Protocol of the Session on May 15, 2003

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst möchte ich der Landesregierung für die umfängliche Beantwortung der Großen Anfrage der PDS-Fraktion zur Lebenssituation von Frauen und Mädchen mit Behinderung danken. Auch wenn, wie die Landesregierung anführt, aufgrund des Datenschutzes bei Sozialdaten nicht zu allen Fragenkomplexen alle erfragten Statistiken in dem gewünschten Umfang bzw. der gewünschten Qualität aufgeführt werden konnten, so ist der Landesregierung dafür zu danken, dass sie das vorliegende Zahlenmaterial zusammengestellt hat. Dieses Material wird für vor uns alle eine hilfreiche Arbeitsgrundlage sein.

(Frau Budde, SPD: Was denn sonst?)

Wie die Landesregierung in ihrer Antwort zutreffend erläuterte, haben Mädchen und Frauen mit Behinderung - dies wurde schon mehrmals gesagt - aufgrund der Doppeldiskriminierung als Frauen in einer männlich dominierten Welt und als Behinderte in einer Welt der Nichtbehinderten insbesondere im Sinne einer Gleichbehandlung mit strukturell bedingten Problemen zu kämpfen. Die CDU-Fraktion teilt die Ansicht, dass, um den heutigen Stand zu erreichen, vielfältige Schritte notwendig waren, aber der Weg noch längst nicht abgeschlossen ist. Vieles hat sich in den letzten Jahren getan, aber noch vieles bleibt zu tun.

Die CDU-Fraktion wird gemeinsam mit der Landesregierung nach Lösungen suchen, um zukünftig trotz der begrenzten finanziellen Möglichkeiten bei Land und Bund

noch mehr als bisher die unterschiedlichen Problemfelder in der Behindertenhilfe zu diskutieren und Lösungen zu erarbeiten. Eine besonders wichtige Rolle wird dabei die Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderung spielen.

Die CDU-Fraktion unterstützt die Ausführungen der Landesregierung in den Vorbemerkungen zur Beantwortung der Großen Anfrage hinsichtlich der Realisierung der Grundrechte von Menschen mit Behinderungen, des Aufbaus von menschenwürdigen Lebens- und Wohnformen und der Entwicklung von notwendiger Trägervielfalt inhaltlich in vollem Umfang.

Auf die verschiedenen Einzelaspekte gehe ich zur Vermeidung von Wiederholungen nicht ein. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang das Sonderprogramm „Arbeitsplätze für ältere Schwerbehinderte ab dem 50. Lebensjahr und allein erziehende schwerbehinderte Frauen und Männer“ erwähnen, das insbesondere dem Problem von behinderten Frauen und Mädchen Rechnung getragen hat.

Zumindest in einem Satz muss auch der erfolgreiche Verlauf der bundesweit einmaligen Fragebogenaktion im Zusammenhang mit der Umsetzung des Rahmenvertrages nach § 93d Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes lobend herausgestellt werden, die dazu dient, künftig die Gewährung differenzierterer Hilfen für Männer und Frauen zu sichern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht auf die umfangreichen statistischen Erläuterungen in der Antwort der Landesregierung eingehen; vielmehr möchte ich an dieser Stelle einige grundsätzliche Anmerkungen zur Situation von Menschen mit Behinderungen, Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, aus der Sicht der CDU-Fraktion machen.

Wesentlicher Gradmesser der Humanität einer Gesellschaft ist deren Umgang mit behinderten Menschen. Als Teil unserer Gesellschaft haben Menschen mit Behinderungen und ihre Familien Anspruch auf Solidarität und Unterstützung. Integration statt Isolation ist der richtige Weg. Menschen mit Behinderungen sollen ein selbstbestimmtes Leben führen können und zur selbständigen Lebensführung befähigt und ermutigt werden.

Ein Schwerpunkt der Politik der CDU für Menschen mit Behinderungen ist deshalb die Weiterentwicklung, Förderung und finanzielle Absicherung von Konzeptionen und Hilfen, die der Normalisierung der gesamten Lebensverhältnisse und Lebensbedingungen dienen. Dabei kommt der Unterstützung und Förderung von ambulanten und familienentlastenden Diensten, offenen Wohnformen, integrativen Angeboten in Bildung, Ausbildung und Freizeit sowie von Selbsthilfeaktivitäten besondere Bedeutung zu.

Auch wenn in der Behindertenpolitik weiterhin Handlungsbedarf besteht, muss jedoch auch klar sein, dass die soziale Integration von behinderten Menschen mit Gesetzen allein nicht zu schaffen ist. Vorurteile müssen abgebaut, Gedankenlosigkeit muss entgegengewirkt und Verständigung muss gesucht werden. Eine wirkliche Integration von Menschen mit Behinderungen, eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft ist nicht durch Gesetze allein zu erreichen, sondern muss auch in den Köpfen aller Menschen Platz finden.

Die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in das gemeinschaftliche Leben ist eine ständige Herausforderung an die gesamte Gesellschaft. Wir setzen uns

dafür ein, damit es in unserer Gesellschaft von morgen normal sein wird, verschieden zu sein.

