Frau Abgeordnete Tiedge, Sie wählten einen für mich etwas überraschenden Einstieg, indem Sie einen Bogen schlugen von der Inquisition des Mittelalters bis zur deutschen Justiz. Läge es nicht viel näher, einen Bogen zu schlagen zu den Methoden des Staatssicherheitsdienstes, die nie wieder angewendet werden sollten?
Wir dürfen doch eingedenk unserer eigenen Geschichte nicht den leisesten Zweifel darüber aufkommen lassen, dass für Deutschland das strikte Verbot der Folter als eines der höchsten Menschenrechte nicht zur Disposition steht. Wir sehen uns in dieser Frage im Konsens mit den Polizeigewerkschaften und mit der übergroßen Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten.
Zum Schluss. - Wir unterstützen deshalb ausdrücklich die Haltung von Herrn Justizminister Becker. Gesprächsbereit sind wir auch bezüglich der Problematik der beschleunigten Verfahren, die hier angesprochen wurde.
Ich gehe davon aus, dass es Herrn Justizminister Becker nicht verwundern wird, dass wir ihm nicht in allen Punkten seines Interviews unsere Unterstützung zusagen können.
So stehen wir einer Ausdehnung der DNA-Analyse ablehnend gegenüber. Die DNA-Karteien sind ein vorletzter Schritt auf dem Weg zur totalen Überwachung. Videoüberwachung, Rasterfahndung tragen bereits jetzt dazu bei, dass es bis zum gläsernen Menschen nur noch ein winziger Schritt ist. Die Ausdehnung der DNAAnalyse wäre dieser Schritt. Der genetische Fingerabdruck stellt gegenüber dem herkömmlichen eine völlig neue Qualität dar. Anhand der Fingerlinien können keinerlei geistige und körperliche Eigenschaften bestimmt werden. Der genetische Fingerabdruck greift dagegen in die intimste körperliche Sphäre ein. Mit einem solchen genetischen Fingerabdruck hat man praktisch schon das gesamte Individuum, man muss nur noch das lebendige Gegenstück finden.
Ebenfalls ins Gegenteil verkehrt hat sich der polizeiliche und juristische Umgang mit dem genetischen Fingerabdruck. Es muss die Schuld nicht mehr individuell nachgewiesen werden, sondern der Einzelne muss nachweisen, dass er unschuldig ist. Die Nichtteilnahme an freiwilligen Reihenuntersuchungen macht denjenigen sofort zum Verdächtigen. Das argwöhnische Beäugen des Nachbarn, ob er denn auch schnellstens zur Untersuchung gegangen ist, wird zum Alltag und öffnet Unterstellungen und Vermutungen Tür und Tor.
Ist für eine Personengruppe erst einmal eine Datenbank angelegt, gibt es doch keinen Grund mehr, warum dies nicht auch für eine andere Gruppe getan werden sollte. Von hier ist die Biologisierung des Sozialen, wonach die Gene für bestimmte Eigenschaften ursächlich sind, nur konsequent weitergedacht.
Und eines haben wir doch bei allen Verschärfungen der letzten Zeit miterleben müssen: Eine einmal durchgesetzte Verschärfung wird nicht mehr zurückgenommen weil angeblich immer genügend Gründe vorliegen, die beweisen sollen, dass sich die Neuregelungen bewährt haben.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder weist entschieden den Vorschlag zurück, den genetischen Fingerabdruck aller Männer zu erheben und rein vorsorglich zu speichern. Die Datenschutzbeauftragten verweisen darauf, dass die Erhebung personenbezogener Daten auch im Rahmen der Strafverfolgung an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden ist und dass eine Datenerhebung auf Vorrat, die die Hälfte der Bevölkerung als potenzielle Straftäter behandelt, verfassungsrechtlich unzulässig ist. Darüber hinaus erscheint der erwartete Abschreckungseffekt äußerst fragwürdig. - Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen.
Einige Worte zu dem Alternativantrag der SPD. Ich kann die Alternative nicht so recht erkennen. Wenn es Ihnen nur darum ging, den zweiten Punkt unseres Antrages nicht mittragen zu können - so scheint es zumindest im Moment -, hätten Sie doch eine getrennte Abstimmung zu beiden Punkten beantragen können. Aber vielleicht folgt die Erklärung noch.
Ich will gleich noch eine Frage an Sie stellen. Aber zuvor möchte ich eines ergänzend sagen, nachdem ich Ihren Ausführungen, auch was die Belehrungen zur Rechtsstaatlichkeit angeht, sehr aufmerksam gelauscht habe.
Ich hätte es als sehr angenehm empfunden - weil Sie ja Ihren Antrag auf einen Einzelfall, der in Frankfurt passiert ist, zurückgeführt haben -, wenn Sie mit einem Satz auch auf die Hinterbliebenen des Opfers eingegangen wären.
Das wäre vielleicht in dieser Diskussion auch ein Stück weit Solidarität der Damen und Herren in diesem Hohen Hause mit demjenigen gewesen, der dort ermordet worden ist.
