Protocol of the Session on September 23, 2003

Es gibt viele andere Probleme, auch bei uns in SachsenAnhalt, mit denen wir uns in der nächsten Zeit werden auseinander setzen müssen; denn wir müssen uns in Deutschland und im internationalen Vergleich an anderen messen lassen. Es gibt einige Länder, die sich über

unsere Weinerlichkeit, über unsere Larmoyanz wundern, weil wir mit unseren eigenen Problemen nicht fertig werden. Diese wundern sich, dass wir uns über ein Wirtschaftswachstum von 0,2 oder 0,3 % sogar noch freuen, während sie selbst mit deutlich besseren Zahlen davon marschieren.

Das sind nicht nur Länder aus dem fernöstlichen, asiatischen Raum; das sind auch westliche Länder, die wesentlich bessere Entwicklungszahlen haben als wir und die den Kopf darüber schütteln, worüber wir uns in Deutschland streiten.

Das gilt auch im nationalen Vergleich. Es gibt andere Länder mit einer geringeren Arbeitslosenzahl, mit besseren Entwicklungsdaten als wir. Diese geben für bestimmte soziale Bereiche weniger aus, und die Menschen sind damit zufrieden, weil sie sagen: Bei uns geht es wenigstens aufwärts. Über diese Dinge müssen wir miteinander diskutieren.

Wir müssen den Mut aufbringen, in unserem Land jetzt die Veränderungen vorzunehmen, die notwendig sind, um in der wirtschaftlichen und in der sozialen Entwicklung wieder voranzukommen. Wir müssen in Deutschland und in Sachsen-Anhalt die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung verbessern.

Die letzten Sätze, meine Damen und Herren, stammen nicht von mir. Sie stammen aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. März dieses Jahres. Ich sage: Recht hat er in Bezug auf Deutschland und auch auf Sachsen-Anhalt. Diese Probleme müssen wir durchdiskutieren. Ich kann Ihnen von hier aus sagen: Die größten Widerstände kommen nicht von der politischen Opposition im Bundestag; die kommen aus einem bestimmten Teil seiner eigenen Reihen. Darum beneide ich ihn nicht. Ich weiß, dass das schwierig ist.

Aber wenn wir nicht alle bereit sind, uns mit diesen Problemen zu beschäftigen, zu sagen, was jetzt notwendig ist, welche Prioritäten jetzt gesetzt werden müssen, dann werden wir weder in Deutschland noch in Sachsen-Anhalt einen Konsens für die notwendigen Reformen bekommen.

Deswegen bekenne ich, dass ich eine solche Diskussion will. Wenn jemand sagt, das wäre ein Armutszeugnis; der alternde Ministerpräsident komme nicht mehr weiter und frage nun die Bevölkerung, wie es gemacht werden solle usw., dann, meine Damen und Herren, sage ich: Damit kann ich leben.

Ich bin übrigens der Meinung, Sie, Herr Püchel, wissen manchmal nicht genau, was Sie sagen, wenn Sie mir unbedingt eins vors Knie hauen wollen. Ich kenne noch Zeiten - Sie sicherlich auch -, in denen man nur staunen durfte, was das Politbüro entschieden hat. Wir wollen jetzt, dass wir öffentlich darüber diskutieren, wie es weitergeht.

(Unruhe bei der SPD)

Ich lasse mir das nicht als Hilflosigkeit vorwerfen. Vielmehr sage ich: Ich will diese öffentliche Diskussion mit allen, die auf diesem Weg mit mir kommen wollen.

(Starker Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich bin mir ganz sicher, Sie wollen das auch. Aber in der parlamentarische Debatte rutscht Ihnen manchmal etwas heraus, das man bei längerem Nachdenken vielleicht auch anders hätte formulieren können.

Nun zur Verschuldung. Es ist wahr, dass wir auch in diesem Haushalt wieder eine höhere Neuverschuldung veranschlagt haben, als wir uns erhofft, gedacht, geplant hatten. Aber eines haben Sie schlicht weggelassen: Wir haben auch noch bei diesem Haushalt mit Schulden zu leben, die Sie uns eingebrockt haben.

Der Lehrertarifvertrag ist genannt worden. Ich habe es mir genau vorrechnen lassen: In jedem Jahr der Laufzeit dieses Tarifvertrages ist der Landeshaushalt damals um umgerechnet etwa 50 Millionen € entlastet worden. Genau diese Summe kommt jetzt auf uns zu. Die Lehrer haben ein Recht darauf, dies von uns zu verlangen. Sie muss selbstverständlich gezahlt werden. Das ist völlig klar.

