Wer in diesen Tagen in die Gesichter der Frauen, Männer und Jugendlichen aus dem Waggonbau Ammendorf gesehen hat, wer in ihren Worten und Reaktionen Enttäuschung, Wut und Angst, aber auch Entschlossenheit und Hoffnung für den Kampf um die ihre Existenz sichernden Arbeitsplätze wahrgenommen hat, kann nicht nur eigene Betroffenheit äußern, verbunden mit Schuldzuweisungen, sondern muss auch die große Verantwortung in sich spüren, alles, aber auch alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um tatkräftig zu helfen.
Es geht um unser Land, es geht um die Region Halle, es geht um das Schicksal von weit mehr als tausend betroffenen Menschen mitten unter uns, im Waggonbau Ammendorf, bei Zulieferern, Dienstleistern und auch im Handel. Sie sind die Betroffenen und hoffentlich nicht die Leidtragenden eines Konzentrationsprozesses größten Ausmaßes, der Globalisierung kapitalistischer Prägung.
Im Jahr 1996 wurde die Deutsche Waggonbau AG von der BvS an die US-amerikanische Finanzgruppe Advent International verkauft. Dabei wurde Waggonbau Dessau nicht mit berücksichtigt.
Im Jahr 1996 wurde das Unternehmen Adtranz aus den Bahnsparten von Daimler-Benz und ABB Schweiz gegründet. Dazu gehörte auch LEW Hennigsdorf. Danach wurde die E-Lok-Produktion von Hennigsdorf nach Kassel und die Stromrichterfertigung nach Mannheim verlagert. Damit war Hennigsdorf dem Profil von Ammendorf sehr ähnlich geworden.
Bombardier Transportation übernahm 1997 die Firma Talbot in Aachen, 1998 die DWA von Advent International und im Jahr 2000 die Adtranz-Gruppe von Daimler Chrysler.
Es steht natürlich die Frage: Ist es zutreffend, dass frühere Adtranz-Manager auf heutige Entscheidungen maßgeblich Einfluss nehmen?
Dieser Konzentration stimmte die Europäische Union zum 1. Mai 2001 zu. Damit war der Weltmarktführer in der Bahntechnik entstanden. Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch die Profil- und Kapazitätsüberschneidung zwischen Hennigsdorf und Ammendorf offensichtlich. Insofern finden wir die Fragen von Dr. Bergner berechtigt.
Bombardier begründet nun seinen Plan zur Umstrukturierung und zur Stilllegung von Ammendorf damit, dass die Produktionskapazitäten nicht mehr ausgelastet werden könnten, dass im nächsten Jahr nur noch 25 % Auslastung gegeben seien und dass insgesamt zwei Millionen Fertigungsstunden zu viel vorhanden seien. Die damit verbundenen Mehrkosten könnten nicht mehr getragen werden. Sie würden sich allein in Ammendorf im Jahr 2002 auf 24 Millionen DM belaufen.
Betriebswirtschaftliche Gründe in Bezug auf spezifische Fertigungskosten gebe es nicht. Hierzu wird vom Betriebsrat darauf verwiesen, dass Ammendorf bei der Produktion von S-Bahn-Wagen sogar kostengünstiger liege als Hennigsdorf.
In der Pressekonferenz am 13. November dieses Jahres erklärte der Präsident der Produktionsstätten von Bombardier Transportation in Europa Herr Gaisert, dass eine Aufteilung von Aufträgen auf alle Standorte aus Kostengründen nicht in Betracht komme. Andererseits sagte er aber, dass genügend Aufträge vorlägen. Das wird auch durch die vorgesehenen Personalaufstockungen in Bautzen und Görlitz belegt. Auch eine Umverteilung von Aufträgen im Zusammenhang mit der Auftragserteilung durch die Havag Halle an Bombardier in Höhe von 90 Millionen DM, gefördert durch das Land SachsenAnhalt, wird abgelehnt.
Somit ist für uns offenkundig, dass Bombardier Waggonbau Ammendorf in den Auslastungsnotstand treibt. Das Unternehmen könnte umverteilen, aber es muss es auch wollen.
