Protocol of the Session on September 14, 2001

Die von Ihnen genannten Fächer, also konfessioneller Religionsunterricht und Ethikunterricht, sind gerade aufgrund ihrer Spezifik natürlich besonders geeignet, sich diesen Fragen zuzuwenden. Deshalb müssen wir das Defizit, das die Expertise beschreibt, außerordentlich ernst nehmen und in diesem Zusammenhang zu weiteren Schritten kommen.

Allerdings möchte ich ganz deutlich sagen - das zeigen auch die Ereignisse dieser Woche und die Situation, in der sich die Schulen befinden -: Wir sollten diese Fragen nicht auf diese Fächergruppe delegieren.

Wir befinden uns übrigens auch nicht - da würde ich Ihnen widersprechen - in einem weltanschaulichen Nirwana.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Die Verfassung unseres Landes, die Traditionen, auch die Traditionen der Werteorientierung gerade in Mitteleuropa, die weit zurückgehen auf jüdisch-christliche Traditionen, stellen überhaupt kein weltanschauliches Nirwana dar, sondern geben vielen Menschen eine sehr klare Orientierung, unabhängig davon, ob sie sich einer Konfession zugehörig fühlen oder nicht.

Die Verfassungslage im Land Sachsen-Anhalt ist sehr eindeutig. Ich war damals nicht in der Landesregierung tätig, habe aber auch die entsprechende Debatte verfolgt. Viele von Ihnen werden sich an die intensive Diskussion erinnern, in der man sich damit befasste, wie auf die Herausforderung der spezifischen Situation eines Landes, in dem sich etwa 25 % der Bevölkerung einer christlichen Kirche zugehörig fühlen, reagiert werden soll.

Die Antwort, die in der Landesverfassung gefunden wurde, ist gut und angemessen. Während in den westdeutschen Ländern der Religionsunterricht ein Pflichtfach und der Ethikunterricht quasi eine Art Ersatzfach ist, wird in Sachsen-Anhalt eine Fächergruppe installiert, bei der der Ethik- und der Religionsunterricht gleichberechtigt nebeneinander stehen. Dem tragen Artikel 27 der Landesverfassung und die entsprechende Regelung im Schulgesetz meines Erachtens in hervorragender Weise Rechnung.

Ich glaube, dass Sie eine Scheindiskussion heraufbeschwören im Hinblick auf die Frage, ob sich SachsenAnhalt beispielsweise an Brandenburg orientieren soll. Die Landesverfassung hat diese Frage abschließend beantwortet.

Es stellt sich vielmehr die Frage: Wie kann sich Schule und wie können sich diese Fächer miteinander weiterentwickeln und in eine Kooperationsbeziehung, in eine Zusammenarbeit kommen?

Diese Teile haben Sie nicht zitiert, aber die Expertise gibt hierzu meines Erachtens sehr gute Antworten. Sie besagt nämlich: Wir können bei der Frage der Wertevermittlung nicht in diejenigen unterteilen, die einer Religion angehören, und diejenigen, die keiner Religion angehören. Es müssen vielmehr Bezüge festgestellt werden und wir müssen sagen: Welches sind die Fragen, die alle Kinder und alle Elternhäuser beschäftigen oder

zumindest beschäftigen sollten, auf die wir uns gemeinsam beziehen können? Das heißt, hiermit wird ein Anstoß zur Kooperation - darin gebe ich Ihnen wiederum Recht - aus der eigenen Position heraus gegeben. Das heißt, es geht beispielsweise nicht um die Auflösung der konfessionellen Bindung, sondern es geht um die Zusammenarbeit.

Hierzu gibt die Expertise sehr wertvolle Anstöße, die nicht nur für die Landesregierung, sondern auch für die Kirchen eine Herausforderung zur Diskussion darstellen. Ich verweise auf die öffentliche Stellungnahme des Bistums, in der deutlich wird, dass die katholische Seite genau diesen Diskussionsbedarf annimmt und darüber reden will.

