Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 28. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Ich begrüße Sie dazu recht herzlich.
Meine Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 15. Sitzungsperiode fort. Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich darauf hinweisen, dass Herr Minister Kley ab ca. 14 Uhr entschuldigt ist. Er nimmt an einer Veranstaltung des Ministeriums für Gesundheit und Soziales im Rahmen der Messe „Perspektiven“ sowie als Schirmherr an den Deutschen Meisterschaften im Gewichtheben teil.
Wir beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 3. Danach folgt der in der Reihenfolge festgelegte Tagesordnungspunkt 23. Dann werden wir den Tagesordnungspunkt 14, den wir gestern nicht abgearbeitet haben, behandeln. Danach geht es laut der vorliegenden Tagesordnung weiter.
Der Ältestenrat schlägt eine Debatte von 45 Minuten Dauer vor. Gemäß § 23 Abs. 6 der Geschäftsordnung wird zunächst der Fragestellerin das Wort erteilt, alsdann erhält es die Landesregierung. Nach der Aussprache steht wie immer der Fragestellerin das Recht zu, Schlussbemerkungen zu machen.
Die Dauer der Redezeiten in der Debatte wurde nach der Redezeitstruktur C festgelegt. Das bedeutet, die FDP- hat fünf, die SPD- sieben, die CDU- 13 und die PDS-Fraktion sieben Minuten Redezeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hartz-Reform wird die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt aufbrechen und ihn nachhaltig beleben - so die Befürworter des Konzepts. Die Auswirkungen der Hartz-Reform werden einschneidend sein - so ihre Kritiker. Die PDS wollte es genauer wissen und fragte nach. Die Antworten der Landesregierung auf unsere Große Anfrage in Drs. 4/1037 lassen interessante Schlussfolgerungen zu.
Der erste Abschnitt unserer Großen Anfrage galt einigen allgemeinen Fragestellungen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Sachsen-Anhalt insgesamt.
Der Eingliederungstitel der Arbeitsämter, also die Mittel, die für ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen ausgegeben werden, wurde insgesamt um 14 % reduziert. Das heißt, im Vergleich zum Jahr 2002, als es noch 1,44 Millionen € waren, sind es jetzt nur noch 1,24 Millionen €.
Dazu kommt das Problem, dass Strukturanpassungsmaßnahmen und auch die Personalserviceagenturen, die bisher nicht aus diesen Mitteln finanziert wurden, jetzt ebenfalls daraus finanziert werden. Das bedeutet, dass weniger Geld für mehr Aufgaben zur Verfügung steht. Das hatte Folgen, die aus der Antwort auf die Große Anfrage hervorgehen: 3 000 weniger ABM als im Vorjahr, 2 000 weniger Strukturanpassungsmaßnahmen, 10 000 weniger Teilnehmerinnen in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung. Das sind minus 38,6 %.
Die Anzahl derjenigen, die von Eingliederungszuschüssen profitieren, hat sich gesteigert. Es waren 4 000 mehr als im vorigen Jahr. Gleichzeitig - jetzt wird es interessant - stieg die Anzahl der Langzeitarbeitslosen um etwa 16 000 - zu dem Zeitpunkt der Beantwortung der Großen Anfrage. Das heißt, es waren ca. 15 000 bis 16 000 Teilnehmerinnen weniger in Maßnahmen und es waren 16 000 Langzeitarbeitslose mehr, obwohl die Anzahl der Eingliederungszuschüsse gestiegen ist. Daraus kann man doch wohl schlussfolgern, dass Eingliederungszuschüsse auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht unbedingt einen Entlastungseffekt auf dem Arbeitsmarkt haben.