Wenn Herr Gaisert dann erklärt, dass die Unternehmensleitung nur schweren Herzens zu ihrer Entscheidung gekommen sei, ihre soziale Verantwortung aber wahrnehmen wolle, so muss das in den Ohren der Betroffenen wie Hohn klingen.
Aus unserer Sicht gebietet die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung, alles zu tun, um die Produktionsstätte Ammendorf im Bombardier-Verband zu erhalten und auch keine andere Produktionsstätte - besonders im Osten Deutschlands - zu schließen. Denn dafür gibt es mindestens drei gute Gründe:
Erstens. Der Bahntechnikbereich ist ein Wachstumsmarkt. Pierre Lortie, Präsident und Chief Operating Officer von Bombardier Transportation, erklärte:
„Wir sind überzeugt, dass der Markt für Schienenfahrzeuge zusammen mit dem Wartungs- und Servicebereich schnell wachsen wird.“
Im Mai dieses Jahres sagte er noch, dass seine Konzernsparte innerhalb der nächsten fünf Jahre Wachstumsraten von bis zu 25 % erreichen wolle. Der Umsatz solle in dieser Zeit verdoppelt werden und 12 % des Umsatzvolumens sollten als Gewinn realisiert werden.
Warum soll dann ein hochmodernes Montagewerk wie Waggonbau Ammendorf, in das weit über 200 Millionen DM investiert wurden und in dem 900 motivierte und hoch qualifizierte Mitarbeiter tätig sind, stillgelegt werden?
Zweitens. Die Deutsche Bahn AG hat aufgrund der laufenden Verschiebung von Bahntechnikaufträgen einen erheblichen und notwendigen Erneuerungs- und Modernisierungsbedarf. Es ist Pflicht der Bundesregierung als 100-prozentiger Gesellschafter der Deutschen Bahn AG, nicht abgeflossene finanzielle Mittel des Bahnbereiches nicht in den Straßensektor zu überführen, wie Herr Bodewig erklärt hat, sondern für die Auftragserteilung durch die Deutsche Bahn AG mit Standortbindung zu verwenden.
Ich finde, dass unverbindliche Solidaritätsadressen von Herrn Schwanitz vom Bundeskanzleramt untauglich sind.
Waggonbau Ammendorf ist sofort in der Lage und darauf vorbereitet, den Innenausbau von 105 Wagen IC TET-Neigetechnik auszuführen und den Innenausbau von Wagen für den ICE III zu übernehmen. Im Zusammenhang mit der jüngsten Nachricht, dass der Baustopp der ICE-Strecke Berlin - Nürnberg aufgehoben und die Strecke in den vorrangigen Bedarf der neuen Bundesverkehrswegeplanung aufgenommen werden soll, ergibt sich akuter neuer Bedarf der Deutschen Bahn AG. Das sollte als konkrete Chance für Ammendorf begriffen und in Aufträge für Ammendorf umgesetzt werden.
Waggonbau Ammendorf ist sofort in der Lage und darauf vorbereitet, 40 Züge des Nahverkehrszuges der Typreihe ET 425 auszustatten, den die Deutsche Bahn AG im Rhein-Neckar-Raum betreiben will. Weiterhin ist Ammendorf bereit und in der Lage, S-Bahn-Wagen für Berlin mit einem Kostenvorteil zu fertigen.
Drittens. Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass im Zusammenhang mit dem 90-Millionen-DMAuftrag der Havag Halle, gefördert mit Landesmitteln, eine Umverteilung von Aufträgen zugunsten von Ammendorf realisiert wird. Dies gilt auch für weitere Aufträge aus regionalen Bereichen. Ich denke, in diesem Zusammenhang sind neue Überlegungen notwendig.
