Protocol of the Session on March 13, 2003

- Geschäftsordnungsantrag?

(Herr Gürth, CDU: Nein, zum Verfahren!)

- Bitte.

Frau Präsidentin, könnten Sie die Abstimmung, die Sie jetzt einleiten, kurz erläutern? Das ist nicht bei allen angekommen.

Ich hatte gesagt, dass der Wunsch geäußert wurde, dass die Drucksachen in den Ausschuss überwiesen werden. Weil der Alternativantrag nicht ein selbständiger Antrag ist, können nur beide Anträge in den Ausschuss überwiesen werden. Dazu würde ich jetzt das Abstimmungsverfahren wiederholen. Es geht um die Drs. 4/606 - das ist der Ursprungsantrag - und die Drs. 4/631 - das ist der Alternativantrag der Koalitionsfraktionen.

Zunächst stimmen wir über die Ausschussüberweisung ab. Wer mit einer Ausschussüberweisung einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die

Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Der Antrag auf Ausschussüberweisung ist abgelehnt worden.

Somit treten wir jetzt in die Abstimmung über die Anträge als solche ein. Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 4/606 ab. Wer mit diesem Antrag einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag in der Drs. 4/606 abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen in der Drs. 4/631 ab. Wer ist für den Antrag? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Alternativantrag in der Drs. 4/631 angenommen worden. Wir schließen den Tagesordnungspunkt 13 damit ab.

Wir bleiben beim Thema Verkehr. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/607

Bevor der Abgeordnete Herr Doege den Antrag einbringt, begrüße ich Senioren der Radwandergruppe der Arbeiterwohlfahrt Schönebeck bei uns. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag wollen wir unseren Standpunkt zur zukünftigen Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs zum Ausdruck bringen. Die in unserem Antrag erhobenen Forderungen sind, soweit ich das überblicken kann, von dem ÖPNV-Gesetzentwurf, zumindest wenn man den Inhalt der Begründung einbezieht, gar nicht so weit entfernt.

Der Text des ÖPNV-Gesetzes ist aber nur bedingt entscheidend für die zukunftsfähige Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs. Die in unserem Antrag formulierten Ziele müssen nicht unbedingt in einem Gesetz stehen. Beispielhaft zu erwähnen ist die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern oder die Realisierung von Verkehrsverbünden.

Wir erwarten von der Landesregierung und von den Landkreisen eine verantwortungsvolle Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Unter einer verantwortungsvollen Wahrnehmung verstehen wir insbesondere die Einhaltung der in unserem Antrag formulierten sechs Punkte, die ich jetzt etwas näher erläutern möchte.

Unter der Erhaltung eines flächendeckenden öffentlichen Personennahverkehrs verstehen wir, dass jede Gemeinde in Sachsen-Anhalt durch öffentliche Verkehrsträger angebunden ist, sodass auch ältere Menschen die Gelegenheit haben, in einer angemessenen Zeit das nächste Grundzentrum und damit auch die Versorgungseinrichtungen zu erreichen.

Eine teilweise Schwachstelle im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs ist nach wie vor der Landes- und Kreisgrenzen überschreitende Verkehr. Dies betrifft sowohl den Straßenpersonennahverkehr als auch den Schienenpersonennahverkehr. Wir erwarten von der Landesregierung und von den Landkreisen, dass sie die derzeitigen Schwachstellen analysieren und mit ihren Nachbarkreisen in Verhandlungen treten. Der Landesregierung kommt nach unserer Auffassung dabei eine besondere Aufgabe zu, da die Probleme beim Landesgrenzen überschreitenden Verkehr zu bündeln sind und letztlich auch Paketlösungen angestrebt werden sollten.

Durch die Bildung von Verkehrsverbünden kann die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs enorm gesteigert werden. Wir sehen für die Deutsche Bahn AG in der Bildung von Verkehrsverbünden die Chance, sich für eine längerfristige vertragliche Bindung gegenüber dem Land zu qualifizieren.

Wenn es also um die Vergabe von Teilnetzen im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs geht, darf nicht nur der Preis ein Kriterium bei der Entscheidung über die Bedienung der Strecke sein, sondern es müssen auch die Anbindung und die Verbundstrukturen in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden.

Ein ebenfalls für uns ganz wesentlicher Punkt ist die Festlegung und die Einhaltung von Sozialstandards. Wenn öffentliche Personennahverkehrsleistungen ausgeschrieben werden, dann haben die Aufgabenträger dafür Sorge zu tragen, dass die Dienstleistungen von qualifiziertem Personal bei einer angemessenen Entlohnung ausgeführt werden. Entsprechende Vorgaben müssen also bei der Aufgabenübertragung Bestandteil der Verträge sein.

