Die Steuerschätzungen lassen erwarten, dass wir auch zukünftig mit weiteren Steuermindereinnahmen zu kämpfen haben werden. Dieses wird auch im Hinblick auf das Land Sachsen-Anhalt wahrscheinlich weitere negative Prognosen erwarten lassen.
Meine Damen und Herren! Wirtschaftswachstum ist ein Ziel, und zwar ein wichtiges Ziel, weil es nach meiner Auffassung die einzige Quelle des Reichtums ist, den wir hinterher verteilen können. Es gilt, vorhandene Beschäftigungsfelder schneller zu entwickeln und mehr neue Beschäftigungsfelder zu eröffnen, als durch die Rationalisierung gleichzeitig wegfallen.
Dabei müssen wir Sozial- und Umweltstandards beachten und wir müssen die Aufgaben im Bereich der inneren und der äußeren Sicherheit erfüllen. In diesen Bereichen dürfen wir uns keine Nachlässigkeit erlauben.
Wir haben natürlich auch die Fragen der globalen Ethik zu berücksichtigen; denn wir sind ein Staat, der sich einem Wirtschaftswachstum verpflichtet fühlt, das gleichzeitig nachhaltig ist. Dabei, meine Damen und Herren, kann eine Politik ohne inneren Kompass keine gesellschaftlichen Entwicklungen nachhaltig beeinflussen.
Reformen braucht das Land. Wenn wir nichts oder nur wenig tun, dann fallen wir zurück und können unsere persönlichen und gesellschaftlichen Ansprüche jetzt und in Zukunft nicht mehr erfüllen.
Meine Damen und Herren! Für die CDU gelten einige allgemeine Grundsätze, die wir bei jeder einzelnen Maßnahme, die wir zu treffen haben, buchstabieren müssen: Subsidiarität; kleine Einheiten sollten Vorrang vor großen Einheiten haben; der Bürger hat Vorrang vor dem Staat.
In der sozialen Marktwirtschaft hat der Staat eine Ausgleichs- und Ordnungsfunktion. Aber wir müssen uns auch immer der Gefahr bewusst sein, dass die Überregulierung schnell vor der Tür steht. Deshalb ist eine beständige Aufgabenkritik notwendig; deshalb ist die Senkung der Staatsquote eine ständige und in dieser Zeit eine besonders dringende Aufgabe.
Ich möchte daran erinnern, dass wir in der Bundespolitik im Moment leider mehr eine Schlängellinie als eine gerade Linie beobachten müssen. Wir konnten zuerst Lafontaines Umverteilstaat in den Diskussionen erleben, dann die Diffamierung der Union als die Partei der sozialen Kälte, dann Schröders „Neue Mitte“. Und nun haben wir den Gummikanzler als Kanzler der Beliebigkeit.
Was im Wahlprogramm der SPD stand, spielte in der Koalitionsvereinbarung keine Rolle. Was in der Koalitionsvereinbarung steht, spielt in der aktuellen Politik keine Rolle. Ich nenne nur das Stichwort Ladenschluss; das gibt es nicht in der Koalitionsvereinbarung von RotGrün - es wurde vom Kanzler plötzlich wie eine Notwendigkeit aus dem Hut gezogen,
Zum Thema Ladenschluss will ich nur daran erinnern, dass wir, CDU und FDP, uns lange und sehr verantwortlich mit diesem Thema beschäftigt haben. Ich denke, dass wir bei allen Schwierigkeiten, die wir selbst mit dem Thema haben, zu einem vernünftigen Kompromiss gekommen sind. Die SPD zieht so etwas einfach aus dem Hut und sagt: Das ist jetzt ein Thema, über das ganz Deutschland diskutieren muss.
Trotz dieser Beliebigkeit können wir uns auf Bundesebene keine Blockadepolitik erlauben und werden diese auch nicht durchführen; denn es kann nicht sein, dass wir Rot-Grün erlauben, die Karre immer tiefer in den Dreck fahren zu lassen.
Aber, meine Damen und Herren, eine Spielregel muss gelten: Ordentliche Gesetze muss Rot-Grün auf den Tisch packen; dann werden wir diese bewerten. Umgekehrt geht es nicht. Wer regiert, muss die Vorlage machen. Die Opposition hat dann die Aufgabe, die Vorlage zu bewerten.