Zwischen Bombardier und der Landesregierung ist die Bildung einer Arbeitsgruppe vereinbart worden. Das ist sicherlich das Verdienst von Herrn Ministerpräsidenten Höppner. Auf ihr ruhen große Hoffnungen. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie im Sinne der genannten drei Punkte und weiterer Möglichkeiten handelt und sich nicht auf Übergangslösungen oder undefinierte Alternativen außerhalb der marktbeherrschenden Bombardier-Gruppe einlässt oder abdrängen lässt. Dazu hat die Landesregierung aber auch die volle Unterstützung der PDS-Fraktion, auch und besonders für neue Wege zur Lösung des Problems.
Halten wir uns nicht auf beim Beklagen von Plänen kapitalistischer Manager, die den Gesetzen dieser Gesellschaft folgen, in denen der beschäftigte Mensch zuerst ein Kostenfaktor ist und in deren Rechnungen die Landeswürdenträger, gleich welcher Farbe, höchstens am Rande vorkommen.
Weisen wir die Pläne zurück! Nehmen wir die Unternehmensvertreter beim Wort, wenn sie von der Wahrnehmung sozialer Verantwortung reden, allerdings nicht in ihrem Sinne, sondern im Sinne der Menschen dieser Region. Führen wir gemeinsam mit den Ammendorfer Waggonbauern, den Gewerkschaften und den Belegschaftsvertretern den Kampf um den Erhalt des Waggonbaus Ammendorf im Bombardier-Transportation-Verband. Verhandeln wir - vor allem die Landesregierung! hart nach allen Richtungen, also auch in Richtung Bundesregierung, zur Wahrung unserer Interessen und Chancen. Sonst ist es wirklich zu spät!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir unverständlich, dass so ein wichtiges Thema nicht von den Regierungsparteien auf die Tagesordnung gesetzt wird, sondern von der Opposition. Das besagt eigentlich schon alles über die wirtschaftspolitischen Fähigkeiten der Landesregierung.
Der Waggonbau ist für Halle-Ammendorf einer der letzten Großbetriebe. In den Jahren von 1990 bis 2001 schrumpfte die Belegschaft von 4 700 auf 920 Beschäftigte.
Im Jahr 1998 kaufte der Branchenprimus Bombardier den modernisierten Betrieb. Schon im Oktober 1999 fielen 130 Stellen weg mit der Begründung, die Bahn habe ihre Aufträge für ICE-Züge gekürzt. An dieser Stelle hätten zum ersten Mal bei der Regierung die Alarmglokken läuten müssen.
Im Frühjahr 2000 bezeichnete die Geschäftsleitung die Situation im Waggonbau als sehr ernst, da mehrere Aufträge storniert worden seien. Dr. Höppner wusste darüber Bescheid, da er persönlich bei Bahnchef Hartmut Mehdorn Druck machen wollte. - Nichts passierte.
Im August 2000 kommt es zur zweiten Flaute. Die letzten S-Bahn-Züge für Berlin sind fertig gestellt, ein neuer Großauftrag ist nicht in Sicht.
Herr Dr. Höppner besucht im Herbst das Werk und sagt zu, weiter Druck auf die Bahn auszuüben und sich für Anschlussaufträge einzusetzen. - Nichts passiert.
Der größte Clou erfolgt im Februar 2001 durch die Fusion von Bombardier und Adtranz zum weltgrößten Bahntechnikhersteller.
Die Landesregierung wusste seit einem halben Jahr, dass ein Großbetrieb mit 920 Beschäftigten und einer Auslastung von einem Viertel seiner Kapazität so nicht existieren kann. Sie kann sich auch nicht herausreden, von diesen Interna nichts gewusst zu haben. Jeder, der etwas mit dem Waggonbau zu tun hatte, wusste, dass in normalen Zeiten zwei Wagen täglich das Werk verließen. Seit Monaten sind es nur zwei Wagen in der Woche.
Diese Fusion hat auch die Landesregierung mitbekommen; denn Fusionen bedeuten immer Arbeitsplatzabbau. Seit dieser Zeit hat die Landesregierung nichts unternommen, um ein tragfähiges Konzept für den Erhalt des Standortes gezielt zu entwickeln oder wirklich Druck auf Bombardier auszuüben.
