Protocol of the Session on December 14, 2001

schaftlicher Verantwortung gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis der gesamten Bevölkerung bewertet der Weiße Ring die aktuelle Diskussion zum Umgang mit Sexualstraftätern wie folgt: Herr Rüster, Sprecher der bundesweiten Opferschutzorganisation, konstatierte hierzu - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:

„Gefordert ist nunmehr ein klares und konsequentes Bekenntnis aller Verantwortlichen in Politik, Justiz und Verwaltung, dem Schutz potenzieller Opfer eindeutig Vorrang vor Resozialisierungsexperimenten einzuräumen... Die oft gehörten und immer wiederkehrenden Aussagen, man müsse nun mal mit dem Restrisiko fehlgeschlagener Resozialisierungsmaßnahmen leben, sind für eine sachliche Auseinandersetzung ebenso wenig hilfreich wie das generelle Infragestellen der Wiedereingliederung von Sexualstraftätern.“

Die Bekämpfung sowie die Vorbeugung vor Sexualstraftaten muss endlich als gesamtgesellschaftliche Verpflichtung verstanden und durch den Abbau unnötiger Reibungs- und Informationsverluste innerhalb von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten zum Schutz der Opfer deutlich verstärkt werden.

Dass bestimmte psychologische Gutachter den eben erwähnten Institutionen die ganze Sache nicht leichter machen, zeigen Äußerungen von Herrn Pfäfflin vom Ulmener Universitätsklinikum für Psychiatrie und Psychotherapie. Er sagte zu diesem Thema - ich zitiere wiederum, Frau Präsidentin -: „Patienten sind schutzbedürftig“, und meint damit Sexualstraftäter.

Der niederländische Psychotherapeut Bullens hält dagegen den sexuellen Missbrauch nicht für eine Krankheit, sondern für ein Verbrechen. Über 95 % der Täter verfügen nach seiner Erfahrung über genügend Selbstkontrolle.

Nochmals: In unserer Gesellschaft muss der Opferschutz dominieren und nicht der Täterschutz. Dazu anzumerken wäre, dass wir bereits vor einigen Monaten im Parlament darüber referierten, dass therapieunfähige Sexualstraftäter, insbesondere solche, welche unsere Kinder aus ihrem ungezügelten Sexualtrieb heraus töten, auf D a u e r wegzuschließen sind. An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, Herrn Bundeskanzler Schröder auch einmal zu danken, dass er unsere Worte erhörte und sich unserer Meinung anschloss. Auch ein SPD-Bundeskanzler ist in manchen Dingen eben lernfähig.

Meine Damen und Herren! Das musste einmal gesagt werden. Gestatten Sie mir noch einige ergänzende Worte zu den Tagesordnungspunkten 6 b und 6 c.

Die Aufforderung, dass sich die hiesige Landesregierung im Bundesrat für Maßnahmen zum besseren Schutz vor Sexualstraftätern hinsichtlich der Anordnung der Sicherheitsverwahrung und bezüglich der DNA-Analyse einsetzen soll, ist zwar augenscheinlich bedeutsam und wäre lobenswert, stünde nicht der Wahlkampf in SachsenAnhalt kurz bevor. Von einer beteiligten Regierungspartei, welche permanent vorgibt, alles für das Wohl unserer Menschen tun zu wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie diese grundlegenden Dinge wesentlich früher angegangen wäre und nicht erst wenige Wochen vor dem Wahlkampf.

Nach der derzeitigen Rechtslage muss die Justiz gefährliche Sexualverbrecher nach dem Ende der Haftstrafe

freilassen, auch wenn feststeht, dass von ihnen weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Deshalb ist eine landesrechtliche Regelung zur Gefahrenabwehr insbesondere bezüglich rückfallgefährdeter Straftäter in Sachsen-Anhalt längst überfällig und dringend geboten. Andere Bundesländer sind uns in dieser Frage weit voraus.

Da das berechtigte Sicherheitsverlangen der Bevölkerung auf Schutz vor rückfallgefährdeten Straftätern auch ein großes Stück Lebensqualität hierzulande bedeutet, begrüßen wir die Gesetzentwürfe sowie den Antrag. Danke.

(Zustimmung von Frau Spors, DVU, und von Herrn Kannegießer, DVU)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Remmers.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich würde gern noch einige Bemerkungen machen und dabei versuchen, auf das inzwischen Gesagte einzugehen.

Ich möchte zu Beginn eines klarstellen: Frau Tiedge das Gleiche gilt für Herrn Brachmann -, ich denke, die Kundigen in diesem Hause wissen, dass wir mit diesem Gesetz tatsächlich eine Entscheidung treffen wollen, über die man sich füglich rechtlich streiten kann, über die, wenn ich es richtig sehe, auf der Basis des Gesetzes in Baden-Württemberg bereits verfassungsgerichtlich gestritten wird.

Die Sorge müssten wir nicht haben - darauf will ich hinweisen -, wenn der Bund uns mit diesem Problem nicht allein ließe. Der Bund hätte eine ganz andere Kompetenz, die er einsetzen könnte. Dass es so etwas Ähnliches gibt - ich will nur darauf hinweisen -, wird zum Beispiel daran deutlich, dass es im Strafrecht den Ausspruch der besonderen Schwere der Tat gibt. Wenn dieser bereits im Urteilsspruch zum Ausdruck kommt, hat das für das spätere Behandeln und die spätere Stellung des Straftäters, für Begnadigungs- und vorzeitige Entlassungsmöglichkeiten eine nachhaltige Wirkung. Das ist abgeleitet von dieser besonderen Strafrechts- und Strafverfolgungskompetenz.

Dass es so etwas gibt, vorsorglich zu sagen, am Ende darf dieses und jenes nicht geschehen, könnte, wenn der Bund sich endlich aufraffen würde, die Angelegenheit in die Hand zu nehmen, dort mit viel größerer Sicherheit gemacht werden. Es grämt mich eigentlich sehr, dass der Bund meint, er kann sich aus dieser schweren Entscheidung herausnehmen, obwohl ihm der wesentliche Teil der Kompetenz zugewachsen ist und von ihm auch im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in Anspruch genommen wird. Das wollte ich noch einmal sagen.

Trotzdem sage ich: Dass wir unter Inanspruchnahme unserer Zuständigkeit für die öffentliche Sicherheit der Bürger diesen Anlass genutzt haben, um unsere Kompetenz zu behaupten, halte ich für vertretbar. Sonst hätten wir den Gesetzentwurf nicht eingebracht.

Ich möchte nur auf Ihre Ausführungen, Frau Tiedge, hin eines bemerken. Sie haben an einer Stelle gesagt, auch dieses Gesetzes würde keine 100-prozentige Sicherheit

bringen. Dieses Argument ist richtig. Aber wer 100-prozentige Sicherheit, das bedeutet Vollkommenheit, heute verlangt, belässt es immer bei dem schlechten Zustand von gestern.

(Zustimmung bei der CDU)

Das jeweils Bessere ist der Feind des Guten. Wer auf die vollkommene Lösung wartet, verharrt in der schlechten Lösung von gestern und verhindert die bessere Lösung von heute.

(Zustimmung von Herrn Becker, CDU, und von Herrn Prof. Dr. Spotka, CDU)

Deswegen ist dieses Argument, so meine ich, an dieser Stelle nicht zu bringen.

Ich will nur noch eine Bemerkung machen zu dem Gesetz, zu der Dauer der Unterbringung. Wir werden im Ausschuss darüber zu reden haben. Frau Tiedge hat einen Punkt angesprochen. Ich darf an die Motive für das Jugendgerichtsgesetz erinnern. Damals hat man gesagt, eine Jugendstrafe von unter sechs Monaten darf man erst gar nicht verhängen, weil man unter einer Dauer von sechs Monaten mit therapeutischen und erzieherischen Maßnahmen keinen Erfolg haben kann. Darüber kann man lange streiten.

Aber eines ist sicherlich richtig: Wenn bei einem Straftäter die konkrete Gefahr der Wiederbegehung einer sexuellen Straftat schlimmen Ausmaßes besteht und er besonders wegen seiner Resozialisierungsresistenz aufgefallen ist, dann darf man nicht damit rechnen, dass man innerhalb eines halben Jahres Resozialisierungserfolge erzielen kann. Deswegen besteht der Weg, den wir in unserem Gesetzentwurf gewählt haben, darin, zunächst eine Sicherungsverwahrung anzuordnen, wobei das Gericht jederzeit prüfen kann, ob diese Anordnung bei der Feststellung des Erfolges aufzuheben ist. Das ist eine Diskussion wert. Wir werden uns daran gern und offen für alle Sachargumente beteiligen.

Wir sollten den Gesetzentwurf - darin stimme ich Herrn Brachmann zu - in den Rechtsausschuss überweisen. Schon wegen der Gesetzgebungskompetenz, aus der die Zuständigkeit abgeleitet ist, muss der Innenausschuss sehr intensiv mitberaten. Wir sollten allerdings auch die Gelegenheit dazu nutzen, die Thematik im Januar abschließend zu behandeln, damit das Gesetz in der Landtagssitzung im Februar 2002 beschlossen werden kann.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich möchte noch eine Bemerkung machen zu dem Entschließungsantrag. Meine Damen und Herren! Ich weiß, das Thema ist insbesondere für die Opfer traurig. Aber als ich den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion gelesen habe, musste ich doch grinsen. Mir ist gestern bei der Haushaltsberatung schon aufgefallen, dass der Ministerpräsident offenbar Streicheleinheiten nötig hat. Er hat in seiner Rede, so glaube ich, siebenmal gesagt, wir wären Spitze.

(Herr Scharf, CDU: Das glaubt ihm nur keiner! - Herr Gürth, CDU: Arbeitslosigkeit! Insolvenzrate!)

Wenn ich so etwas höre, frage ich mich, was er sich damit eigentlich beweisen möchte. Nun lese ich diesen Entschließungsantrag. Ich habe an dieser Stelle schon einmal darüber gespottet. Meine Damen und Herren! Wollen wir uns nicht einmal darauf verständigen, die Be

grüßungs- und Bedankungsentschließungen der Regierungsfraktion zu unterlassen?

(Zustimmung bei der CDU und von Frau Wiech- mann, FDVP)

Ich habe schon gesagt, wir befinden uns in der vorweihnachtlichen Zeit. Der weihnachtliche Friede mag dann auch in dieses Haus einkehren.

(Heiterkeit)

Wenn die SPD-Fraktion meint, die Landesregierung hat es nötig, dass ihre Arbeit wieder einmal begrüßt wird, dann begrüßen wir ohne Ausschussüberweisung. Das möchte ich hiermit anregen.

Aber im Grunde - damit komme ich zurück zum Ernst der Dinge - muss man sich fragen, was wir eigentlich machen. Sollen wir ernsthaft beschließen: Du exzellente Landesregierung tust etwas auf diesem wichtigen Gebiet und das begrüßen wir? Was haben wir damit gekonnt?

(Heiterkeit bei der CDU - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Ich sage es noch einmal: In der Advents- und Weihnachtszeit würden wir es sogar ohne eine Ausschussüberweisung mit beschließen. Aber erreicht haben Sie damit nichts. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Frau Spors, DVU - Zuruf von Ministerin Frau Schubert)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Rothe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Remmers, Ihren Spott wegen der Begrüßung nehme ich als Mitverfasser dieses Antrags gern auf mich.

(Herr Gürth, CDU: Grußadresse!)

Manchmal ist es aus psychologischer Sicht besser, anstelle einer Aufforderung eine Begrüßung dessen auszusprechen, was in statu nascendi vorhanden, aber nicht so ausgeprägt ist, dass es nicht noch verstärkt werden könnte.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Damit haben ehemalige DDR-Bürger große Erfahrungen, Herr Rothe!)

Im Übrigen darf ich zu Ihrer inhaltlichen Kritik an der Befristung auf sechs Monate Folgendes sagen: Nach unserem sicherlich gemeinsamen Menschenbild ist die Zukunft immer offen und niemand darf völlig verloren gegeben werden. Man sollte nicht zu lange warten, bis man überprüft, ob nicht ein anderer Zustand da ist. Warum sollte eine positive Persönlichkeitsentwicklung nicht doch eines Tages eintreten können, selbst wenn sie während der Dauer der Haftstrafe nicht erkennbar war?

Ich bin der Meinung, dass es richtig ist, das aufwendige Verfahren zu wählen und die Sicherungsverwahrung immer für ein halbes Jahr anzuordnen. Es sollten ein Verteidiger und mehrere auch unabhängige Gutachter beteiligt sein. Ich meine, dass dieses Verfahren insbesondere dem christlichen Menschenbild stärker entspricht als die Festlegung, den Betreffenden auf Dauer wegzuschließen.

Damit komme ich, Frau Kollegin Tiedge, auf Ihre Ausführungen zu sprechen. Ich schätze Sie als eine fachkundige Berufskollegin. Aber in Ihrem heutigen Debattenbeitrag schwankten sie zwischen Fatalismus und Rigorismus. Sie sagen einerseits, dass es eine 100-prozentige Sicherheit sowieso nicht gebe, und kritisieren andererseits diese sechs Monate, weil Sie der Meinung sind, dass man die Betreffenden dann lebenslänglich wegsperren müsste.

Ich denke, es kommt darauf an, dass wir uns vor solchen extremen Sichtweisen hüten und dass wir uns - so wie Herr Remmers das getan hat - um eine Abwägung zwischen den Grundrechtspositionen des Betroffenen und der staatlichen Pflicht, Menschen vor solchen Tätern zu schützen, bemühen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen gestatte ich mir eine Bemerkung zu Ihrer Kritik, dass die betreffenden Strafgefangenen sich dann erfolgreich um die Verlegung in andere Länder bemühen würden, wo es solche Regelungen wie bei uns nicht gäbe. Ihre Kritik halte ich nicht für richtig. Sie wissen aus dem Petitionsausschuss, wie schwer es ist, eine Verlegung in eine Strafanstalt eines anderen Bundeslandes zu erreichen. Das geschieht nur dort, wo es einen sachlichen Grund dafür gibt, und mit Billigung der staatlichen Stellen. Einen Gefangenentourismus in der von Ihnen beschriebenen Art kann ich mir absolut nicht vorstellen.