Protocol of the Session on October 23, 2003

Herr Minister, Sie haben in einem am 20. September 2003 veröffentlichten „Volksstimme“-Gespräch gesagt: „Richter müssen nicht nur fachliches Können, sondern auch eine hohe soziale Kompetenz vorweisen.“ Um diese Vorbildwirkung zu erreichen, seien der enge Kontakt zur Familie und die Einbindung in der Region sehr wichtig. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass der Richter zuhause ein Biedermann sei und am Arbeitsort irgendetwas anderes.

Mit Blick auf die von Ihnen vorgenommene Unterscheidung zwischen den Briefbögen muss ich Ihnen leider sagen: Es kann nicht sein, dass ein verantwortlicher Politiker als Minister ein Biedermann ist und als Abgeordneter irgendetwas anderes.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Ich selbst empfinde es in dieser Situation als eine schmerzliche Pflicht, von Ihnen die notwendige Konsequenz zu fordern. Ich kann mich von dieser Pflicht auch nicht mit Rücksicht auf unsere privaten freundschaftlichen Beziehungen freisprechen.

Die durch Ihr Verschulden um Ihre Person entstandene Kontroverse erfordert, dass Sie Ihr hohes Amt aufgeben. Worin soll sonst die von Ihnen bekundete Übernahme der Verantwortung ihren Ausdruck finden, wenn sie nicht als leere Floskel gemeint war? Die Beharrlichkeit, mit der Sie noch gegen Ende der Sondersitzung des Rechtsausschusses die Verwendung des Ministerbriefkopfes als einzigen Fehler sahen, lässt allerdings wenig Einsicht erkennen.

In meiner Amtszeit als Minister hatte ich wiederholt zu unterscheiden zwischen meiner Tätigkeit als Minister und der als Abgeordneter. Die unterschiedlichen Briefbögen waren nur die eine Seite. Erklärte mir ein Bürger, dass in seinem Fall ein Verfahren anhängig sei, habe ich es immer abgelehnt, mich in irgendeiner Form für ihn einzusetzen - auch nicht als Abgeordneter. Dies habe ich als Innenminister und auch als Justizminister so gehalten.

Diese Sensibilität hätte ich von Ihnen ebenfalls erwartet. Sie hatten sie nicht. Sie wussten von dem Verfahren und haben sich trotzdem mit dem Schreiben eingemischt. Sie haben in Ihrem Handeln den Bürgermeister nicht ablegen können und sind als Justizminister nicht endgültig angekommen.

Herr Minister Becker, Sie haben einen Rücktritt bereits abgelehnt. Sehen Sie in der Formulierung unseres Antrages, wonach wir Sie zuvörderst noch einmal auffordern, von Ihrem Amt zurückzutreten, einen Ausdruck des Respekts vor Ihrer Person.

In der Anhörung hatte ich Sie gefragt, ob es weitere, auch anders geartete Formen der Einflussnahme durch Ihre Person gegeben habe. Sie haben daraufhin mit einem klaren Nein geantwortet. Nun wissen wir, dass dieses Nein vorschnell war. Mit dem Artikel von gestern ist das Fass endgültig übergelaufen.

(Herr Gürth, CDU: Das ist doch Unsinn!)

Egal wie schwer die Angelegenheit wiegt - Sie hatten wieder nicht die Kraft, die einzig mögliche Konsequenz zu ziehen. Was wir hier erleben, meine Damen und Herren, ist ein Rücktritt auf Raten. Solch einen Abgang haben Sie nicht nötig, Herr Becker. Sie haben sich als Oberbürgermeister von Naumburg und als innenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion Achtung und Ansehen im Lande erworben. Mit Ihrem derzeitigen Verhalten beschädigen Sie sich auf Dauer selbst.

Herr Dr. Püchel, Ihre Redezeit ist bereits um eine Minute überzogen.

Ich komme zum Ende. - Meine Damen und Herren! Es schadet auch dem Ansehen der Justiz, wenn man jeden Tag Angst haben muss, dass wieder etwas über Sie, Herr Becker, in der Zeitung stehen könnte. Wenn Sie die Kraft zum Rücktritt nicht haben, dann allerdings ist der Ministerpräsident aufgefordert, Sie aus dem Amt des Justizministers zu entlassen.

Namens meiner Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Püchel, Sie signalisierten die Bereitschaft, am Schluss Fragen zu beantworten. Als Erstem erteile ich Herrn Stahlknecht das Wort.

Herr Präsident! Herr Dr. Püchel! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Kurzintervention machen.

Bei Ihren Ausführungen, sehr geehrter Herr Dr. Püchel, hatte ich den Eindruck, dass wir beide in unterschiedlichen Ausschüssen bei der Anhörung gewesen sind.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben nämlich vorgetragen, sowohl die Kammer - damit meinten Sie wohl den vorsitzenden Richter, der gehört worden ist - als auch die Justiziarin der Stadt Naumburg hätten sich durch das Schreiben des Herrn Ministers beeinflussen lassen. Dieses hat nach unserer Ansicht die Anhörung eben nicht ergeben.

(Zustimmung bei der CDU)

Unabhängig davon, dass das Schreiben, wie Sie wissen, nicht an ein Gericht gerichtet war und damit schon de jure keine Richterbeeinflussung darstellt, hat auch eine mittelbare Beeinflussung nicht stattgefunden.

