Protocol of the Session on September 14, 2001

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 62. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 33. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit Tagesordnungspunkt 26 - Aktuelle Debatte.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich noch etwas anzukündigen. Die Bundesregierung ruft in Deutschland für den heutigen Freitag, 12 Uhr zu drei Schweigeminuten im Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in den USA auf. Das öffentliche Leben soll in dieser Zeit in der gesamten Europäischen Union ruhen. Die Europäische Union hat diesen Freitag als Tag der Trauer ausgerufen. Die EUassoziierten Länder schließen sich diesem Gedenken an.

Bereits am Donnerstag ruhte bundesweit in Betrieben und Behörden ab 10 Uhr für fünf Minuten die Arbeit, Schulen unterbrachen ihren Unterricht, Busse und Bahnen stoppten. Zu den Schweigeminuten hatten Gewerkschaften und Arbeitgeber aufgerufen.

Meine Damen und Herren! Meine Kollegen im Präsidium und ich halten es für angemessen, dass wir um 12 Uhr still im Saal verbleiben, und bitten Sie, sich dem Vorschlag, den die Bundesregierung unterbreitet hat, anzuschließen und im Sitzungssaal die Gedenkminuten abzuhalten. - Meine Damen und Herren! Ich habe keinen Widerspruch gehört. Wir werden so verfahren.

Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 26 - Aktuelle Debatte. Ich erinnere daran, dass die FDVP-Fraktion die Sitzung verlassen hat, sodass eine Teilnahme an der Diskussion ausgeschlossen ist. Die DVU-Fraktion nimmt zwar an der Sitzung teil, wird sich allerdings an der Debatte aus dem gleichen Grund wie die FDVP nicht beteiligen. Ich kündige dies gleich zu Beginn für die gesamte Sitzung an. Damit entfällt auch das erste Thema der Aktuellen Debatte und wir kommen unmittelbar zu dem zweiten Thema.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Aktuelle Debatte

Werte vermittelnder Unterricht in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4929

Es ist bekannt, dass die Redezeit in der Aktuellen Debatte für jede Fraktion fünf Minuten beträgt. Die Landesregierung hat eine Redezeit von zehn Minuten. Die Beiträge der Fraktionen erfolgen in der Reihenfolge CDU-, PDS-, SPD-Fraktion. Zunächst hat der Antragsteller, die CDU, das Wort. Herr Dr. Bergner, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Anlass, dieses Thema in den Landtag einzubringen, ist die kürzlich erschienene Expertise einer im Auftrag des Ministerpräsidenten eingesetzten Arbeitsgruppe zur Zukunft ethischer und religiöser Bildung an den Schulen des

Landes Sachsen-Anhalt. Der Grund, dies zum Gegenstand einer Aktuellen Debatte zu machen, ist die Diskussion, die sich nach der Veröffentlichung dieses Berichts ergeben hat und die es uns angemessen erscheinen lässt, dass sich das Parlament in einer öffentlichen Stellungnahme möglichst einmütig zu den Erkenntnissen der Expertengruppe bekennt und Grundsätze festlegt, wie es mit den Einsichten der Expertengruppe umzugehen gedenkt.

In diesem Zusammenhang habe ich vonseiten der CDUFraktion auf drei Punkte hinzuweisen. Wir begrüßen zunächst, dass es zu einer solchen Expertise gekommen ist. Wir haben inhaltlich Folgendes zu sagen:

Erstens. Wir unterstreichen die Erkenntnis der Expertengruppe, dass ein wertbezogenes, sowohl ethisches als auch religiöses Bildungsangebot unverzichtbar für eine Schule mit Zukunft ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir fordern die Fraktionen im Landtag von SachsenAnhalt auf, dies unmissverständlich zu verdeutlichen.

Meine Damen und Herren! In welcher Diskussionslage befinden wir uns denn? - Die öffentliche Diskussion nach der Veröffentlichung hat gezeigt: Es wird immer wieder behauptet, dass der vom Grundgesetz her gegebene Ansatz, in der Verantwortung der Kirchen und Religionsgemeinschaften die Möglichkeit des Religionsunterrichts an den Schulen zuzulassen, ein verstaubtes Modell wäre. Wir sind sehr dankbar dafür, dass die Expertengruppe deutlich macht, dass dies kein verstaubtes, sondern ein zukunftsweisendes Modell ist. Wir fordern alle auf, die damit verbundenen Herausforderungen auch zukünftig unmissverständlich in diesem Sinne zu diskutieren.