In diesem Zusammenhang sind wir schon bei der transparenten Darlegung der Entscheidungsfindung. Wir halten es für notwendig, dass vor der Ausschreibung von ÖPNV-Leistungen sowohl die Arbeitgeber als auch die Gewerkschaften am Vergabeverfahren beteiligt werden. Dass dabei letztlich nur eine Kompromisslösung gefunden werden kann, liegt auf der Hand. Diese sollte aber im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses transparent gemacht werden. Genau das erreicht man nur durch eine Beteiligung aller Betroffenen.

Mit dem letzten Punkt unseres Antrags wollen wir deutlich machen, dass durchaus ein erheblicher Anpassungsdruck im Bereich des ÖPNV besteht. Uns ist klar, dass sowohl das Land als auch die Landkreise in der Zukunft wegen der Haushaltslage um Einschränkungen beim Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs nicht umhinkommen werden. Nur sollte diesem Anpassungsdruck nicht ausschließlich durch Leistungskürzungen begegnet werden; wir sehen vielmehr durchaus die Chance, Effizienzgewinne zu realisieren.

Es gibt sicher eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. Besonders schwierig dürfte dabei ohne Zweifel die Situation in den strukturschwachen ländlichen Regionen sein. Dort sind Modellprojekte anzuschieben bzw. fortzusetzen, um neue Wege zur Beibehaltung eines flächendeckenden ÖPNV zu beschreiten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen den Inhalt unseres Antrags verdeutlichen, und möchte noch kurz auf einen Punkt eingehen, der die kürzlich erfolgte Vorlage des Gesetzestextes betrifft.

Angenehm überrascht waren wir davon, dass der ÖPNV in der Begründung zu dem Gesetzestext als Bestandteil

der Daseinsvorsorge charakterisiert wurde. Ohne auf den zur Anhörung freigegebenen Gesetzentwurf detaillierter eingehen zu wollen, möchte ich Ihnen gegenüber aber zum Ausdruck bringen, dass wir eine Ergänzung des § 1 - Öffentliche Aufgabe - durch den folgenden Satz aus § 1 Abs. 1 des Regionalisierungsgesetzes für notwendig erachten. Ich zitiere, Frau Präsidentin:

„Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.“

Wir vertreten diese Auffassung, weil wir nicht nur in der Begründung, sondern auch im Gesetzestext klargestellt wissen wollen, dass der ÖPNV von den Leistungserbringern als Sache der Daseinsvorsorge verstanden wird.

Wir wollen mit unserem Antrag und den Diskussionen, die wir sicherlich in Kürze im Fachausschuss zu führen haben werden, die Kommunen stärken, damit diese die Nahverkehrsleistungen auch in Zukunft in angemessener Form wahrnehmen können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Sind Sie bereit, eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Kasten zu beantworten?

Ich werde es versuchen.

(Herr Gürth, CDU: Wie viele Schwellen liegen auf der Strecke von Halberstadt nach Darlingerode?)

Herr Doege, ich danke für Ihre Bereitschaft. Ich muss sagen, ich habe vor dem Hintergrund dessen, was Sie zur Ausschreibung von Schienenpersonennahverkehrsleistungen und zu der DB AG gesagt haben, nicht richtig verstanden, wohin Sie wollen. Das war etwas sehr, sage ich einmal, durcheinander. Wäre es Ihnen möglich, Ihre Aussagen hinsichtlich der Ausschreibung von Leistungen im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs unter Beachtung des EU-Rechts zu präzisieren, damit das auch in meiner folgenden Antwort präzise ist?

Herr Kasten, da wir Sie als ausgesprochenen Kenner des Schienenpersonennahverkehrs kennen, bitte ich einfach darum, dass wir die fachliche Diskussion dort führen, wo sie hingehört. Das ist der Ausschuss für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr. Dort können ich und meine Kollegen auf Ihren Informationsbedarf eingehen. - Vielen Dank.

Danke, Herr Abgeordneter Doege, für die Einbringung. - Für die Landesregierung hat Minister Herr Dr. Daehre um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werter Herr Doege, wir haben jetzt wieder den Fall, dass Sie den Antrag gestellt haben, bevor Sie den Inhalt unseres Referentenentwurfs kannten. Das ist kein Vor

wurf, sondern eine Feststellung. Ich bitte ganz herzlich darum, dass wir auch mit diesem Fall so umgehen, dass er in ein normales Ablaufraster passt.

Die Landesregierung legt einen Entwurf vor. Dieser Entwurf ist jetzt bei den Gebietskörperschaften zur Anhörung freigegeben worden. Dann kommt das Anhörungsergebnis zurück. Wir gehen dann mit einer neuen Vorlage ins Kabinett. Dieses wird einen Beschluss fassen und den Gesetzentwurf in den Landtag einbringen. Das ist der normale Ablauf.

Jetzt haben wir eines gemacht: Wir haben gesagt, warum sollen wir das den Fraktionen nicht schon zur Verfügung stellen? - Ich will das nur kurz anmerken. Es wäre gar nicht nötig gewesen. Das machen wir aber. Sie besorgen es sich sowieso. Warum sollen wir uns den Streit nicht vom Hals halten, indem wir es gleich so machen? - Das ist das eine zum formalen Ablauf.

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass wir einen öffentlichen Personennahverkehr in Sachsen-Anhalt organisieren müssen, der natürlich vor dem Hintergrund der knapper werdenden Mittel so effizient wie möglich gestaltet ist. Wir müssen den Kommunen gegenüber deutlich machen, dass sie eine Verpflichtung haben, den öffentlichen Personennahverkehr so zu organisieren, dass er auch in Anspruch genommen wird.

Wir haben die grundlegende Entscheidung getroffen, dass wir das als freiwillige Aufgabe für die nächsten Jahre organisieren wollen. Wir werden eines machen: Wenn Sie sich die Kriterien anschauen, dann stellen Sie fest, dass wir die belohnen werden, die in den Kreisen tatsächlich dafür sorgen, dass der ÖPNV angenommen wird. Diejenigen werden im nächsten Jahr mehr Geld kriegen. So sind die Kriterien angelegt.

Nach dem Referentenentwurf, den wir jetzt vorgelegt haben, wird kein Landkreis weniger Geld bekommen als vorher - im Gegenteil. Eines muss ich fairerweise sagen: Ein Landkreis bekommt 2 % mehr. Es gibt aber auch einen Landkreis, der 135 % mehr als im Jahr 2002 bekommt. Das ist der Landkreis, der sehr viel für den öffentlichen Personennahverkehr getan hat. Diesen Wettbewerb wollen wir, die Koalitionsparteien. Deshalb ist das, denke ich, ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.

Herr Doege, in Bezug auf die sechs Punkte, die Sie aufgeschrieben haben, könnte ich es mir leicht machen und sagen: Das hätten Sie doch machen können; vor allen Dingen vor dem Hintergrund - jetzt kommen wir wieder in die ernsten Bereiche der Politik -, dass wir nicht wissen, wie das Landesverfassungsgericht in Bezug auf Ihr Gesetz, das Sie im Jahr 1995 verabschiedet haben, entscheidet. Wenn Sie all das, was Sie hier aufgeschrieben haben, in den vergangenen Jahren schon umgesetzt hätten, hätte das Landesverfassungsgericht vielleicht gar nicht mehr handeln müssen. Vor dieser Problematik stehen wir. Nun müssen wir abwarten. Im Mai - so hoffen wir - wird die Entscheidung fallen.

Mit diesem Referentenentwurf leisten wir einen entscheidenden Beitrag. Wir glauben, dass das Landesverfassungsgericht dann auch sagt: Jawohl, wenn das Land diesen Weg einschlägt und nicht nur Leistungen nach unten delegiert, sondern auch das Geld mitgibt, dann kann das funktionieren. Wir sind guter Hoffnung, dass das funktionieren wird.

Ich lade Sie ein, darüber zu diskutieren. Aber wir diskutieren erst, wenn der Entwurf aus den Gebietskörper

schaften zurückgekommen und im Parlament ist. Meine Damen und Herren! Wo kämen wir hin, wenn wir darüber schon im Landtag diskutierten? - Dann kämen die unten sich natürlich veralbert vor, berechtigterweise; denn dann können sie sagen: Die diskutieren im Landtag schon über einen Gesetzentwurf und wir haben noch nicht einmal unsere Stellungnahmen eingebracht.

Jetzt sind erst einmal die Gebietskörperschaften an der Reihe; sie bringen ihre Stellungnahmen ein. Dann sehen wir weiter. Dann kommen wir gern zu einer offenen Diskussion.