Die Problematik der zunehmenden Entmischung, die wir aufhalten sollten, kann sicherlich nur sehr schwer gelöst werden. Man hat einfach die Tendenz zum Eigenheim. Die kann man auch nicht aufhalten. Jüngste Überlegungen, zunehmend in den Altbeständen zu fördern, dienen sicherlich auch dazu, dass sich die Wohnverhältnisse und Wohnumfelder der einzelnen Einkommensgruppen nicht zu sehr voneinander unterscheiden.
Die Ergebnisse des Berichtes sind im Wesentlichen nicht überraschend; teilweise mussten allerdings für die Untersuchungen - das ist auch bereits kritisiert worden - statistische Daten älterer Erhebungen herangezogen
werden, da zum Beispiel die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nur alle fünf Jahre erhoben wird. Dies ist auch das Problem, weswegen den immer wieder erhobenen Forderungen, diesen Bericht jährlich, zweijährig oder wie auch immer zu liefern, kaum entsprochen werden kann. Da sich die Datenbasis nur langfristig ändert, würden somit kürzere Berichtszeiträume keine neuen Ergebnisse bringen, sondern allenfalls eine neue Interpretation der alten Daten mit sich bringen, was aber keinem weiterhilft.
Die Entstehung des Berichtes ist von einem Beirat aus 19 Mitgliedern begleitet worden, der verschiedenste Akteure, die bereits auf diesem Gebiet gearbeitet haben, vereint. Jene haben auch angeregt, diesen Bericht nochmals entsprechend auszuwerten und uns allen die jeweiligen Empfehlungen an die Hand zu geben.
Dabei muss man feststellen, dass die Empfehlungen des Berichtes nicht die ungeteilte Zustimmung des Beirates gefunden haben, weshalb wir die Empfehlungen nicht mit ins Internet gestellt haben, weil Streitpunkte sozusagen nicht öffentlich ausdiskutiert werden sollten.
Der Bericht als solcher ist der interessierten Öffentlichkeit bereits auf den Internetseiten unseres Ministeriums zugänglich gemacht worden und hat dort auch schon regen Zugriff gefunden.
Die politische Bedeutung des ersten Landesberichtes war darin zu sehen, dass sich ein neues Bundesland - zumal das erste der neuen Bundesländer - diesen sozialen Problemen zugewendet hat.
Auch dadurch hat die Landesregierung ihre Bereitschaft bekundet, sich der Diskussion über heikle und brisante soziale Probleme zu stellen, um ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft in Arm und Reich möglichst zu verhindern. Zu dieser Diskussion werden alle Interessierten, auch über die Fraktionsgrenzen im Landtag hinweg, eingeladen, um sich hier mit ihren Ideen und Vorstellungen einzubringen.
Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Die Debatte der Fraktionen wird durch den Beitrag der FDP-Fraktion eröffnet. Es spricht Herr Scholze. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits vor vier Jahren begannen die Vorbereitungen zur Erstellung des Berichtes „Armut und Reichtum in Sachsen-Anhalt“, initiiert durch die damalige Landesregierung. Nun liegt der Bericht vor, der erste seiner Art in den neuen Bundesländern.
Die Zielsetzung für die Erarbeitung des Berichtes würde ich wie folgt beschreiben: Der Bericht untersucht Armut und Reichtum in unserem Bundesland und damit die Lebensbedingungen der Bürger. Er gibt somit ein differenziertes Bild der sozialen Lage in Sachsen-Anhalt wieder. Bedingt durch den Untersuchungsgegenstand, verstehe ich die Berichterstattung als Querschnittsaufgabe unter bewusster Ausklammerung einiger Schwerpunkte wie Behinderung und Pflege, die Gegenstand anderer Untersuchungsberichte sind.
Mit dem Bericht liegt eine erste Datenbasis für gesicherte Informationen vor. Daraus können erste Erkenntnisse für eine wirksame Armutsbekämpfung abgeleitet wer
den. Ich sage bewusst „erste Erkenntnisse“, weil ich denke, dass erst die Fortführung der Berichterstattung, fußend auf zeitnahen statistischen Angaben, konkreten Aufschluss über bestimmte Entwicklungstendenzen geben kann.
Einen weiteren Aspekt halte ich für wichtig: dass es überhaupt einen Armutsbericht gibt. Unabhängig von den Ursachen gibt es Armut in Sachsen-Anhalt. Armut ist auch in Deutschland, wie der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2001 festgestellt hat, kein Tabuthema. Sie ist gesellschaftlicher Alltag und darüber muss sachlich diskutiert werden.
Meine Damen und Herren! Die wichtigste Erkenntnis des Berichtes ist nicht neu und kommt nicht überraschend: Arbeitslosigkeit ist das größte Armutsrisiko. Wie weitreichend die Wirkungen sind, belegt der vorliegende Bericht. Ich beabsichtige nicht, jetzt eine neuerliche arbeitsmarktpolitische Diskussion über die Ursachen für bestehende Situationen zu führen, meine aber: Nur wenn es gelingt, dieses Kernproblem zu lösen, wird auch das Armutsrisiko grundsätzlich verringert werden können.
Da die hohe Arbeitslosigkeit kein sachsen-anhaltisches Phänomen, sondern ein bundesweites Problem ist, ist nicht davon auszugehen, dass sich kurzfristig gravierende Veränderungen im Beschäftigungsgrad der Bevölkerung ergeben. Daher veranlasst das Material zu hinterfragen, welchen Handlungsspielraum das Land hat, bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, die besonders betroffen sind, regulierend einzugreifen. Ich denke hierbei insbesondere an Kinder und allein erziehende Frauen, aber auch an Langzeitarbeitslose.
Meine Damen und Herren! Dies ist auch nicht der Ort, um darüber zu debattieren, wo genau die materielle Grenze angesetzt wird, ab der ein Mensch, statistisch betrachtet, vermögens- oder einkommensarm ist. Armut und ihre Folgen definieren sich letztlich für den Betroffenen immer individuell und in Abhängigkeit von seinem gesellschaftlichen und persönlichen Umfeld. Dazu sagt der Bericht einiges aus, wie beispielsweise in Bezug auf die Schwerpunkte Bildung, Wohnen oder Konsumverhalten.
Dies wird auch durch eine andere Aussage des Berichtes untersetzt, nämlich den direkten Bezug von Arbeit, beruflicher Stellung und positiver Lebenseinstellung. Hingegen bewirkt fehlende Arbeit Perspektivlosigkeit. Nicht die finanzielle Situation ist primär entscheidend für die Beurteilung der eigenen Lebenssituation. Eine solche Aussage provoziert natürlich geradezu die Frage nach einer Definition von Arm und Reich und nach der bisher gängigen Anbindung dieser Begriffe an den finanziellen Aspekt.
Meine Damen und Herren! Ich halte es für notwendig, den vorliegenden Bericht in verschiedenen Fachausschüssen zu diskutieren. Heute von der Landesregierung die Vorlage eines Konzeptes zur Bekämpfung der Armut in Sachsen-Anhalt zu fordern, wie es sinngemäß in dem PDS-Antrag geschieht, halte ich hingegen für unangemessen. Auch eine eventuelle Schwerpunktsetzung in Bezug auf mögliche Konzepte wüsste ich gern erst in den Fachausschüssen diskutiert.
Daher lehnt die FDP-Fraktion den Antrag der PDS-Fraktion in der Drs. 4/738 ab. Dem SPD-Antrag werden wir unsere Zustimmung erteilen. Über das weitere Prozede
Vielen Dank, Herr Scholze. - Nun hat Frau Bull das Wort, wenn sie denn möchte. - Sie verzichtet. Dann erhält Frau Liebrecht das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der noch von der alten Landesregierung in Auftrag gegebene Bericht „Armut und Reichtum in SachsenAnhalt“ liegt zwischenzeitlich vor. Er liefert eine Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Sachsen-Anhalt; darauf wurde bereits hingewiesen. In Anbetracht der uns in der heutigen Debatte zur Verfügung stehenden Redezeit von fünf Minuten ist es naturgemäß nicht möglich, über die Ergebnisse dieses Berichtes zu diskutieren, obwohl Herr Bischoff bereits einiges dazu ausgeführt hat. Die entsprechenden Beratungen werden wir dann in den zu beteiligenden Ausschüssen führen.
Jedenfalls will ich für die CDU-Fraktion schon jetzt deutlich machen: Anders als die SPD-geführte Bundesregierung es mit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht auf Bundesebene getan hat, werden wir den Bericht nicht zu einer Generalabrechnung mit der Sozialpolitik der alten Landesregierung missbrauchen. Wir unterstützen den Antrag der SPD-Fraktion, der zunächst darauf abzielt, dass die Landesregierung den Armuts- und Reichtumsbericht Sachsen-Anhalt dem Landtag vorlegt und über die Ergebnisse berichtet.
Für meine Fraktion ist es selbstverständlich und gehört es zum guten parlamentarischen Ton, dass insbesondere Berichte, die sich mit der sozialen Lage im Lande befassen, intensiv in den parlamentarischen Gremien beraten und diskutiert werden. Aus der Sicht der CDU sollten die Beratungen hierüber unter zwei Gesichtspunkten geführt werden.
Zum einen sollte der Bericht unter dem Aspekt ausgewertet werden, welche Konsequenzen aus den Ergebnissen zu ziehen sind. Es sollte also die Frage diskutiert werden, welche Konzepte und Wege geeignet sind, um Armut in unserem Bundesland zu vermeiden und dort, wo sie nicht vermieden werden kann, am wirkungsvollsten zu bekämpfen.
In diesem Zusammenhang werden wir dann sicherlich auch über die Frage diskutieren, inwieweit die vorhandene Datenlage ausreicht - auch darauf wurde bereits hingewiesen -, um die im Zusammenhang mit dem Thema Armut und Reichtum zu diskutierenden Aspekte in dem erforderlichen Umfang untersetzen zu können.
Ich denke hierbei zum Beispiel, wie auch der Minister schon angeführt hat, an die wenig aussagekräftige Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Hierüber wird man sich in den Beratungen der Ausschüsse sicherlich verständigen müssen; dabei wird man auch die Frage zu entscheiden haben, ob entsprechende zusätzliche Erhebungen und Statistiken benötigt werden.
In seiner Grobstruktur orientiert sich der vorliegende Armuts- und Reichtumsbericht an dem der Bundesregierung - wenngleich zum Beispiel die extreme Armut überhaupt nicht berücksichtigt wird -, allerdings mit der
Abweichung, dass der Landesbericht einen Berichtsteil „Subjektive Fragen von Betroffenen“ enthält, was positiv zu bewerten ist. Das ist ein wesentlicher Aspekt für die zukünftige Armuts- und Reichtumsberichterstattung, um - egal, ob auf Bundes- oder Länderebene - einheitliche Standards zu haben.
Gleichzeitig müssen wir bei den anstehenden Änderungen der sozialen Sicherungssysteme beachten, dass die individuellen und gesellschaftlichen Belange so ausbalanciert werden, dass weder existenzielle Gefährdungen und Nöte übergangen noch gesellschaftliche Überforderungen provoziert werden. Solidarität und Eigenverantwortung müssen dabei als ergänzende Prinzipien erhalten bleiben. Menschen, die aus eigener Kraft nur schwer oder gar nicht den Weg zur Arbeitswelt finden, müssen solidarisch eingebunden werden, um ihre Teilhabechancen auf der Grundlage ihrer individuellen Ressourcen zu verbessern.
Allerdings dürfen wir dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass in den neuen Bundesländern, so auch in SachsenAnhalt eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen einfach fehlt, nämlich ca. 200 000.
So reicht es auch nicht aus, solidarisches Verhalten zu zeigen sowie Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu fördern. Wir brauchen dafür in erster Linie einen gesellschaftlichen Konsens, eine gelebte Überzeugung; denn Solidarität lebt vom Mitmachen und nicht vom Reden. Armut muss von einer Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass man bereit ist, die Armut zu bekämpfen. Dies ist letztlich davon abhängig, welche Wertvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft bestehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre noch vieles zu dem Armuts- und Reichtumsbericht zu sagen. Allein, die Redezeit reicht hierfür nicht aus. Deswegen möchte ich es heute an dieser Stelle dabei bewenden lassen und noch zwei kurze Anmerkungen zu den beiden vorliegenden Anträgen machen.
Den Antrag der Fraktion der PDS werden wir ablehnen, da er, was den Auftrag an die Landesregierung angeht, zu viele Bewertungen vorlegt, die aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorgenommen werden sollten,
und den Berichtsauftrag der Landesregierung zu sehr auf eine bestimmte, von der PDS präferierte politische Richtung beschränkt.
Dem Antrag der Fraktion der SPD werden wir zustimmen. Wir bitten allerdings darum, dass der Bericht nicht nur im Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport, sondern auch im Ausschuss für Gesundheit und Soziales beraten wird. Die Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit sowie für Bildung und Wissenschaft werden zu der Berichterstattung eingeladen werden. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Liebrecht. - Jetzt ist noch einmal Herr Bischoff an der Reihe. Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei Anmerkungen zu meinen Vorrednerinnen und meinem Vorredner machen. Ich habe in dem CaritasBericht vor zwei Jahren gelesen, Herr Finanzminister, dass in diesen Jahren - das hängt wahrscheinlich mit der Kriegsgeneration zusammen - ein Viertel des gesamten Volksvermögens vererbt wird. Darin wird eine Summe von mehreren Billionen genannt, jedenfalls eine für mich unvorstellbare Summe.
Dabei ist mir der Gedanke gekommen - ich bin davon schließlich nicht weit weg -, ob man nicht doch einen Beitrag dazu leisten kann, dass die, die in sozialer Armut leben, auch ein Stück weit wieder die Chance erhalten, sich etwas anzugleichen. Jedenfalls ist es bedenkenswert, wenn man weiß: Es betrifft nicht nur die Kinder und Kindeskinder, es wird ja auch an weitere Generationen vererbt.
Das Zweite, was ich sagen wollte, ist an Minister Kley gerichtet. Ich halte den Bericht wirklich für gut, weil er so umfassend ist. Wir erhalten auch alle zwei Jahre den Arbeitsmarkt- und Sozialbericht. Meine Frage geht dahin, ob man das nicht verknüpfen kann, indem man etwa Teile von diesem Bericht dort mit hineinnimmt oder meinetwegen aus jenem Bericht herausnimmt; dort gibt es doch auch Schwerpunkte. Dadurch würde ein Stückchen mehr die Lebenswirklichkeit einbezogen, als es in dem reinen Arbeitsmarkt- und Sozialbericht geschieht.
Ich denke, die Einladung an alle Politikerinnen und Politiker, nun Vorschläge zu machen, gilt selbstverständlich auch für die Landesregierung, die ihrerseits sicherlich auch aufgefordert ist, Vorschläge und Konzepte zu erarbeiten.
Ein Letztes will ich Frau Bull sagen, zu dem Punkt, bei dem sie gleich am Anfang Widerspruch von meinem Kollegen Heyer geerntet hat. Ich bin der Überzeugung, dass die eigene Betroffenheit und das, was man selbst einmal erfahren hat, ein großer Wert ist. Aber ich bin dennoch der Überzeugung, dass man nicht selbst krank gewesen sein muss, dass man nicht selbst mit Kindern leben muss, um das Recht zu haben, Vorschläge zu machen. Man muss nicht behindert gewesen sein, um Vorschläge zu machen. Vielleicht kann man es besser machen.
Ich denke, es ist wichtiger, dass man nachfühlen kann - denn sonst dürften viele von uns gar keine Vorschläge machen -, wie es einem in einer solchen Situation geht. Ich bin überzeugt davon, dass es doch Leute in diesem Hohen Hause gibt, die das nachfühlen können, weil sie vielleicht Menschen kennen, die arm sind oder arm geworden sind, auch aus dem eigenen Erfahrungsbereich heraus.
Nicht wenige von uns, glaube ich, diskutieren auch über ihre eigenen Lebensängste; denn Abgeordnete sind nur - ich sage das einmal so - zeitweise reich. Man weiß schließlich nicht, ob man wieder gewählt wird, und nicht jeder gehört zu den Gutverdienenden. - Das wollte ich nur als Anmerkung vorbringen.