Protocol of the Session on September 23, 2003

Dieser Minister hat den Mut gehabt zu sagen: Es geht um Abrissprogramme. Wir hatten einmal einen Wohnungsbauminister, der gesagt hat, er wolle nie ein Ab

rissminister werden. Aber die Entwicklung hat ihn eingeholt.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Wir haben den Mut, den Menschen zu sagen: Wo abgerissen werden muss, da muss es auch wirklich geschehen. Dazu gehört die entsprechende Förderung. Dann können wir hinterher im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen die Wohnumfelder so gestalten, dass die Städte, auch die schrumpfenden Städte, lebenswert bleiben. Wir haben diesbezüglich keine ideologischen Scheuklappen; wir gehen einen notwendigen Weg mit Konsequenz, meine Damen und Herren.

(Herr Dr. Heyer, SPD: Das werden Sie nie ver- stehen, Herr Scharf, nie! Nie werden Sie das ver- stehen, Herr Scharf! Nie, nie, nie! - Lachen bei der CDU)

- Das ist nun einmal das Rollenspiel, dass der eine oder andere mal in die Opposition muss und dann fühlt er sich nicht richtig verstanden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Das passiert schon mal.

Im Verantwortungsbereich des Landwirtschafts- und Umweltministeriums leben wir in erheblichem Maße davon, wie sich die EU-Mittel entwickeln. Deshalb muss man feststellen: Wenn die Ausgaben im Einzelplan 09 insgesamt um 22 % gesunken sind, dann ist das nicht eine Folge dessen, dass die Landwirtschaftspolitik in dieser Landesregierung keine Rolle mehr spielt, sondern wir haben gerade im Einzelplan 09 in erheblichem Maße das zu vollziehen, was auf der EU-Ebene beschlossen worden ist. Dabei können wir einen großen eigenen Gestaltungsspielraum gar nicht entwickeln.

Die Landwirtschaftsministerin hat, denke ich, das Notwendige für ihren Verantwortungsbereich eingestellt. Der Hochwasserschutz spielt eine bedeutende Rolle, die Investitionen in den ländlichen Raum werden fortgeführt, das Wegekonzept und die Dorfentwicklung stehen im Vordergrund. Wir lassen den ländlichen Raum nicht hängen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Zum Schluss möchte ich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und auch die Opposition noch einmal dazu einladen, eine Grundsatzdiskussion über den Weg dieses Landes zu führen. Wir rufen die Bürgerinnen und Bürger auf, sich in die Politik einzumischen; wir suchen den Gesprächskontakt mit den Bürgern.

Wir haben dann aber als Parlamentarier die Pflicht, die vielen Briefe und Meinungsäußerungen, die an uns herangetragen werden, nach bestem Wissen und Gewissen zu prüfen, darüber in den Ausschüssen zu beraten und dann im Dezember aber auch darüber zu entscheiden - so früh zu entscheiden, dass wir mit der Verabschiedung des Haushalts im Dezember allen Zuwendungsempfängern und allen Kommunen eine Planungssicherheit für das nächste Jahr, für das Jahr 2004, geben, sodass auf berechenbarer Grundlage alle diejenigen, die von landespolitischen Entscheidungen abhängig sind, eine Marschrichtung haben, wie die Landespolitik gestaltet wird.

Ich lade alle dazu ein, diesen Prozess zu begleiten, unabhängig davon, ob sie nun die Regierung stützen oder die Regierung vornehmlich kritisieren. Wir haben die Ver

antwortung, hier in diesem Raum alles auf den Punkt zu bringen. Bei allem, was wir hier deutlich diskutieren, haben wir die Chance - auch im Interesse der Stärkung der Demokratie -, die Bevölkerung mitzunehmen. Bei allem, was wir hier nicht ordentlich diskutieren, haben wir keine Chance, das den Leuten vernünftig zu erklären.

Wir werden Politik gestalten, und wir werden als CDU - dabei schließe ich jetzt einmal die FDP ein - die Landesregierung bei der Lösung dieser Aufgabe unterstützen und dort, wo es notwendig ist, auch ein Stückchen korrigieren. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scharf.

Meine Damen und Herren! Für die PDS-Fraktion erhält nun die Abgeordnete Frau Dr. Sitte das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Sitte.

Danke, Herr Präsident. - Ein Regierungsziel sollte eine genaue Vorstellung davon geben, wie etwas am Ende eines Prozesses aussehen soll. Es muss eine eindeutige Aussage über angestrebte Entwicklungsbedingungen enthalten. Ein Ziel ist daher ganz offensichtlich mehr als ein eingeschlagener Weg.

Weniger Geld ausgeben zu wollen beschreibt allenfalls einen Weg, aber kein Ziel.

Wenn die Landesregierung weniger Geld ausgeben will, wenn sie weniger Personal beschäftigen und die Personalkosten senken will, wenn sie die Neuverschuldung reduzieren will, so bleibt aktuell doch die Feststellung, dass niemand weiß, welches Ziel dadurch erreicht werden soll.

Selbst wenn die Landesregierung ein schlüssiges Konsolidierungsprogramm hätte: Ohne Zielstellungen bleibt unklar, wofür diese Anstrengungen geleistet werden und wofür sich die zusätzlichen Lasten am Ende lohnen sollen. Wir diskutieren heute auch deshalb mit der Regierung, um von ihr darüber endlich etwas Konkretes zu erfahren, etwas Konkretes über diese Perspektive.

Der Ministerpräsident hat eine Zukunftsdebatte angestoßen. Bislang ist er uns aber schuldig geblieben zu sagen, welche inhaltlichen Vorstellungen er von dieser Zukunft hat. Bislang hat er nur eine Botschaft vermittelt, nämlich dass der Einzelne seine Leistung steigern und noch mehr Lasten tragen muss.

Dem halten wir jedoch entgegen, Herr Ministerpräsident, dass nicht jener Schreiner der Beste von allen ist, bei dem mehr Späne fallen als bei anderen.

(Zustimmung bei der PDS)

Nun hat sich der Ministerpräsident dabei mit seiner Botschaft an die Menschen in Sachsen-Anhalt gewandt. Der Finanzminister hat es nochmals bekräftigt, Herr Scharf ebenfalls. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden.

Wogegen wir aber sehr viel einzuwenden haben, ist, dass alles in der Toleranzbreite einer Zeiss-Präzisionsoptik und nur mit einer einzigen Option aufgezeigt wird:

Das Land muss weniger Geld ausgeben, was nichts anderes nach sich zieht als die Tatsache, dass die Bürger Einsicht dafür aufbringen sollen, dass sie im Gegenzug mehr Geld ausgeben müssen, ihre Abgaben an den Staat jedoch unverändert bleiben. Mehr Geld soll dann privat ausgegeben werden für Leistungen, die nun nicht mehr das Land erbringen wird. Am Ende heißt das auch nichts anderes als weniger Leistungen für das gleiche Geld.

Der Ministerpräsident wirbt mit seiner Botschaft natürlich um Mehrheiten - das ist völlig klar -, aber eben nur in seinem Sinne. Dabei entscheiden er und seine Regierung lediglich über Ausgaben, die auch nur über eine Umverteilung bestimmt, aber nicht selbst finanziert worden sind.

Nun stelle man sich doch einfach einmal den umgekehrten Fall vor. Die angerufene Mehrheit würde die Botschaft in dem gleichen Sinne zurückgeben. Die Angerufenen teilen also mit: Sie wollen jetzt auch weniger Geld ausgeben müssen. Immerhin sorgen sie als Steuerzahler für immer mehr Input in das System und erhalten dafür deutlich weniger Output. Diesem Prozess liegen also politische Entscheidungen und Prioritätenwechsel zugrunde. Das Ganze nennt sich dann auch noch irreführend „Reform“.

Zur Ehrlichkeit dieser Zukunftsdebatte gehört, dass sich die Regierung endlich die Frage stellt, warum trotz stetig wachsendem gesellschaftlichen Reichtum die Leute faktisch immer weniger bekommen.

(Beifall bei der PDS)

Nun sagen Sie mir nicht, das alles läge an den Millionen von Arbeitslosen, die die Gesellschaft doch so belasten. Darauf müsste ich dann nämlich meinerseits anführen, dass die Zuwendungen an Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger den direkten und indirekten Subventionen und Steuervergünstigungen in der Wirtschaft gegenüberstehen.

Meine Damen und Herren! Wenn wir uns darüber einig sind - das scheint in diesem Haus so zu sein -, dass der Staat kein Gebilde ist, das sich zum Selbstzweck organisiert, dann haben wir in der Debatte zu klären, was von ihm, respektive dem Land, geleistet werden soll, welcher Einnahmen es dazu bedarf und wie man zu selbigen kommen könnte.

Der Ministerpräsident verkürzt nach meinem Dafürhalten die Fragestellung unzulässig, indem er nur die Ausgabenseite anspricht und angesichts des Volksbegehrens erst einmal ohne Wenn und Aber klargestellt hat, dass die Ausgaben für das Kinderbetreuungsgesetz eine Gefahr für das Land darstellen.

Nun spiegelt sich im Volksbegehren aber nur ein kleiner Ausschnitt aus einem viel übergreifenderen und tiefer gehenden Problem wider. Es stellen sich nämlich ganz grundsätzlich die Fragen: Gehört Kinderfreundlichkeit zu den Entwicklungszielen dieser Gesellschaft? Was haben Kinder und Jugendliche zu erwarten? Wie soll was durch wen erbracht werden?