Während in den meisten Geschäftsstellen die Zahl der ABM um etwa ein Drittel zurückging, haben einige sogar einen Rückgang um die Hälfte zu verzeichnen. Spitzenreiter ist, wenn ich das richtig überblicke, Gräfenhainichen mit einem Rückgang von 80 %. Das ist wirklich enorm. Im Süden von Sachsen-Anhalt sieht das Bild ganz anders aus. Dort gibt es nämlich teilweise sogar Zuwächse - in Zeitz, in Merseburg, in anderen Geschäftsstellen.
Ebenso differenziert ist das Bild bei den Strukturanpassungsmaßnahmen. Es lohnt sich also, das näher zu untersuchen. Es lohnt sich auch zu versuchen, ein Stück Einfluss auf diese Entwicklung zu nehmen.
Auffällig ist, dass der Frauenanteil bei den Maßnahmen deutlich unter 50 % liegt. Das war, denke ich, in den vergangenen Legislaturperioden sehr wohl anders.
Der Gesamtrückgang bei den Arbeitsmarktmaßnahmen hatte für Sachsen-Anhalt gravierende Folgen. Strukturen, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurden, vor allem im sozialen und kulturellen Bereich, konnten nicht mehr aufrechterhalten werden - so die Einschätzung der Landesregierung. Das Problem dabei ist, dass es keine Kompensation für die Maßnahmen gibt, sodass wichtige Arbeit schlicht und einfach liegen bleibt.
Nachteile, die aus der Verkürzung von ABM und SAM im sozialen Bereich entstehen, also wenn Maßnahmen nur noch höchstens ein halbes Jahr dauern, hält die Regierung für unvermeidbar und für hinnehmbar. Ich glaube, das muss man doch noch einmal nachfragen.
Immer wieder werden wir darauf hingewiesen, dass es besser sei, Arbeitnehmerinnen direkt auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern, weil sie nach ABM ohnehin gleich wieder in der Arbeitslosigkeit landen würden. Die Antwort auf Frage 20 zeigt aber, dass auch Zuschüsse auf
So sind in der Geschäftsstelle Köthen nach Förderung auf dem ersten Arbeitsmarkt - Beschäftigungshilfen, Eingliederungszuschüsse - 135 Menschen arbeitslos geworden, nach Förderung auf dem zweiten Arbeitsmarkt 90. Zugegeben, das ist sicher eine etwas ungewöhnliche Konstellation, aber es ist keine Ausnahme. In anderen Geschäftsstellen sieht die Situation zumindest so aus, dass aus Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes genauso viele Leute wieder arbeitslos werden wie nach Eingliederungszuschüssen oder nach Beschäftigungshilfen.
Die Landesregierung sagt auf die entsprechende Frage die Sicherung der Haushaltsmittel des Landes für den Arbeitsmarkt von 100 % zu. Dagegen steht der aktuelle Mittelabfluss, der in fast allen Bereichen des Arbeitsmarkthaushaltes Ende September bei ca. 50 % der Mittel liegt. Allerdings - auch das haben wir zur Kenntnis genommen - sind die Mittel laut Aussage des Ministeriums bereits zu über 90 %, zu fast 100 %, gebunden, sodass das Ministerium noch mit dem Abfluss der Mittel rechnet.
In einem zweiten Abschnitt stellte die PDS Fragen zur Umsetzung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.
Die Landesregierung hält die neuen Regelungen bei der Zumutbarkeit und bei den Sperrzeiten für angemessen. Die Landesregierung weiß allerdings nicht, wie viele Bürgerinnen und Bürger des Landes Sachsen-Anhalt dieses Land verlassen haben, weil sie von der Forderung nach bundesweiter Mobilität betroffen waren. Daher denke ich schon, dass sich die Landesregierung für solche Zahlen interessieren sollte. Es liegen ihr dafür keine Daten vor, sie hat aber auch nicht genauer nachgefragt.