Die Debatte über die anderen Schulden haben wir hinter uns. Darüber müssen wir jetzt nicht sprechen. Aber diese erschweren natürlich den Abbau der Neuverschuldung in Zeiten, in denen das wirtschaftliche Wachstum so gering ist, dass die Steuereinnahmeraten einfach nicht erzielt werden.

Ich will auch nicht die Illusion aufkommen lassen, dass es besser würde, wenn wir nicht gegensteuern würden. Ich will eines ganz deutlich sagen: Selbst wenn wir davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren die Einnahmen immer auf der numerisch gleichen Höhe blieben - das weiß niemand; das ist ein Gedankenexperiment -, werden die Tarife, die Versorgungsbezüge und die dadurch bedingten Belastungen steigen;

(Zuruf von Herrn Dr. Heyer, SPD)

die Zinsausgaben werden steigen, weil wir noch immer eine Neuverschuldung haben. Dass die Zinsausgaben jetzt relativ niedrig sind, hängt mit der gegenwärtigen Zinssituation zusammen, die nicht so bleiben wird. Wenn wir nicht umsteuern, werden auch die Belastungen aus der Sozialhilfe steigen.

Selbst unter der theoretischen Voraussetzung der Einnahmekonstanz werden die Ausgabespielräume von Jahr zu Jahr geringer. Deswegen müssen wir jetzt gegensteuern, und zwar nicht nur im Hinblick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

(Zuruf von Herrn Dr. Heyer, SPD)

Im Zusammenhang mit der Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung würde ich mich - mit Verlaub gesagt - nicht gern auf die verlassen, die jetzt erst anfangen zu begreifen, dass Betriebe Gewinne machen müssen, um Arbeiter einstellen zu können.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielmehr muss man sich mit denen unterhalten, die in diesem Bereich tatsächlich Verantwortung tragen.

Aber das setzt voraus, dass wir gezwungenermaßen in jedem Jahr erneut mit dem Haushalt Prioritäten setzen. Wir werden im Haushaltsjahr 2004 nach der bisherigen Planung bei den gegenwärtigen Zinssätzen einen Betrag in Höhe von 987 Millionen € allein für Zinsen ausgeben.

Meine Damen und Herren! Das sind keine GA-Mittel, das sind keine EFRE-Mittel, das sind Landesmittel. Das wissen Sie. Jeder hat schon soviel Haushaltserfahrung, dass er sich denken kann, was wir mit der Hälfte des Geldes hätten machen können, wenn unsere Schulden nur halb so hoch wären - wie zum Beispiel Sachsen, unser benachbartes neues Bundesland.

Ich will nicht die ganze Geschichte der letzten 13 Jahre erzählen. Dazu würde uns beiden, Ihnen und auch mir, eine Menge einfallen. Das ist völlig klar.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Pari, pari!)

Ich habe sämtliche Zahlen - Sie können sie jederzeit bekommen -, wann welche Neuverschuldung aufgebaut wurde usw.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Haben wir auch! - Herr Felke, SPD, ein Schriftstück hochhaltend: Wir auch! - Unruhe bei der SPD)

Wir sind uns vollkommen darüber im Klaren, dass wir auch beim Personalabbau weiter vorankommen müssen. Ich habe die Zahlen darüber vorliegen, in welcher Höhe in der ersten, in der zweiten und in der dritten Legislaturperiode Personal abgebaut wurde - in dem System gab es sogar einmal eine ganze Menge Rechenfehler - und in welcher Höhe wir jetzt dabei sind, Personal abzubauen.

Es gibt keine Alternative zu dieser Entwicklung. Deswegen werden wir diesen Weg mit relativer Stringenz gehen müssen, wenn wir erreichen wollen, dass Sachsen-Anhalt auch zukünftig gestaltungsfähig und damit politikfähig bleibt.

Wenn Sie mich nach Zielen dieser Entwicklung fragen, dann sage ich Ihnen dies ganz unpoetisch und nüchtern: Wir haben das ehrgeizige Ziel zu erreichen, dass wir von Jahr zu Jahr etwas mehr auf den eigenen Füßen zu stehen kommen, das heißt, die Steuerdeckungsquote durch die eigene Wirtschaft immer etwas mehr verbessern können. Dies ist notwendig. Das muss vor allen Dingen dann erreicht sein, wenn die Mittel von außen - Solidarpakt, Förderregion 1; das kennen Sie alles - wegfallen.

