Protocol of the Session on November 21, 2003

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Herrn Tullner für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, dass ich den Tenor meiner Rede eigentlich anders gefasst hatte, weil ich dachte, es ginge um die Kommunalfinanzen. Wir haben uns jetzt in einen steuerpolitischen Diskurs verwickelt. Aber ich versuche ein Stück weit darauf einzugehen, weil ich denke, dass das der Thematik am meisten entgegenkommt.

Frau Theil, zunächst ist uns allen, denke ich, die Sorge um die Kommunalfinanzen gemein. Das ist eigentlich auch kein Thema, bei dem wir uns als Fraktionen grundsätzlich unterscheiden. Es geht vielmehr immer um die Frage, wie wir den Weg beschreiten. Ich hatte gedacht, dass wir das im Zuge der Haushaltsberatungen machen. Aber vielleicht ist es ganz gut, dass wir es heute tun, damit wir uns detaillierter darüber austauschen. Es ist nur schade, dass wenige von den Kollegen Finanzpolitikern im Raum sind, aber das ist eben manchmal so.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Herr Doege! Kennen Sie Herrn Doege?)

- Herr Doege ist da, gut. Ich dachte schon, die Sozialdemokraten bzw. deren Finanzpolitiker interessiert es nicht.

Ich denke, die Bundespolitik, über die wir eben bereits gesprochen haben, ist ein wichtiger Aspekt dieser ganzen Thematik. Die schlechte Situation der Kommunalfinanzen zu beklagen ist das eine, aber wir alle wissen auch genau, wie es um die Landesfinanzen steht und in welcher Lage sich die Finanzen des Bundes befinden.

Ich glaube, die Kaskade des Steuerverfalls, die wir in den letzten Jahren in Deutschland insgesamt zu erleiden hatten, ist eine der Hauptursachen, die auch eng mit der Wirtschaftspolitik zusammenhängt. Wir müssen jetzt nicht in einseitige Schuldzuweisungen verfallen - obwohl mir das an diesem Punkt leicht fiele -; denn das würde den Kommunalfinanzen nichts bringen.

Ich will nur sagen: Wir alle müssen jetzt im Vermittlungsausschuss endlich gemeinsam Anstrengungen unternehmen und die Probleme lösen, die wir alle seit Jahren kennen. Wir sprechen seit Jahren darüber, aber nie ist etwas passiert. Jetzt haben wir die Chance, dass Bundestag und Bundesrat im Vermittlungsausschuss zu einem einvernehmlichen Kompromiss kommen. Ich denke, nur das kann die Grundlage für die Sanierung der Finanzen auf allen drei staatlichen Ebenen sein.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz meine Skepsis dahin gehend formulieren, dass ich in den letzten zwei Jahren und auch angesichts der Bundespolitik erkannt habe, wie man einen Kompromiss erreicht. Ich glaube, dass man sich dafür Zeit nehmen muss, weil die Dinge nun einmal sehr kompliziert sind.

Wenn ich zur Kenntnis nehme, dass mehr als 6 000 Seiten Papier in diesem Vermittlungsausschuss landen, und wenn ich mir die Struktur der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss anschaue - dort läuft ja eine sehr

statische Diskussion -, dann habe ich ein bisschen die Sorge, dass wir wieder anfangen, etwas mit heißer Nadel zu stricken. Wir müssen darauf achten, dass wir die Sachverhalte wirklich sorgfältig beraten können - mit „wir“ meine ich in diesem Fall den Bund.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Die Dinge müssen dort einvernehmlich und fundiert geklärt werden. Dabei müssen wir alle aufpassen, dass wir im Parlament unseren Einfluss auf die bundespolitischen Akteure nutzen.

Wenn wir über die Kommunalfinanzen reden, sind wir uns auch dessen bewusst, dass wir umdenken müssen. Nicht alle Leistungen, die die Kommunen bisher erbracht haben, sind auch in Zukunft so finanzierbar und leistbar.

