Protocol of the Session on September 14, 2001

Ein weiterer Aspekt ist, dass bundesweit 150 000 Personen - davon sind 70 000 Personen voll erwerbstätig Sozialhilfe ergänzend zum Erwerbseinkommen bekommen. Das heißt, dass ihre Einkommen so gering sind, dass wieder die Sozialhilfe greift. Niedriglohnforderun

gen und Kombilohnmodelle müssen vor diesem Hintergrund sehr kritisch hinterfragt werden. Die Frage muss beantwortet werden, ob man den Prozess der Niedriglohnsubventionierung auch noch forcieren muss.

Man darf auch den Aspekt der Kaufkraft nicht ganz außer Acht lassen, weil laut dem Mittelstandsbericht - die neuen Zahlen liegen uns demnächst vor - über 90 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Sachsen-Anhalt allein auf die Binnenkaufkraft angewiesen sind, da sie am Export nicht beteiligt sind.

Zuletzt zur Finanzierung: „Nicht alles soll aus der Versicherung finanziert werden.“ - Okay. „Senkung des Beitragssatzes, wobei die Kosten zwischen Beitragszahlerinnen und Steuerzahlerinnen sachgerecht aufgeteilt werden.“ - Auch gut. Aber wie machen? - Steuererhöhungen werden von der CDU nicht mitgetragen.

Die Schlussfolgerung für mich muss sein, dass es der CDU im Grunde um ein gigantisches Sparprogramm zulasten von Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerinnen geht. Man kann über diese Vorstellung reden. Aber das schlägt dieser Antrag nicht vor.

Ein Wort noch zum Umgang mit dem Antrag. Wir sollen uns - haben Sie vorgeschlagen, Herr Professor Böhmer - inhaltlich in die Debatte einbringen. Aber genau das sieht der Antrag nicht vor. Die Begründung enthält alle inhaltlichen Punkte des Entschließungsantrages der Länder Bayern und Thüringen. Das heißt, wir sollen inhaltlich festgelegt werden. Ich habe aber sehr wohl begründet, warum gerade das aus der Sicht der PDS nicht möglich ist. Wir lehnen den Antrag der CDU ab. - Ich danke.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke schön, Frau Dirlich. - Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich Schülerinnen und Schüler des WolfGymnasiums in Halle herzlich begrüßen, die heute bei uns zuhören.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir fahren dann in der Aussprache fort. Für die SPDFraktion hat die Abgeordnete Frau Ute Fischer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Professor Böhmer, ich möchte es nicht so stehen lassen, dass alle Maßnahmen der Arbeitsförderung umsonst waren und dass die Milliarden, die dafür ausgegeben wurden, umsonst ausgegeben worden sind.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Hat das jemand gesagt?)

- Aber es klang vorhin so an,

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Dann hören Sie mal genau zu!)

da Sie gesagt haben: Es ist da vieles, vieles umsonst passiert.

Ich denke, diese Maßnahmen haben sehr viel Strukturentwicklung gebracht und haben zum sozialen Frieden beigetragen. Es ist natürlich richtig, sie haben wenig Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gebracht. Aber

das liegt im Moment natürlich an den einfach nicht vorhandenen Arbeitsplätzen und daran, dass nur wenige Unternehmen bereit sind, Arbeitnehmer einzustellen.

Die Ministerin ist in ihrer Rede ausführlich auf das Eckpunktepapier zum Job-AQTIV-Gesetz und im Vergleich dazu auf den Entschließungsantrag der Länder Bayern und Thüringen an den Bundesrat eingegangen; dem möchte ich nichts hinzufügen.

Nach dem Antrag der CDU-Fraktion mit seiner Begründung hatte ich im Entschließungsantrag speziell auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage der neuen Bundesländer zugeschnittene Vorschläge gesucht, aber leider nicht gefunden. Ich fand nur wenige Punkte, die nicht schon durch das Eckpunktepapier abgedeckt wären.

Hinzu kommt, dass inzwischen ein Änderungsantrag des Freistaates Sachsen zu dem Entschließungsantrag vorliegt. Dieser verlangt zum Beispiel nicht nur das Angleichen von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, sondern deren Zusammenführen. Das finde ich gefährlich.

Nach einem vorgelegten Konvergenzkonzept soll es zukünftig keinen Unterschied mehr zwischen Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen und Arbeitslosenhilfeempfängern und -empfängerinnen geben. Nach meinen Erfahrungen und nach meinen Gesprächen würden es alle Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger als einen sozialen Abstieg ansehen, wenn man alles in einen Topf packte. Ich glaube, bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage und der Vielzahl der Arbeitslosen wäre das ein schlechtes politisches Signal, auch wenn alle Leistungen aus dem gleichen Steuertopf kommen und nur durch die verschiedenen Behörden ausgereicht werden. Ein Zusammenführen oder Angleichen, ohne die wissenschaftliche Begleitung der Modellprojekte auszuwerten - die Ministerin hat vorhin darauf verwiesen -, wäre ein Schnellschuss. Dessen Folgen können wir jetzt nicht absehen.

