Protocol of the Session on November 15, 2001

Ich erinnere nochmals daran, welche Kernpunkte für dieses Landesparlament zur Abstimmung stehen:

Erstens. Terrorismusbekämpfung im In- und Ausland ist alleinige Aufgabe der Polizei.

Zweitens. Die Landesregierung wirkt auf die Bundesregierung dahin gehend ein, keine deutschen Soldaten in Afghanistan kämpfen und sterben zu lassen.

Dies sind zwei klare Forderungen, über die Sie nachher bitte namentlich abstimmen. Über den morgigen Erpressungsversuch des Kanzlers haben wir jetzt nicht zu befinden. Das ist eine andere Geschichte.

Eine kleine Zugabe in diesem Zusammenhang: Eine dpa-Meldung von heute Morgen, 9.55 Uhr:

„Prag. Der Irak hat nach Informationen der tschechischen Tageszeitung ‘Hospodarske noviny‘ als Asylbewerber getarnte Agenten nach Deutschland geschleust. Abgewickelt worden seien die Aktionen, die spätestens 1999 begonnen haben sollen, von der irakischen Botschaft in Prag, berichtete das Blatt am Donnerstag unter Berufung auf den Geheimdienst. Die Agenten sollen über Tschechien, Österreich und Polen eingeschleust worden sein.

Tschechien hatte im April den irakischen Konsul in Prag ‘wegen nichtdiplomatischer Tätigkeiten‘ ausgewiesen. Er soll sich unter anderem in Prag mit dem mutmaßlichen Flugzeugattentäter Mohammed Atta getroffen haben. Der tschechische Geheimdienst untersuche derzeit konkrete Hinweise, nach denen sich auch andere Mitglieder der Terrororganisation el-Kaida unter Tarnnamen in der Hauptstadt aufgehalten haben, berichtete das Blatt.“

Nehmen wir die Meldung ernst, so sehen Sie: Die Aufgaben liegen hier, nicht in den Schluchten und Bergen Afghanistans. Für den Frieden darf es niemals zu spät sein.

(Beifall bei der FDVP)

Danke schön. - Bevor wir in der Aussprache fortfahren, begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Heine-Sekundarschule Magdeburg, die uns heute hier besuchen.

(Beifall im ganzen Hause)

In der vereinbarten Fünfminutendebatte hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als am letzten Montag über New

York ein Airbus der American Airlines abstürzte, befürchteten die meisten sofort, dass es sich um ein erneutes Attentat der el-Kaida handeln könnte. Zurzeit gehen die amerikanischen Behörden aber eher davon aus, dass der Absturz auf einen technischen Defekt zurückzuführen ist. Es spricht für die Dramatik der derzeitigen Situation, dass Reporter angesichts dieser erneuten schrecklichen Bilder aus New York auch ein gewisses Maß an Beruhigung artikulierten, Beruhigung darüber, dass es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit „nur“ ein Unfall und kein erneuter Terroranschlag war.

Es ist festzuhalten, dass sich die offenen Gesellschaften noch lange nicht vom Schock des 11. September erholt haben. Die bleibenden Befürchtungen sind auch nicht unberechtigt; denn die Gefahren, die vom internationalen Terrorismus ausgehen, sind nicht gebannt. Sprecher der el-Kaida haben öffentlich weitere Angriffe auf die USA angekündigt bzw. dazu aufgerufen. Unbestritten bleibt, dass das Taliban-Regime in Afghanistan Terroristen Unterschlupf gewährt hat und diese von Afghanistan aus ihre Anschläge geplant und durchgeführt haben. Bis auf den heutigen Tag scheinen die Taliban eine Auslieferung der Urheber dieser Verbrechen vom 11. September nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Meine Damen und Herren! Unbestritten ist auch: Um dem islamistischen Fundamentalismus den Boden zu entziehen, bedarf es mittel- und langfristig einer politischen und wirtschaftlichen Lösung. Zur konkreten Bekämpfung der aktuellen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist jedoch der Einsatz militärischer Mittel erforderlich. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn eine internationale Polizei Bin Laden dingfest machen könnte, aber eine solche internationale Polizei gibt es zurzeit nicht. Es wäre auch nur schwer vorstellbar, dass Polizisten mit ihrem derzeitigen Ausstattungsund Ausbildungsstand geeignet wären, einen solchen Einsatz durchzuführen. Pistolen reichen nicht aus, um in Afghanistan bestehen zu können.

Wir müssen aber jetzt handeln. El-Kaida muss heute bekämpft werden. Deshalb ist der Militäreinsatz notwendig. Die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan lassen hoffen, dass der militärische Einsatz der Antiterrorallianz von Erfolg gekrönt sein wird.