Meine Damen und Herren! Es geht nicht so, wie es Clement macht. Er wirft einen Stein nach dem anderen ins Wasser, schwimmt dann davon und schaut zu, wohin die Wellen plätschern. So, meine Damen und Herren, können wir Politik in Deutschland nicht machen.
Meine Damen und Herren! Wirtschaftliche Effektivität und soziale Sicherheit gehören nach meiner festen Überzeugung zusammen. Deshalb will ich mir erlauben, wie meine Vorredner auch, nur einen Teil der gegenwärtigen bundespolitischen Diskussion besonders ins Blickfeld zu rücken: das Tarifvertragsrecht.
Meine Damen und Herren! Für die CDU gilt, dass die Tarifautonomie ein wesentlicher Pfeiler unserer Wirtschaftsverfassung ist und dass der Tarifvertrag und die Lohnfindung auf der Ebene der Tarifvertragsparteien nicht zur Disposition gestellt werden dürfen. Flächentarifverträge sind ein bewährtes ordnungspolitisches Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen in einer Branche zu ermöglichen. Sie bieten sowohl den Unternehmen wie den Beschäftigten eine klare Perspektive für zu kalkulierende Kosten und für individuelle Einkommensverhältnisse.
Meine Damen und Herren! Ein Flächentarifvertrag, der genügend große Teile einer Branche umfasst, verhindert Lohndumping. In der Praxis strahlt ein Flächentarifvertrag weit über seinen Gültigkeitsbereich hinaus aus.
Dies geschieht zum einen, weil viele Haustarifverträge sich an den entsprechenden Tarifvertrag anlehnen, und zum anderen, weil sich viele tarifungebundene Unternehmen freiwillig an wichtigen Bestandteilen eines Flächentarifvertrages orientieren.
Freilich, meine Damen und Herren, ist der Flächentarifvertrag ins Gerede gekommen, weil er in einigen Fällen zu für die Unternehmen unliebsam hohen Abschlüssen und damit zu Gefährdungen für die Unternehmen geführt hat. Der Sinn des Flächentarifvertrages, nur Mindestbedingungen festzulegen, hat sich zum Teil in ein Festlegen zu hoher Standards verkehrt. Die Tarifvertragsparteien reagieren darauf zum Teil mit Tarifflucht oder sie arbeiten mit Haustarifverträgen oder mit notwendigen oder auch zum Teil nicht vorhandenen Öffnungsklauseln.
Es ist wichtig, meine Damen und Herren, die Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Gänze zur Kenntnis zu nehmen; denn sie wird in den Zeitungen normalerweise nur bruchstückhaft zitiert. Die Fraktion schlägt vor, dass künftig sowohl durch Betriebsvereinbarungen als auch durch Einzelverträge von bestehenden Tarifverträgen abgewichen werden können soll, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer dies wollen, zwei Drittel der Belegschaft und des Betriebsrates dem zugestimmt haben und die Abweichung der Beschäftigungssicherung oder der Schaffung neuer Arbeitsplätze dient.
Ganz wichtig: Bei der Abweichung durch Betriebsvereinbarung ist dadurch eine Grenze gezogen, dass beide Tarifvertragsparteien ein begründetes Einspruchsrecht haben. Bei Abweichungen durch Einzelverträge ist dadurch die Grenze gezogen, dass die Abweichung nur für die Laufzeit des Tarifvertrages vereinbart werden kann, von dem abgewichen werden soll. - So die ganze Wahrheit.
Nun möchte ich zwei Beispiele nennen, die deutlich machen, dass tatsächlich Handlungsbedarf vorliegt. Der Flächentarifvertrag im Bereich der Metall- und Elektroindustrie umfasst in seiner Bindungswirkung bundesweit etwa 40 % der Unternehmen und 65 bis 66 % der Beschäftigten, in Ostdeutschland knapp 20 % der Beschäftigten und nur 10 bis 15 % der Betriebe. Der Flächentarifvertrag der IG Chemie hingegen umfasst in den neuen Ländern etwa 70 % der Unternehmen und deutlich mehr als 70 % der Beschäftigten.