Wir werden den Antrag stellen, nicht hier, sondern im Ältestenrat und auch im Ausschuss zu diskutieren und das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung öffentlich zu machen, weil ich die Befürchtung habe, dass durch Sachverhaltsquetschen, wie wir das nennen, das Ihrem Anspruch gerecht werden soll, in der Öffentlichkeit ein falsches Bild von der Anhörung vermittelt wird. Wir haben nie in Abrede gestellt, dass ein politischer Fehler passiert ist, meine Damen und Herren. Falsche Sachverhalte zugrunde zulegen entspricht jedoch nicht meinem Demokratieverständnis und auch nicht meinem Verständnis von einer Anhörung im Ausschuss. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Also, ich habe das weniger als Frage empfunden denn als Intervention.

(Frau Feußner, CDU: Das war eine Kurzinterven- tion! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Ja. Ich möchte trotzdem darauf reagieren.

Der Brief war an die Stadt Naumburg gerichtet. Ein Durchschlag dieses Briefes ging direkt an Herrn Poser. Herr Poser war Verfahrensbeteiligter, er war Kläger. Was sonst hätte der Brief an ihn bedeuten sollen?

Jetzt wird über Fragen diskutiert, die im Ausschuss diskutiert worden sind. Wir haben die Öffentlichkeit bewusst ausgeschlossen, weil es auch um die persönlichen Interessen Betroffener ging. Wir kommen ja noch zu der Frage Untersuchungsausschuss. Es stellt sich die Frage, ob ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden soll, in dem alles offen angesprochen wird, in dem Zeugen vernommen werden und unter Eid aussagen müssen. Dort können wir über diese Fragen ganz klar reden.

Der Richter hat gesagt, dass er über den Brief des Justizministers verärgert gewesen sei.

(Zuruf von Herrn Stahlknecht, CDU)

- Augenblick! Der Brief ist verlesen worden, bevor der Vergleich getroffen wurde. Die Stadt Naumburg hatte wenige Wochen zuvor in einem Brief mitgeteilt, dass sie 25 Stellplätze fordere.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Sie wollte sich auf keinen Vergleich einlassen.

Außerdem habe ich noch eines gesagt: Die Kosten sind nicht auf die beiden beteiligten Parteien aufgeteilt worden, sondern wurden, weil es eindeutig war, nur der GbR angelastet. Das alles darf dabei nicht vergessen werden. Aber, wie gesagt, darüber können wir noch in Ruhe diskutieren. Dazu werden wir Zeit genug bekommen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der PDS)

Herr Dr. Püchel, es gibt eine weitere Nachfrage. Sind Sie auch bereit, die Frage des Herrn Wolpert zu beantworten?

Bitte sehr, Herr Wolpert.

Herr Dr. Püchel, meine Frage bezieht sich auch auf die Sachverhaltsdarstellung. Würden Sie mir Recht geben, wenn ich sage, dass der Vergleich, der vor Gericht abgeschlossen wurde, unter dem Vorbehalt des Widerrufs abgeschlossen worden ist? Würden Sie mir Recht geben, dass in der Anhörung ausgesagt worden ist, die Entscheidung, ob Widerruf eingelegt werde oder nicht, habe beim Oberbürgermeister der Stadt Naumburg und nicht bei der Justiziarin der Stadt gelegen, und würden Sie mir Recht geben, dass der vorsitzende Richter mit keinem Wort erwähnt hat, dass die Kläger in dem Verfahren tatsächlich nicht mehr sieben Stellplätze, sondern nur noch drei haben wollten, sondern dass er das nur allgemein ausgeführt hat? Würden Sie mir schließlich Recht geben, dass die Insolvenzgefahr deshalb nicht angesprochen wurde, weil darüber keine Auskunft gegeben wurde?

So, nun wird es doch noch spannender. Beginnen wir mit der Frage des Widerrufs. Heute geht es nicht um die Frage des Widerrufs, sondern es geht darum, dass der Herr Minister im Laufe eines anhängigen Verfahrens einen Brief geschrieben hat.

(Beifall bei der SPD)

Ein eventueller Widerruf hat damit überhaupt nichts zu tun.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Das Zweite: Bevor der Vergleich getroffen wurde, bevor die Rechtsamtsleiterin diesen mitgetragen hat, war der Brief von Minister Becker vorgelegt worden. Sie hat eine Kopie erhalten und in dem Brief war der Vorschlag über drei Stellplätze enthalten. So war es. Der Brief ist also eingeführt worden, auch mit den drei Stellplätzen.

Über die Frage der Insolvenz will ich jetzt nicht weiter diskutieren. Das, was dazu gesagt wurde, empfand ich als sehr peinlich. Ich frage mich jetzt noch, ob es wirklich des Briefes bedurft hat. Denn nach dem, was ich da gehört habe, wäre die GbR nicht an diesen Stellplätzen kaputt gegangen, sondern vielleicht an anderen Dingen oder nicht. Das war so diffus, was da gesagt wurde. Das ist überhaupt kein Thema für diese Runde. Das kann nur im Untersuchungsausschuss diskutiert werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Püchel. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüßen Sie mit mir auf der Zuschauertribüne Damen und Herren vom Diakonie-Förderverein Ballenstedt.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe nunmehr den Antrag der PDS-Fraktion mit der Überschrift „Beendigung des Amtsverhältnisses des Justizministers Curt Becker“ in Drs. 4/1091 auf. Der Antrag der Fraktion der PDS wird durch die Abgeordnete Frau Dr. Sitte eingebracht. Bitte sehr, Frau Dr. Sitte

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren!