreiten. - Ich danke Ihnen.

(Starker, langanhaltender Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Ministerpräsident. - Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 1 b:

Aussprache zur Regierungserklärung

Zuvor habe ich die Freude, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Wolfen-Stadt bei uns begrüßen zu können. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Der Ältestenrat schlägt für die Aussprache die Redezeitstruktur „F“ und damit eine Debatte von 170 Minuten Dauer in folgender Reihenfolge und mit folgenden Redezeiten vor: SPD 26 Minuten, CDU 50 Minuten, PDS 26 Minuten, FDP 18 Minuten. Der Landesregierung steht eine Redezeit von 50 Minuten zur Verfügung.

Als erstem Debattenredner erteile ich dem Vorsitzenden der Fraktion der SPD Herrn Dr. Püchel das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben uns

eben Ihre dritte Regierungserklärung - diesmal zum Thema „Chancen kreativ nutzen - Zukunft innovativ gestalten“ - vorgetragen, die uns vorher als Aus- und Rückblick angekündigt worden war. Lassen Sie mich das, was Sie eben vorgetragen haben, aus meiner Sicht kurz zusammenfassen.

Erstens. Sachsen-Anhalt ist auch nach zwei Jahren Schwarz-Gelb weiterhin Schlusslicht.

(Herr Gürth, CDU: Stimmt doch gar nicht! - Herr Kehl, FDP: Stimmt nicht! Sehr gut!)

Zweitens. Nach Ihrer Analyse hat die Landespolitik hierfür keine Verantwortung. Sie glauben sich auf dem richtigen Weg.

Drittens. Ein klar definiertes Zukunftsprogramm hat Ihre Rede nicht enthalten.