Protocol of the Session on October 24, 2003

Herr Präsident, jetzt haben wir den seltenen Fall, dass der Abgeordnete wahrscheinlich noch an seiner Rede schreibt. Ich weiß nicht, aber wir finden ihn nicht.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

- Wie bitte?

(Frau Liebrecht, CDU: Der sitzt vor der Tür! - Wei- tere Zurufe: Er kommt!)

Gut, er ist auf dem Wege.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Herr Oleikiewitz, Sie erhalten nunmehr das Wort.

Ich bitte vielmals um Vergebung. Aber wir hatten draußen ein Problem zu lösen, das auch mit Umwelt- und Naturschutz zu tun hat. Deswegen habe ich ein nicht ganz so schlechtes Gewissen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion greift mit dem Ihnen vorliegenden Antrag eine Problematik auf, die uns sicher im Rahmen des Problems Klimawandel noch sehr tiefgreifend beschäftigen wird. Unsere Tier- und Pflanzenwelt wird infolge der zunehmenden Klimaveränderungen sozusagen internationalisiert.

Wissenschaftler nennen das weltweit zu beobachtende Phänomen „biologische Invasion“, die fremden Arten, die sozusagen invasieren, „Neozoen“. Waren es in den Zeiten der großen Entdecker noch die Seefahrer, die verschiedene exotische Arten in unsere Heimat gebracht haben, allerdings auch europäische Arten in die ganze Welt, so sind die gebietsfremden Arten heute selbst auf Wanderschaft, entweder in Bananenkisten oder im Ballastwasser von Schiffen oder auf eigenen Beinen und Flügeln. Letzteres auch deshalb, weil die Lebensbedingungen für viele Arten bei uns inzwischen ähnlich sind wie in ihrer bisherigen Heimat oder weil das Artensterben Lücken frei macht, in die diese schlüpfen können.

Genau das bereitet lokal und regional schon jetzt unvorhergesehene Probleme. Die Tatsache, dass allein in Deutschland inzwischen mehr als 1 000 gebietsfremde Arten nachgewiesen sind und andererseits das Sterben einheimischer Arten weiter anhält, kennzeichnet das Problem.

Dabei geht es natürlich nicht nur um niedliche Waschbären oder Marderhunde, es geht in der Regel um Arten, die sowohl zu nachhaltigen schädlichen Folgen für die Ökosysteme bei uns als auch zu gravierenden Schäden in der Land- und in der Forstwirtschaft führen können. Das schleichende Kastaniensterben mag dafür ein sehr augenfälliges Beispiel sein.

Allerdings geht es auch - das wird in der Regel weniger gesagt - um die Tatsache, dass die einwandernden Neulinge noch kleine Passagiere im Pelz haben: Krankheitserreger, auf die unsere Ökosysteme und wir selbst nicht vorbereitet sind und die möglicherweise zu zusätzlichen Problemen führen können.

Meine Damen und Herren! Nun kommen wir nicht umhin festzustellen, dass die Natur permanenten Veränderungen unterliegt. Das ist nicht neu. Das gibt es, seit es Leben auf der Erde gibt. In der Wissenschaft wird dieser Vorgang Evolution genannt.

Für einzelne Arten ist die Evolution das Vermögen, sich verändernden Verhältnissen anzupassen. Dieser Vorgang läuft in aller Brutalität ab. Dieser Vorgang führt zu einer gnadenlosen Selektion in und zwischen den Arten. Nur, in früheren Jahrtausenden hatten die Arten einfach viel mehr Zeit dazu. Diese Zeit haben sie heute offensichtlich nicht mehr.

Was den Menschen betrifft, der übrigens genauso von diesem Prozess betroffen ist - der eine mehr, der andere weniger -, so greift er nicht nur selektiv in die Geschehnisse ein, sondern er wirkt auch zunehmend als Katalysator für diese Prozesse. Das ist eine Entwicklung, die zwar nicht gewollt ist, aber auch nicht rückgängig gemacht werden kann. Worum es uns gehen muss, kann keineswegs der Versuch sein, alles das, was wir haben, zu konservieren, die Natur sozusagen in ein Weckglas zu stecken, sondern wir brauchen ein intelligentes Management dafür, Konservierung, Anpassung und strategische Entwicklung unter einen Hut zu bringen.

Meine Damen und Herren! Die in unserem Antrag angesprochenen Auswirkungen nicht heimischer Pflanzen und Tiere haben wir deswegen thematisiert, weil die Verbreitung dieser Arten auch bei der Bevölkerung und bei Verbänden für Unmut sorgt und über die Auswirkungen der Verbreitung sehr viel Unkenntnis herrscht.

