Protocol of the Session on December 13, 2002

Meine Damen und Herren! Ich will aber unsere Gesamtbewertung voranstellen: Die PDS-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt lehnt die von der CDU-FDP-Koalition beabsichtigte Verschärfung des Polizeigesetzes ab.

(Zustimmung bei der PDS)

Mit den nunmehr vorgesehenen Änderungen will die Koalition offensichtlich den Spitzenplatz im Bundesländervergleich hinsichtlich des schärfsten Polizeigesetzes erreichen.

Zu den einzelnen Bestimmungen. Zur Einführung der Speicherungsmöglichkeit von Bildaufnahmen: Die vorgesehene Einführung der Speicherungsmöglichkeit von Bildaufnahmen ist eine wesentliche Erweiterung der bisherigen Regelung. Damit geraten Tausende unbescholtene Bürgerinnen und Bürger in das Visier der Polizei. Persönlichkeitsrechte werden in höchstem Maße eingeschränkt. Zudem hat sich in der Praxis gezeigt, dass durch diese Maßnahme Kriminalität nicht bekämpft, sondern letztlich nur verdrängt wird.

Die Erfahrungen der bisherigen Projekte, ob nun in Dresden, Leipzig, Halle oder auch in London, beweisen genau das. Geht die Häufigkeit bestimmter Delikte an

dem überwachten Ort zurück, steigt sie an anderer Stelle an. Das ist die Erfahrung aus London, wo die gesamte Innenstadt überwacht wird. Dort ist in den letzten Jahren die Kriminalität in bestimmten Deliktbereichen in den Außenbezirken stetig angestiegen.

Zur Verlängerung des Aufenthaltsverbots von bisher 14 Tagen auf bis zu zwölf Monate: Hiermit wird der Grundsatz der Freizügigkeit noch massiver eingeschränkt, als es bislang schon der Fall ist. Das entspricht in keinem Fall dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Wenn Sie in diesem Zusammenhang immer wieder hervorheben, Sie wollten damit Drogenkriminalität bekämpfen, machen Sie sich etwas vor. Drogenkriminalität wird damit nicht bekämpft, Drogenkriminalität wird damit nur verdrängt.

(Zustimmung bei der PDS)

Sie lösen damit kein einziges Problem in diesem Bereich. Es ist ein falscher Ansatz, polizeirechtlich dagegen vorzugehen. Wir brauchen andere Ansätze, um gegen Drogenkriminalität und Drogenkonsum vorzugehen.

Zur Streichung des Richtervorbehalts bei der Rasterfahndung: Immer wieder hat die PDS-Fraktion ihre grundsätzlichen Bedenken bezüglich der Rasterfahndung zum Ausdruck gebracht. Diese Fahndungsmethode ist schon deshalb nicht unumstritten, da hierbei eine Unmenge von Daten Unbeteiligter und Unverdächtiger erfasst und gerastert wird, ohne dass das für den Einzelnen nachvollziehbar wäre. Wir haben vor kurzem erfahren, dass in Sachsen-Anhalt über 60 000 Datensätze in Computern gelandet sind, letztlich nur 300 zu einer Endauswertung gelangt sind, ohne dass es einen einzigen Hinweis auf Terrorismus gegeben hätte, was der Grund für die Rasterfahndung gewesen ist. Das heißt, Tausende Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts sind dort gelandet.

Der Eingriff in die Grundrechtssphäre des Einzelnen ist groß. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass durch richterlichen Bescheid das Vorliegen der Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefahr nach dem 11. September 2001 bejaht wurde und damit die Rasterfahndung in Sachsen-Anhalt stattfand. Die Effektivität dieser Methode - das habe ich bereits gesagt - bleibt insbesondere angesichts ihrer Ergebnisse, aber auch wegen der Argumentation im Hinblick auf die Grundrechte außerordentlich zweifelhaft. Dies ist bereits in den 70er-Jahren im Zuge der Diskussion über die Rasterfahndung und deren Einführung zu RAF-Zeiten festgestellt worden. Nunmehr den Richtervorbehalt zu streichen und die Entscheidung nur noch in der Hand des Innenministers zu belassen, ist falsch und zeugt von einer großen Skepsis der Koalition gegenüber der Gerichtsbarkeit in unserem Land.

Ich will an dieser Stelle nochmals den werten Kollegen Kosmehl von der FDP zitieren, der noch am 18. Juli 2002 zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sagte:

„Die Anforderungen an die Anordnung einer Rasterfahndung zu verringern ist also auch vor dem Hintergrund der Terrorismusbekämpfung nicht zu rechtfertigen.“

(Zustimmung bei der PDS)

Es bleibt festzustellen, Sie haben offensichtlich wirklich erst nach dem 18. Juli 2002 in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag hineingeschaut. Das ist zumindest meine Bewertung.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass mit allen drei genannten Dingen der Grundsatz außer Kraft gesetzt wird, dass Ermittlung und Verfolgung erst nach einer Straftat einsetzen. Letztlich wird die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil verkehrt. Unterschiedslos und ohne konkreten Anlass oder Verdacht werden jeder Bürger und jede Bürgerin zunächst zu potenziellen Kriminellen erklärt. Damit ist Kriminalität nicht einzudämmen.

In der Logik des starken Staates sind Bürgerinnenrechte weniger wert als Ermächtigungsparagrafen. Ohne Akzeptanz von Rechtsgrundsätzen und Bürgerrechten sind Ursachen und Bedingungen von Kriminalität jedoch nicht einzugrenzen. Nur Demokratie, Wahrung von Rechtsgrundsätzen, Emanzipation und soziale Gerechtigkeit werden letztlich die Ursachen von Kriminalität eindämmen können. Es muss uns deshalb nicht um die innere Sicherheit eines starken Staats, sondern um persönliche und öffentliche Sicherheit von Menschen gehen.

Die PDS-Fraktion wird die Beratung des Gesetzentwurfs unter diesen Aspekten intensiv begleiten und alle parlamentarischen Möglichkeiten prüfen, um dieses Gesetz zu verhindern.

Die PDS schlägt andere Wege zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Sachsen-Anhalt vor. Dazu gehört erstens der Erhalt und Ausbau der Flächenpräsenz der Polizei statt flächendeckender Installierung von Videokameras und zweitens der Verzicht auf den geplanten Stellenabbau im Polizeivollzugsbereich des Landes. Drittens fordern wir, endlich einen verbindlichen Plan zur Angleichung der Gehälter von Polizeibeamtinnen und -beamten an das Niveau der alten Bundesländer. Viertens treten wir dafür ein, dass die freie Heilfürsorge für Polizeibeamtinnen und -beamte erhalten bleibt und nicht, wie vorgesehen, gestrichen wird.

Herr Minister, das sind Punkte, wo Sie sich engagieren sollten. Verzichten Sie auf die geplante Streichung von über 1 400 Stellen im Polizeivollzug. Anderenfalls wird die Flächenpräsenz der Polizei infrage gestellt und somit die öffentliche Sicherheit in Sachsen-Anhalt gefährdet. Dass solche Pläne ausgerechnet von der CDU und der FDP kommen, die noch im Wahlkampf bei einem Wahlsieg mehr öffentliche Präsenz der Polizei versprochen haben, ist mehr als unverständlich und letztlich meines Erachtens Wählerbetrug.

Über die geplante Reduzierung im Bereich der Polizeiverwaltung ist die PDS-Fraktion nach genauer Prüfung zu reden bereit. Allerdings ist die Landesregierung gefordert, mit den Interessenvertretungen der Polizistinnen und Polizisten einen Konsens herzustellen.

Unter diesem Aspekt erscheint im Übrigen auch die vom Innenminister geplante und ab 1. Januar 2003 in Kraft tretende Polizeistrukturreform eine Maßnahme zu sein, die nicht etwa zu größerer Effizienz von Polizeiarbeit führt, sondern nur unter finanzpolitischen Erwägungen durchgeführt werden soll. Das lehnt die PDS strikt ab, da somit die öffentliche Sicherheit im Land gefährdet wird.

Meine Damen und Herren! Zusammenfassend nochmals: Sachsen-Anhalt braucht nicht mehr Kameras an Häuserfassaden und Laternen.

(Herr Kolze, CDU: Wir brauchen saubere Fassa- den!)

Wir brauchen die Polizistin, den Polizisten auf der Straße, die bzw. der für die Sicherheit der Bürgerinnen und

Bürger sorgt. In diesem Sinne lehnt die PDS eine Überweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuss ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Gärtner. - Bevor Herr Reichert für die CDU-Fraktion die Debatte beendet, habe ich die Freude, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Großleinungen zu begrüßen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Reichert, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gärtner, Sie hätten Ihren Redebeitrag ruhig zu Protokoll geben können; denn das, was Sie vom Stapel gelassen haben, entspricht nicht der Wirklichkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Rothe, Sie können sich gewiss sein, die CDU ist und bleibt die Partei der inneren Sicherheit. Wir werden mit unserer Polizei all die Probleme regeln.

Herr Gärtner, die Polizeistrukturreform, die am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft tritt - es ist eigentlich der Wunsch der Polizei seit zwei Jahren, diese Veränderungen, die Neuaufstellung in der Fläche herbeizuführen. Herr Püchel, das hätten Sie schon längst machen können.

Die Arbeitsgruppe Polizeiservice wird uns schon in verschiedenen Bereichen und auch in der Polizeiverwaltung zeigen, wo gemeinsam mit der Polizei gewisse Einsparungen zu erreichen sind.

Nun zu dem Gesetzentwurf: Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung setzt die Koalitionsvereinbarung der CDU und FDP um, soweit es darum geht, der Polizei und den für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden auch vor dem Hintergrund der heutigen Herausforderungen die erforderlichen rechtlichen Instrumentarien zur Aufgabenerfüllung in die Hand zu geben.

Die Gesetzesänderungen sind nicht nur vor dem Hintergrund der Sicherheitslage insbesondere seit dem 11. September vergangenen Jahres erforderlich, sondern auch deshalb, weil die SPD in der letzten Legislaturperiode in vielen Bereichen, so zum Beispiel bei dem erweiterten Platzverweis, aus Abhängigkeitsgründen gegenüber der PDS auf halbem Weg stehen geblieben ist und wir die Dinge nun sinnvoll zu Ende führen müssen.

Lassen Sie mich nur auf die wichtigsten der vorgesehenen Änderungen kurz eingehen; denn unser Herr Innenminister hat ausführlich inhaltlich berichtet.

Unter Hinweis auf die bereits erfolgten Pressemitteilungen über den vorliegenden Gesetzentwurf und die bereits seit Jahren geführte Diskussion zur Rasterfahndung möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die in dem nun vorliegenden Gesetzentwurf angestrebten Änderungen im Rahmen dessen liegen, was in anderen Ländern bereits Gesetz ist, Herr Rothe.

Die vorliegende Modifizierung des § 31 - Rasterfahndung - entspricht der Regelung in Hessen. Zu der damit

verbundenen Streichung des so genannten Richtervorbehalts weise ich auf die Gefahrenabwehrgesetze zum Beispiel der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen hin, in denen ein solcher Vorbehalt ebenfalls nicht zu finden ist.

Ferner verweise ich ergänzend zu den Empfehlungen der Innenministerkonferenz auf den am 11. Juli 2002 veröffentlichten Bericht des Oberverwaltungsgerichtes Bremen zu den Voraussetzungen des bremischen Polizeigesetzes zur Rasterfahrung und die am gleichen Tage erfolgte Pressemitteilung von Innensenator Dr. Böse. In dieser Mitteilung weist er darauf hin, dass das Gericht ausdrücklich klargestellt habe, dass tragfähige Gesichtspunkte, aus denen sich eine Verpflichtung zur Einführung eines Richtervorbehaltes ableiten ließe, nicht ersichtlich seien.

Aus den dargelegten Gründen hoffe ich, dass die nun vorgeschlagene Änderung des § 31 SOG eine sachgerechte Antwort auf die berechtigten Forderungen darstellt, die Voraussetzungen für die Rasterfahndung entsprechend den aktuellen Erfordernissen möglichst bundesweit zu vereinheitlichen. Die Kritiker auch dieser Regelung bitte ich zu berücksichtigen, dass dieses Instrument der polizeilichen Arbeit grundsätzlich nur in besonderen Ausnahmefällen überregional und nur dann zur Anwendung kommt, wenn es zur Verhütung besonders schwerer Straftaten erforderlich ist und diese auf andere Weise nicht möglich ist. Das betrifft die Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, die sich gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder des Landes richten, bei denen Schäden an Leib und Leben und Freiheit oder gleichwertige Schäden gegen die Umwelt zu erwarten sind.

Auch mit der angestrebten Änderung zum so genannten Platzverweis nach § 36 Abs. 2 SOG wird nicht nur eine sachgerechte Regelung geschaffen, sondern es werden auch die Voraussetzungen für den Platzverweis denen in anderen Landesgesetzen angeglichen. So bekommen wir endlich eine handhabbare Regelung, zum Beispiel Drogendealer für einen wirkungsvollen Zeitraum von ihren Geschäftsfeldern zu verbannen.

Auch bei der vorgesehenen Änderung hinsichtlich der Videoüberwachung - § 23 SOG - und der nun vorgesehenen speziellen Befugnis zum Wegweisungsrecht in Fällen häuslicher Gewalt - § 36 Abs. 3 SOG neu - bewerkstelligen wir den Anschluss an das Polizeirechtsniveau anderer Länder. Im Falle der Videoüberwachung schaffen wir endlich eine Regelung, die für die Polizeibeamten nunmehr auch praktisch handhabbar ist.

Sehr verehrte Damen und Herren! Ich hoffe, dass der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf nach einer zügigen Beratung in den Ausschüssen in absehbarer Zeit dem Landtag vorgelegt werden wird und dass wir die seit Jahren geführte Diskussion durch die Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum SOG beenden können; denn die Menschen in unserem Land verlangen nicht nur eine sorgfältige Beratung gesetzlicher Regelungen, sondern auch klare Entscheidungen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Reichert. - Damit ist die Debatte beendet. Bevor wir in das Abstimmungsverfahren eintreten, möchte ich eine weitere Besuchergruppe begrüßen. Es han

delt sich um Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Groß Rosenburg. Seid willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Wir treten nun in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 4/400 ein. Es geht zunächst um die Überweisung des Gesetzentwurfes in die Ausschüsse. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Gegenstimmen der PDS in die Ausschüsse überwiesen worden.