Der neuerlich erhebliche Anstieg der Arbeitslosenquote bei den schwerbehinderten Menschen - es waren im September 2003 ca. 7 200 arbeitslose Schwerbehinderte - war also vorhersehbar. Festzustellen ist, dass das Gesetz nicht erfüllt worden ist, und der Inhalt war - neben dem Versprechen, die Arbeitslosenzahl um 50 000 Menschen zu senken -, die Beschäftigungspflichtquote für Schwerbehinderte zeitweilig von 6 auf 5 % zu senken. Das sollte aber erst bei mehr realer Beschäftigung geschehen.
Gegenwärtig wird im Deutschen Bundestag über die Novellierung des SGB IX beraten. Unsere Frage lautet dazu: Wie wird sich die Landesregierung in diesem Fall verhalten? Wir fordern die Landesregierung auf, ihrer Verantwortung und auch ihrer eigenen Formulierung in der Koalitionsvereinbarung gerecht zu werden. Das tut sie zurzeit nicht.
Eine Reihe von Fragen werden wir wiederholen müssen, da dazu noch keine Antwort der Landesregierung vorliegt bzw. dazu laut Aussage der Landesregierung noch keine Bewertung möglich war. Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, dass die Erfolge der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mehr als zweifelhaft sind.
Wir haben diese Große Anfrage bewusst schon so kurz nach der In-Kraft-Setzung der Gesetze gestellt, weil - wie Sie wissen, meine Damen und Herren - die nächsten Gesetze schon in Arbeit waren und inzwischen auf dem parlamentarischen Weg sind. Die Landesregierung muss sich bei den Beratungen zu diesen Gesetzen im Bundesrat mit den Ergebnissen unserer Großen Anfrage
Wir brauchen Arbeitsmarktreformen, die die Kaufkraft erhöhen und die Nachfrage in Sachsen-Anhalt stärken, anstatt einen Niedriglohnsektor zu installieren, den wir in den neuen Bundesländern längst haben.
Wir brauchen Arbeitsmarktreformen, die die Beschäftigungsfähigkeit und die Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen sichern, anstatt den zweiten Arbeitsmarkt zu beseitigen.
Wir brauchen Arbeitsmarktreformen, die das Qualifikationsniveau von Menschen erhalten und steigern, anstatt die Bildungsträgerlandschaft zu bereinigen.
Wir brauchen Arbeitsmarktreformen, die die Arbeitslosigkeit bekämpfen und nicht die Arbeitslosen. - Danke.
Danke, Frau Abgeordnete Dirlich. - Für die Landesregierung wird der Finanzminister Herr Professor Dr. Paqué in Vertretung des Wirtschaftsministers sprechen. Bitte sehr.
Herr Professor Paqué, bevor Sie anfangen, möchte ich gern Schülerinnen und Schüler der Berufsschule der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg recht herzlich bei uns begrüßen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie die Präsidentin schon gesagt hat, vertrete ich Herrn Dr. Rehberger bei dem Kommentar zur Großen Anfrage der Fraktion der PDS.
Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der PDS enthält eine Fülle von Datenmaterial, das zum großen Teil aufgrund der Bundeszuständigkeit vom Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen bereitgestellt wurde. Natürlich antwortet die Landesregierung gern auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion, dennoch muss ich an dieser Stelle vorab feststellen, dass das Material, nach dem die PDS gefragt hat, umfänglich im Internet auf den Seiten des Landesarbeitsamtes zugänglich ist. Insofern gilt zunächst dem Landesarbeitsamt auch von dieser Stelle aus der Dank für die zusammengetragenen Materialien.
Es ist sicher auch in Ihrem Interesse, wenn ich dieses umfängliche Material hier nicht noch einmal in der Breite diskutiere, sondern mich stattdessen in meinen Ausführungen auf einige Punkte konzentriere, zumal Frau Dirlich freundlicherweise bereits, was den Faktenhintergrund betrifft, einiges gesagt hat.
Ich möchte mich auf drei Punkte konzentrieren. Erstens. Wo steht Sachsen-Anhalt zurzeit im Vergleich zu den übrigen neuen Ländern am Ausbildungs- und am Arbeitsmarkt? Zweitens. Wie muss man den Teil der HartzGesetze, die schon als so genannte Hartz-Gesetze I und II in Kraft getreten sind, aus der heutigen Sicht beurteilen? Drittens. Mit welcher Zielsetzung geht die Lan
desregierung in das Gesetzgebungsverfahren zu - erlauben Sie mir auch an dieser Stelle wieder ein Kürzel - „Hartz III“ und „Hartz IV“?
Meine Damen und Herren! Die gegenwärtige Wachstumsschwäche in Deutschland, die sich natürlich auch auf den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt auswirkt, hat nicht die Landesregierung politisch zu verantworten, sondern die Bundesregierung. Sachsen-Anhalts Wirtschaft ist nicht abgekoppelt von der deutschen Entwicklung. Der Rückgang der Beschäftigtenzahlen und der Anstieg der Arbeitslosenquote machen natürlich auch vor unseren Landesgrenzen nicht Halt.
Wir schneiden aber trotz der dramatischen Lage, die nicht heruntergespielt werden darf, im Vergleich mit anderen Ländern relativ gut ab. Das heißt, der Rückgang der Beschäftigtenzahlen und der Anstieg der Arbeitslosenquote verlaufen in Sachsen-Anhalt moderater als in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen. Von den mittel- und ostdeutschen Ländern hat nur Sachsen eine bessere Entwicklung als Sachsen-Anhalt aufzuweisen. Wir sind also aus unserer Sicht auf dem richtigen Weg.
Dass bei uns die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr überhaupt um ca. 9 500 Personen zugenommen hat, erklärt sich vor allem aus der Tatsache, dass die Zahl der Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen um ca. 18 000 Personen zurückgegangen ist. Das ist auch die Zahl, die Frau Dirlich vorhin zitierte.
Dafür gibt es zwei Ursachen: zum einen hat die Bundesanstalt für diese Maßnahmen in ihrem Haushalt weniger Geld bereitgestellt, zum anderen hat sie ihre Geschäftspolitik bei den Bildungsmaßnahmen mehr auf den erwarteten Bildungserfolg ausgerichtet und weniger auf den Mittelabfluss.
Wir haben nun gerade in dieser Hinsicht das Problem, dass genau diese Neuorientierung, die wir im Grundsatz begrüßen, den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt gegenüber anderen Region hart trifft. Wir haben das auch dem Landesarbeitsamt und Herrn Gerster persönlich, als er in Magdeburg war, im Rahmen einer Sitzung des Landeskabinetts gesagt.
Nach unserer Auffassung sollte die von der Geschäftspolitik geforderte Eingliederungsquote von 70 % bei Bildungsmaßnahmen für die Wachstumsbereiche Sachsen-Anhalts aufgrund der besonderen Situation in Sachsen-Anhalt reduziert werden. Das gilt natürlich im Wesentlichen auch für die anderen mittel- und ostdeutschen Länder. Wir hatten den Eindruck, dass die Bundesanstalt sich unserer Argumentation in dieser Hinsicht nicht entzog.
Auf dem Ausbildungsmarkt haben wir in Sachsen-Anhalt ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Dank unserer Förderungen haben wir das Angebot betrieblicher Ausbildungsstellen halten und Rückgänge in Größenordnungen, wie sie in anderen Ländern zu beobachten waren, vermeiden können.
Über die ergänzende Förderung außerbetrieblicher Plätze und schulischer Angebote haben wir in Sachsen-Anhalt gemeinsam das große Bewerberpotenzial fast vollständig versorgt. Die Quote liegt bei etwa 98 %. Das ist - zusammen mit Niedersachen und Baden-Württemberg - das beste Ergebnis aller Bundesländer. Allen, die daran mitgewirkt haben, den Unternehmen, den Arbeits
ämtern, den Kammern und auch den Trägern verschiedener Maßnahmen, sei von hier aus herzlicher Dank dafür ausgesprochen.
Auch hierbei gilt: Was in der Macht des Landes lag, haben wir geschafft. Leider bedeutet das nicht, dass jeder Jugendliche eine betriebliche Ausbildungsstelle nach seinen individuellen Wünschen erhalten hat. Wir haben zwar eine Ausschöpfung des Potenzials von 98 %, aber natürlich hat nicht jeder Jugendliche den Ausbildungsplatz gefunden, den er sich vielleicht fachlich vorgestellt hat.
Danke schön. - Nun, meine Damen und Herren, zum zweiten Punkt: Wie muss man die Teile der HartzGesetze, die bereits als „Hartz I“ und „Hartz II“ in Kraft getreten sind, aus heutiger Sicht beurteilen? - Eine Vorbemerkung dazu: „Aus heutiger Sicht“ heißt wirklich, dass wir einen sehr kurzen zeitlichen Erfahrungshorizont haben. Frau Dirlich hat darauf schon freundlicherweise hingewiesen. Aber man darf einfach nicht erwarten, dass in wenigen Wochen und Monaten verlässliches, präzise auswertbares Datenmaterial vorliegt.
Man muss im Übrigen berücksichtigen, dass wir nicht unbedingt in einer konjunkturell normalen Situation sind. Man muss manchen Instrumenten noch eine gewisse konjunkturelle Chance geben. Sie sind oft darauf angelegt, dass sie gerade in Phasen, in denen die Wirtschaft konjunkturell wieder anspringt, die Reintegration in den Arbeitsmarkt erleichtern. In der Rezession ist das natürlich erheblich schwieriger. Insofern sind viele Schlussfolgerungen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt ziehen können, entsprechend vorsichtig zu interpretieren.
Gemessen an dem Wirbel, den die Bundesregierung um die Hartz-Gesetzgebung veranstaltet hat, ist allerdings das bisherige Ergebnis eher ernüchternd. Die meisten neu eingeführten Instrumente führten nicht zu mehr Jobs.
Ich erinnere nur - darin muss ich Frau Dirlich Recht geben - an die Erwartungen, die zum Beispiel mit dem Programm „Kapital für Arbeit“ geweckt wurden. Statt der propagierten 50 000 zusätzlichen Arbeitsplätze sind es gerade 9 000 für Gesamtdeutschland geworden - einschließlich der dabei zwangsläufig zu beobachtenden Mitnahmeeffekte, wobei man diese Mitnahmeeffekte schwer nachweisen kann, weil man das Alternativszenario, was geschehen wäre, wenn die entsprechenden Instrumente nicht angewandt worden wären, nicht kennt. Es ist aber zu vermuten, dass der Nettoertrag noch erheblich niedriger wäre als die genannten 9 000 Arbeitsplätze.
Ähnliches gilt für die Personalserviceagenturen, die im Wesentlichen nur den Markt für Zeitarbeit stören und verzerren, ohne zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist der Eindruck, den man aus dem Gesamtbild gewinnen kann. Wie gesagt, ist auch hierbei eine gewisse Vorsicht angebracht, weil wir noch keinen langen Zeitvorlauf haben.
Es gibt eine positive Ausnahme - das kann man schon deutlich erkennen -, das sind die verbesserten Rahmenbedingungen für Minijobs. Diese mussten - diese politische Bemerkung gestatten Sie mir an dieser Stelle - der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss im Rahmen eines Gesamtkompromisses erst abgerungen werden. Das ist genau das, was die Mehrheit des Bundesrates als ein wesentliches Element ansah, um Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen, nachdem die Bundesregierung zu einem früheren Zeitpunkt diese Bedingungen erschwert hatte.
Die Ausweitung dieser Beschäftigungsform zeigt, dass praktische und flexible Lösungen auf dem Arbeitsmarkt sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern Nutzen bringen. Das gilt auch in Sachsen-Anhalt. Die Zahl der so genannten Minijobs ist seit September 2002 um 77 000 auf 110 000 im Juli 2003 deutlich gestiegen.
Es ist völlig klar - das wird auch von der Landesregierung nicht bestritten -, dass man von einem 400-€-Job allein nicht leben kann. Aber als zusätzlicher Beitrag zum Haushaltseinkommen und als Einstieg in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis bedeuten solche Arbeitsverhältnisse zusätzliche Optionen für die Arbeitnehmer. Gleichzeitig eröffnen sie für die Arbeitgeber zusätzliche Möglichkeiten, ihr Angebot schnell und unkompliziert auszuweiten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das gilt vor allem natürlich in Regionen, in denen der Arbeitsmarkt insgesamt relativ gut funktioniert, in denen die konjunkturelle und die strukturelle Lage gut ist. Aber es gilt, nach den Zahlen zu urteilen, durchaus auch für unser Land und für Mittel- und Ostdeutschland insgesamt, obwohl hier die Schwierigkeiten am ersten Arbeitsmarkt erheblich größer sind. Hierbei muss man eine positive Zwischenbilanz ziehen.
Bei den so genannten Ich-AGs ist Skepsis angebracht. Aber auch da sagen wir als Landesregierung: Wir verweigern uns nicht; auch dieses neue arbeitsmarktpolitische Instrument wird eingesetzt. Wir fördern aus unserem ESF-Budget die begleitende Beratung und Qualifizierung dieser Existenzgründer.
Gründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus sind allerdings keine Selbstläufer. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Wir sind überzeugt, dass man bei vernünftiger Begleitung die Erfolgsquote dieser Neugründungen zumindest erhöhen kann, wobei wir insgesamt gleichwohl skeptisch bleiben, ob Wesentliches erreicht werden kann.
Man muss natürlich auch bedenken, dass über die IchAGs ein Verdrängungspotenzial gegenüber jenen Existenzgründungen und bereits bestehenden Betrieben entsteht, die sich am Markt bewährt haben und die durch eine subventionierte Ich-AG zusätzliche Konkurrenz bekommen. Man wird sehr genau beobachten müssen, dass wir nicht in einem Subventionskarussell landen, bei dem Ineffizientere aufgrund einer Subventionierung Effizientere verdrängen.