Die Zahl der von Sperrzeiten betroffenen Menschen hat sich dramatisch entwickelt. Im Jahr 2002 waren insgesamt ca. 3 900 Menschen von Sperrzeiten betroffen. Im Jahr 2003 sind es bis Ende Juli bereits 5 331. Das ist eine Veränderung der Verhängung von Sperrzeiten von 170 %. Setzt man allerdings die Zahlen ins Verhältnis - das ist eine einfache Verhältnisgleichung, das kann man ja machen -, so kommt man auf eine Zunahme der Sperrzeiten von ca. 270 %.
Den Spitzenwert hält Halle. Die Veränderung dort beträgt laut Aussagen des Ministeriums 299, also 300 %, die Zunahme 400 %. Die Sperrzeiten haben um 400 % zugenommen! Man muss bedenken, dass immerhin jeweils ein Einzelschicksal, das Schicksal einer Familie daran hängt. Aber man kann nicht sagen, welche Gründe dazu geführt haben, dass Sperrzeiten verhängt worden sind.
Die Behauptung, dass der Arbeitsmarkt aufnahmefähig geworden sei und dass die Leute überhaupt keinen Grund hätten, Arbeit abzulehnen - das kann es nicht sein, denn der Arbeitsmarkt hat sich in dieser Zeit nicht wesentlich verändert. Für uns ist das die Bekämpfung von Arbeitslosen und nicht die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit.
In der Arbeitslosenhilfe herrschen neue Bedingungen. Die Anrechnung des Partnerinneneinkommens wurde den Bedingungen der Sozialhilfe angepasst. Die Landesregierung kann uns allerdings nicht sagen, wie viele
Bezieherinnen von Arbeitslosenhilfe dadurch ihren Anspruch verloren haben oder wie vielen dieser Anspruch gekürzt wurde. Das ist aber eine interessante Zahl und ich hoffe, dass wir diese Frage noch einmal stellen können und dass die Landesregierung dann auch nach entsprechenden Daten sucht, weil man daraus auch Schlussfolgerungen auf die Kaufkraft in Sachsen-Anhalt ziehen kann.
Personalserviceagenturen: Die Beschäftigtenzahl ist laut Landesregierung unbefriedigend. Ich finde, sie hat Recht mit dieser Feststellung. Die Landesregierung hat dieses Instrument von vornherein abgelehnt und sieht sich bestätigt. Ein Grund war nach Auffassung der Landesregierung die Verdrängung regulärer Beschäftigung durch Zeitarbeit. Aus PDS-Sicht ist das Problem bei den Personalserviceagenturen nicht das Instrument selbst, sondern es sind die riesigen Erwartungen, die an dieses Instrument geknüpft worden sind und die nun wahrlich enttäuscht wurden.
Die Einführung der Bildungsgutscheine wurde von der Landesregierung grundsätzlich unterstützt. Kritisiert - dagegen ist die Landesregierung, wie uns bekannt ist, ja auch angegangen - wird die Vermittlungsquote von 70 %, die einen Rückgang der Zahl der Maßnahmeteilnehmerinnen von 38 % zur Folge hatte. Ich habe das eingangs gesagt.
Was den Bildungsträgern allerdings bevorsteht, zeigt eine andere Statistik, nämlich die Statistik der Neueintritte im Osten Deutschlands. Die Zahlen für Sachsen-Anhalt liegen mir nicht vor, sondern nur die für Ostdeutschland. Dort ist ein Rückgang der Neueintritte um 60 % zu verzeichnen. Das heißt, kurz- bzw. mittelfristig werden die Bildungsträger noch vor ganz andere Probleme gestellt.
Nur ca. 11,7 % der Bildungsgutscheine wurden in Sachsen-Anhalt übrigens nicht eingelöst. Das bedeutet, dass der Wille der Menschen, sich weiterzubilden und sich zu qualifizieren, doch schon recht ausgeprägt sein muss. Die Verbleibsquote von 70 % in einem wenig aufnahmefähigen Arbeitsmarkt ist natürlich unrealistisch, und sinnvolle Maßnahmen werden unterbleiben, weil diese Quote eben nicht kurzfristig erreicht werden kann.
In einem dritten Komplex stellte die PDS Fragen zu dem Stand der Umsetzung des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Der so genannte Job-Floater - das Programm „Kapital für Arbeit“ - wurde in Sachsen-Anhalt mit 30 Millionen € umgesetzt und brachte 360 Menschen neu in Arbeit. Es waren 38 Förderfälle zu verzeichnen.
Hierbei ist es so ähnlich wie bei den Personalserviceagenturen. Setzt man die Erwartungen als Maßstab an - ich kritisiere diese Zahlen nun wahrlich nicht -, ist das ein sehr unbefriedigendes Programm, und das, obwohl das Programm ganz offensichtlich in Sachsen-Anhalt noch am besten läuft.
Zur Ich-AG oder Wir-AG. In Sachsen-Anhalt gibt es zurzeit ca. 1 622 Förderfälle. Offen ist - das ist noch für alle offen, das kann auch die Landesregierung nicht beantworten -, ob und wie viele dieser Ich-AGs ungefördert überleben.
Sie üben übrigens aus unserer Sicht einen sehr hohen Druck auf die Betriebe des Handwerks aus, auf die Betriebe des Baugewerbes oder auf Betriebe in der Instandhaltung, weil als Ich-AG oder mit Überbrückungsgeld - diese Zahlen liegen nicht dezidiert vor - in Sach
sen-Anhalt 784 Unternehmen im Baugewerbe sowie 892 Unternehmen im Handel und in der Instandhaltung neu entstanden sind. Das sind nun wahrlich die Branchen, die jetzt schon Überkapazitäten zu verzeichnen haben und die jetzt schon vom Verdrängungswettbewerb geprägt sind. Was dabei herauskommen wird, das kann man sich ausrechnen. Die Landesregierung bestätigt mit ihren Antworten die Annahmen und Befürchtungen der Kritiker - auch die der PDS.
Minijobs: Die Zahl der Minijobs ist um ca. 40 000 gestiegen. Da keine spezifischen Zahlen für Sachsen-Anhalt vorliegen, muss man auf die bundesweiten Zahlen zurückgreifen, um die Auswirkungen ein wenig einschätzen zu können. Von den 930 000 Minijobs, die bundesweit entstanden sind, werden nur ca. 170 000 in Nebentätigkeit ausgeübt. Das heißt, alle anderen Minijobs stellen den Alleinerwerb der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers dar.
Welche Wirkung das auf die Kaufkraft hat, das muss man sicherlich noch genauer untersuchen. Die Landesregierung rechnet jedenfalls mit einer Steigerung der Binnennachfrage, weil sie eine Zunahme bei der Beschäftigung insgesamt erkennt. Ich glaube, da werden weitere Beobachtungen notwendig sein.
In einem vierten Teil haben wir nach der Entwicklung der Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen gefragt. Ein besonders schwieriges Problem ist nach wie vor die hohe Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen. Deutlich wird, dass die Ergebnisse des Aktionsprogramms „Berufliche Integration Schwerbehinderter“ nicht von Dauer sind. Ja, die Zahlen, die eine Erfüllung des Gesetzes für mehr Beschäftigung schwerbehinderter Menschen suggerieren, sind kritisch zu hinterfragen.
Der neuerlich erhebliche Anstieg der Arbeitslosenquote bei den schwerbehinderten Menschen - es waren im September 2003 ca. 7 200 arbeitslose Schwerbehinderte - war also vorhersehbar. Festzustellen ist, dass das Gesetz nicht erfüllt worden ist, und der Inhalt war - neben dem Versprechen, die Arbeitslosenzahl um 50 000 Menschen zu senken -, die Beschäftigungspflichtquote für Schwerbehinderte zeitweilig von 6 auf 5 % zu senken. Das sollte aber erst bei mehr realer Beschäftigung geschehen.