Fest steht, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Beitritt zur Konvention über die biologische Vielfalt im Jahr 1992 die Verpflichtung eingegangen ist, so weit wie möglich und angebracht die Einbringung gebietsfremder Arten, welche Ökosysteme oder Arten gefährden, zu verhindern und diese Arten zu kontrollieren oder auszurotten.

Welche verheerenden Schäden das Problem hervorrufen kann, haben zum Beispiel in der Vergangenheit - in der Geschichte - die Inseln Hawaii oder Neuseeland gezeigt, auf denen durch eingeschleppte Arten heimische Arten völlig ausgerottet worden sind.

Nun, ich möchte dieses Schreckensszenario nicht für Sachsen-Anhalt und unsere Breitengrade „an die Wand malen“. Wir müssen aber auf dieses Phänomen vorbereitet sein. Wir müssen versuchen, dieses Problem, wie ich es beschrieben habe, in den Griff zu bekommen.

Nun haben wir im Landesjagdgesetz zum Beispiel geregelt, dass die drei Tierarten Marderhund, Waschbär und Mink gejagt werden dürfen. Das geht natürlich bei der Kastanienminiermotte eher nicht -

(Herr Dr. Püchel, SPD: Schwer zu jagen!)

jedenfalls nicht mit großkalibrigen Waffen. Hier sind andere Methoden und Maßnahmen erforderlich, um dieses beschriebene biologische Phänomen in den Griff zu bekommen.

Da der Naturschutz - hierbei geht es ja um diese Frage - in die Kompetenz der Länder fällt, obliegt es den Ländern - also dieser Landesregierung -, entsprechende Untersuchungen und die notwendigen Maßnahmen aufgrund der Ergebnisse der Untersuchungen einzuleiten und durchzuführen. Deshalb unser Antrag, für den ich um Ihre Zustimmung bitte, damit wir uns im Ausschuss über dieses biologische Phänomen austauschen können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Oleikiewitz. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung die für das Jagdwesen zuständige Ministerin Frau Wernicke um das Wort gebeten. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ministerin ist zwar auch für die Jagd zuständig, aber es ist nicht allein ein Problem der Jagd, Herr Präsident. Mit diesem Antrag bringt die SPD-Fraktion ihre Sorge zum Ausdruck, dass die zunehmende Verbreitung nicht heimischer Tiere negative Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna hat. Obwohl ich diese Sorge teile, frage ich mich schon, ob sich das Landesparlament heute mit dieser Problematik befassen muss.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Ein herzliches Dankeschön zunächst für diesen wissenschaftlichen Vortrag. Ich möchte ihn mit meinen wissenschaftlichen Argumenten nicht unbedingt verlängern oder fortsetzen - die ähneln sich durchaus.

Der Mensch hat immer Einfluss genommen auf die Verbreitung nicht heimischer Tier- oder Pflanzenarten. Es ist natürlich auch eine Frage, wie weit man den heimischen Anspruch zurückverfolgen möchte, um von „heimischen Tier- und Pflanzenarten“ zu sprechen. Auch das könnte eine interessante Diskussion ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Herr Oleikiewitz hat intelligente Lösungen angemahnt. Ob nun die Entscheidung der Landesregierung hinsichtlich der Regelungen im Landesjagdgesetz in Bezug auf Waschbären, Marderhund und Mink und seit dem Jahr 2002 auch zur Nutria eine intelligente Lösung ist, mögen Sie bewerten. Zumindest ist sie praktikabel und eine der wenigen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen.

Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen. Mit der Möglichkeit, diese Tiere zu bejagen, sind im Jagdjahr 2002 immerhin 469 Nutria erlegt worden. Ich habe mir einmal vergleichsweise die Zunahmen bei den Strecken innerhalb einer Population aufschreiben lassen. Gegenüber dem Jahr 1992 ist im Jahr 2002 die Anzahl der Strecken beim Waschbär von elf auf 741 gestiegen, beim Marderhund von eins auf 142 und beim Mink von eins auf 162. Das bereitet schon Anlass zur Sorge.

Die Ausbreitung dieser Säugetierarten erfolgt in Deutschland unabhängig von klimatischen Veränderungen. Die Auswirkungen nicht heimischer Säugetierarten lassen sich in ihrer Komplexität aber nur schwer abschätzen. Extrem negative Auswirkungen sind in Sachsen-Anhalt bisher nicht belegt worden, und ich möchte auch kein

Schreckensszenario aufgezeigt bekommen, indem so getan wird, als wenn die Welt untergeht. Ich denke, bei aller Sorge sollten wir schon auf dem Boden der Sachlichkeit bleiben.