Jetzt will ich Ihnen eine Frage stellen. Sie haben ja ausgeführt „rechtsstaatlich“ und haben mehr oder weniger die Gefahr des Untergangs des Rechtsstaates an die Wand gemalt. Dem liegt ja ein Einzelfall zugrunde. Kennen Sie die Unschuldsvermutung? - Sie nicken. Dann will ich eines an dieser Stelle sagen:
Gegen den Vizepräsidenten aus Frankfurt ist aufgrund seines Verhaltens ein Ermittlungsverfahren anhängig, und es gilt der alte, gute rechtsstaatliche Grundsatz, dass während des Ermittlungsverfahrens die Unschuldsvermutung gilt. Das sollte auch in diesem Hohen Hause so sein. Deshalb sollte man nicht inzidenter in so einer Debatte einen anderen, ohne ihn namentlich zu nennen, öffentlich wirksam an die Wand nageln.
Das widerspricht, meine Damen und Herren, - das erlaube ich mir an dieser Stelle zu sagen - dann auch den rechtsstaatlichen Grundsätzen. - Vielen Dank.
Ich weiß zwar nicht so richtig, wo Ihre Frage gelegen hat, aber vielleicht zwei Erläuterungen dazu. Wir werden jetzt sicherlich nicht in einen strafrechtlichen Disput verfallen und uns gegenseitig abfragen, was wir wissen oder nicht.
sondern ich habe Äußerungen von Politikern zur Grundlage genommen, die im Zusammenhang mit dem, was dort in Frankfurt am Main passiert ist, in der Öffentlichkeit getätigt wurden.
Das war für mich bzw. für unsere Fraktion der Anlass, diesen Antrag zu stellen. Denn ich finde es schon schlimm, wenn hochrangige Politiker in diesem Land auch nur ansatzweise davon ausgehen, dass es möglich sein könnte, dass in Deutschland gefoltert wird.
Danke, Frau Abgeordnete Tiedge, für die Einbringung. - Als erster Debattenredner hat der Abgeordnete Herr Borgwardt für die CDU das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Folter ist die vorbedachte Auferlegung schwerer körperlicher Qualen, die ernsthafte und grausame Leiden hervorruft, vornehmlich zur Erlangung von Informationen oder Geständnissen oder auch als Quälerei zu anderen Zwecken. Sie ist eine erschwerte Form der unmenschlichen Behandlung und ist in der Bundesrepublik bereits durch Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 104 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes sowie § 136a der Strafprozessordnung verboten.
Weiterhin hat die Bundesrepublik mit dem Europäischen Übereinkommen zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe das Bekenntnis zum Verbot der Folter abgegeben. Die von der Bundesrepublik unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten hat innerstaatliche Geltung. Nach Artikel 3 der Menschrechtskonvention darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Und dennoch: Folter ist weltweit Realität. Nach Angaben von Amnesty International wird Folter in mehr als 70 Ländern dieser Erde angewandt, um Geständnisse zu erpressen, Menschen zu bestrafen, zu erniedrigen oder einzuschüchtern. Folter hinterlässt Narben an Körper und Seele. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die An
Auf das Fehlverhalten einzelner muss der Staat mit den Mitteln des Strafrechts reagieren. Eine ernsthafte Diskussion über die Frage, ob die Anwendung von Folter ein zulässiges staatliches Mittel sein kann, ist mit der CDU nicht zu führen. Eine Aufweichung des Folterverbots lehnen wir entschieden ab.
Im Ergebnis einer solchen Diskussion würde unsere Rechtsordnung grundlegend verändert. Ich halte es für völlig unmöglich, die in diesem Zusammenhang zu erörternden Fragen völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher, strafrechtlicher oder auch moralischer Art abschließend in einer Fünfminutendebatte zu behandeln.
Nun ist es kein Wesenszug des Menschen, sich von vornherein Denkverbote auferlegen zu lassen. Ein aktueller Entführungsfall aus der jüngsten Vergangenheit hat in der Öffentlichkeit die Diskussion über das Thema Folter angeregt. Es sei mir jedoch ein kleiner Exkurs in die Rechtsgeschichte gestattet. Meine Vorrednerin hat das ja auch weidlich genutzt.
Die Carolina und das an sie anschließende gemeine Strafprozessrecht ließ bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine kriminelle Verurteilung grundsätzlich nur zu, wenn ein direkter und voller Schuldbeweis vorlag. Der Beschuldigte durfte also namentlich aufgrund eines bloßen Indizienbeweises nicht verurteilt werden. Bei halbem direktem Beweis und hinlänglichem Indizienbeweis erging vielmehr ein Zwischenurteil, lautend auf Folter. Erst aufgrund des dadurch erzielten und dann frei wiederholten Geständnisses konnte eine Verurteilung erfolgen.
Bei der Abschaffung der Folter ging man dazu über, in den Fällen, in denen ein voller direkter Beweis nicht erbracht worden war, entweder den Anklagten statt zu der normalen Strafe zu einer milderen zu verurteilen oder das Verfahren mit dem Vorbehalt jederzeitiger Erneuerung einzustellen.
Mit der Freistellung des Richters im Punkt der Beweisführung - § 261 der Strafprozessordnung - sind alle diese Einschränkungen weggefallen. Heute ist eine Verurteilung auch aufgrund bloßen Indizienbeweises zulässig. Damit einhergehend ist heute anerkannt, dass kein Beschuldigter Zeuge gegen sich selbst sein muss. Die Strafprozessordnung bestimmt, dass der Beschuldigte darauf hinzuweisen ist, dass es ihm nach dem Gesetz frei stehe, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, und jederzeit - auch schon vor seiner Vernehmung - einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen darf - ebenfalls § 136 der Strafprozessordnung. Der Beschuldigte kann auch nicht gezwungen werden, in der Vernehmung die Wahrheit zu sagen.