Eingedenk dieser Grundsätze haben sich die Fraktionen der CDU und der FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, dass Menschen mit körperlichen, geistigen und/oder seelischen Behinderungen in besonderem Maße der Unterstützung und Zuwendung bedürfen. Dabei wird die Stärkung der Eigenverantwortung und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen sowie ihre Integration in das gesellschaftliche Leben von den Koalitionspartnern als ein vorrangiges Ziel sozialer Politik angesehen.

Im Interesse einer Integration von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft wird die Koalition die Anstrengungen zu einer weitgehenden Vermeidung von Hospitalisierung in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Wohlfahrtsverbänden verstärken und dabei das Ziel einer weitgehenden Zusammenführung der Finanzierungsverantwortung von örtlicher und überörtlicher Sozialhilfe verfolgen. Ferner sollen ambulante Betreuungsformen stärker als bisher Vorrang vor stationären haben.

Für die Vertragspartner im Bereich der Eingliederungshilfe und der Altenpflege strebt die Koalition die Finanzierungssicherheit durch die Klärung der Rahmenbedingungen an.

Insbesondere in Anbetracht des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderungen begrüßt die CDU-Fraktion die Initiative der Landesregierung, einen Wettbewerb „Behindertenfreundlichste Kommune“ zu starten. Damit soll in den nächsten Monaten die behindertenfreundlichste Kommune des Landes ermittelt werden. Das Ziel soll es sein, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen auch beim Stadtumbau stärker zu berücksichtigen. Dazu gehören zum Beispiel die Barrierefreiheit im unmittelbaren Wohnbereich, im Wohnumfeld sowie bei der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Der Wettbewerb orientiert darauf, Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände bereits bei der Planung von Maßnahmen im Rahmen des Förderprogramms „Stadtumbau Ost“ einzubeziehen. Das Angebot zur Teilnahme am Wettbewerb „Behindertenfreundlichste Kommune“ richtet sich an die Städte im Land Sachsen-Anhalt, die in den vergangenen Jahren mit finanzieller Unterstützung des Landes ein qualifiziertes Stadtentwicklungskonzept erarbeitet haben.

Eine Arbeitsgruppe des Bauministeriums, der auch Vertreter des runden Tisches für Behinderte, des Behindertenverbandes und des Sozialministeriums angehören, wird konkrete Bewertungskriterien für den Wettbewerb erarbeiten. Diesbezüglich kann ich mir übrigens gut vorstellen, dass auch die besondere Beachtung der Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen ein Kriterium sein sollte.

Es ist vorgesehen, dass die Beiträge bis Ende September 2003 eingereicht werden können. Nach der Auswertung durch die Jury sollen die erfolgreichsten Teilnehmer bei einer weiteren Veranstaltung im November 2003 ausgezeichnet werden.

Ein weiteres Projekt ist der barrierefreie Tourismus. Hierzu wird heute später noch mehr gesagt werden, sodass ich mich darauf beschränke, darauf hinzuweisen, dass dies ein weiterer Beleg dafür ist, dass nicht mehr Fürsorge und Versorgung von Menschen mit Behinderun

gen im Mittelpunkt der politischen Anstrengung steht, sondern ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung der Hindernisse, die ihrer Chancengleichheit entgegenstehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hatte eingangs gesagt, dass ich nicht näher auf die aufgeführten Statistiken eingehen möchte. Aber eines ist mir beim Lesen doch besonders aufgefallen: Während der Anteil weiblicher und männlicher Behinderter in etwa gleich groß ist, so liegt doch der Anteil der Frauen, der im „Behinderten- und Rehabilitationssportverband Sachsen-Anhalt e. V.“ organisiert ist, bei ca. 60 %. Ich denke, das ist eine bemerkenswerte Quote, auf die man nach der am 12. April 2003 vom Nationalen Olympischen Komitee pro Leipzig und damit pro Mitteldeutschland gefällten Entscheidung hinsichtlich der Kandidatur für die Olympischen Spiele und die Paralympics durchaus hinweisen sollte.

Der mitteldeutsche Raum kann hervorragende Ergebnisse im Bereich des Behindertensports vorweisen, sowohl im Breiten- als auch im Leistungssport. Dies muss ein Signal dafür sein, auch zukünftig in diesem Bereich keine Abstriche zu machen und mit diesem Pfund bei der weiteren Olympia-Bewerbung zu wuchern. Ich glaube im Übrigen ganz fest daran, dass Leipzig auch international gewinnen kann und gewinnen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir abschließend folgende Bemerkung: Ich bin davon überzeugt, dass wir alle, wie wir hier sitzen, zum Thema Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und dabei auch hinsichtlich der Gleichstellung von Mädchen und Frauen mit Behinderungen das gleiche Ziel verfolgen. Wir sollten daher bei allem politischen Streit mit diesem Thema so sensibel, sachlich und zielorientiert umgehen, dass eine wirkliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, ob Männer oder Frauen, ob Mädchen oder Jungen, an unserer Gesellschaft keine Vision bleibt, sondern möglichst schnell Realität wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Abgeordneter Schwenke, wären Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Eckert zu beantworten? - Bitte schön.