Wir haben bei der Einführung des Ethik- und des Religionsunterrichts einige Probleme und Widerstände zu überwinden, hauptsächlich die Situation, dass ein geringer Anteil der Bevölkerung konfessionell gebunden ist, aber auch den Umstand, dass bei der Einführung des Ethikunterrichts Analogien beispielsweise zu Fächern wie Staatsbürgerkunde gezogen werden und eine Indoktrination befürchtet wird.

Über diese Widerstände muss diskutiert werden. Wir müssen deutlich machen, dass es in den Schulen darauf ankommt, Raum für eine wissenschaftlich begründete und sachlich begründete Auseinandersetzung um Wertefragen zu geben. Diesen Raum geben die Schulen des Landes in zunehmendem Maße. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden Sie feststellen, dass es eine kontinuierliche positive Entwicklung in diesen Bereichen gibt.

Einer der wesentlichsten Schritte ist meines Erachtens die Verständigung der beiden großen Kirchen darüber, dass es dort, wo Lerngruppen der eigenen Konfession nicht zustande kommen, eine wechselseitige Anerkennung des Religionsunterrichts der jeweils anderen Konfession geben kann. Unter dem Begriff „18er-Modell“ wurde dieser Versuch angestoßen. In zwölf Schulen wird dies derzeit praktiziert.

Wir müssen, glaube ich, aus diesem Dilemma heraus, dass in Sachsen-Anhalt die Fächergruppe an den Stellen, wo Lerngruppen nicht zustande kommen, nicht eingerichtet wird und wir dann den Eisdieleneffekt haben, nämlich dass es attraktiver ist, überhaupt nicht an diesem Unterricht teilzunehmen. Wir müssen vielmehr einen Grad der Verbindlichkeit dieser Fächergruppe herstellen. Dabei ist nicht nur die Landesregierung gefordert, sondern auch die Kirchen.

Aus diesem Grunde hat der Ministerpräsident des Landes Herr Dr. Höppner gemeinsam mit mir diese Expertengruppe einberufen. Ich bin über die Ergebnisse sehr beeindruckt. Ich bin auch sehr beeindruckt über die Bereitschaft der Arbeitsgruppe, auch über konfessionelle Grenzen hinweg positive Ergebnisse zu produzieren.

Hierzu gehört die Kooperation auch in wahldifferenzierten Phasen zwischen dem Ethik- und dem Religionsunterricht. Hierzu gehört die Nachweispflicht der Schulen, die aufgrund einer klaren Verfassungslage gehalten sind, Ethik- und Religionsunterricht anzubieten. Das heißt, die Schulen, in denen dies nicht der Fall ist, müssen darlegen, warum es nicht gelingt, und überlegen, was dagegen zu tun ist.

Hierzu gehört die Aufforderung an die Kirchen zu stärkerer Zusammenarbeit auch in der wechselseitigen Anerkennung der Angebote. Hierzu gehört die Einrichtung

einer Koordinierungsstelle als Ansprechpartner für die verschiedenen Kräfte im Lande, die an diesem Bereich sowohl von Ethik- als auch von Religionsseite arbeiten.

Hierzu gehört die Aufforderung zur Ausweitung des Einstellungskorridors. Dazu möchte ich anmerken: Ich bin gern bereit, zusätzliche Kräfte einzustellen. Aber solange ich eine große Zahl - es sind noch immer über 30 an Kräften habe, die ausgebildet sind und null Stunden unterrichten, möchte ich zunächst darauf drängen, dass diese Kräfte tatsächlich bedarfsgerecht eingesetzt werden.

Des Weiteren gehört hierzu die Berücksichtigung dieser Fächergruppe in den Schulprogrammen, das heißt, die Reflexion in der Schule, wie der Ethik- und der Religionsunterricht in der Schule verankert werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es wird deutlich, dass sowohl die Landesregierung als auch die Kirchen als auch die Ethikverbände ein sehr hohes Interesse haben, in diesem Bereich zu Fortschritten zukommen. Wir können bisher nicht zufrieden sein.

Wir sehen an den Zahlen die positive Entwicklung. Wir sehen die positive Entwicklung bei der Verankerung der Fächergruppe in den Schulen Sachsen-Anhalts. Aber wir sehen auch ganz deutlich die noch bestehenden Defizite. Ich sehe diese Aktuelle Debatte als eine Unterstützung auch für die Politik der Landesregierung, hierbei deutliche Schritte voranzugehen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Danke, Herr Minister. - Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Hein.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist völlig unstrittig, dass werteerziehender Unterricht ein wesentlicher Bestandteil humanistischer Bildung und Erziehung ist. Darin sind wir uns in diesem Hause sicherlich einig. Es geht dabei um Werte des menschliche Zusammenlebens, um Normen, moralische Verhaltensweisen, vor allem aber um Werte des Humanismus.

Ich bin mit dem Kultusminister einer Meinung, dass Werteerziehung nicht allein die Aufgabe einer Fächergruppe und auch nicht allein die Aufgabe der Schule ist. Es ist vielmehr die Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Da gibt es einen riesengroßen Nachholebedarf, an dem wir arbeiten müssen.

In der heutigen Debatte geht es aber um die Rolle der Schule in diesem Prozess. Darauf will ich eingehen. Ich denke allerdings, dass die Fächergruppe Ethik und Religion nicht allein dieser Aufgabe genügen kann, weil es hierbei nicht allein um das Vermitteln von Verhaltensregeln geht. Es geht um fundamentales Wissen über Traditionen, über die Entwicklung von Kulturen, Religionen eingeschlossen. Daraus folgen in den einzelnen Kulturen unterschiedliche Wertmaßstäbe. Dies alles kann eine solche Fächergruppe allein nicht leisten.

Ich weiß, dass Lehrerinnen und Lehrer in anderen Fächern, aber auch insgesamt an dieser Stelle ein Menge Unterstützung brauchen. Mitunter sehen sie das selbst nicht so, mitunter sehen sie es aber so, weil sie mit bestimmten Themen vorher nie konfrontiert waren. Ich denke, dass es notwendig ist, solche Unterstüt

zungsangebote auch weiter bereitzuhalten und vor allem dafür zu werben.

Erst das Wissen um die Unterschiedlichkeit von Kulturen kann dazu befähigen, souverän und selbstbewusst mit eigenen und fremden Kulturen umzugehen. Erst auf dieser Grundlage wachsen Toleranz, Bereitschaft und Fähigkeit zur friedlichen Konfliktbewältigung, und das muss dann auch noch geübt werden.

Dennoch bietet der Unterrichtsgegenstand der beiden Fächer einen wichtigen Ansatzpunkt für eine solche Erziehung, und sie sind nicht ersetzbar. Es ist gerechtfertigt zu fragen, wie es um diese beiden Fächer bestellt ist. Wir haben dies in den letzten Jahren häufiger getan.

Im Schulwesen Sachsen-Anhalts gab es bekanntlich im Jahr 1990 wie in allen neuen Bundesländern keine Voraussetzungen für eine solche Fächergruppe. Das heißt, es gab kein ausgebildetes Lehrpersonal. Es musste de facto bei null angefangen werden.

Ich kann mich an eine Äußerung des damaligen Kultusministers Herrn Sobetzko erinnern, der einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren anvisierte, um dieses Defizit zu beheben. Die zehn Jahre wären herum. Ich denke aber, dass die damalige Landesregierung die Kompliziertheit dieser Aufgabe unterschätzt hat und sie vielleicht zu langsam angegangen ist.

Wir beklagen heute in schöner Regelmäßigkeit die geringe Attraktivität des Lehrerberufs aus allen möglichen, uns lange bekannten Gründen. Aus welchem Grund sollten diese beiden Fächer davon ausgenommen sein?

Zusatzqualifikationen - auch darin haben wir leidvolle Erfahrungen - werden besoldungsrechtlich wenig honoriert oder es werden davor unüberwindbare Hürden gestellt. Auch das ist ein Problem, mit dem wir umgehen müssen, wenn wir die Situation in diesen Fächern verändern wollen.

Dennoch denke ich, dass es zusätzliche Möglichkeiten gibt, diese Situation zu verbessern, wenn es uns um die Sache und nicht um Eitelkeiten geht. Immerhin wäre es ein großer Fortschritt, wenn es, wie der Minister hier dargestellt hat, gelänge, dass die Kirchen gegenseitig den Unterricht der anderen Religion anerkennen, wenn sie nicht gar - ich maße mir nicht an, das besser zu finden; aber die Kirchen reden selber darüber, darum tue ich es auch - einen ökumenischen Unterricht anbieten. Das war bisher nicht möglich. Offensichtlich gibt es jetzt Bereitschaft, darüber zu reden. Man könnte über diesen Weg ziemlich viele Fortschritte erreichen.