Die Eckpunkte zum Job-AQTIV-Gesetz werden im Moment in den verschiedensten Gremien diskutiert, und wir sollten als Fraktionen und auch im Landtag jede Möglichkeit nutzen, uns in diese Diskussion einzubringen, um Vorschläge einzubringen, die die Vermittlungschancen von Arbeitslosen erhöhen. Ich sehe da zum Beispiel noch eine unternehmensnähere Qualifikation oder auch eine andere, etwas weiter gefasste Zusätzlichkeitsdefinition bei verschiedenen Maßnahmen. Ich denke, es gibt eine ganze Anzahl von Dingen, die wir aufgrund unserer Erfahrungen - Sie haben das vorhin erwähnt, Herr Professor Böhmer - einbringen können, und ich meine auch, dass wir uns dabei aktiv beteiligen sollten.

Der Antrag der CDU-Faktion ist, denke ich, heute nicht hilfreich, und ich bitte die Fraktionen, diesen Antrag abzulehnen.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke schön. - Es war noch eine Zwischenfrage angemeldet worden. Würden Sie diese noch beantworten, Frau Fischer? - Herr Gürth, bitte.

Frau Kollegin Fischer, ich habe Ihnen und der Ministerin sehr aufmerksam zugehört und jetzt frage ich Sie: Ist es

nicht klar, dass sich vielen hier die Frage aufdrängt, ob es nicht ein bisschen komisch ist, dass in diesem Landtag sehr oft von Ihrer Fraktion und von der Landesregierung Initiativen, die von anderen Bundesländern in den Bundesrat eingebracht werden, mit der Begründung abgelehnt werden, „das machen wir schon“, „dafür ist der Bund zuständig“, „das können wir selbst besser“ oder „wir haben das alles schon“, dass diese Länder jedoch eine wesentlich günstigere Arbeitsmarktlage haben als wir und dass wir - bei einer viel höheren Verschuldung immer noch die Letzten in der Arbeitslosenstatistik sind? Wäre es da nicht ratsam, sich auch einmal anderen Initiativen zu öffnen?

Ich sage dazu nicht nein. Ich sagte ja: Wir müssen all diese Dinge diskutieren, wir müssen alle Vorschläge diskutieren und dort auch genau hinsehen. Nur, dieser Entschließungsantrag bringt uns, denke ich, nicht weiter. Übrigens ist er schon vom Tisch, wie wir vorhin gehört haben. Das wussten wir natürlich gestern auch noch nicht.

Aber ich denke, mit dem Job-AQTIV-Gesetz und mit all dem, was da diskutiert und eingebracht worden ist, ist doch eine Vorlage gegeben. Da gibt es Inhalte und an diesen sollten wir uns orientieren und unsere Erfahrungen einbringen. Ich glaube, da haben die neuen Bundesländer und auch wir in Sachsen-Anhalt ungeheuer viele Erfahrungen, die auch eine Rolle spielen könnten.

(Zustimmung bei der SPD, von Minister Herrn Dr. Heyer und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Das Wort hat noch einmal Herr Professor Böhmer für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben uns jetzt vorgemacht, wie schwer wir uns tun, miteinander in dieser Bundesrepublik Deutschland - das ist ja nicht nur bei uns so - Politik zu machen. Da sagt also die Bundesregierung: Wir haben ein Problem, das werden wir irgendwie lösen, natürlich ordentlich. Das macht jede Regierung so. Aber sie tut es dann nicht, und es wird über die Dinge diskutiert, die zugegebenermaßen schwierig sind. Da kann man ein Gesetz erarbeiten, dem vom Bundesrat zugestimmt werden muss, weil die Länderinteressen berührt sind. Man kann es aber auch anders machen, sodass man die Länderinteressen nicht anspricht und am Bundesrat vorbeikommt.

Jetzt sagt der Bundesrat: Auch wir sehen Handlungsbedarf und wollen die Bewegung befördern. Da erarbeiten wir nicht etwa einen Gesetzentwurf, was mühsam wäre, sondern wir legen nur einen Entschließungsantrag vor, in dem wir eine Absicht mitteilen: Dieses und jenes könnten wir uns auch vorstellen, dem würden wir, wenn es als Gesetzentwurf der Bundesregierung in den Bundesrat käme, auch zustimmen. - Nur darum handelt es sich.

In diesen Entschließungsantrag, der nichts anderes ist als eine Absichtserklärung, der kein ausformuliertes Gesetz ist, werden einige Dinge geschrieben, von denen ich ganz sicher sagen kann: Wenn das SPD-geführte Länder gewesen wären, dann wäre der gleiche Tatbestand richtig gewesen. Da es aber die so genannten

B-Länder sind, ist das wenn nicht gerade verabscheuungswürdig, so doch völliger Unfug.

Zum Beispiel die Tatsache, dass eine Meldefrist von jeweils einem Vierteljahr vorgeschrieben ist, nicht um zu registrieren, ob die betreffende Person noch da ist oder nicht, sondern um die persönliche, individuelle Fördervereinbarung, die abgeschlossen worden ist, dahin gehend zu überprüfen, ob sie noch sinnvoll ist, und zu prüfen, wie man sie ändern könnte, wenn sie nicht zu dem vorgesehenen Ergebnis geführt hat. Daher ist es doch gerechtfertigt zu sagen: Alle viertel Jahre sehen wir uns das gemeinsam an.

Das wird sofort wieder als eine schikanöse Maßnahme der Kontrolle deformiert. So gehen wir miteinander um. Wir lesen den gleichen Text und interpretieren ihn immer so, wie es uns jeweils gerade passt.

Die Aussage zur Mobilität ist nur als Definition dafür vorgegeben, welche Mobilität jemandem zuzumuten ist und unter welchen Bedingungen. Das muss man doch wenigstens sagen können. Darüber, ob eine halbe Stunde oder zwei Stunden zumutbar sind, muss man unter vernünftigen Menschen reden können. Wenn das die A-Länder machen, ist das gut und richtig und zukunftsweisend, aber wenn das die B-Länder machen, sind das verkappte Schikanen usw.

Dabei gibt es andere Probleme. Die Modellprojekte, die schon die ganze Zeit über laufen, müssen nun auch zu Erfahrungen führen, die man auswerten kann. Dann soll das mal bitte schön auf den Tisch gelegt werden. Wenn wir Erfahrungen haben, sagen wir, dann sollten wir das genauso machen.

Ich habe bewusst bei der Einführung nicht „zustimmen“ gesagt, weil auch ich Punkte gefunden habe, zu denen ich sage: Das kann man doch so nicht machen. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, hätten wir den Antrag so formuliert, dass er in unseren Ausschuss zu überweisen gewesen wäre, um unter uns die Sache zu diskutieren und dann festzustellen: Die und die Vorschläge würden wir mit einbringen. Dann hätten wir eine Beschlussempfehlung erarbeitet, dieser Entschließungsantrag im Bundesrat möge unterstützt werden mit der Maßgabe, dass erstens, zweitens, drittens... Nur, diese Zeit haben wir nicht mehr. Deswegen habe ich mich auf „unterstützen“ eingelassen. Das heißt, die Sache mitzutragen, wenn auch nicht jeder Einzelheit zuzustimmen.

Zur Problematik der betrieblichen Weiterbildung: Frau Ministerin, Sie müssen sich einmal anhören, wie das aus der Sicht der Arbeitsverwaltung aussieht. Wir haben zurzeit Betriebe, die auf der Kippe stehen. Diese wissen, dass sie so nicht weiterkommen, dass sie ihr Profil ändern müssen und dass sie das Personal umprofilieren müssen. Aber sie haben kein Geld mehr, um dies zu bezahlen, weil sie kurz vor der Pleite stehen.

Dann kommen die Betriebe zum Arbeitsamt. Und dann muss der Arbeitsamtsdirektor sagen: Leute, ich kann euch nicht helfen. Ihr müsst bestenfalls Insolvenz anmelden. Sobald die Leute arbeitslos sind, könnt ihr sie am nächsten Tag schicken. Dann machen wir genau das, was ihr wollt. Dann kriegt ihr sie auch weitergebildet wieder.

(Ministerin Frau Dr. Kuppe: Sie dürfen nicht nur ein Programm herausgreifen!)

- Ich habe etliche. - Wenn wir bei drohender Insolvenz schon helfen könnten, könnte man vielleicht sogar die

Insolvenz als solche vermeiden. Das sind eine Reihe von Problemen, die aus unserer Sicht deutlich mit auf den Weg gebracht werden müssten.

Bevor das rote Licht nun ununterbrochen brennt, will ich noch ein paar letzte Sätze sagen, auch im Hinblick auf die Finanzierung. Es gibt Leistungen, die über die Arbeitslosenversicherung finanziert werden und auch zukünftig so finanziert werden müssen. Zwischendurch gibt es auch Leistungen, die aufgrund staatlich angeordneter Gesetze gar nicht zur Versicherung gehören und trotzdem bezahlt werden müssen. Dies zu sortieren und zu sagen, staatliche Leistungen müssen auf einem anderen Weg finanziert werden

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

und Versicherungsleistungen müssen von der Versicherung bezahlt werden, ist auch dann nicht falsch, wenn Sie das sagen, Frau Dirlich. Ich sehe nicht ein, dass es nur falsch ist, weil wir es diesmal gesagt haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Das sind Probleme, bei denen ich ganz einfach sage: Da sollten wir die Dinge anders lösen. Wenn ich schon höre, dass mir mit Aussagen widersprochen wird, die ich gar nicht gemacht habe, dann weiß ich doch, dass es lediglich darum geht, eine vorgefasste Meinung mit ein paar Hilfsargumenten zu untersetzen,

(Herr Gürth, CDU: So ist es!)