Herr Kollege, ich habe Ihren Ausführungen interessiert gelauscht. Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage: Sie sagten öfter, man sollte, man könnte, man müsste. Ich würde gern wissen: Was haben Sie in dem einen Jahr Ihrer Regierungszeit für die Gleichstellung getan? Wenn ich darüber nachdenke, dann fallen mir spontan das Blindengeldgesetz, also die Kürzung des Blindengeldes, und die Unsicherheiten im KiFöG-Bereich ein.

Die zweite Frage: Was wollen Sie bis wann tatsächlich getan haben? Ich höre jetzt seit zwei Monaten, dass der Wettbewerb „Behindertenfreundlichste Kommune“ durchgeführt werden soll. Wann wird er denn nun ausgerufen? - Danke.

Hinsichtlich der zweiten Frage wird sicherlich das Bauministerium konkrete Zahlen nennen können. Die Frage kann ich jetzt leider nicht beantworten. Das muss ich zugeben.

Zur ersten Frage. Herr Dr. Eckert, Sie wissen, die Diskussion über das Blindengeld ist eine Diskussion gewesen, die keinem leicht gefallen ist. Die Kürzungen sind keinem leicht gefallen. Sie haben etwas mit der Haushaltssituation zu tun. Ich denke, das brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Wenn wir das nicht hätten tun müssen, dann wären wir alle sehr glücklich gewesen. Das ist keinem leicht gefallen.

Das Problem bei den integrativen Einrichtungen im Kindergartenbereich ist infolge von Gerichtsurteilen entstanden. Ich hätte mir diesbezüglich natürlich auch gewünscht, dass man die Probleme im Dialog geklärt hätte. Ich denke, auch in diesem Bereich ist man auf einem guten Weg, um die Probleme zu klären. Die Unsicherheiten werden doch zunehmend abgebaut, jedenfalls nach den Rückmeldungen, die ich bekomme.

Danke, Herr Abgeordneter Schwenke. - Frau Abgeordnete Ferchland hat für die PDS-Fraktion für einige abschließende Bemerkungen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwenke, Ihre Worte höre ich wohl, doch allein mir fehlt der Glaube.

(Zustimmung bei der PDS)

Wenn wir über die Haushaltssituation und das Blindengeld reden, dann frage ich mich auch, warum die Spielbank weniger Geld abgeben muss. Da hätten wir vielleicht eine Einnahmequelle gehabt, sodass wir das Blindengeld nicht ganz hätten kürzen müssen.

Noch einmal zur Fragebogenaktion, Herr Kley: Sie haben wirklich nicht den tatsächlichen Bedarf. Sie haben nur den stationären und teilstationären Bedarf. Den ambulanten Bedarf haben Sie nicht. Also können Sie in Ihren Reden nicht davon ausgehen, dass Sie den wirklichen Bedarf im Land Sachsen-Anhalt kennen.

Ich muss ehrlich sagen: Ich habe wirklich gedacht, Sie reden sich ein bisschen warm, und dann geht es los.

(Heiterkeit bei der PDS)

Aber Sie hörten dann plötzlich auf. Anscheinend konnten Sie der Beantwortung der Großen Anfrage noch weniger entnehmen als alle anderen.

Noch eines, bevor wir aufhören: Die Fraktion der PDS - das ist jetzt der Werbeblock - führt am Sonnabend einen Workshop zum Thema „Frau und Behindertsein in Sachsen-Anhalt“ durch. Dort hat sich unter anderem Frau Dr. Sigrid Anardi - sie ist Journalistin - angemeldet und ihren Redebeitrag im Vorfeld zugeschickt. Ich zitiere daraus:

„Die gesamte Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderung in Sachsen-Anhalt atmet den Geist des Nebenwiderspruchs. Die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderung wird nicht ernst genommen. Bei der Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen der Menschen mit Behinderung im Februar 2003 hatte ich das Gefühl, dass von Professor Böhmer ein Perspektivwechsel noch nicht verstanden und vollzogen worden ist. Jetzt habe ich das Gefühl, dass die derzeitige sach

sen-anhaltinische Landesregierung behindertenpolitisch insgesamt in etwa da ist, wo wir in der alten Bundesrepublik Deutschland in den 50er- und 60er-Jahren waren.“

Dem habe ich nichts hinzufügen. - Danke schön.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke, Frau Abgeordnete Ferchland. - Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst. Damit ist die Aussprache zur Großen Anfrage beendet und der Tagesordnungspunkt 1 erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde - Drs. 4/734

Gemäß § 45 der Geschäftsordnung findet auf Antrag monatlich eine Fragestunde statt. Ihnen liegen in der Drs. 4/734 insgesamt fünf Kleine Anfragen für die Fragestunde vor.

Ich rufe für die Frage 1 betreffend die Schulentwicklungsplanung die Abgeordnete Frau Dr. Hein für die PDS-Fraktion auf.