Zweitens. Die CDU sieht mit Genugtuung, dass die verfassungs- und schulrechtlichen Grundlagen für einen Ethik- und Religionsunterricht durch die Expertenkommission positiv gewürdigt werden. Ich zitiere mit Ihrer Genehmigung:

„Die von der Verfassung Sachsen-Anhalts und dem Schulgesetz gegebenen Rahmenbedingungen bieten eine gute Grundlage für eine pädagogisch, bildungstheoretisch und fachwissenschaftlich fundierte Antwort auf viele Herausforderungen, vor denen die Schule heute steht.“

Meine Damen und Herren! Wir sind der Meinung, dass gerade vor dem Hintergrund solcher Einsichten die Gespensterdiskussion um ein gemeinsames wertorientiertes Fach nach dem Vorbild von LER in Brandenburg bei uns beendet werden soll. Ein staatlich monopolisiertes Einheitsfach ist ein Irrweg.

(Zustimmung bei der CDU)

Es ist besonders wichtig, dies festzuhalten, und wir hoffen, dass es im Sinne der Kommission hierzu auch aus den anderen Fraktionen ein eindeutiges Bekenntnis geben wird.

Die Kommission hat im Zusammenhang mit der Diskussion über die Hemmnisse, die bisher die Einführung von Ethik- und Religionsunterricht beeinträchtigt haben, Folgendes ausgeführt - ich darf zitieren -:

„Verunsichert hat ferner, dass unter einigen Landtagsabgeordneten deutliche Sympathien für die Abschaffung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach geäußert und der Gesetzgebung in Brandenburg ähnelnde Regelungen favorisiert wurden und werden.“

Dies ist genau eines der Hemmnisse, bei denen wir im Parlament gefordert sind, die Kraft zu ihrer Überwindung zu entwickeln. Dass es dabei noch eine Menge anderer Hemmnisse gibt, geht aus dem Bericht ebenfalls hervor. Wir alle sollten nicht darüber hinwegblicken, dass der Bericht deutlich macht:

„In Sachsen-Anhalt besteht ein hohes Realisierungsdefizit zwischen dem Verfassungsauftrag zur flächendeckenden Einführung von Religionsund Ethikunterricht an allen Schulen und dem tatsächlichen Unterrichtsangebot.“

Und weiter:

„Damit bildet Sachsen-Anhalt auch zehn Jahre nach der Wende das Schlusslicht aller Bundesländer in der Versorgung mit ethischer und religiöser Bildung.“

Diese Einschätzung des Berichts sollten wir ernst nehmen und wir sollten darin eine Aufgabe sehen.

Eine Aktuelle Debatte kann über solche allgemeinen Standpunkte nicht hinausgehen. Ich bin aber doch versucht, auch wenn die rote Lampe leuchtet und die Präsidentin mir noch ein klein wenig Zeit gibt, aus meiner Sicht auf Folgendes hinzuweisen: Wir alle bewegen uns im Moment ein wenig im Lichte der Ereignisse, die uns alle erschüttert haben. Mir ist ein Zitat des Islamkenners Peter Scholl-Latour aus einer Talkshow in Erinnerung, das ich nicht überbewerten möchte, das ich aber in diesem Zusammenhang doch für zitierungswürdig halte. Peter Scholl-Latour sagte:

„Wir alle hätten es leichter im Umgang mit dem Islam und den Islamisten, wenn wir in Deutschland selber wüssten, zu welcher Religion und Weltanschauung wir uns bekennen.“

Genau dies scheint mir das Problem zu sein, das in den jetzt aufbrechenden Konflikten nicht unterschätzt werden darf. Insbesondere wir in den neuen Bundesländern befinden uns in einer Art weltanschaulichem Nirwana. Und es ist eine Verpflichtung derjenigen, die Verantwortung für Bildung in unserem Lande tragen, denjenigen die Möglichkeit zu geben, die Lücke zu schließen, die von ihrer Berufung und von ihrem Amte her dafür die Voraussetzungen mitbringen.

In diesem Sinne unser Appell: Nehmen wir die Ergebnisse der Expertenkommission zu Ethik- und Religionsunterricht in der Schule mit Zukunft ernst und versuchen wir, das Unsere dazu beizutragen, auf der Basis dieser Empfehlungen die Einführung der von der Verfassung vorgegebenen Unterrichtsfächer zu beschleunigen und nicht mehr Schlusslicht unter den neuen Bundesländern zu sein. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Bergner, würden Sie eine Frage von Herrn Dr. Fikentscher beantworten? Dann haben Sie noch mehr Redezeit. - Bitte schön.

Herr Kollege Bergner, da Sie das Zusammenleben der Menschen verschiedener Religionen ansprachen und auch Herrn Scholl-Latour zitierten, frage ich, ob es dann nicht auch zu wünschen wäre, dass bei uns mehr Kenntnisse über den Islam verbreitet würden.

Herr Kollege Fikentscher, ich widerspreche Ihnen gar nicht. Das Problem, das mit der Vermittlung solcher Kenntnisse verbunden ist, scheint mir aber darin zu bestehen, dass der Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen eigentlich nur sinnvoll geführt werden kann, wenn man einen eigenen Dialogstandpunkt hat. Es ist für mich eine verblüffende Geschichte, wie wir mit dem Begriff der Toleranz umgehen. „Tolerare“ heißt „dulden, aushalten“ es heißt nicht „gut finden“. Das heißt, Toleranz setzt voraus, dass ich die Bindung an einen eigenen Standpunkt habe und aus der Bindung an einen eigenen Standpunkt den Respekt für die gleiche Bindung, die der andere an seinen Standpunkt hat, entwickle.

Ich will ganz offen gestehen - das ist auch eine der kritischen Anmerkungen, die ich zu den entsprechenden Programmen der Landesregierung zu machen habe -: Wir sind uns in der Zielrichtung einig, dass wir Toleranz fördern und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen wollen. Aber wir sollten uns auch klar darüber werden, dass ein Teil der Fremdenfeindlichkeit unter den Jugendlichen unseres Landes seine Ursache darin hat, dass man das Eigene nicht kennt. Aus dem Gefühl, das Eigene nicht zu kennen, entwickelt sich eine Angst vor dem Fremden, die zu unangemessenen, ja sogar schlimmen Reaktionen führen kann.

(Zuruf von Herrn Tögel, SPD)

Ich sehe in der Etablierung von Ethik- und Religionsunterricht einen der wirksamsten Schritte zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit in unserem Land. Dies möchte ich sehr ernst genommen haben.

(Beifall bei der CDU - Herr Tögel, SPD: Das ist sehr gewagt! Sehr gewagt!)

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Querfurt bei uns begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich darf nunmehr für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Harms das Wort erteilen. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Bergner, ich glaube, es gibt überhaupt keine unterschiedlichen Auffassungen in diesem Hause sowie zwischen der Landesregierung und dem Parlament über die Bedeutung von Ethik- und Religionsunterricht. Diese Bedeutung ist außerordentlich hoch.

Es muss allerdings auch betont werden, dass die dahinter liegenden Fragen auch eine gesellschaftliche Aufgabe darstellen. Das heißt, die Frage der Wertevermittlung an junge Menschen kann weder auf die Schule noch auf ein einzelnes Fach reduziert werden, sondern ist eine Aufgabe, die bei den Familien anfängt und bei den Jugendeinrichtungen weitergeht, für die Kirchen, Verbände und eben auch die politische Öffentlichkeit Verantwortung tragen.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Dr. Hein, PDS, und von der Regierungsbank)

In der Expertise, die für Sie Anlass war, diese Aktuelle Debatte zu beantragen, haben wir versucht, uns gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen, der verschiedenen Verbände und der Wissenschaften diesen Fragen zuzuwenden.

Die von Ihnen genannten Fächer, also konfessioneller Religionsunterricht und Ethikunterricht, sind gerade aufgrund ihrer Spezifik natürlich besonders geeignet, sich diesen Fragen zuzuwenden. Deshalb müssen wir das Defizit, das die Expertise beschreibt, außerordentlich ernst nehmen und in diesem Zusammenhang zu weiteren Schritten kommen.