Was lehrt uns das? - Diese Zahlen zeigen ganz deutlich: Die wesentlich vernünftigere Tarifpolitik im Bereich der Chemie stärkt das ordnungspolitische Instrument eines Flächentarifvertrages; die ideologisch geprägten Positionen der IG Metall haben in ihrer Wirkung letztlich deutlich weniger Arbeitsverhältnisse regeln können.
(Frau Budde, SPD: Das ist eine ganz andere Un- ternehmensstruktur! Gucken Sie sich die Struktur der Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt an und in anderen Industrien!)
Meine Damen und Herren! Der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst hat uns in den neuen Bundesländern im weiteren Aufholprozess eher geschadet als genützt. Es ist verständlich, dass immer wieder Überlegungen dahin gehend auftauchen, eigenständig zu verhandeln, weil der Bund und die alten Bundesländer zum Teil wenig Rücksicht auf die neuen Bundesländer genommen haben. Ein besonders pikantes Beispiel hierfür ist der Ausstieg des rot-roten Senats in Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder. Dies wurde übrigens von der PDS nie thematisiert. Bleiben Sie mal ehrlich!
Ich möchte zwei unterschiedliche Beispiele für Lohnfindungen ins Bewusstsein rufen. Das Durchschnittsgehalt einer 40-jährigen Laborantin, verheiratet, ein Kind, im Bereich des BAT,
zum Beispiel beschäftigt im Hygieneinstitut, beträgt mit Stand vom Januar 2003 2 326 € brutto. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt einer vergleichbaren Laborantin im Bereich der chemischen Industrie lag im Jahr 2002 bei 1 885 € brutto. Wenn der Stufentarifvertrag für die chemische Industrie in dem Fall, den ich jetzt vor Augen habe, umgesetzt werden sollte, dann wären das 3 %. Der Unterschied zwischen dem Verdienst einer Laborantin in der chemischen Industrie und einer im öffentlichen Dienst betrüge immerhin noch 385 €.
Meine Damen und Herren! Ich will es ganz deutlich sagen: Jedem sei sein persönlicher Verdienst gegönnt, aber es ist nicht gut, wenn der öffentliche Dienst Lohnführer ist. Und das ist er in Ostdeutschland seit langem.
Dies beschert uns unerträgliche Probleme. Dies verschärft alle Anstrengungen, die wir zur Rationalisierung im öffentlichen Dienst durchführen müssen. Wer diese
einfachen Wahrheiten ignoriert, der macht den Leuten etwas vor. Es hat keinen Sinn, die Leute ins Hamsterrad zu sperren und sie immer schneller laufen zu lassen.
Ich will auch ganz deutlich sagen: Es geht nicht um die Diskussion über Billigjobs, es geht darum, dass wir Fehlentwicklungen erkennen müssen und, soweit es geht, auch gegenzusteuern haben.
(Frau Budde, SPD: Aber, Herr Scharf, Sie sind doch mit der Angleichung im öffentlichen Dienst an die Westlöhne in den Wahlkampf gezogen! Das war Ihre Position! Was wollen Sie uns jetzt zu dem Thema „Reformen braucht das Land“ sa- gen?)
- Ja, wir müssen dieses Thema, die Ost-West-Angleichung, beachten. Wir müssen aber auch beachten, dass - ich will es einmal im alten Sprachgebrauch sagen - diejenigen, die Gemeinkosten erzeugen, nicht vorweg marschieren dürfen. Die produktiven Bereiche sind die wichtigeren.
Das können wir letztlich nicht beeinflussen, weil wir die Tarifverträge nicht abschließen, aber wir haben als Politiker Fehlentwicklungen ganz deutlich zu benennen. Der Landtag ist der richtige Ort, um auf Fehlentwicklungen hinzuweisen.
(Beifall bei der CDU - Frau Budde, SPD: Die Re- gierungserklärung heißt: Reformen braucht das Land, und nicht Wahlversprechen! Was anderes ist es doch nicht, was Sie machen!)
dass wir sehr wohl wissen, dass die Einhaltung von Tarifverträgen und die Gestaltung von Tarifverträgen weithin außerhalb unserer staatlichen Einflussmöglichkeiten liegen. Deshalb haben wir - dazu stehe ich - ein nicht funktionierendes Vergabegesetz abgeschafft, das in der Regelungswirkung nicht funktioniert hat