Protocol of the Session on February 7, 2003

Diese Idee ist ernst zu nehmen. Sie ist jedenfalls realistischer als der Glaube, man könne im Bundestag und im Bundesrat für all die Dinge, die ich angesprochen habe, kurzfristig Mehrheiten finden. Deswegen sollte man diese Idee gerade auch aus unserer Sicht, als Bundesland Sachsen-Anhalt, konstruktiv aufgreifen.

Genau das beinhaltet der Antrag; denn eines ist klar: Der Streit um die Frage, ob es die wirtschaftliche Entwicklung, die Investitionstätigkeit, voranbringt oder nicht, wenn man bestimmte Normen abschafft, lässt sich nur am Einzelfall klären, indem man das einfach mal drei Jahre lang von der einen oder anderen Region modellhaft durchexerzieren lässt. Wir werden sehen, ob etwa erhebliche Auflockerungen im Arbeitsrecht dazu führen, dass mehr Leute von den kleinen Betrieben eingestellt werden, dass schneller ein sechster oder siebenter Mitarbeiter eingestellt wird, als es im Moment der Fall ist. Da wir daneben das geltende Bundesrecht haben, ist es relativ einfach, Vergleiche zu ziehen. Ich begrüße das ausdrücklich.

Ich sage an dieser Stelle: Wenn der Landtag, worum ich bitte, die Initiative der beiden Regierungsfraktionen unterstützt, dann werde ich dem Bundeswirtschaftsminister einen Brief schreiben und ihm darin mitteilen, dass das Land Sachsen-Anhalt, wenn man diesen Weg gehen will, bereit ist, sich als Musterland zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren! Das erhöht natürlich die Probleme auch in diesem Hause; denn dann werden wir das, was sonst auf Bundesebene auszutragen wäre, auf Landesebene austragen müssen.

Aber es spräche für unser Bundesland, wenn wir den Mumm hätten, in diesem Bereich voranzugehen, Beispiele zu setzen, zu zeigen, dass mit weniger Normen zum Beispiel mehr für die Arbeitnehmerschaft getan

werden kann, weil dann mehr Arbeitsplätze bereitstehen, als wenn man alles scheinbar im Interesse der Arbeitnehmer so regelt, dass es sich faktisch gegen sehr viele, insbesondere gegen die Arbeitslosen wendet.

Meine Damen und Herren! In diesem Sinne sage ich: Stimmen Sie bitte diesem Antrag zu und eröffnen Sie die Chance, dass Sachsen-Anhalt einmal bundesweit vorneweg marschiert. Wir wollen hierbei und auch in anderen Bereichen zeigen, dass wir viel auch selbst können. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister Rehberger. - Ich rufe als erste Rednerin die Abgeordnete Frau Budde für die SPD-Fraktion auf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Ausgewogenheit, die in den Reden zum Ausdruck gekommen ist, bin ich ja platt. Aber das liegt mit Sicherheit daran, dass der Teufel in der Tat im Detail und in den eigenen Parteien liegt. Da geht der Riss, was die Auffassung zu einzelnen Gesetzesvorschlägen betrifft, wahrscheinlich quer durch.

Das Thema Deregulierung und Entbürokratisierung ist ein sehr altes. Es ist bereits vor gut zehn Jahren immer wieder angesprochen worden. Jeder, der - in welcher Funktion auch immer - damit zu tun hat, weiß, dass jedes Jahr eine große Liste von Vorschlägen verschickt wird. Aber das Thema ist auch sehr schwierig. Oft wird nur ideologisch diskutiert. Deshalb sage ich erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie es nicht nur ideologisch diskutiert haben. Auch ich werde der Versuchung widerstehen; denn es geht in der Tat darum, die Idee aufzunehmen, die parteiübergreifend weiterentwickelt wird.

Ich sehe diese Möglichkeit so wie Sie, Herr Minister, durchaus als realistisch an. Aus meiner Sicht wäre eine Konstruktion, bei der einzelne Länder oder Regionen - das ist wohl noch in der Diskussion - die Möglichkeit haben, konkrete Änderungsvorschläge zu Bundesgesetzen der Bundesregierung gegenüber vorzutragen und von dort oder durch den Bundestag genehmigt zu bekommen - in welcher Art auch immer; es ist sicherlich noch gesetzlich auszutarieren, wer das genehmigen muss -, die einzige realistische Möglichkeit; denn klar ist, wenn das Ganze durch den Bundesrat genehmigt werden muss, dann kommt die Konkurrenz der einzelnen Länder hinzu. Das heißt, man muss sich wirklich miteinander ins Verhältnis setzen und sich fragen, wo die Bewilligungsbehörde am günstigsten liegt.

Wir brauchen nur daran zu denken, wie kritisch Niedersachsen - egal, unter welcher Regierung - es sieht, wenn die Förderung in Sachsen-Anhalt mit hohen Konditionen stattfindet. Da wird Ihnen mit Sicherheit auch der Wirtschaftsminister der neuen Koalition sagen, dass er das nicht so ganz nett findet, wie ich es des Öfteren gehört habe.

Klar ist auch, dass es verfassungsrechtliche Grenzen gibt. Es gibt Möglichkeiten für eine abweichende Gesetzgebung, die derzeit unterschiedlich bewertet werden, Änderungen bzw. Ergänzungen zum Grundgesetz. Klar ist aber auch, es wird nur bundeseinheitlich gehen. Das heißt, es muss grundsätzlich allen Ländern der Bundesrepublik die Möglichkeit eingeräumt werden, solche Än

derungsvorschläge zu machen. Es darf sich nicht nur auf den Osten oder auf eine Ost- und Westregion beziehen. Ich weiß nicht, was am Ende der Diskussion dabei herauskommen wird. Derzeit wird noch abgewogen. Grundsätzlich wird es erst einmal für die gesamte Bundesrepublik gelten.

Herr Schrader, ich muss gestehen, Sie haben versucht, eine sehr ausgewogene Liste vorzulegen. Bei den großen Listen wird fast immer ausschließlich der Kündigungsschutz und das Arbeitsrecht angeführt. Wenn man sich einmal anschaut, was die Sachsen vorgeschlagen haben, was in der Liste der Arbeitsgruppe der WiMiKo steht oder was Helmut Schmidt damals als Verursacher der aktuellen Debatte aufgeschrieben hat, dann stellt man fest, dass zusätzlich einige heiße Eisen drin sind, über die man sich natürlich auch unterhalten muss. Ich will einmal einige nennen, ohne mir - das sage ich ganz deutlich - die Positionen zu Eigen zu machen.

Aufgelistet werden das Arbeitsrecht und der Kündigungsschutz. Aufgelistet gewesen ist aber auch die Kammergesetzgebung. Man muss sie also zumindest einmal nennen. Aufgelistet gewesen sind ferner die Gewerbeordnung und die Berufsgenossenschaften. Es handelt sich also um sehr viele Dinge, die innerhalb der Parteien sehr kritisch gesehen werden und bei denen es immer ein Für und Wider geben wird.

Das Angehen des Themas Entbürokratisierung, Deregulierung ist bisher selten von Erfolg begleitet gewesen. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass das Krämerarbeit ist. Zum anderen liegen die Hemmschuhe meiner Einschätzung nach nicht in erster Linie in der Verwaltung, sondern Hemmschuhe sind in der Tat die verschiedenen Auffassungen der unterschiedlichsten Lobbys. Einige Wirtschaftsverbände und Kammern fordern nachdrücklich die Beibehaltung einiger Bestimmungen oder sogar deren Ausweitung, um sich bestimmte Wettbewerbsvorteile sozusagen per Gesetz zu organisieren. Damit wird man also zu kämpfen haben. Gleichwohl muss es angegangen werden.

Unser Änderungsantrag zielt - das ist nicht ideologisch gemeint - noch auf etwas Weitergehendes ab. Ich habe, wenn der 30. April nicht haltbar ist, kein Problem mit einer Fristverlängerung. Oppositionsfraktionen fordern immer kürzere Fristen, und die Regierung sagt immer, dass das in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen ist. Es ist also kein Problem, die Frist bis zum Ende des Jahres zu verlängern.

Es ist auch kein Problem, einen dritten Punkt aufzunehmen: „Deregulierungsvorschläge zu unterbreiten“, oder wie immer man das ordentlich ausformuliert. Wenn Sie ein Problem damit haben, dass da nur „Entbürokratisierung“ steht, dann habe ich kein Problem damit, das entsprechend zu ändern. Wir sind sehr bewusst über unseren eigenen Schatten gesprungen und haben das Wort „Deregulierung“ dringelassen; denn 50 bis 60 % der Entscheidungen in der Wirtschaft sind - wie man weiß - Psychologie. Warum soll das bei einem Parlament anders sein? Daher bitte ich Sie, wirklich noch einmal darauf zu gucken.

Unser Ansinnen ist es schon, dass es zuerst im Wirtschaftsausschuss beraten wird; denn wir wollen die konkreten Vorschläge - nur so wird es gehen - gern vorher sehen und beraten können. Die Mehrheiten sind Ihnen sicher. Sie haben überhaupt kein Problem damit. Wenn Sie in bestimmten Dingen anderer Auffassung sind als wir, dann können Sie sowohl bei der Beschlussfassung

im Landtag als auch bei der Erarbeitung der Beschlussempfehlung in den einzelnen Ausschüssen, die daran beteiligt sein müssen, mit Ihrer Mehrheit das durchsetzen, was Sie für richtig halten.

Aber ich denke, bei so weitreichenden Dingen handelt es sich einfach um eine legislative Aufgabe. Im Zuge der Erarbeitung sollten die Ausschüsse, wenn ein bestimmter Stand erreicht ist, mit einbezogen werden. Es sollte auch eine Beschlussfassung des Landtages geben. Es sollte nicht nur gesagt werden: „Mach das, Landesregierung“, zumal es sich in der Regel um Gesetzesänderungen handeln wird, die dann durch den Landtag beschlossen werden müssen. Wie gesagt, Ihre Mehrheiten sind Ihnen sicher. Sie können das beschließen, was Sie für richtig halten. Eine Gefahr ist das für Sie also nicht.

Ich habe aus gutem Grund das Thema Landesgesetzgebung mit aufgenommen. Vielleicht haben Sie heute in der Zeitung gelesen, dass Herr Pohl gesagt hat, dass in drei Ländern unterschiedliche Verwaltungsvorschriften existierten, sei ein Hemmnis für die Wirtschaft. Dabei hat er direkt auf die mitteldeutsche Wirtschaftsregion Bezug genommen. Das heißt, Landesgesetze und auch Landesverordnungen sind aus meiner Sicht schon wichtig.

In diesem Zusammenhang haben wir dann beides parallel gesetzt. Landesgesetzgebung und Bundesgesetzgebung sollen betrachtet werden. Ich kann Ihnen nur sagen, wir sind sehr gespannt auf die konkreten Vorschläge. Das ist überhaupt nicht hämisch gemeint. Ich möchte jetzt nicht in Ihrer Haut stecken; denn Sie müssen dem Bund gegenüber ganz konkret sagen, welche bundesgesetzlichen Vorschriften Ihrer Ansicht nach zeitlich befristet - sagen wir einmal: für fünf Jahre - außer Kraft gesetzt werden sollten, um sozusagen einen wirtschaftsfördernden Aspekt zu haben und die Wirtschaft zu unterstützen.

Es gibt ja noch einige Debattenbeiträge. Vielleicht schauen Sie sich den Antrag noch einmal an. Vielleicht kann man da doch noch zusammen kommen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Budde. - Für die CDUFraktion wird Herr Gürth sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Liebhaber von Zeichentrickfilmen.

(Zurufe: Oh!)

Wenn man wie ich solche Filme gern sieht, dann hat man auch Asterix und Obelix gesehen. Wer die Filme von Asterix und Obelix gesehen hat, der wird schmunzelnd feststellen können, dass man sich damals schon über die Bürokratie der Römer lustig gemacht hat.

Das Klagen über Bürokratie ist so alt wie die Bürokratie selbst. Aber es hat in den letzten Jahren immer größere Berechtigung gefunden. Die Bürokratie hat einen Umfang angenommen, dass die gesamte Volkswirtschaft und der Wohlstand bei uns in Deutschland ernsthaft gefährdet wird. Das, was wir an gut begründeten, wohl gemeinten Normen auf allen Rechtsgebieten aufgebaut haben, ist in der Summe inzwischen so umfassend ge

worden, dass es sich oftmals ins Gegenteil verkehrt hat. Ich sage - insbesondere für die Unionsfraktion - ausdrücklich: Das Antasten des Arbeitsrechts allein wird das Problem nicht lösen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Der soziale Friede ist ein ebenso hohes Gut. Aber was das Arbeitsrecht betrifft, so muss man feststellen, dass es in vielen Fällen mittlerweile zu einem Aussperrrecht geworden ist. Wir können bei damals wohlbegründeten Normen inzwischen Wirkungen feststellen, die wie Mauern sind. Diejenigen, die sich im ersten Arbeitsmarkt befinden, sind von schützenden Mauern umgeben. Sie sind wohl geschützt durch rechtliche Normen. Diese Mauern aber verhindern, wenn wir sie nicht wenigstens teilweise einreißen und Tore zulassen, dass diejenigen, die Arbeit suchen und arbeiten wollen, eine Chance haben, in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen.

(Beifall bei der CDU)

Wir dürfen nicht beim Arbeitsrecht stehen bleiben. Das wäre zu kurz gesprungen. Da muss es auch einen Konsens zwischen den großen Gruppierungen in einer Gesellschaft geben.

Da wir die Klagen über die Bürokratie fraktionsübergreifend eigentlich schon seit Jahren hören und gleichzeitig feststellen müssen, dass es in den letzten Jahren zu wenige wirkliche Veränderungen gegeben hat, wollen wir ein Zeichen setzen, indem wir bekunden, dass wir in Sachsen-Anhalt bereit sind, Schluss zu machen mit dem bloßen Reden und Klagen über Bürokratie und mit konkreten eigenen Vorschlägen die Lösung des Problems, des Zuviels an Bürokratie und Regulierung, angehen wollen.

Ich habe die Anträge der SPD- und der PDS-Fraktion gelesen und festgestellt: Es wäre eigentlich gar nicht so schlecht, wenn man alle drei Anträge - den Antrag der Koalitionsfraktionen, den Antrag der PDS-Fraktion und den Antrag der SPD-Fraktion - in den Wirtschaftsausschuss überweisen würde und daraus etwas Gemeinsames basteln würde.

Ich biete Ihnen auch das Gespräch und die Beratung an. Ich bin mir sicher, dass es konstruktive Beratungen im Wirtschaftsausschuss werden. Das hätte aber ein Handicap.

Wir wollen heute von dieser Stelle rechtzeitig ein Zeichen setzen, dass wir Ideen, die im politischen Raum auch in Berlin diskutiert werden, zügig umsetzen. Deswegen empfehle Ihnen dringend die Annahme des Koalitionsantrages, so wie er vorliegt. Ich biete Ihnen eine umfassende Diskussion über die Inhalte Ihrer Anträge an. So wie Sie vorliegen, könnten wir sie sowieso nicht in Gänze mittragen. Wir müssen aber darüber reden, wie wir mit dem Problem gemeinsam am besten umgehen.

Wir haben einer Umfrage des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung vom Januar 2002 entnehmen können, dass 45 % der befragten Unternehmen bei spürbar weniger Bürokratie mehr investieren und 30 % mehr Personal einstellen würden. Die Bürokratie ist die Investitionsbremse Nummer eins noch vor der Steuer- und Abgabenlast, die viele in diesem Lande bedrückt. Da das so ist, müssen wir ein Zeichen setzen, dass wir nicht nur weiter reden, sondern dass wir handeln.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir glauben nicht, dass der Bund und die Mehrheit der westlichen Bundesländer die Kraft haben, zügig eine umfassende Deregulierung flächendeckend in Deutschland - so wie sie erforderlich wäre - umzusetzen. Weil dies so ist, besteht eine Chance in dem Vorschlag, dass SachsenAnhalt als Modellregion mit einem eigenen Konzept handelt und diese oder jene Normen eigenverantwortlich dereguliert neu in Kraft setzt, damit sich die Wachstumskräfte entfalten können und diejenigen, die in der Wirtschaft Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen wollen, das besser können, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Ich lade Sie ein, tragen Sie unseren Vorschlag mit. Lassen Sie uns gemeinsam als Gesetzgebungs- und Verfassungsorgan des Landes unseren Antrag beschließen und ein Zeichen setzen. Wir sind entschlossen, beim Bürokratieabbau voranzugehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Gürth, würden Sie noch Fragen des Abgeordneten Herrn Dr. Püchel und von Frau Budde beantworten?

(Herr Dr. Püchel, SPD: Erst einmal von Frau Bud- de!)

Bitte, Frau Budde, Sie können die Frage stellen.

Ich möchte das aufgreifen, was Sie zum Schluss gesagt haben. Meinen Sie nicht, dass es dann doch wichtig wäre, sozusagen über einen konkreten Katalog zu diskutieren? Es wird so sein, dass die Länder einen konkreten Katalog über die Gesetzesänderungen vorlegen müssen. Deshalb kann man nicht im Allgemeinen bleiben. Die allgemeine Empfehlung, sich als Modellregion anzubieten, hat nur wenig Sinn und ist wenig wert. Es muss zuerst ein Konzept erarbeitet werden. Sie als Landesregierung sind nun einmal in der Pflicht, einen Katalog der Gesetzesänderungen und der Vorschriften zu erarbeiten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Sie können auch Vor- schläge machen!)