Eine Ausbreitung dieser Säugetierarten - das muss man allerdings einschätzen - wird aber nicht zu verhindern sein bzw. eine Ausrottung wird nicht möglich sein. Die Jägerschaft in Sachsen-Anhalt ist bemüht, den Bestand so weit wie möglich zu regulieren. Maßnahmen, die über die Regelungen des Landesjagdgesetzes hinausgehen - ich nannte schon einige -, sind nicht vorgesehen.

Aber auch für Fälle der natürlichen Ausbreitung von Insektenarten, wie zum Beispiel der Kastanienminiermotte, welche die ursprünglich nicht heimische Rosskastanie befällt und möglicherweise auch schädigt, sind Gegenmaßnahmen kaum möglich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung und die Ausbreitung der Schadinsekten im Rahmen des Waldschutzes ständig beobachtet werden.

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt schreibt erstmals die Pflicht zur Vorsorge und zur Kontrolle und Bekämpfung invasiver Arten als Ziel und Aufgabe des Naturschutzes völkerrechtlich fest. Weitere Bestimmungen enthalten auch die das Washingtoner Artenschutzabkommen umsetzende europäische Artenschutzverordnung und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie.

Derzeit wird im Rahmen der Berner Konvention eine Strategie zur Erfassung, Vermeidung und Bekämpfung von invasiven gebietsfremden Arten erarbeitet. Auch das Bundesnaturschutzgesetz, welches die europäischen Richtlinien in nationales Recht umsetzt, enthält Regelungen, die eine Verfälschung der Tier- und Pflanzenwelt grundsätzlich vermeiden sollen.

Darüber hinausgehende Regelungen erachten wir angesichts der in Sachsen-Anhalt zu verzeichnenden Einflüsse derzeit weder für erforderlich noch für effizient.

Ich denke aber, wir sollten schon die Gelegenheit nutzen, uns über Ursachen und Wirkungen oder mögliche Maßnahmen im Ausschuss für Umwelt oder im Landwirtschaftsausschuss bzw. in beiden Ausschüssen zu unterhalten. Wir sind gern dazu bereit, dort konkreter zu berichten und mit Ihnen darüber zu diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Meine Damen und Herren! Die Fünfminutendebatte wird nunmehr von der FDP-Fraktion durch den Abgeordneten Herrn Kehl eröffnet. Bitte sehr, Herr Kehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Diskussion im Ausschuss über die Auswirkungen von nicht heimischen Tieren und Pflanzen auf die Natur begrüßt die FDP-Fraktion ausdrücklich - umso mehr, als die Kollegen der SPD nach der populistischen und nicht ganz fairen Debatte um den Justizminister nun offensichtlich endlich wieder zur Sachpolitik zurückkehren.

(Widerspruch bei der SPD und bei der PDS)

Warum Ihre Fraktion seit gestern demonstrativ giftig ist, das bleibt wohl Ihr Geheimnis.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren! Leider ist der vorliegende Antrag in sich nicht ganz schlüssig. Das beginnt mit der Nennung der Kastanienminiermotten. Herr Oleikiewitz hat offensichtlich jetzt im Herbst blühende Kastanien gesehen und stieß gleich auf das Problem und meinte, es müsste hier diskutiert werden.

(Zurufe von der SPD)

Die Cameraria ohridella, wie sie lateinisch heißt, befällt überwiegend die weißblühenden Rosskastanien, die bekanntlich nicht heimisch sind. Der Larvenfraß in den Blättern bewirkt eine vorzeitige Verbräunung des Laubes, das dann austrocknet und abfällt. Bei starkem Befall kann es eben passieren, dass die Kastanien in einer Notreaktion im Herbst noch einmal austreiben und dann auch blühen. Diese kleinen Triebe können dann vom Frost befallen werden und das kann den ganzen Baum kaputtmachen.

Trotzdem ist die Rosskastanie kein heimischer Baum. Die Motte hat also auch keine Auswirkung, zumindest keine messbare, auf die heimische Flora. Naturschutzfachlich ist die Motte zumindest eher kein Problem.

Anders sieht das unserer Meinung nach mit den genannten Säugetieren aus. Während beutegreifende Säugetiere, wie der Marderhund, der Waschbär und der Mink, zumindest jagdbar sind, ist das beim Sumpfbiber, der genannten Nutria, anders.