Für den Fall, dass sich die angerufene Mehrheit für die Kinderfreundlichkeit als prioritäres Ziel entscheidet, hat der Ministerpräsident schon einmal wissen lassen, dass sich darin für ihn ein unbegründetes Anspruchsdenken manifestiere. So kommuniziert er tapfer und ehrlich, dass es genau dieses ein bisschen sozialistisch angehauchte Anspruchsdenken sei, welches den Sozialstaat

zugrunde richte und weshalb es ihn nicht mehr so wie bisher geben könne.

Mit dieser Aussage befindet er sich mittlerweile nicht mehr allein auf weiter Flur, sondern in einer ziemlich ordentlichen Mehrheit von Parteien, angefangen bei der CSU bis hin zur SPD. Diese Balance bestimmt natürlich auch die medialen Botschaften, sodass zwischenzeitlich die Leute wirklich schon fast ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie fragen, was ihnen denn dann noch von den Steuergroschen überhaupt zusteht.

Na klar, die Gesellschaft ändert sich nachhaltig. Wer will das an dieser Stelle leugnen? Realistische Alternativen zu dieser inhaltlichen Neuausrichtung, zu Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen des Staates, werden aber in dieser Debatte gar nicht erst zugelassen. Sollten sie doch irgendwo auftauchen, dann kommen sie sowieso von den ewig Gestrigen und den unmodernen Besitzstandswahrern.

Fazit: Auf diesem Weg kann eine echte Zukunftsdebatte eigentlich gar nicht zustande kommen.

Dass der Staat in der Tat nicht alles machen muss oder dass er manches um den Preis der Übernahme anderer Verpflichtungen abgeben kann, ist nur theoretisch unumstritten. Praktisch wird aber seit Jahren ausschließlich darüber geredet, wessen sich der Staat noch entledigen könnte. Damit ist der gesellschaftliche Dialog eben nicht mehr offen. Die Botschaft lautet unter diesen Rahmenbedingungen: Wenn du mehr von der Zukunft haben willst, musst du mehr geben. Das suggeriert zugleich: Die Zukunft ist dein Problem, und du bestimmt über dich selbst, und zwar nur du.

Aber das stimmt einfach nicht. Selbst wenn der Opferbereiteste sich dazu finden würde, er stieße an Grenzen und Bedingungen in der Gestalt des gesellschaftlichen Umfelds. Die Qualität dieser Rahmenbedingungen entzieht sich seiner individuellen Steuerung. Spätestens an dieser Stelle kommt die Politik nun doch in die Pflicht und sie muss natürlich Prioritäten setzen und entscheiden. Das ist ihre originäre Aufgabe.

Mir scheint, meine Damen und Herren, wir befinden uns in einem Entwicklungsstadium, in dem wir endlich zu der Einsicht kommen sollten, dass die meisten konventionellen Versuche, diese Probleme zu lösen, nur dazu geeignet sind, die Probleme eskalieren zu lassen.

(Beifall bei der PDS)

Wenn die im Land lebenden Menschen langfristig bessere oder zumindest verbesserte Lebenschancen bekommen sollen, dann müssen wir dafür auch die Entwicklungsgrundlagen schaffen. Diese müssen gefördert werden. Diese Grundlagen müssen in zehn bis 20 Jahren eine andere Qualität als anderswo aufweisen. Also müssen wir uns über die Entwicklungsziele und Grundlagen in Sachsen-Anhalt einig werden. Von Zukunftsinvestitionen in Innovationspotenziale muss die Rede sein. Im Übrigen stehen in unserer Verfassung Staatsziele. Diese gehören in diese Debatte genauso hinein.

Ein Jahr nach der Wahl reicht es eben, wie das auch heute geschehen ist, nicht mehr, zu sagen: Leute, die Lage ist schlecht. Das ist nun wirklich niemandem verborgen geblieben. Es mutet auch schon ein wenig grotesk an, dass mit Ministerpräsident Professor Böhmer gerade einer derjenigen Landespolitiker zu einer Zukunftsdebatte auffordert, die sich durch eine jahrelange Ignoranz der Bemühungen um die Entwicklung eines

Leitbildes für eine nachhaltige Entwicklung SachsenAnhalts ausgezeichnet haben. Das heißt, es ist klar, dass dieser Ruf, den er selbst ausgesandt hat, bei uns etwas taktisch ankommt.

Zukunftsfähigkeit definiert sich in diesem Zusammenhang eben nicht nur unter fiskalischen Aspekten. Gerade die jüngsten Schritte der Landesregierung lassen diesbezüglich Zweifel aufkommen. Eine ernsthafte öffentliche Zukunftsdebatte in Sachsen-Anhalt muss Ökonomie, Ökologie, Soziales sowie Politik und Verwaltung gleichermaßen einschließen. Ein modernes Land ist eben nicht ein Land, das sich ein Landesverwaltungsamt gibt, Herr Püchel. Diesbezüglich muss ich Ihnen völlig widersprechen.

(Beifall bei der PDS)