Kürzlich war in der „Volksstimme“ ein Artikel von einem Herrn Theis von der Fachhochschule Halberstadt zu lesen, in dem er sich sehr dezidiert und pointiert darüber geäußert hat, dass die Kommunen ihre Grundaufgaben nicht erfüllt hätten. Ich denke, das war sicherlich polemisch überzogen, aber genauso, wie wir im Land darüber nachdenken müssen, welche Aufgaben wir zukünftig erfüllen wollen und wo wir die Schwerpunkte unserer Landespolitik setzen wollen, so müssen das auch die Kommunen tun. Ich verweise auf die Schulentwicklungsplanung.

Wir müssen aufhören, die alten Grabenkämpfe weiter zu führen und zu beklagen, dass die Landesregierung die Mittel für das Theater oder das Schwimmbad kürzt. Wir alle müssen gemeinsam entscheiden, welche Aufgaben wichtig sind und welche Aufgaben wir uns als Land bzw. als Kommune zukünftig leisten wollen. Wenn wir diese ehrliche Debatte führen - die Kommunalwahl ist ein Gradmesser dafür, inwieweit das gelingt -, dann können wir auf dem richtigen Wege fortschreiten, vor allem wenn es uns gelingt, auf bundespolitischer Ebene die Fundamente dafür zu setzen, dass wir eine Finanzierung aller öffentlichen Haushalte erreichen, die stetig und verlässlich ist.

Die CDU hat mit Merz und Kirchhoff hierzu zwei sehr wichtige und auch richtige Reformmodelle vorgelegt. Ich bin gespannt, wie die Diskussion auf der Bundesebene vonseiten der Sozialdemokraten dazu geführt wird. Die Signale, die wir bisher bekommen haben, stimmen ganz optimistisch.

(Lachen bei der SPD)

- Ich weiß gar nicht, was Sie daran so heiter stimmt, meine Damen und Herren. Ich denke, das ist ein wichtiges Thema. Ihre Belustigung kann ich überhaupt nicht verstehen; es sei denn, Sie nehmen die Kommunalfinanzen nicht ernst.

(Unruhe bei der SPD)

Die zweite Ebene ist, dass wir im Land und in den Kommunen dazu kommen, die Aufgabenkritik ernst zu nehmen. Dann, denke ich, haben wir einen guten Kompromiss gefunden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Haushaltsdebatte, die wir in der nächsten Landtagssitzung führen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt noch eine Zusatzfrage. - Bitte sehr, Herr Gallert.

Herr Paqué hat es geschafft, mir zwanzig Minuten lang zu verheimlichen, wie er den Kommunen helfen will. Er hat nur gesagt, die Wirtschaft dürfe das nicht bezahlen. Aus Zeitungsartikeln geht hervor, dass er es auf die Einkommensteuer der Arbeitnehmer umlegen will. Das ist nicht so überraschend.

Jetzt frage ich Sie: Wodurch soll denn die Soforthilfe im Jahr 2004, von der der Finanzminister gesprochen hat, eigentlich finanziert werden? Er hat für die Landesregierung gesagt, dem Land dürfe nichts weggenommen werden, der Wirtschaft dürfe nichts weggenommen werden. Jetzt sagen Sie mir doch einmal, woher die Soforthilfe finanziert werden soll.

(Zuruf von Frau Kachel, SPD)

Herr Gallert, ich wollte darauf eigentlich erst während der Haushaltsdebatte eingehen, aber vielleicht kann ich heute schon etwas dazu sagen.

(Zurufe von der SPD)

Zwei Punkte dazu: Erstens. Wir sind im Landeshaushalt - die Beratungen sind fast abgeschlossen - bis zur letzten Minute - das habe ich im Ausschuss bereits gesagt - bemüht, in Bezug auf die Kommunalfinanzen etwas zu tun. Ich kann sagen, dass wir im Bereich der Investitionen noch ein Signal setzen werden. Auch was die Finanzierung der Grundsicherung angeht, werden wir in der nächsten Woche noch etwas für die Kommunen erreichen können. Somit haben wir dann, was die Landesseite angeht, doch etwas getan.

Herr Gallert, in Bezug auf die Finanzierung auf Bundesebene muss ich ganz klar Folgendes sagen: Die grundlegende Reform, die wir erreichen wollen, bekommen wir nicht über Nacht, also brauchen wir ein Soforthilfeprogramm. Sie haben das angesprochen.