Ich teile auch die Auffassung, dass es notwendig ist, die Kooperation zwischen beiden Fächern, also zwischen Ethik und Religion, zu verbessern. Bei einigen Religionslehrern besteht dazu durchaus Bereitschaft, und es gibt auch schon Erfahrungen, die man nutzen könnte.

Außerdem wäre das nach meiner Überzeugung auch inhaltlich ein guter Schritt. Ich teile nämlich Ihre Auffassung nicht, dass LER ein völlig überlebtes Modell ist. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es bei uns keine Diskussionsgrundlage. Aber auch bei diesem Unterrichtsfach müsste man bedenken, dass genau dafür Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden müssen. Es reicht nicht, wenn man als Ethiklehrer ausgebildet ist, und es reicht auch nicht, wenn man als Religionslehrer ausgebildet ist. Vielmehr bedürfte es einer anderen Ausbildung, genau auf dieses Fach ausgerichtet. Diese gab es, glaube ich, weder in Brandenburg noch anderswo. Darin sehe ich ein großes Problem für dieses Fach.

Aber wie gesagt, es spielt für uns keine Rolle. Verfassungsrechtlich ist diese Möglichkeit bei uns nicht gegeben. Wir sollten uns daran halten. Die Kooperation wäre schon ein wesentlicher Schritt in diese Richtung.

Schließlich sollte man vielleicht auch einmal darüber nachdenken, welche unkonventionellen Möglichkeiten der Begegnung mit ethischen und religiösen Problemen es gibt, die man vielleicht auch außerhalb des regulären Unterrichts bedenken und entwickeln könnte.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Kauerauf, SPD)

Frau Mittendorf hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. Herr Dr. Bergner, mir wurde gerade signalisiert, dass Sie noch eine Frage an Frau Dr. Hein hatten.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ich lasse es jetzt!)

- Entschuldigung, ich habe es einfach nicht gesehen. Bitte sehr, Frau Mittendorf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter dem Eindruck der jüngsten schrecklichen Ereignisse in den USA ist eine Debatte über die Vermittlung von Werten und über Werteerziehung unabdingbar. Dabei kommt dem Werte vermittelnden Unterricht als wichtigem Bestandteil schulischer Bildung und Erziehung jedoch nicht erst seit Dienstag, sondern generell eine besondere Bedeutung zu. Das ist sicherlich unbestritten.

Dabei verstehen wir unter Bildung mehr als die Aneinanderreihung von Fachwissen der verschiedenen Unterrichtsfächer. Wir verfolgen vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz.

Die Schule muss entsprechend dem im Schulgesetz verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der moralischen Urteilsund Handlungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen leisten. Dazu zählt die Vermittlung von Wertevorstellungen für ein friedliches und an demokratischen Grundsätzen orientiertes Leben in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. Allerdings setzt der Begriff der Werteerziehung einen gesellschaftlichen Konsens voraus, der in der erforderlichen Ausgeprägtheit möglicherweise nicht mehr auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu finden ist.

Was sind also in der heutigen Zeit allgemein verbindliche Werte? Wer definiert diese und in welcher Beziehung stehen sie tatsächlich zu weltanschaulichen Bekenntnissen? Das ist eine wichtige, aber hochbrisante Frage, der sich nicht nur die Schule, sondern die gesamte Gesellschaft stellen muss.

Bei der Betrachtung der gegenwärtigen Situation des Ethik- und Religionsunterrichtes an unseren Schulen müssen jene Rahmenbedingungen kritisch überprüft werden, die dem Ziel einer flächendeckenden Unterrichtsversorgung entgegenstehen, sowie kurz- und mittelfristige Lösungen aufgezeigt werden. Aber ich denke, genau das kann eine Aktuelle Debatte nicht leisten. Sie kann das Thema nur aufgreifen. Sehr wohl kann das aber der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft.