Protocol of the Session on October 24, 2003

Meine Damen und Herren! Ich komme zum dritten Punkt: Mit welcher Zielsetzung geht die Landesregie

rung in das Gesetzgebungsverfahren zu „Hartz III“ und „Hartz IV“?

Vom Grundsatz her ist es aus der Sicht der Landesregierung vernünftig, für Menschen in gleichartigen Problemlagen ein einheitliches Leistungsangebot von passiven Lohnersatzleistungen und aktivierenden Fördermaßnahmen vorzuhalten und dafür einheitliche gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Der Lösungsvorschlag der Bundesregierung sieht erhebliche Leistungskürzungen für die bisherigen Arbeitslosenhilfeempfänger vor. Das ist hart für die Betroffenen und führt in Ostdeutschland, gerade auch in Sachsen-Anhalt, zu einem erheblichen Kaufkraftverlust mit direkten volkswirtschaftlichen Folgewirkungen.

Die Landesregierung könnte einer derartigen Lösung, die angestrebt wird, nur zustimmen, wenn zweierlei gewährleistet ist:

Erstens sollen die Zuverdienstmöglichkeiten für die Empfänger der zukünftigen Leistungen, des so genannten Arbeitslosengeldes II, deutlich verbessert werden. Arbeitslosengeldbezug plus Minijobs sollte beispielsweise möglich sein.

Zweitens müssen die Kommunen durch die Reform finanziell deutlich entlastet werden, so wie es übrigens auch Peter Hartz selbst wollte. Ein wesentlicher Vorteil der Entlastung der Kommunen von Ausgaben für arbeitslose Sozialhilfebezieher sollte ja gerade darin bestehen, dass die frei werdenden Mittel dann investiv genutzt werden können und damit direkt oder indirekt Arbeitsplätze geschaffen werden.

Kritikwürdig an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung erscheint uns vor allem, dass die Bundesanstalt für Arbeit zukünftig Aufgaben übernehmen soll, die bisher von den Sozialämtern geleistet worden sind. Es muss sichergestellt werden, dass die Vor-Ort-Kompetenz erhalten bleibt, indem die Kooperation von Bundesanstalt und Kommunen klar im Gesetz definiert wird.

Wir wollen einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss, aber einen Kompromiss, der das Entstehen von mehr Arbeitsplätzen in Sachsen-Anhalt unterstützt. Das ist eines der entscheidenden Kriterien, nach denen wir den endgültigen Gesetzentwurf bewerten werden.

Dabei betone ich - wie ich das auch gestern schon mit Blick auf die kommunale Finanzreform getan habe -, dass „Hartz IV“ und die anderen Reformprojekte im politischen Zusammenhang gesehen werden müssen. Unter dem Strich muss eine bessere Struktur des föderalen Sozial- und Steuersystems herauskommen, von der Land, Kommunen und die Bürger Sachsen-Anhalts profitieren. Wenn das alles erfüllt ist, dann werden wir als Land einer Reform selbstverständlich nicht im Wege stehen, sondern sie aktiv unterstützen. - Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Es gibt zwei Nachfragen. Zunächst die Abgeordnete Frau Ferchland. Bitte sehr.

Herr Minister Paqué, ist Ihnen bekannt, dass die Situation bezüglich der betrieblichen Ausbildungsstellen 1992 genauso schlecht war wie heute und dass wir bei den

betrieblichen Ausbildungsstellen den niedrigsten Stand seit 1992 haben? Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendlichen, die keine betriebliche Ausbildungsstelle bekommen, in außerbetrieblichen Ausbildungsstellen oder in Warteschleifen untergebracht werden und dass dies in Sachsen-Anhalt mittlerweile mehr als 52 % sind?

Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendlichen, die nicht erneut in der Arbeitsverwaltung nachfragen, für ein Jahr unter der Rubrik „Sonstiger Verbleib“ geführt werden und dann aus der Statistik herausfallen? Ist Ihnen bekannt, dass die Zahl dieser Jugendlichen in Sachsen-Anhalt stetig steigt?

Wenn Ihnen das alles bekannt ist - ich gehe davon aus, dass Ihnen das als Minister bekannt ist -, dann frage ich mich: Wie können Sie hier, ohne rot zu werden, allen Ernstes sagen, dass die Ausbildungssituation in Sachsen-Anhalt nicht mehr dramatisch ist?

(Beifall bei der PDS)

Frau Ferchland, ich habe gesagt, dass wir uns trotz der 98 % nicht selbstzufrieden zurücklehnen; vielmehr sehen wir ganz klar, dass wir insoweit noch keine optimale Struktur erreicht haben. Das ist angesichts der Arbeitsmarktsituation, die wir insgesamt haben, völlig klar. Die Arbeitsmarktsituation reflektiert sich natürlich auch im privaten Ausbildungssektor.

Gleichwohl müssen wir einfach feststellen, dass wir mit 98 % doch einen Stand erreicht haben, der sich sehen lassen kann, und zwar auch im Ländervergleich, liebe Frau Ferchland. Das ist natürlich eine Bilanz, die nicht isoliert betrachtet werden kann; vielmehr haben wir in einer der schwersten Rezessionen der deutschen Geschichte wenigstens erreicht, weitgehend alle Jugendlichen mit einem Ausbildungsplatz zu versorgen. Das ist unserer Ansicht nach doch schon ein erster vernünftiger Schritt.

Wir haben noch nicht alles erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Aber im Vergleich zu den anderen Ländern kann sich das sehen lassen. Das hat nichts mit Selbstzufriedenheit zu tun, sondern das ist etwas, wozu wir einfach sagen: Wir haben ein Teilziel erreicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Ferchland hat noch eine Nachfrage. Würden Sie sie zulassen?

Die 98 % beziehen sich auf die Jugendlichen, die gerade aus der Schule gekommen sind und in betriebliche Ausbildung, in Berufsvorbereitungsjahre, in Warteschleifen oder Sonderprogramme vermittelt worden sind. Insofern ist diese Zahl von 98 % sehr fiktiv. Die Jugendlichen, die in diesem Jahr keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, werden im nächsten Jahr wieder einen Ausbildungsplatz suchen. Wir schieben eine Bugwelle vor uns her, die wir im Moment außer Acht lassen, die auch die Landesregierung außer Acht lässt. Angesichts dessen kann man im Moment nicht davon sprechen, dass wir eine

Vermittlungsquote von 98 % haben. Ich glaube, das ist Augenwischerei.

Sie haben von Strukturen gesprochen und gesagt, sie hätten noch nicht die Strukturen schaffen können, um jedem Jugendlichen eine betriebliche Ausbildungsstelle zur Verfügung zu stellen. Welche Strukturen sind denn das?

Was den letzten Punkt angeht, so habe ich angedeutet, dass Jugendliche Wünsche und Vorstellungen haben. Natürlich wollen wir Strukturen haben, im Rahmen derer im privaten Sektor - das ist völlig klar; alles andere sind Übergangssituationen - möglichst viele tragfähige Ausbildungsplätze entstehen, die den Vorstellungen der Jugendlichen entsprechen. Das haben wir noch nicht ganz erreicht. So selbstzufrieden sind wir also nicht.

Aber zu dem, Frau Ferchland, was Sie in Ihrer Zusatzfrage bezüglich der 98 % angesprochen haben, ist festzustellen: Das, was Sie an strukturellen Problemen schildern, gibt es auch in Sachsen. Das gibt es auch in Thüringen, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg. Im Vergleich zu diesen Ländern haben wir eine gute Bilanz vorzuweisen; dabei bleibe ich.

(Frau Mittendorf, SPD: Das haben wir immer ge- habt!)

Danke. - Herr Gallert, bitte sehr.

Herr Paqué, was Ihre Einschätzung angeht, dass die Bundesregierung daran Schuld ist, dass sich der Arbeitsmarkt so schlecht entwickelt, und dass die Bundesregierung dafür kritisiert werden muss, dass sie sich schrittweise aus der Finanzierung des so genannten zweiten Arbeitsmarktes zurückzieht, so finden Sie unsere volle Unterstützung; das ist nicht strittig.

Das Problem, das ich an dieser Stelle habe, ist aber folgendes: Im Vergleich der Länder - besonders interessant ist natürlich der Vergleich mit den ostdeutschen Bundesländern - haben Sie für Sachsen-Anhalt für das letzte Jahr eine positive Entwicklung konstatiert. Dies hat mich überrascht; denn vor einem knappen Dreivierteljahr gab es die Erfolgsmeldung, dass Sachsen-Anhalt die rote Laterne bei der Arbeitslosigkeit abgegeben habe. Inzwischen haben wir sie aber wieder, und zwar mit einem relativ deutlichen Abstand zu Mecklenburg-Vorpommern.

Aus meiner Sicht ist es nicht so, dass sich die Arbeitslosenzahlen in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den neuen Bundesländern verbessert hätten. Meiner Meinung nach ist die Situation im letzten Dreivierteljahr sogar deutlich schlechter geworden. Deswegen wundert mich Ihre Einschätzung bezüglich der positiven Entwicklung in Sachsen-Anhalt.

Lassen Sie mich in dem Zusammenhang eine zweite Frage ansprechen. Ihre Kritik an der degressiven Politik der Bundesanstalt für Arbeit und ihrem schrittweisen Rückzug ist völlig berechtigt. Allerdings ist festzustellen, dass die Einnahmen aus Bundesmitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Haushaltsjahr 2004 konstant sind oder steigen. Derjenige, der die Ausgaben radikal zurückfährt, ist das Land selbst. Insofern muss ich Sie

fragen, warum Sie die Bundesregierung kritisieren. Im Grunde macht sie nichts anderes als Sie auch.

Zunächst zur Frage der Arbeitslosenquote. Ich bin Ökonom und nicht derjenige, der voreilige Schlüsse zieht, wenn sich Arbeitslosenquoten relativ nahe beieinander bewegen. Ich würde Ihnen raten, was den Vergleich von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern angeht, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. In MecklenburgVorpommern ist die saisonale Komponente natürlich stärker, weil der Tourismus eine viel größere Rolle spielt.

Wir müssen abwarten, wie sich die Dinge im Laufe des nächsten Jahres justieren. Dann wird man die saisonalen Effekte leichter herausrechnen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir Stück für Stück eine bessere Position erreichen.

Sie haben Recht: Das, was sich im Dezember zeigte, ist noch nicht stabil gewesen. Das ist im Sommer sozusagen ausgeglichen gewesen. Aber über diese Frage sollten wir zu gegebener Zeit sprechen, wenn sich der Trend klarer abzeichnet. Von der Beobachtung der Zeitreihe her sehe ich eine relative Verbesserung von Sachsen-Anhalt gegenüber Mecklenburg-Vorpommern und auch gegenüber anderen Regionen.

Was die zweite Frage angeht, so hat die Bundesanstalt für Arbeit eine Reihe von Weichenstellungen vorgenommen, die unser Land besonders hart treffen. Natürlich muss man diese Dinge differenziert sehen. Man muss es auch differenziert sehen im Hinblick auf die Ausbildungserfolgsschranke, die hier gesetzt wird. Die Förderung der Ausbildung grundsätzlich an Erfolgskriterien zu knüpfen halten wir für absolut sinnvoll, und zwar auch im Branchenvergleich, damit möglichst die Ausbildung in Branchen gefördert wird, die eine Zukunft haben, und nicht in Branchen, die keine Zukunft haben.

Die Probleme liegen allerdings bei der praktischen Umsetzung und auch bei der Erbringung des Nachweises. Das beruht ja immer auf Prognosen und nicht auf Betrachtungen, die im Nachhinein angestellt werden. Diesbezüglich gibt es Gesprächsbedarf mit der Bundesanstalt der Arbeit; wir sind im Einzelnen dabei.

Danke, Herr Minister. - Es gibt eine letzte Frage von der Abgeordneten Frau Fischer.

Herr Minister Paqué, Minister Rehberger hat neulich in Merseburg die Gründung von Ich-AGs als Erfolg verkündet und hat gesagt: Erstmals sind in Sachsen-Anhalt auch aufgrund dieses neuen Instruments mehr Gewerbeanmeldungen als Gewerbeabmeldungen zu verzeichnen. Weiterhin hat er die Existenzgründerinitiative Ego mit diesem neuen Instrument zusammengebracht und er möchte die Neugründer quasi qualifizieren und begleiten.

Nun sagen Sie, Herr Minister, das führe zu einem Verdrängungswettbewerb im Land, und kritisieren dies. Gibt es unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Landesregierung hinsichtlich dieses Instruments?

(Zustimmung von Frau Fischer, Naumburg, SPD, und von Frau Budde, SPD)

Nein, es gibt in der Landesregierung keine unterschiedliche Beurteilung dieses Instruments.

(Frau Budde, SPD: Oh!)

Herr Rehberger und ich geben diesbezüglich exakt die gleiche Beurteilung ab.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Wenn Sie aufmerksam zugehört haben, dann werden Sie festgestellt haben: Ich habe keine endgültige Wertung hierzu vorgenommen.

(Frau Budde, SPD: Doch! - Herr Dr. Püchel, SPD, lacht)

Wir haben ein Problem. - Lieber Herr Dr. Püchel,

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD - Unruhe bei der SPD)