(Zuruf von Frau Theil, PDS)

- Wie bitte?

(Frau Theil, PDS: Das haben wir schon lange beantragt! - Weitere Zurufe von der SPD und von der PDS)

- Das ist doch ganz klar. - Herr Gallert, man kann das doch nicht eindimensional sehen und sagen, das bezahlen eben die Länder oder das bezahlt der Bund allein oder das bezahlt die Wirtschaft.

(Zurufe von der SPD)

Wir müssen einen Kompromiss finden, an dem sich alle Ebenen beteiligen. So einfach ist das. Ich würde dabei nicht in Kaffeesatzleserei oder in Orakeldeutung verfallen. Ich denke, diese Aufgabe hat die Bundespolitik. Wir als Land können zwar über unsere Gremien Einfluss nehmen, aber entscheiden können wir das nicht.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Bud- de, SPD)

Danke sehr, Herr Abgeordneter Tullner. - Für die SPDFraktion wird der Abgeordnete Herr Dr. Polte sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorgestern, am 19. November vor 195 Jahren hat der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Städteordnung unterzeichnet und in Kraft gesetzt. In dieser Städteordnung ist als Herzstück das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung enthalten. Das war gut so; denn auf dieser Basis hat sich in fast 195 Jahren in den deutschen Städten und Gemeinden vieles mit bürgerschaftlichem Engagement auf ehrenamtlicher Basis in die richtige Richtung entwickelt.

(Zustimmung bei der SPD)

Das waren damals die alten preußischen Reformer um den Freiherrn vom Stein, wenn ich einmal an die Geschichte erinnern darf.

Auch Dank der deutschen Einheit haben viele Städte und Gemeinden seit 1990 in Verbindung mit sehr viel Engagement der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker Großartiges in Bezug auf die Sanierung und Erneuerung der kommunalen Lebensbereiche geleistet.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Aber man muss in Deutschland fragen - und das nicht erst seit heute -: Wie ist es 195 Jahre nach der In-KraftSetzung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung um diese in Deutschland im Allgemeinen und in Sachsen-Anhalt im Besonderen bestellt? Die Kommunen in Sachsen-Anhalt gehen baden und das Wasser steht ihnen bis zum Hals. Wir haben alle dieses eindrückliche Bild als Synonym für die katastrophale Lage der Kommunen gesehen.

Aber kommunale Selbstverwaltung kann nur funktionieren, wenn eine echte eigene Finanzhoheit der Kommunen gegeben ist. Diese ist nicht nur gefährdet, sondern sie ist über weite Strecken nicht mehr gegeben, sodass die Kommunen nur noch verwaltet werden. Dort wird nicht mehr gestaltet. Das ist doch unser Problem.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Die Kommunen sind derzeit in einem Sparkorsett, das kaum noch Möglichkeiten für Neu- und Erhaltungsinvestitionen zulässt. Fördergelder für Kultur, für Soziales und für Sportvereine haben längst eine höchst kritische Masse erreicht, und die Schließung von kommunalen Einrichtungen ist an der Tagesordnung. Sie kennen das alle aus Ihren Kommunen.

Wie hieß es doch im Landtagswahlkampf 2002? - Mehr Geld für die Kommunen, höhere Investitionsquoten, mehr Geld für die Bildung, kostenloser Kindergartenplatz. Und jede Kommune kann in ihrer Kleinteiligkeit die Zukunft verschlafen, koste es, was es wolle.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Tatsache ist aber - ich will nur wenige Zahlen nennen -, dass die Mittel für Investitionen für die Kommunen im Jahr 1993 in Sachsen-Anhalt 2,8 Milliarden € betragen haben. Im Jahr 2000 waren es immerhin noch 2,5 Milliarden €. Im Jahr 2003 sind es voraussichtlich nur noch 1,9 Milliarden €. Und die Zukunft? In welche Richtung das geht, wissen wir. Das bedeutet, es sind insgesamt 900 Millionen € weniger. Das hat Auswirkungen auf die mittelständische Wirtschaft in den Kommunen, das ist ganz klar; denn das sind nicht ausgelöste Aufträge. Da

durch kommen wiederum keine Steuern in die kommunalen Kassen. Das ist eben so.