Wir haben nur die Chance, diesen Weg zu gehen, sonst werden die Verhältnisse wesentlich schlechter werden. Ich habe den Ehrgeiz und die Vision, Sachsen-Anhalt zu einem werthaltigen Standort zu machen, das heißt zu einem Standort, an dem es sich lohnt, das eigene Geld zu investieren und nicht zur Bank zu schaffen, weil es dort eine höhere Rendite bringt. Wenn wir dies nicht schaffen, haben wir die Zukunft verspielt.

In diese Richtung müssen deshalb die Prioritäten im Landeshaushalt gesetzt werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Dafür lasse ich mir auch gern den einen oder anderen Vorwurf machen. Ich wünschte, wir kämen mit weniger Schulden aus. Schulden sind immer ein Ausdruck dafür, dass wir die Probleme der Gegenwart zulasten der Zukunft lösen.

Weil ich dauernd die Sätze von einem kinder- und jugendfreundlichen Sachsen-Anhalt höre: Es ist nichts weniger kinder- und jugendfreundlich, als die Bedürfnisse der Gegenwart zulasten der nächsten und übernächsten Generation zu finanzieren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Deshalb möchte ich, dass wir auch darüber miteinander im Gespräch bleiben und uns klarmachen, welche Konsequenzen wir uns einhandeln, wenn wir nicht zu diesem Kurs entschlossen sind.

Ich stelle mich nicht hier hin, Herr Bullerjahn, und bitte Sie um Ihre Finanzberechnungen - bis zum Jahr 2020, habe ich gehört -, weil ich dann befürchten müsste, dass mir morgen irgendjemand vorwirft: Dieser Ministerpräsident bittet um Zahlen, weil er selber nicht mehr klarkommt.

Aber eines will ich schon einmal sagen: Wenn Sie einigermaßen auf der Grundlage der gegenwärtigen Parameter gerechnet haben, müssen dabei verheerende Ergebnisse herauskommen. Wenn wir einmal Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, dann wird uns allen klar werden, dass wir nur eine Chance für die Zukunft haben, wenn wir schon jetzt anfangen, gegenzusteuern. Andere haben schon vor uns angefangen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir müssen diesen Weg jetzt ebenfalls gehen. Dabei habe ich nur den einen Ehrgeiz: dass alles das, was Sie als Berechnungsgrundlage für Ihre Zahlen genommen haben, nicht eintritt, weil es uns gelingt, bis dahin die Verhältnisse so zu ändern, dass die Lage besser wird. Dies müssen wir gemeinsam schaffen. - Vielen Dank.

(Starker, langanhaltender Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Herr Ministerpräsident, es gibt noch eine Frage von Frau Bull.

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich zu der prekären finanziellen Lage der Kommunen geäußert, haben in diesem Zusammenhang das Grundsicherungsgesetz angeführt und zu Recht, wie ich meine, kritisiert, dass der Bund nicht die finanziellen Leistungen nach unten gibt, die dort zur Begleichung von angefallenen Kosten gebraucht werden.

Dabei würde mich doch einmal interessieren: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass das Land im Haushalt 2003 Mittel in Höhe von weit über 10 Millionen € auf der Basis des Grundsicherungsgesetzes eingespart hat, sie aber mitnichten an die Kommunen gegeben hat?

Zunächst hat noch niemand behauptet, dass es tatsächlich zu einer solchen Einsparung kommt. Das ist das eigentliche Problem. Wir sind noch dabei, zu rechnen und zu suchen. Wenn diese Einsparung eintritt, können wir gern über den nächsten Schritt reden. Solange das nicht der Fall ist, können wir nichts ausgeben.

Mir fällt das jetzt ein - gut, dass Sie danach gefragt haben -, weil Herr Scharf die Sache mit den 10 Millionen €, die wir den Kommunen weggenommen hätten, bei der Krankenhausfinanzierung beklagt hat. - Das ist richtig.

Aber, meine Damen und Herren, auch dies muss man in einem Zusammenhang sehen, den ich einfach nicht zu vergessen bitte: Wir sind das einzige Bundesland in der ganzen Bundesrepublik, das für die Krankenhäuser ein Kreditfinanzierungsprogramm aufgelegt hat. Das hat zur Folge, dass wir mit den Sanierungsmaßnahmen eher fertig sein werden als die anderen Bundesländer. Das hat aber die nüchterne Konsequenz, dass wir bis zum Abzahlen dieses Programmes bis zum Jahr 2017 brauchen werden, wenn die anderen schon längst nichts