Meine Damen und Herren! Einen deutschen Sonderweg bei der Terrorismusbekämpfung darf und wird es nicht geben. Parallel zum gegenwärtig Notwendigen muss an dem Aufbau internationaler Strukturen gearbeitet werden, die mittel- bis langfristig in eine internationale Polizei unter dem Dach der Vereinten Nationen münden. Hierbei sollten möglichst viele Partner eingebunden werden. Auch deshalb ist es wichtig, die USA nicht allein zu lassen; denn wer sich heute heraushält, dessen Wort hat in der Debatte über neue Strukturen kein Gewicht.

Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle meiner Hoffnung Ausdruck verleihen - ich sage dies im Namen der Landesregierung und meiner Fraktion -, dass der Bundestag dem Bundeskanzler in der morgigen Sitzung das Vertrauen ausspricht und der Vorlage der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zustimmt.

Meine Damen und Herren! Soweit sich der Antrag der FDVP mit Inhalten befasst, die Gegenstand der Herbsttagung der ständigen Konferenz der Innenminister in Meisdorf waren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um dem Landtag kurz über die Ergebnisse der IMK zu berichten.

Unter meinem Vorsitz haben meine Kolleginnen und Kollegen in der vergangenen Woche beschlossen, gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium die nach den Terroranschlägen eingeleiteten Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland weiter umzusetzen und konsequent fortzuentwickeln. Wir haben den Beschluss der IMK vom 18. September 2001 über Sofortmaßnahmen bekräftigt, durch den unter anderem die bundesweite Abstimmung von Schutzmaßnahmen sowie die sofortige Abstimmung aller Sicherheitsmaßnahmen von grenzüberschreitender Bedeutung auf europäischer Ebene veranlasst wurden. Über die Inhalte des Beschlusses der IMK vom 18. September 2001 hatte ich Sie bereits in der letzten Landtagssitzung ausführlich informiert.

Wir waren uns auf der IMK auch darüber einig, dass im Interesse des frühzeitigen Erkennens von Gefahrenlagen und deren nachhaltiger Bekämpfung eine verstärkte und effektive Zusammenarbeit der Nachrichtendienste untereinander sowie mit allen anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder erforderlich ist. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Sicherheitspaket II wurde einhellig begrüßt. Am 21. November 2001 werden sich die Innenminister im Innenausschuss des Bundesrates treffen und konkret über dieses Sicherheitspaket beraten, damit es sehr schnell verabschiedet werden kann.

Meine Damen und Herren! Angesichts der deutlich gewordenen Besorgnis in der Bevölkerung über die Terroranschläge vom 11. September und die Verbreitung von Milzbranderregern in den USA sowie die Trittbrettfahrer hier in Deutschland haben wir an alle Verantwortlichen appelliert, mit Umsicht und Besonnenheit zu einer sachlichen öffentlichen Diskussion der Gefahrenlage beizutragen. - Mit diesem Appell der IMK möchte ich schließen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS wird morgen vermutlich die einzige Partei im Bundestag sein, die der Bundesregierung die Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr im Krieg in Afghanistan verweigert. Wir mögen in diesem Bundestag die Einzigen sein, in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit wissen wir uns eins mit Vertreterinnen aus Kirchen und Gewerkschaften, mit Künstlern und mit der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Zumindest im Osten ist das so.

(Herr Becker, CDU: 1968, sage ich nur!)

Auch im Westen wächst der Unmut. In den Zeitungen der letzten Wochen sind die Kommentare skeptischer geworden. Zweifel, ob denn der Krieg überhaupt geeignet sei, dem Terrorismus Einhalt zu gebieten, werden nicht mehr zurückgehalten. Ich will drei Zitate anführen:

„Wie weit soll die Solidarität mit Amerika gehen, wenn sich mehr und mehr herausschält: Der Kampf gegen den Terrorismus wird auch mit zweifelhaften Mitteln, zweifelhaften Zielen und zweifelhaften Partnern geführt?“

So schreibt die „Münchner Abendzeitung“.

„Hauptgegner der Amerikaner scheinen nach viereinhalb Wochen des Bombardements in Afghanistan weniger das Taliban-Regime und Bin Ladens Netzwerk el-Kaida zu sein als die Ungeduld an der Heimatfront.“

Das war die „Aachener Zeitung“. In der „Rheinischen Zeitung“ war zu lesen:

„Solange keine Klarheit herrscht, wie dieser Krieg geführt wird und wozu er dienen soll, ist die Entsendung deutscher Soldaten sträflicher Leichtsinn. Auch hierüber muss der Bundestag reden.“

Selbst wenn die lange erwarteten scheinbaren Erfolgsmeldungen von der Flucht der Taliban und der Einnahme Kabuls und nun wohl auch Kandahars jetzt in den Medien erscheinen, werden sie sofort von Zweifeln begleitet. Unsicherheit macht sich breit. Wer soll nun mit welcher Legitimation in Kabul regieren?

Die Nordallianz - das geben die Amerikaner zu - ist kein verlässlicher Partner. Zu viele unterschiedliche Interessen gibt es in dieser Allianz. Die USA und die mit ihr verbündeten Mächte haben vor lauter Krieg vergessen, sich um die politischen Lösungen zu kümmern. Nun geht es ihnen eigentlich zu schnell.

Die Folgen sind völlig unabsehbar. Wie geht es weiter? Die USA bomben den Taliban hinterher. Deren Anhänger fliehen nach Pakistan. Wollen die USA ihnen auch dorthin hinterherbomben? Bin Laden ist jedoch noch immer nicht gefasst. Wo soll das enden? Soll den zwei Kriegsjahrzehnten in Afghanistan ein drittes hinzugefügt werden? Auch dafür trüge Deutschland dann mit die Verantwortung.

Nein, die PDS bleibt dabei: Krieg ist das untauglichste Mittel, um den Terrorismus zu bekämpfen. Wir sind durchaus nicht der Auffassung, dass sich Deutschland seiner internationalen Verantwortung entziehen darf. Die Ergreifung der Terroristen und ihrer Hintermänner gehört immerhin auch dazu. Aber wir sehen die Verantwortung Deutschlands nicht in der Beteiligung an einem Krieg, sondern in der Intensivierung der Suche nach dauerhaften politischen Lösungen, in dem Bemühen um sozialen Ausgleich weltweit, damit dem Terrorismus der soziale und politische Boden entzogen wird.

Es wäre doch etwas völlig anderes, würde der Streit morgen im Bundestag um eine deutliche Erhöhung des Budgets für die Entwicklungshilfe und um eine Ausweitung des deutschen Engagements in dem Bemühen um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung gehen.

(Beifall bei der PDS)

Dann brauchte der Bundeskanzler morgen nicht die Vertrauensfrage zu stellen.

Nun will sich die FDVP, wie zu anderen Gelegenheiten auch, als Friedensengel aufspielen. Sie rechnet damit, dass sie ihr Image in der Bevölkerung aufbessern kann.

Dem ist entgegenzuhalten: Einer Partei, die mit offen rassistischen und nationalistischen Parolen vor vier Jahren Wahlkampf geführt hat, die sich mit weit mehr als 100 Kleinen Anfragen und etlichen Anträgen - das war auch heute in der Aktuellen Debatte zu hören - um die Kriminalisierung von Ausländerinnen und Ausländern verdient gemacht hat, die bis heute die Verbrechen der deutschen Wehrmacht zu verharmlosen sucht, für die Kriegsflüchtlinge vor allem ein Kostenfaktor sind, die sie

zu den Kriegskosten rechnet, und die den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo nur deshalb ablehnte, weil diese nicht als „Kanonenfutter für fremde Interessen“ dienen sollten, ist wirkliches Friedensengagement nicht abzunehmen.

(Beifall bei der PDS)

Nein, die Damen und Herren von rechts außen könnten eine Presseerklärung der PDS wörtlich abschreiben und sie als Antrag einreichen und Herr Wolf kann noch so viel Kreide fressen und Friedensliebe heucheln, wir werden solchen Anträgen niemals zustimmen.

(Beifall bei der PDS)

Danke schön, Frau Hein. - Das Wort hat für die CDUFraktion Herr Professor Dr. Böhmer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war bis zur letzten Minute hin- und hergerissen, ob ich für meine Fraktion zu diesem Thema überhaupt sprechen sollte. Nach dem aus meiner Sicht ziemlich verworrenen Konvolut von unterschiedlichen Problemfeldern bei der Einbringungsrede war ich der Meinung, ich müsste es eigentlich nicht tun.

Nach den sehr sachlichen und aus meiner Sicht überzeugenden Ausführungen des Herrn Innenministers sah ich auch keinen Grund, an dieser Stelle für meine Fraktion zu sprechen.

(Frau Dr. Hein, PDS: Aber?)

Nachdem Frau Hein jetzt für sich in Anspruch genommen hat, dies im Grunde genommen von höheren moralischen Werten aus und weil die PDS der eigentliche Interessenvertreter derjenigen sei, die im Herzen gegen Krieg seien, ablehnen zu müssen, denke ich, sollten wenigstens diese Ausführungen nicht unwidersprochen bleiben.