Mit dem Ziel der Schaffung von zehn neuen Arbeitsplätzen fliegt man bis nach Kuba, aber bei der Schließung eines Werkes, verbunden mit dem Wegfall von tausend Arbeitsplätzen, passiert nichts. Diese wirtschaftliche und soziale Katastrophe für Tausende Menschen im Regierungsbezirk Halle wird nicht einmal zur Chefsache gemacht. Als die Schließungsabsichten des Konzerns in Bezug auf das Werk in Ammendorf feststanden, wurde der Vorstand aufgesucht. Ergebnis: gleich null.
Besonders befremdlich für mich ist, dass nicht die Wirtschaftsministerin für Ammendorf zuständig ist, sondern der Verkehrsminister. Bleibt die Frage: Wird die Stelle neu besetzt?
Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, werden einzelne gut gemeinte Rettungsabsichten zum Erhalt des Standortes durchgeführt. Die Oberbürgermeisterin von Halle, Frau Häußler, vergibt einen Auftrag zur Lieferung von 30 Niederflurwagen im Gesamtwert von 90 Millionen DM an den Konzern Bombardier, der aber diesen Auftrag in Bautzen ausführt. Hier hätte natürlich in der Bestellung die Klausel extra aufgeführt werden müssen, dass der Auftrag in Ammendorf ausgeführt werden muss. Eine nachträgliche Stornierung bedeutet nur Kosten für die Stadt Halle und fehlende Aufträge für Bautzen.
Verkehrsminister Heyer hat nun die Vision, in SachsenAnhalt müssten mehr Züge aus Ammendorf fahren. Das Land verhandele mit der Bahn über die Anschaffung von 70 Nahverkehrszügen. Sollte es zum Abschluss kommen, werde vertraglich geregelt, dass diese Züge in Ammendorf gebaut würden. - Wir wünschen viel Erfolg hierbei.
Ein Konzern mit einem Jahresumsatz von 120 Milliarden Dollar wird nichts auf seine wirtschaftspolitische Verantwortung für Sachsen-Anhalt geben. Auch der Ausspruch von Frau Budde, sie bzw. das Wirtschaftsministerium prüft, ob eventuell die 17 Millionen DM an Fördermitteln zurückzufordern sind, ist in diesem Verhandlungsstadium ein Drohen, das möglicherweise schon das Aus vorprogrammiert. Im Übrigen lacht man bei Bombardier doch über die berühmten Peanuts. Die Schließung des Werkes in Ammendorf ist nur eine eindeutige Zeugnisnote für Herrn Dr. Höppner und seine Regierung.
Wir unterstützen alle Möglichkeiten zur Erhaltung des Waggonbaustandortes Ammendorf, damit Hunderte Menschen nicht jede Perspektive verlieren. BMW weg nach Leipzig. Audi nach Ungarn. Bombardier ebenfalls weg? Telekom nach Sachsen, Deutsche Bahn AG macht Standorte dicht in Sachsen-Anhalt, Avacon und wie sie alle heißen. Wahrlich, ein tolles Zeugnis Ihrer Regierungsarbeit, Herr Höppner. Nicht nur Herr Fischer von der Gewerkschaft ver.di meint, dass in SachsenAnhalt so langsam die Lichter ausgehen.
Meine Damen und Herren! Höflich wollten sie, die Mitarbeiter und Wirtschaftsverbände, auf die wirtschaftlichen Missstände in Sachsen-Anhalt aufmerksam machen jene 47 Verfasser eines offenen Briefes an MP Höppner. Sie beklagten das investitionsfeindliche Klima und sie fürchten, wenn sich der Kurs der SPD-PDS-Regierung nicht ändert, bleibt Sachsen-Anhalt überall Schlusslicht. Vielleicht war der Tenor des Briefes doch zu höflich; denn Herr Höppner wertete die Kritik als Rückenstärkung. Er hatte nur die müde Entgegnung parat, gerade erst in einer aktuellen Sitzung des Bündnisses für Arbeit diese Punkte angesprochen zu haben.